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Ein Jahr Krieg in der Ukraine

Die Waffen nieder!

Zerstörtes Gebäude in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
Eine persönliche Stellungnahme von Erwin Kress, Vorstandssprecher des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD), zum Jahrestag des Überfalls Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022.

„Die Waf­fen nie­der!“ – das war die Losung, die Ber­tha von Sutt­ner mit gan­zem Her­zen ver­folg­te, nach­dem sie die Gräu­el des Krie­ges ken­nen­ge­lernt hat­te. Für die­ses Ziel orga­ni­sier­te sie Frie­dens­ko­mi­tees und Kon­gres­se. Dafür erhielt sie 1905 als ers­te Frau den Frie­dens­no­bel­preis. Alfred Nobel, ihr Freund, der mit Dyna­mit reich wur­de, glaub­te nicht an ein Ende der Krie­ge. Die Men­schen sei­en zu gie­rig und macht­be­ses­sen. Den­noch ließ er sich von Ber­tha von Sutt­ner über­zeu­gen, neben den Wis­sen­schafts­prei­sen auch den Frie­dens­no­bel­preis zu stif­ten.

Nun gibt es seit über 100 Jah­ren Frie­dens­no­bel­prei­se und Krieg ohne Ende, dar­un­ter zwei fürch­ter­li­che Welt­krie­ge. Steu­ern wir auf einen Drit­ten Welt­krieg zu?

Der Über­fall Russ­lands auf die Ukrai­ne vor einem Jahr soll­te zumin­dest Euro­pa auf­rüt­teln und zu den­ken geben. Die Inva­si­on ande­rer Mäch­te in Afgha­ni­stan, im Irak oder in Liby­en waren eben­so wenig gerecht­fer­tigt wie der Über­fall auf die Ukrai­ne. Die Völ­ker hat­ten das nicht so gewollt. Aber es müs­sen doch die Völ­ker ent­schei­den, wie sie leben wol­len. In der Ukrai­ne war dies noch kei­nes­wegs klar. Die einen zog es nach Osten, die ande­ren nach Wes­ten. Russ­land hat dies bru­tal aus­ge­nutzt, bereits in den Krie­gen von 2014, vor allem aber durch sei­nen Über­fall vor einem Jahr.

Nun geht es nicht mehr nur um die Ukrai­ne, nicht mehr nur um die Ukrainer*innen, die in den Wes­ten woll­ten. Es geht end­lich wie­der um die Fra­ge, wie Sou­ve­rä­ni­tät geschützt, ver­tei­digt wer­den kann. Es geht dar­um, ob man sei­ne eige­nen Vor­stel­lun­gen, z.B. von Demo­kra­tie, mit Gewalt expor­tie­ren darf. Es geht um die Fra­ge, ob der Stär­ke­re sich alles neh­men darf. Es geht dar­um, wie wir genau die­se Hal­tung von Natio­nen und in unse­ren Köp­fen über­win­den kön­nen. Zwei­er­lei ist nötig. Man muss denen bei­ste­hen, die von der Aggres­si­on betrof­fen sind. Dies kann mora­li­sche und huma­ni­tä­re Unter­stüt­zung bedeu­ten. Aber auch Sank­tio­nen und Lie­fe­run­gen von Ver­tei­di­gungs­waf­fen kön­nen dabei hilf­reich sein, wenn die Betrof­fe­nen das wol­len.

Und wir müs­sen eben­so vie­le Anstren­gun­gen, nein, noch mehr, unter­neh­men, um zu ver­mit­teln, die Opfer des Krie­ges zu begren­zen und die Aggres­si­on, den Krieg, zu been­den. Ver­mit­teln bedeu­tet, auch den Aggres­sor ernst zu neh­men, bedeu­tet, Ver­bün­de­te zu suchen, die auf bei­den Sei­ten und gemein­sam dar­an arbei­ten, den Krieg zu been­den. Ver­mit­teln kann auch ein Ange­bot zur Media­ti­on inner­halb der Ukrai­ne umfas­sen. Ver­mit­teln könn­te auch UN-Frie­dens­trup­pen ein­be­zie­hen und vie­les mehr. Unse­re Medi­en, unse­re Poli­tik las­sen hier lei­der nicht genü­gend Vor­stel­lungs­kraft und ernst­haf­te Anstren­gun­gen erken­nen. Es geht hier nicht um einen „Sieg des Wes­tens“, es geht um das Über­le­ben und die Sou­ve­rä­ni­tät des ukrai­ni­schen Vol­kes.

