Suizidalität

Was bedeutet humane Suizidprävention?

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Beitragsbild: nahmapdj/unsplash

Suizidalität stellt ein großes gesundheits- und sozialpolitisches wie auch individuelles Problem dar. 2024 wurde eine neue nationale Suizidpräventionsstrategie vorgestellt. Doch bleiben ergebnisoffene Ansätze unberücksichtigt, wenn sie Lebenshilfe nicht im vermeintlich unvereinbaren Gegensatz zu Suizidassistenz sehen. Wird nach letzterer von Hilfesuchenden gefragt, sollte humanistische Beratung über entsprechende Möglichkeiten und Alternativen sachgerecht informieren – eingebettet in Zuwendung, aufmerksames Zuhören und entlastende Gespräche.

Eine mög­li­che Ver­hü­tung von Selbst­tö­tun­gen ist Kern jeder Kri­sen­hil­fe, psych­ia­tri­scher Behand­lung und auch eines huma­nis­ti­schen Grund­ver­ständ­nis­ses, wenn wir Men­schen in see­li­scher, kör­per­li­cher oder sozia­ler Not begeg­nen.

Unter dem Begriff Sui­zid­prä­ven­ti­on kann die Gesamt­heit von Maß­nah­men, sozia­len Stra­te­gien, pro­fes­sio­nel­len Hil­fen und mensch­li­chen Zuwen­dun­gen ver­stan­den wer­den, um bei Sui­zid­ge­dan­ken und ‑plä­nen – auf­grund etwa von per­sön­li­cher Kri­se, Depres­si­on oder schwe­rer kör­per­li­chen Erkran­kung – zum Wei­ter­le­ben zu moti­vie­ren. Die Deut­sche Gesell­schaft für Sui­zid­prä­ven­ti­on nimmt sich seit Jahr­zehn­ten der Ver­hin­de­rung von Selbst­tö­tun­gen an. Deren Zahl beim Sta­tis­ti­schen Bun­des­amt unbe­dingt ver­rin­gern zu wol­len, gilt als ihr selbst­ver­ständ­li­ches und nicht hin­ter­frag­ba­res Ziel. Dabei hat sich inzwi­schen in den psych­ia­tri­schen Ansät­zen zwar eine Grund­hal­tung zu den Patient*innen inso­fern gewan­delt: Der Selbst­tö­tung soll nicht mehr mit dem Stig­ma von Schuld­haf­tig­keit, Ver­damm­nis und dro­hen­den Zwangs­maß­nah­men ent­ge­gen­ge­tre­ten wer­den. Ange­sagt ist viel­mehr eine nur laten­te Beein­flus­sungs­ab­sicht mit wei­test­ge­hen­der Akzep­tanz – aller­dings unter Aus­schluss des Sui­zids als Hand­lungs­op­ti­on. Frag­wür­dig bleibt das durch­gän­gig anzu­tref­fen­de the­ra­peu­ti­sche Pro­fes­sio­na­li­täts­ver­ständ­nis, eine auto­nom mög­li­che Wil­lens­ent­schei­dung zum Frei­tod grund­sätz­lich zu leug­nen und auch ein bilan­ziert abge­wo­ge­nes Sui­zid­hil­fe­be­geh­ren auf­grund von Alter und Lebens­s­att­heit abzu­weh­ren.

Dabei stel­len die Sui­zi­de von hoch­be­tag­ten Senior*innen etwa durch über­do­sier­te Medi­ka­men­te oder durch oft bra­chia­le Metho­den wie Sich-Erhän­gen eine zuneh­men­de Her­aus­for­de­rung dar. Die über 80-Jäh­ri­gen machen mit erheb­li­chem Abstand auch die größ­te Grup­pe der­je­ni­gen aus, die auf Grund von Gebre­chen oder „Lebens­s­att­heit“ heu­te mit Sui­zid­as­sis­tenz aus dem Leben schei­den. Von Ster­be­hil­fe­or­ga­ni­sa­tio­nen wer­den die jähr­lich stei­gen­den Zah­len ihrer ent­spre­chen­den Frei­tod­be­glei­tun­gen öffent­lich kund­ge­tan. Soll­te dabei nicht weder eine Ver­rin­ge­rung noch eine Erhö­hung von Selbst­tö­tungs­ra­ten das abs­trak­te Ziel sein – son­dern das Schick­sal kon­kre­ter Indi­vi­du­en in den Blick genom­men wer­den?

