Tag der Menschenrechte

Gedanken zum 10. Dezember – Menschenrechte beginnen vor unserer Haustür

| von

Beitragsbild: Jessica D. Vega/Unsplash

Vor 77 Jahren, am 10. Dezember 1948, verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Ein Statement von Christiane Herrmann und Andrée Gerland, Vorstandsmitglieder des Humanistischen Verbandes Deutschlands – Bundesverband, zum diesjährigen Tag der Menschenrechte: Wir alle können etwas tun.

Am 10. Dezem­ber 1948 wur­de die All­ge­mei­ne Erklä­rung der Men­schen­rech­te in Paris ver­kün­det. Ein gro­ßer Moment der Mensch­heit, ein Fest der Wür­de – und ein Doku­ment, das so oft bemüht wird wie sel­ten ver­stan­den. Denn Men­schen­rech­te sind kein prunk­vol­ler Staats­akt, sie sind kein „Besitz“ von Regie­run­gen, sie sind viel klei­ner – und gera­de des­halb viel grö­ßer.

Ele­a­n­or Roo­se­velt, einst Vor­sit­zen­de der UN-Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on und ent­schei­den­de Kraft bei der Anfer­ti­gung der Char­ta von 1948, brach­te es wun­der­bar auf den Punkt:

„Wo begin­nen Men­schen­rech­te? In klei­nen Orten, ganz in der Nähe – so nah und so klein, dass die Orte auf kei­ner Land­kar­te der Welt gese­hen wer­den kön­nen. Den­noch bedeu­ten sie die Welt für jede ein­zel­ne Per­son: die Nach­bar­schaft, in der wir leben; die Schu­le oder Hoch­schu­le, die wir besu­chen; die Fabrik, der Bau­ern­hof oder das Büro, wo wir arbei­ten.“ (Ele­a­n­or Roo­se­velt)

Men­schen­rech­te sind also kei­ne abs­trak­te Idee in gol­de­nen Rah­men, son­dern der All­tag zwi­schen Haus­tür und Super­markt­kas­se. Sie sind die Gesprä­che, die Bli­cke, das „Wie reden wir eigent­lich mit­ein­an­der?“. Sie sind das „Ich sehe dich!“, beson­ders dann, wenn ande­re weg­se­hen.

Men­schen­rech­te sind, Roo­se­velts Wor­ten fol­gend, die Sicht­bar­wer­dung des­sen, was eine Mensch­heit aus­zeich­net. Die Bewah­rung und Aus­übung der Men­schen­rech­te kön­nen für Men­schen unter­schied­li­chen Alters und unter­schied­li­chen Milieus „die Welt“ bedeu­ten, denn grund­sätz­li­che Pfei­ler mensch­li­chen Daseins sind ein­fach nicht ver­han­del­bar. Das macht auch schon der Arti­kel 1 der Men­schen­rech­te umfas­send deut­lich:

„Alle Men­schen sind frei und gleich an Wür­de und Rech­ten gebo­ren. Sie sind mit Ver­nunft und Gewis­sen begabt und sol­len ein­an­der im Geist der Soli­da­ri­tät begeg­nen.“

Hier wird nie­mand exklu­diert, hier wer­den alle Men­schen gleich­sam ange­spro­chen, glei­ches wird Ihnen ange­die­hen, glei­ches Ihnen von Geburt an zuge­traut. Aber auch dies: glei­ches wird von ihnen ver­langt. Der Appell, der den Men­schen­rech­ten inne­wohnt,  ist an jeden Men­schen glei­cher­ma­ßen gerich­tet. Und so ist es nur fol­ge­rich­tig, wenn ihm vor der eige­nen Haus­tür gefolgt wird: im Hier und Jetzt – und im Kon­kre­ten.

Was bedeutet das für uns als Humanist*innen?

Als Humanist*innen glau­ben wir dar­an, dass der Mensch nicht nur zufäl­lig auf­recht geht – er soll auch auf­recht han­deln. Und das beginnt dort, wo wir Unge­rech­tig­keit erbli­cken. Wenn jemand bedroht, aus­ge­schlos­sen, ver­spot­tet wird – und wir trotz­dem schwei­gen –, dann geben wir im Stil­len Bei­fall. Und stil­le Zustim­mung ist die klei­ne Schwes­ter gro­ßer Grau­sam­keit.