Und natür­lich geht es dar­um, wie wir mit und nach die­sem Krieg wei­ter­le­ben wol­len. Wol­len wir den Kal­ten Krieg wie­der bele­ben? USA und Euro­pa gegen Russ­land und Chi­na, mit Stell­ver­tre­ter­krie­gen rund her­um? Wir müs­sen uns end­lich wie­der frie­dens­bil­den­de Maß­nah­men über­le­gen, müs­sen über Abrüs­tung spre­chen, über Abbau von Angriffs­fä­hig­kei­ten. Und die Natio­nen soll­ten sich beloh­nen mit einer Aus­wei­tung von fried­li­chem und gleich­be­rech­tig­tem Han­del und Wan­del zum gegen­sei­ti­gen Nut­zen. Dabei gehört zum Nut­zen aller auch die Erhal­tung einer lebens­wer­ten Natur.

Die Ver­wirk­li­chung der Losung „Die Waf­fen nie­der“ wird uns nicht sofort gelin­gen, aber die schlimms­ten könn­ten schon zu Pflug­scha­ren umge­wan­delt wer­den.

Ange­sichts der kom­ple­xen Fra­gen, die der Krieg in der Ukrai­ne auf­ge­wor­fen hat, gibt es auch unter Humanist*innen vie­le Über­le­gun­gen, die in der prak­ti­schen Poli­tik nicht immer zum glei­chen Ergeb­nis kom­men. Sicher hal­ten alle Humanist*innen grö­ße­re Anstren­gun­gen für einen Waf­fen­still­stand und eine Been­di­gung des Krie­ges für nötig. Zugleich muss jede Maß­nah­me heu­te auch schon ein­be­zie­hen, wie es nach dem Krieg wei­ter­ge­hen kann (sie­he dazu z.B. Juli­an Nida-Rüme­lin u.a., Per­spek­ti­ven nach dem Ukrai­ne­krieg, Her­der 2022). Der Huma­nis­ti­sche Ver­band Deutsch­lands wird die Debat­te über die­se Fra­gen in sei­nem inter­nen Forum füh­ren und eben­so auch öffent­lich hier auf diesseits.de und unter huma­nis­mus aktu­ell.

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2 Kommentare zu „Die Waffen nieder!“

  1. Julian Nida-Ruemelin

    Der aggres­si­ve Ton gegen­über den Frie­dens­freun­den zeigt, dass den­je­ni­gen, die für eine Fort­set­zung des Krie­ges plä­die­ren, die Argu­men­te aus­ge­hen. Das Kriegs­ziel, die voll­stän­di­ge ter­ri­to­ria­le Inte­gri­tät mili­tä­risch zu errei­chen, also die Krim eben­so wie die Sepa­ra­tis­ten-Gebie­te im Osten zu erobern, ist nach Ein­schät­zung so gut wie aller Mili­tär­ex­per­ten nur, wenn über­haupt, mit einer mas­si­ven Eska­la­ti­on des mili­tä­ri­schen Ein­sat­zes erreich­bar. Das, was die ukrai­ni­sche Sei­te for­dert, kann von Euro­pä­ern nicht bereit­ge­stellt wer­den, ohne sich selbst fast voll­stän­dig zu ent­waff­nen. Und die USA ist sehr zurück­hal­tend, wohl auch wegen der Stim­mung in der dor­ti­gen Bevöl­ke­rung. Biden hat die Lie­fe­rung von Kampf­jets von Polen an die Ukrai­ne unter­bun­den und zeigt kei­ne Bereit­schaft weit­rei­chen­de Rake­ten, U‑Boote, Mari­ne,… der Ukrai­ne zur Ver­fü­gung zu stel­len. Chi­na deu­tet vor­sorg­lich an, dass es im Fal­le, dass Russ­land in die Defen­si­ve gerät, mit Waf­fen­lie­fe­run­gen an Russ­land bereit­steht. Eine Fort­set­zung des Krie­ges läuft Gefahr eine Nie­der­la­ge der Ukrai­ne oder als Alter­na­ti­ve den Ein­tritt der NATO in den Krieg nach sich zie­hen. Letz­te­res will kein ein­zi­ger Ver­ant­wort­li­cher Poli­ti­ker des Wes­tens.

