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Kirchlicher Einfluss auf das Schulwesen

Die gescheiterte Trennung von Kirche und Schule in der Weimarer Republik

Eine Klasse der weltlichen Rütlischule in Berlin-Neukölln, 1926.
Eine Klasse der weltlichen Rütlischule in Berlin-Neukölln, 1926.

Beitragsbild: HVD Kulturhistorisches Archiv

Die vor 100 Jahren in Kraft getretene Weimarer Verfassung bewerkstelligte die Trennung von Kirche und Staat. Jedoch handelte es sich hierbei um eine unvollständige Trennung, viele Privilegien der Kirchen blieben erhalten. Am misslichsten wirkte sich das im Bereich des Schulwesens aus: Den Kirchen gelang es, fast alle Regelungen aus dem Kaiserreich in die Weimarer Republik hinüberzuretten.

Die Besei­ti­gung des kirch­li­chen Ein­flus­ses auf die Schu­le wur­de bereits vor der Novem­ber­re­vo­lu­ti­on nicht nur von frei­den­ke­ri­schen Orga­ni­sa­tio­nen, son­dern auch von Leh­rer­ver­bän­den und dem libe­ra­len Bür­ger­tum gefor­dert. Die SPD ging in ihrem Par­tei­pro­gramm noch wei­ter und for­der­te die welt­li­che Schu­le. Damit ver­bun­den war die Hoff­nung auf eine grund­le­gen­de Reform des Schul­we­sens und das Ende der Pauk- und Prü­gel­päd­ago­gik. Mit der Novem­ber­re­vo­lu­ti­on schien der Zeit­punkt gekom­men, dies durch­zu­set­zen. Vor dem Hin­ter­grund der zwi­schen SPD und USPD ver­ein­bar­ten Pari­tät über­nahm der USPD-Poli­ti­ker Adolph Hoff­mann, gemein­sam mit Kon­rad Hae­nisch von der SPD, am 12. Novem­ber 1918 das preu­ßi­sche Kul­tus­mi­nis­te­ri­um.

Wie kein ande­rer war Hoff­mann mit sei­ner Vita prä­de­sti­niert, die Tren­nung von Schu­le und Kir­che vor­an­zu­trei­ben. Er gehör­te zu den füh­ren­den Köp­fen der frei­den­ke­ri­schen Bewe­gung, u.a. war er seit 1873 in der Ber­li­ner frei­re­li­giö­sen Gemein­de aktiv. Sei­ne reli­gi­ons­kri­ti­sche Schrift „Die zehn Gebo­te und die besit­zen­de Klas­se“ hat­te eine rie­si­ge Auf­la­ge erreicht. Er hat­te Pro­zes­se gegen das preu­ßi­sche Kul­tus­mi­nis­te­ri­um geführt, um die Befrei­ung sei­ner Kin­der vom Reli­gi­ons­un­ter­richt zu errei­chen.

Hoff­man war als preu­ßi­scher Kul­tus­mi­nis­ter bereit, die ihm durch die Novem­bere­vo­lu­ti­on zuge­fal­le­ne Macht zu nut­zen, um grund­le­gen­de Ver­än­de­run­gen im Ver­hält­nis zwi­schen Kir­che und Staat durch­zu­set­zen. Jedoch zeig­te sich schnell, dass Macht und Ein­fluss der kon­ser­va­ti­ven und kle­ri­ka­len Kräf­te viel stär­ker waren, als es in der revo­lu­tio­nä­ren Situa­ti­on des Novem­bers 1918 den Anschein hat­te. Dies und die unter­schied­li­che Her­an­ge­hens­wei­se sei­nes SPD-Kol­le­gen Hae­nisch, der eben­falls Frei­den­ker war, führ­ten bald zum Schei­tern des Ver­suchs, den kirch­li­chen Ein­fluss aus der Schu­le zu besei­ti­gen.

Das preu­ßi­sche Volks­schul­un­ter­hal­tungs­ge­setz von 1906 hat­te den kon­fes­sio­nel­len Cha­rak­ter der Volks­schu­le fest­ge­schrie­ben. Vor allem in den länd­li­chen Gebie­ten lag die Schul­auf­sicht in der Hand der Kir­chen. So war u.a. der Orts­geist­li­che qua Amt nicht nur Mit­glied, son­dern auch in der Regel der Vor­sit­zen­de des Schul­vor­stands. Der Reli­gi­ons­un­ter­richt war mit bis zu vier Wochen­stun­den eines der Haupt­fä­cher und Prü­fungs­fach.