Forderung nach redlicher Ergebnisoffenheit

Prä­ven­ti­ons­maß­nah­men gehen in psych­ia­trisch domi­nier­ten Krei­sen übli­cher­wei­se mit einer Ableh­nung von ärzt­lich assis­tier­tem Sui­zid und orga­ni­sier­ter Ster­be­hil­fe ein­her. Eine damit ver­bun­de­ne anti-eman­zi­pa­to­ri­sche Ten­denz wird inzwi­schen auch als sol­che benannt und zuneh­mend zurück­ge­wie­sen – so etwa im eben erschie­ne­nen Sam­mel­band „Assis­tier­ter Sui­zid“ von fast allen der elf nam­haf­ten Autor*innen (Kohl­ham­mer-Ver­lag, 2025, Hrsg. Mat­thi­as Thöns). Dort wird ein kli­en­ten­ori­en­tier­tes Bera­tungs­mo­dell bei Ster­be­wunsch im Sin­ne des Huma­nis­ti­schen Ver­ban­des Deutsch­lands im Kapi­tel 6 vor­ge­stellt. Die­ses endet mit dem Fazit:

„Sui­zi­da­li­tät erstreckt sich von gele­gent­li­cher Gestimmt­heit, Lebens­s­att­heit, Depres­si­on […] über Hoff­nung auf ein bal­di­ges Ende oder spon­ta­nen Sui­zid­ver­such auf­grund psy­chi­scher Erkran­kung, bis hin zu begründ­ba­rem Ersu­chen um Sui­zid­as­sis­tenz oder plan­mä­ßi­ger Durch­füh­rung einer Selbst­tö­tung […]. Eine red­li­che Ergeb­nis­of­fen­heit kann sich nicht nur auf eine respekt­vol­le Gesprächs­ebe­ne beschrän­ken, son­dern hat auch die rea­le Hand­lungs­ebe­ne mit ein­zu­be­zie­hen. Sie muss dar­auf hin­wir­ken, dass ein vor­ran­gi­ges oder gar aus­schließ­li­ches Ziel zur Redu­zie­rung aller Sui­zi­de hin­ter sich gelas­sen wird“.

Wür­de der Prä­ven­ti­ons­be­griff „auch zur Ver­hü­tung von frei­ver­ant­wort­li­chen und wohl­durch­dach­ten Sui­zi­den miss­braucht“, heißt es dort schließ­lich, „wür­de er ins Nega­ti­ve, Auto­no­mie­ver­let­zen­de und Bedroh­li­che umkip­pen. Er ver­lö­re damit sei­ne ursprüng­lich so wohl­klin­gen­de und rein men­schen­freund­li­che Bedeu­tung.“

Traditionelles Suizidpräventionsprogramm

Die Deut­sche Gesell­schaft für Sui­zid­prä­ven­ti­on (DGS) war Anfang der 2000er Jah­re Initia­to­rin und ist seit­dem För­de­rin des Natio­na­len Sui­zid­prä­ven­ti­ons­pro­gramm (NaS­Pro). Ihrem Anlie­gen haben sich neben der bedeu­ten­den Psych­ia­trie-Fach­ge­sell­schaft DGPPN vie­le ver­schie­de­ne Pro­jek­te, Insti­tu­tio­nen und Ver­bän­de ange­schlos­sen. Auf der DGS-Inter­net­sei­te Sui­zid­pro­phy­la­xe sind hun­der­te nach Bun­des­län­dern sor­tier­te Kon­takt­adres­sen gelis­tet. Auf der Start­sei­te wird unter „All­ge­mei­ne Kon­tak­te“ aller­dings nur auf die bun­des­wei­te Tele­fon­seel­sor­ge sowie „Num­mer gegen Kum­mer“ für Kin­der, Jugend­li­che und deren Eltern ver­wie­sen.