    Was tun? Alle ver­nünf­ti­gen Natio­nen soll­ten Druck auf die Kon­flikt­par­tei­en aus­üben, einen Waf­fen­still­stand zu akzep­tie­ren, Frie­dens­ver­hand­lun­gen zu begin­nen, Russ­land zum Rück­zug auf die Gren­zen vor dem 24. Febru­ar 2022 zu bewe­gen und die Bevöl­ke­run­gen in den bei­den Sepa­ra­tis­ten-Gebie­ten und auf der Krim über den zukünf­ti­gen Sta­tus ihrer Regi­on bestim­men zu las­sen. Ent­spre­chen­de Refe­ren­den müss­ten unter der Ägi­de der Ver­ein­ten Natio­nen bei inter­na­tio­na­ler Beob­ach­tung statt­fin­den. Die Ukrai­ne bräuch­te Sicher­heits­ga­ran­tien, die ent­we­der eine neue Sicher­heits­ar­chi­tek­tur in Euro­pa erfor­der­lich machen, mit kon­ven­tio­nel­ler struk­tu­rel­ler Nicht-Angriffs­fä­hig­keit oder den Bei­tritt der Ukrai­ne zur NATO, ver­bun­den mit Restrik­tio­nen der mili­tä­ri­schen Prä­senz der NATO in Finn­land, Schwe­den, Ukrai­ne. Nie­mand ist sicher, wenn nicht alle sicher sind.

    Nähe­res kann man in dem Buch „Per­spek­ti­ven nach dem Ukrai­ne-Krieg“ (Her­der) nach­le­sen. Albrecht von Mül­ler zur struk­tu­rel­len Sta­bi­li­tät, Wer­ner Wei­den­feld zu Euro­pa-poli­ti­schen Dimen­si­on, Mat­ti­as Kumm zu der völ­ker­recht­li­chen, Erich Vad zur mili­tär­stra­te­gi­schen, Ant­je Voll­mer erin­nert an den Auf­ruf von 2014 „Nicht in unse­rem Namen“ und Juli­an Nida-Rüme­lin plä­diert für eine ethisch fun­dier­te Real­po­li­tik der Frie­dens­si­che­rung.

  2. Nach dem ers­ten Welt­krieg wur­de Deutsch­land abge­rüs­tet, auch die Sie­ger­mäch­te rüs­te­ten ab. Spä­tes­tens ab 1933 rüs­te­te Deutsch­land mas­siv auf. Öster­reich wur­de heim ins Reich geholt, das Sude­ten­land „befreit”, die Rest­tsche­chei zer­schla­gen.
    Die Sie­ger­mäch­te reagier­ten bekannt­lich mit appease­ment poli­cy, man könn­te ver­ein­facht sagen mit Ver­ständ­nis, Ver­hand­lun­gen, Ver­trä­gen und Ver­leug­nung der Rea­li­tät. Rea­li­tät heißt hier: Miss­ach­tung der Men­schen­wür­de, der Demo­kra­tie und des Rechts , Rück­sichts­lo­sig­keit als Tugend, Pri­mat des Wil­lens vor der Ver­nunft etc.
    Wel­che Optio­nen gab es in den Jah­ren 1939 bis 1945?
    Ver­hand­lun­gen mit dem deut­schen Dik­ta­tor? Auf wel­cher Basis? Wie hät­te die Welt aus­ge­se­hen, wenn Deutsch­land sei­ne Kriegs­zie­le erreicht hät­te? Wel­che ethi­schen Grund­sät­ze hät­ten gegol­ten?
    Kön­nen wir aus der Geschich­te ler­nen? Ja – wir müs­sen aus ihr ler­nen.

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