So gin­gen Hoff­mann und Hae­nisch, zunächst noch gemein­sam han­delnd, dar­an, kirch­li­che Pri­vi­le­gi­en zu besei­ti­gen. Schnell ver­füg­ten sie die Frei­wil­lig­keit des Reli­gi­ons­un­ter­richts für Schüler*innen und Lehrer*innen sowie das Ende der geist­li­chen Schul­auf­sicht. Ihre Erlas­se sahen nicht vor, den Reli­gi­ons­un­ter­richt aus der Schu­le ver­ban­nen, son­dern nur reli­giö­se Hand­lun­gen wie Schul­ge­be­te etc. Wei­ter­ge­hen­de Ein­grif­fe, wie etwa die Ein­füh­rung der welt­li­chen Schu­le unter­lie­ßen sie. Ihr Han­deln ging nicht über For­de­run­gen hin­aus, wie sie bei­spiels­wei­se auch der Deut­sche Leh­rer­ver­ein erho­ben hat­te. Im Namen der Revo­lu­ti­on voll­zo­gen sie längst über­fäl­li­ge Refor­men, wie das auch in ande­ren gesell­schaft­li­chen Berei­chen bereits gesche­hen war.

Den­noch erhob sich nun­mehr ein wah­rer Pro­test­sturm. Die ohne­hin sehr unwil­li­ge Schul­ver­wal­tung mach­te den Anfang. Unge­ach­tet der revo­lu­tio­nä­ren Umwäl­zun­gen, die statt­ge­fun­den hat­ten, wies das bran­den­bur­gi­sche Pro­vin­zi­al­schul­kol­le­gi­um dar­auf hin, dass die­se Anord­nun­gen der gel­ten­den Geset­zes­la­ge wider­sprä­chen. Auch die Direk­to­ren der höhe­ren Schu­len in Ber­lin und der Pro­vinz Bran­den­burg pro­tes­tier­ten hef­tig. Schließ­lich teil­ten Regie­rungs­be­am­te aus dem Rhein­land und aus den damals noch preu­ßi­schen Pro­vin­zen Posen und Ober­schle­si­en mit, dass das Vor­ge­hen des Kul­tus­mi­nis­te­ri­ums die dor­ti­gen sepa­ra­tis­ti­schen Ten­den­zen begüns­ti­ge und somit die Ein­heit des Rei­ches gefähr­de.

An der Spit­ze der Pro­test­be­we­gung stand jedoch die katho­li­sche Kir­che. Der Kar­di­nal­staats­se­kre­tär des Vati­kans, Pie­tro Gaspar­ri, hat­te in einem Schrei­ben an den Erz­bi­schof von Köln die deut­schen Bischö­fe dar­in bestärkt, „sich kraft­voll zum Schut­ze der bedroh­ten Rech­te [zu] erhe­ben und für die Auf­recht­erhal­tung einer Volks­schu­le ein[zu]treten, die zum Grund­pfei­ler den Reli­gi­ons­un­ter­richt hat“. Ent­spre­chend inter­ve­nier­ten die katho­li­schen Bischö­fe nun­mehr mas­siv, und zwar nicht nur in Preu­ßen, son­dern reichs­weit. In diver­sen Pro­test­schrei­ben und Hir­ten­brie­fen ver­tra­ten sie einen kom­pro­miss­lo­sen Stand­punkt, der auf die Erhal­tung ihrer bis­he­ri­gen Pri­vi­le­gi­en ziel­te.

Evan­ge­li­sche Gre­mi­en waren etwas mode­ra­ter im Ton, ver­wahr­ten sich aber ähn­lich wie die staat­li­chen Ver­wal­tun­gen dage­gen, dass „auf Geset­zen beru­hen­de Zustän­de durch ande­re als gesetz­li­che Anord­nun­gen, ins­be­son­de­re durch Ver­fü­gun­gen einer vor­läu­fi­gen Regie­rung, abge­än­dert wer­den“.

Obwohl es den Groß­kir­chen bei ihrem Kampf um die christ­li­che Schu­le eher dar­um ging, einen dro­hen­den Macht­ver­lust zu ver­hin­dern, gelang es ihnen, eine gro­ße Zahl von Gläu­bi­gen für die­ses Ziel zu mobi­li­sie­ren. Die Argu­men­ta­ti­on, dass die Abschaf­fung des Reli­gi­ons­un­ter­richts als Pflicht­fach die Reli­gi­ons­frei­heit bedro­he, ver­fing bei vie­len Gläu­bi­gen. Sie hiel­ten es offen­kun­dig für ihr gutes Recht, dass die staat­li­che Schu­le die Kin­der in ihrem kon­fes­sio­nel­len Sinn zu erzie­hen habe.