Das The­ma Wenn das Alt­wer­den zur Last wird hat­te eine spe­zi­el­le Arbeits­grup­pe des NaS­Pro schon sehr früh sen­si­bel und mit­füh­lend in einer gleich­na­mi­gen Bro­schü­re auf­ge­grif­fen (3. Auf­la­ge 2006). Dar­in wur­den damals als Mög­lich­kei­ten, einer Sui­zid­ge­fähr­dung ent­ge­gen­zu­wir­ken, je nach Anlass und ört­li­cher Ver­füg­bar­keit vor allem auf­ge­führt: Bera­tungs­stel­len und Hos­piz­diens­te, fach­ärzt­li­che The­ra­pie und seel­sor­ge­ri­scher Bei­stand, juris­ti­sche Hil­fe zu Vor­sor­ge­voll­macht und Pati­en­ten­ver­fü­gung – sowie aller­dings auch: Poli­zei­ruf und sozi­al­psych­ia­tri­scher Dienst (zu einer mög­li­chen Zwangs­ein­wei­sung). Bis auf die letz­te Emp­feh­lung gab es zu der Zeit einen ähn­li­chen Pra­xis­an­satz des HVD in Ber­lin, bestehend aus Ange­bo­ten in eige­ner ver­band­li­cher Trä­ger­schaft: Besuchs- und Hos­piz­dienst, Lebens­hil­fe- und Pati­en­ten­ver­fü­gungs-Stel­len, recht­li­che Betreu­ung gemäß Bür­ger­li­chem Gesetz­buch, Trau­er- und ande­re Selbst­hil­fe­grup­pen – sowie letzt­lich ange­rei­chert auch durch mög­li­che Ver­mitt­lung von ärzt­li­cher Hil­fe zur Selbst­tö­tung sowie Beglei­tung zum sog. Ster­be­fas­ten, einer spe­zi­fi­schen Form des Sui­zids.

Im Gespräch mit einem akut sui­zi­da­len alten Men­schen ist zu beach­ten: Ihn in sei­ner Not anneh­men; Ängs­te und Todes­wün­sche anspre­chen und nicht wer­ten; aku­te Aus­lö­ser, Umstän­de, sozia­les Umfeld erkun­den; Lebens­ge­schicht­li­che Aspek­te berück­sich­ti­gen; kon­kre­te Hilfs­mög­lich­kei­ten erwä­gen; fort­ge­setz­ten Gesprächs­kon­takt anbie­ten.

Die­ser ergeb­nis­of­fe­ne huma­nis­ti­sche Ansatz muss­te von heu­te auf mor­gen ein­ge­stellt wer­den: Denn im Dezem­ber 2015 wur­den unter straf­ba­rer „Sui­zid­för­de­rung“ auch ent­spre­chend tabufreie Bera­tungs- und Infor­ma­ti­ons­an­sät­ze (sogar zum Ster­be­fas­ten) kri­mi­na­li­siert – durch einen neu ein­ge­führ­ten Straf­rechts­pa­ra­gra­fen § 217. Er wur­de dann erst gut vier Jah­re spä­ter, im Febru­ar 2020, vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) wie­der gekippt.  

