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Filmkritik

Sarah Polleys neuer Film „Die Aussprache“

v.l.n.r. Rooney Mara als Ona, Claire Foy als Salome, Judith Ivey als Agata, Sheila McCarthy als Greta, Michelle McLeod als Mejal und Jessie Buckley als Mariche

Beitragsbild: Michael Gibson © 2022 Orion Releasing LLC | All Rights Reserved

Die Frauen einer mennonitischen Gemeinde entdecken, dass die Männer sie über Jahre betäubt und missbraucht haben. In „Die Aussprache“ wird über die Konsequenzen dieser düsteren Entdeckung verhandelt.

Sarah Pol­ley hat sich nach län­ge­rer krea­ti­ver Pau­se erneut an einen kom­pli­zier­ten Stoff gewagt. Das Kam­mer­stück „Die Aus­spra­che“ trägt sich vor allem durch sein her­vor­ra­gen­des Schau­spie­le­rin­nen-Ensem­ble. Die unter­schied­li­chen Mei­nun­gen in der Aus­spra­che über die Zukunft der Gemein­de wer­den u.a. ver­tre­ten durch Scar­face Janz (Fran­ces McDor­mand), die den vor­ge­ge­be­nen Struk­tu­ren nach­hängt. Dem­ge­gen­über ste­hen eine melan­cho­li­sche Ona (Roo­ney Mara), eine wüten­de Salo­me (Clai­re Foy) und eine ambi­va­len­te Mari­che (Jes­sie Buck­ley). Pro­to­koll führt Leh­rer August (Ben Whis­haw), da er als Mann lesen und schrei­ben kann.

Eine Frage der Natur?

Zurück­hal­tend, und sicht­lich beschämt über die sexu­el­le Gewalt, ist August der­je­ni­ge, der nie­man­den ver­tei­di­gen muss und auch nicht anklagt. Für ihn liegt die sexu­el­le Gewalt in der Natur der Jungs, die er in der Schu­le zu Män­nern her­an­rei­fen sieht.

Es sind die bild­schön insze­nier­ten Rück­blen­den von gemein­sam in der Natur spie­len­den Kin­dern, die beim Zuschau­en das Gefühl von Unbe­ha­gen aus­lö­sen. Wer­den die Söh­ne der in der Scheu­ne dis­ku­tie­ren­den Müt­ter auto­ma­tisch zu Gewalt­tä­tern? Was macht sie dazu? Wel­che Rol­le spie­len die christ­lich gepräg­ten, nicht mehr zeit­ge­mä­ßen Struk­tu­ren der men­no­ni­ti­schen Gemein­schaft? Erlau­ben sie tat­säch­lich so etwas?

Die Insiderin

Die­se tra­di­tio­nel­len Struk­tu­ren als eine Form von Par­al­lel­ge­sell­schaft beschreibt die Schrift­stel­le­rin Miri­am Toews. Sie hat die lite­ra­ri­sche Vor­la­ge für den Film ver­fasst und leb­te bis zu ihrem 18. Lebens­jahr in einer men­no­ni­ti­schen Gemein­schaft namens „Klei­ne Gemein­de“. Dort gab es weder TV noch Autos oder ande­re moder­ne Tech­nik. Mit die­sen Wur­zeln setzt sich Toews seit­dem immer wie­der lite­ra­risch und fil­misch aus­ein­an­der.

Wie die Regis­seu­rin ist sie Kana­die­rin und hat 2006 in einem viel beach­te­ten Film die Haupt­rol­le einer men­no­ni­ti­schen Ehe­frau über­nom­men. In „Stel­let Licht“ von Car­los Rey­ga­das zeigt sich in ein­drück­li­chen Bil­dern das har­te bäu­er­li­che Leben in der Glau­bens­ge­mein­schaft. Das Beson­de­re an die­sem Film: sämt­li­che Dia­lo­ge inner­halb der Fami­lie fin­den in plaut­diet­scher Spra­che statt, was auch den unge­wöhn­li­chen Titel erklärt. Miri­am Toews weiß also genau um das Leben in die­ser Glau­bens­ge­mein­schaft und hat für „Die Aus­spra­che“ rea­le Ereig­nis­se aus einer Kolo­nie in Boli­vi­en ver­ar­bei­tet.

Die Regisseurin

Sarah Pol­ley ver­zich­tet in der fil­mi­schen Umset­zung von „Die Aus­spra­che“ zwar auf Pseu­do-Doku­men­ta­ri­sches, aber sie schafft es gewohnt zuver­läs­sig, zum Nach­den­ken anzu­re­gen, ohne dabei den Zei­ge­fin­ger zu heben. Wie schon in dem Alz­hei­mer-Dra­ma „An ihrer Sei­te“ (2006) emo­tio­na­li­siert sie, ohne in den Kitsch abzu­glei­ten. Man kann sich eigent­lich nur freu­en, dass ihre Art zu erzäh­len ihr end­lich zwei Oscar­no­mi­nie­run­gen für den bes­ten Film und bes­te adap­tier­te Dreh­buch ein­ge­bracht hat.

Ver­hal­ten stolz hat sich Pol­ley dazu bei einer fei­er­li­chen Pre­view des Films in Ber­lin geäu­ßert – viel wich­ti­ger war ihr die Dar­stel­lung ihrer Arbeits­wei­se. Der pri­mär weib­li­che Cast wur­de zwi­schen den Sze­nen inten­siv betreut. Es sei immer genug Zeit geblie­ben, um den emo­tio­na­len Belas­tun­gen der Schau­spie­le­rin­nen gerecht zu wer­den.

Das Schweigen der Männer

Die Ent­schei­dung, außer dem Leh­rer August, kei­nen der Män­ner in dem Film zu Wort kom­men zu las­sen, fiel laut Pol­ley erst am Schnei­de­tisch. Die­ses „Schwei­gen der Män­ner“ kann man als kon­se­quent und als inter­es­san­tes fil­mi­sches Mit­tel anse­hen oder aber dem Film zum Vor­wurf machen. Pol­ley ver­zich­tet bewusst auf eine alter­na­ti­ve Sicht und legt damit den Fokus auf die inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung der Frau­en unter­ein­an­der.

Der Film „Die Aus­spra­che“ von Regis­seu­rin Sarah Pol­ley star­tet am 9. Febru­ar 2023 in den deut­schen Kinos.

Offi­zi­el­len Trai­ler anschau­en

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