Hae­nisch, der auf­grund einer Erkran­kung Hoff­manns seit dem 10. Dezem­ber 1918 die Amts­ge­schäf­te allei­ne führ­te, geriet ob die­ses hef­ti­gen Gegen­winds in ein Dilem­ma. Im Prin­zip teil­te er die Auf­fas­sun­gen Hoff­manns, auf­grund des mas­si­ven Wider­stands lenk­te er aber ein. Wohl auch unter dem Druck sei­ner Par­tei, die ange­sichts der offen­kun­dig recht erfolg­rei­chen Kam­pa­gne der Kir­chen Stim­men­ver­lus­te bei den bevor­ste­hen­den Wah­len zur Natio­nal­ver­samm­lung fürch­te­te. Er ver­trat nun­mehr die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Hal­tung, die Ent­schei­dun­gen über die inne­re Struk­tur der zu schaf­fen­den neu­en Staats­form demo­kra­tisch legi­ti­mier­ten Gre­mi­en zu über­las­sen. Dadurch konn­te er sich der vor­ge­tra­ge­nen Argu­men­ta­ti­on hin­sicht­lich der frag­wür­di­gen Rechts­grund­la­ge der getrof­fe­nen Maß­nah­men nicht ent­zie­hen. Hoff­mann dage­gen hat­te die revo­lu­tio­nä­re Gunst der Stun­de nut­zen wol­len, um mög­lichst vie­le unum­kehr­ba­re Tat­sa­chen zu schaf­fen.

Nach­dem die USPD am 3. Janu­ar 1919 ihre Minis­ter aus der Regie­rung zurück­ge­zo­gen hat­te, bemüh­te sich die nun­mehr allein von der SPD gestell­te preu­ßi­sche Regie­rung, das Ver­hält­nis zu den Kir­chen zu ent­span­nen. Alle unter Mit­wir­kung von Hoff­mann ver­ab­schie­de­ten Erlas­se wur­den ein­ge­schränkt oder außer Kraft gesetzt, den Kir­chen ver­si­chert, dass die end­gül­ti­ge Rege­lung die­ser Fra­gen der Natio­nal­ver­samm­lung vor­be­hal­ten blieb.

In der Natio­nal­ver­samm­lung ließ sich die SPD auf einen Kom­pro­miss mit der katho­li­schen Zen­trums­par­tei ein, der letzt­lich jeden Ver­such, das Schul­we­sen zu ent­kon­fes­sio­na­li­sie­ren zunich­te­mach­te. Die bestehen­de Rechts­la­ge wur­de bis zum Erlass eines Reichs­schul­ge­set­zes fest­ge­schrie­ben. Ein sol­ches Gesetz kam jedoch ange­sichts der völ­lig kon­trä­ren Auf­fas­sun­gen der Par­tei­en in der Schul­po­li­tik nie zustan­de. Mit der ver­fas­sungs­recht­lich abge­si­cher­ten Bewah­rung der vor­re­vo­lu­tio­nä­ren Rechts­la­ge blieb das preu­ßi­sche Volkschul­un­ter­hal­tungs­ge­setz von 1906 in Kraft. Damit blieb dort – und das betraf zwei Drit­tel des Deut­schen Rei­ches – nicht nur der Reli­gi­ons­un­ter­richt ordent­li­ches Lehr­fach, son­dern auch die Zusam­men­set­zung der Schul­de­pu­ta­tio­nen unver­än­dert. Letzt­lich durch­ge­setzt wer­den konn­te nur die Befrei­ung von der Ertei­lung bzw. Teil­nah­me am Reli­gi­ons­un­ter­richt. Auch das Vor­ha­ben, zumin­dest für die gro­ße Anzahl der in den Hoch­bur­gen der Arbei­ter­be­we­gung vom Reli­gi­ons­un­ter­richt abge­mel­de­ten Kin­der, welt­li­che Schu­len ein­zu­rich­ten, gelang im Ver­lauf der Wei­ma­rer Repu­blik nur gegen erheb­li­che Wider­stän­de aus Kir­chen und bür­ger­li­chen Par­tei­en.

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