Palliative Alternativangebote und psychiatrische Unnachgiebigkeit

An der Spit­ze der Deut­schen Gesell­schaft für Sui­zid­prä­ven­ti­on fun­giert heu­te die Psych­ia­te­rin PD Dr. Ute Lewitz­ka als Vor­stands­vor­sit­zen­de. Ihr Grund­satz lau­tet, dass jede (auch assis­tier­te) Selbst­tö­tung ver­hin­dert wer­den soll. In ähn­li­chem Sinn for­dert die medi­zin-wis­sen­schaft­li­che Psych­ia­trie-Fach­ge­sell­schaft DGPPN (2024): „Wir brau­chen ein Gesetz zur Sui­zid­as­sis­tenz.“ Die­sem Ansin­nen könn­te zuge­stimmt wer­den, wenn es dabei um die För­de­rung von Rechts­si­cher­heit für Ärzt*innen und Ster­be­wil­li­gen gin­ge. Die Begrün­dung der DGPPN lau­tet jedoch: „Denn die Zahl der assis­tier­ten Sui­zi­de steigt, ihre Durch­füh­rung ist aber unre­gu­liert. […] Aktu­ell wird die Frei­ver­ant­wort­lich­keit einer Sui­zi­dent­schei­dung nicht fach­ge­recht geprüft.“ Die Ver­hü­tung von Sui­zi­den durch ver­pflich­ten­de psych­ia­tri­sche Begut­ach­tung hat dabei laut DGPPN wohl vor­ran­gig dem Schutz von psy­chisch erkrank­ten Men­schen zu die­nen.

Dem­ge­gen­über soll der Umgang mit Ster­be­wün­schen bei sehr schwe­rer, zum Tode füh­ren­der Erkran­kung der Pal­lia­tiv­me­di­zin über­las­sen wer­den. Die Deut­sche Gesell­schaft für Pal­lia­tiv­me­di­zin sieht Sui­zid­hil­fe zwar als legi­tim an (vor allem nach dem BVerfG-Urteil von 2020), aber nicht als ihre Auf­ga­be, son­dern allen­falls als Gewis­sens­ent­schei­dung ein­zel­ner Ärzt*innen. Sie hat ihre Prä­ven­tiv-Ange­bo­te inzwi­schen in Bro­schü­ren zur mög­li­chen Ver­hin­de­rung von leid­vol­lem Ster­ben ver­öf­fent­licht: Beglei­tung beim frei­wil­li­gen Ver­zicht auf Essen und Trin­ken (sog. Ster­be­fas­ten), Stand 2025, 1. Aufl. 2022 und zum The­ma Pal­lia­ti­ve Sedie­rung am Lebens­en­de – Mög­lich­kei­ten und Gren­zen (d. h. medi­ka­men­tö­se Bewusst­seins­ein­schrän­kung oder auch ‑aus­schal­tung ggf. bis zum Tod), 2021 und 2024.

Unter­des­sen zeigt sich die Psych­ia­te­rin Ute Lewitz­ka von der Deut­schen Gesell­schaft für Sui­zid­prä­ven­ti­on als unnach­gie­bi­ge Geg­ne­rin des BVerfG-Urteils von 2020. Noch fünf Jah­re spä­ter, nach­dem in die­sem der § 217 StGB für nich­tig, da nicht ver­fas­sungs­kon­form erklärt wor­den war, empört sie sich öffent­lich dar­über: Man mache sich kei­ne Vor­stel­lung über die Fol­gen eines damit ver­bun­de­nen neu­en Auto­no­mie­ver­ständ­nis­ses für die Men­schen, wenn der Staat bezüg­lich erlaub­ter Selbst­tö­tung nun an jeden Ein­zel­nen das Signal gesen­det hat, sagen zu kön­nen: „Ich darf das – und ich darf dabei sogar ande­re um Hil­fe bit­ten“ (Lewitz­ka am 23. Febru­ar 2025 laut Zeit und dpa).

Neue nationale Strategie des Bundes

Die bis­he­ri­gen „Anti-Sui­zid-Stra­te­gien“ gal­ten all­ge­mein als unbe­frie­di­gend bzw. sogar als geschei­tert. Gemäß des Ent­schlie­ßungs­an­trags „Sui­zid­prä­ven­ti­on stär­ken“ im Bun­des­tag vom Juli 2023 stell­te Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lau­ter­bach dann im Mai 2024 eine neue Natio­na­le Stra­te­gie vor. Dazu gehö­ren v. a. die Schaf­fung von Hin­der­nis­sen zur erschwer­ten Selbst­tö­tung etwa durch Ver­klei­ne­rung von Ver­pa­ckun­gen mit sui­zid­taug­li­chen Medi­ka­men­ten, Begren­zung von ver­füg­ba­ren Pes­ti­zi­den o.ä. und die Errich­tung von (Fenster-)Gittern oder Zäu­nen an häu­fig für Sui­zi­de genutz­ten Orten. Zudem soll­te eine zen­tra­le Kri­sen­dienst-Not­ruf­num­mer – etwa die 113 – ein­ge­führt wer­den.

In die­sem Stra­te­gie­pa­pier heißt es: „Jähr­lich sind in Deutsch­land mehr als 9000, im Jahr 2022 sogar mehr als 10.000 Sui­zi­de zu bekla­gen … Noch häu­fi­ger als voll­ende­te Sui­zi­de sind Sui­zid­ver­su­che – Schät­zun­gen gehen von min­des­tens 100 000 pro Jahr aus.“ Jeder ein­zel­ne Fall beträ­fe vie­le wei­te­re Men­schen: „Kin­der, Eltern, Ver­wand­te, (Ehe)Partnerinnen und (Ehe)Partner und wei­te­re An- und Zuge­hö­ri­ge.“ Um die­sem Trend ent­ge­gen­zu­wir­ken, bedür­fe es „einer dif­fe­ren­zier­ten Iden­ti­fi­ka­ti­on rele­van­ter Ziel­grup­pen“. Auf­grund der geschlechts- und alters­spe­zi­fi­schen Sta­tis­tik­da­ten sei klar ersicht­lich, dass Män­ner mit per­sön­li­chen Kri­sen dabei in den Fokus gerückt wer­den müss­ten und zudem „Sui­zid zuneh­mend ein Phä­no­men des höhe­ren Lebens­al­ters ist“.

NaS­Pro-Vertreter*innen des bestehen­den Sui­zid­prä­ven­ti­on-Netz­werks for­der­ten dazu im Bun­des­haus­halt einen Fonds in Höhe von min­des­tens 20 Mil­lio­nen Euro. Dafür kön­ne jedoch allein eine gesetz­li­che Ver­an­ke­rung sor­gen – die bis heu­te nicht erfolgt ist. Von der Finan­zie­rung aus­ge­schlos­sen wären eh Huma­nis­ti­sche Modell-Pro­jek­te, die von tie­fem Ver­ständ­nis geprägt sind und von einer vor­ur­teils­frei­en Kom­mu­ni­ka­ti­on, wel­che auch die Hand­lungs­op­ti­on zu Sui­zid­hil­fe und Frei­tod akzep­tiert. Gera­de sie könn­ten Kli­en­ten­grup­pen anspre­chen, die durch klas­si­sche Prä­ven­ti­ons­stra­te­gien sonst nicht erreich­bar sind.

Betroffener: „So dermaßen am Leben vorbei“

Wie wer­den (beab­sich­tig­te) Maß­nah­men und deren Erfolgs­aus­sich­ten von den­je­ni­gen ein­ge­schätzt, die selbst am Ende ihre Sui­zid­ge­dan­ken und ‑absich­ten über­win­den konn­ten? Dazu zählt Georg Rösl, Jahr­gang 1976, der nach einem Psych­ia­trie­auf­ent­halt eine Metho­de zur Selbst­the­ra­pie ver­öf­fent­licht und eine Stif­tung für men­ta­le Gesund­heit gegrün­det hat. Denn er weiß nicht nur aus eige­ner Erfah­rung, wie schwie­rig es ist, in unse­rem Land in der­ar­ti­gen Kri­sen Unter­stüt­zung zu erhal­ten. Sei­ne Idee: Stel­len ein­rich­ten, die mehr­mals pro Woche geöff­net sind, wo Men­schen offen und ganz ehr­lich über Sui­zid­ge­dan­ken spre­chen kön­nen und es gut aus­ge­bil­de­tes Per­so­nal gibt, das auch Selbst­hil­fe­grup­pen anlei­ten kann. Im focus-Inter­view (vom 9.8.2024) bewer­tet er die „Anti-Sui­zid-Stra­te­gien“ von Lau­ter­bach und den bis­he­ri­gen Prä­ven­ti­ons­kon­zep­ten wie folgt: „Das ist so der­ma­ßen am Leben vor­bei“. Das Pro­blem sei, dass sich von oben her­ab die Wis­sen­schaft und Expert*innen „in ihren wei­ßen Kit­teln“ Maß­nah­men aus­den­ken ohne Vor­stel­lungs­ver­mö­gen oder Ein­füh­lung, was eigent­lich in Men­schen vor­geht, die nicht mehr leben wol­len oder kön­nen.

Für das Per­sön­lich­keits­recht auf die Opti­on zum bilan­zier­ten Alters­sui­zid wie­der­um tritt der Autor (und selbst Psy­cho­the­ra­peut) Hans-Joa­chim Schwarz, Jahr­gang 1939, ein. Im o.g. Kohl­ham­mer­band (S. 106) wird er zitiert mit den Wor­ten: „Wenn ein nam­haf­ter Sui­zid­fach­mann zu erken­nen gibt, er sei im Rah­men sei­ner Tätig­keit noch kei­nem begeg­net“, der in frei­er Ent­schei­dung dies­be­züg­lich sei­ne Sui­zid­ab­sich­ten ent­wi­ckelt, „so zeigt er mit sei­ner Aus­sa­ge auch das sys­te­ma­ti­sche Man­ko die­ser Exper­ten“: Sie bekä­men näm­lich nie­man­den mit – etwa alters­be­dingt – bilan­zie­ren­den Sui­zid-Gedan­ken je zu Gesicht. Schwarz fragt rhe­to­risch: Denn war­um soll­te auch ein hin­rei­chend psy­chisch gesun­der, selbst­be­wuss­ter und ‑ver­ant­wort­li­cher Mensch dies­be­züg­lich aus­ge­rech­net eine Bera­tungs­stel­le zur Sui­zid­prä­ven­ti­on oder „einen Psych­ia­ter auf­su­chen, von dem er ja weiß oder ver­mu­ten muss, dass die­ser … eine völ­lig kon­trä­re Auf­fas­sung zu sei­ner eige­nen hat?“

Das oben erwähn­te Fazit im Kohl­ham­mer-Kapi­tel wägt dazu ab: Gebo­te­ne Sui­zid­prä­ven­ti­on hat „unfreie und meist eher bru­ta­le Selbst­tö­tun­gen im Affekt oder in vor­über­ge­hen­der Kri­sen­si­tua­ti­on zu ver­mei­den sowie aku­te Sui­zid­ver­su­che bei schwe­rer psy­chi­scher Stö­rung zu ver­hin­dern.“ Das kön­ne, anders als Pro-Freitod-Aktivist*innen oder Vertreter*innen von Ster­be­hil­fe­ver­ei­nen teils anfüh­ren, durch die­se kaum geleis­tet wer­den. Aller­dings bestehe dem­ge­gen­über unstrit­tig ein „über­le­bens­för­dern­der Aspekt“ dar­in, unent­schlos­se­nen, zöger­li­chen und/oder qua­li­fi­zier­ten Rat suchen­den „Men­schen mit Sui­zid­vor­ha­ben ent­las­ten­de Gesprä­che anzu­bie­ten oder den Raum für noch mög­li­che alter­na­ti­ve Optio­nen zu eröff­nen.“

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