Natür­lich: Es ist nicht immer bequem, den Mund auf­zu­ma­chen. Manch­mal wäre es viel ange­neh­mer, sich hin­ter den Gemü­se­tre­sen zu ducken und zu hof­fen, dass die blö­de Bemer­kung über „die da“ gleich vor­bei ist. Aber Huma­nis­mus bedeu­tet: Wir erhe­ben die Stim­me, damit ande­re nicht ver­stum­men müs­sen.

Und wo wir schon beim Spre­chen sind: Mei­nungs­frei­heit ist ein wun­der­ba­res Gut. Sie schützt das muti­ge Wort, das lei­se Wort und das unbe­que­me Wort. Aber – und das ist ein gro­ßes Huma­nis­ten-Aber – Mei­nungs­frei­heit ver­pflich­tet auch zur Ver­ant­wor­tung. Wer Men­schen her­ab­wür­digt, wer Hass sät, wer Ras­sis­mus in Paro­len klei­det, ruft nicht sei­ne Frei­heit aus, son­dern miss­braucht sie. Hass ist kei­ne Mei­nung. Punkt.

Bleibt die Fra­ge: Wie schüt­zen wir, was uns hei­lig ist? Die Ant­wort klingt fried­lich – und ist manch­mal rich­tig anstren­gend: Diplo­ma­tie statt Droh­nen, Argu­men­te statt Artil­le­rie, mensch­li­che Grö­ße statt mili­tä­ri­sche. Für Men­schen­rech­te zu kämp­fen heißt eben nicht, neue Kriegs­hel­den zu schmie­den, son­dern schüt­zen­de Hän­de zu rei­chen und zu unter­stüt­zen.

Und nicht zuletzt: Die Erde ist unse­re gemein­sa­me Woh­nung. Man­che behan­deln sie wie ein Hotel­zim­mer – und ver­ges­sen, dass es kei­nen Room-Ser­vice gibt, der das Cha­os anschlie­ßend weg­fegt. Huma­nis­mus heißt auch, die Welt nicht nur zu benut­zen, son­dern zu bewah­ren. Für alle. Für mor­gen.

Men­schen­rech­te begin­nen im Klei­nen – aber sie ster­ben auch im Klei­nen. Mit jedem „Ach, das geht mich nichts an“. Und mit jedem „War doch nur ein Spaß“. In Wahr­heit sind sie eine täg­li­che Auf­ga­be, ger­ne auch mit schmut­zi­ger Rea­li­tät und schweiß­trei­ben­der Zivil­cou­ra­ge.

Und viel­leicht ist das die schöns­te Bot­schaft des 10. Dezem­ber: Wir alle kön­nen etwas tun. Wir müs­sen nur damit anfan­gen, nicht auf der Land­kar­te, son­dern in unse­rer Stra­ße.

Und soll­ten uns hier­zu Impul­se oder Rei­ze feh­len, ver­fü­gen wir über die Kraft und das Ver­mö­gen, immer wie­der in die Nach­bar­schaft zu schau­en, um zu sehen und zu ler­nen, wie Men­schen­rech­te dort im Klei­nen gelin­gen kön­nen. Eine soeben von Andrée Ger­land getä­tig­te Exkur­si­on nach Bra­si­li­en hat ihn dar­an erin­nert: es kos­tet nichts, den Mit­men­schen häu­fi­ger mit einem Lächeln zu begeg­nen, egal, wel­che Spra­che er spricht; es könn­te natür­li­cher sein, das Gegen­über mit einer wär­men­den Umar­mung zu emp­fan­gen – auch wenn man sich noch nicht so gut kennt, aber man sich der Men­schen­lie­be ver­pflich­tet fühlt; und es ist für den gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt und den in Arti­kel 1 genann­ten „Geist der Soli­da­ri­tät“ ent­schei­dend, immer wie­der von Neu­em über die Dimen­sio­nen der Inklu­si­on nach­zu­den­ken: wie sie in kom­ple­xen Gesell­schaf­ten gelin­gen kann, was dafür grund­le­gend ver­än­dert wer­den muss, und wie man gene­rell jedem Men­schen zu sei­ner ihm zuste­hen­den Stim­me und Sicht­bar­keit als Teil einer frei­en und glei­chen Mensch­heit ver­hilft. 

Zum Schluss ein Zitat, das wie eine freund­li­che Erin­ne­rung klingt – oder wie eine letz­te War­nung:

„Die Wür­de des Men­schen ist antast­bar – wenn wir nicht auf­pas­sen.“ (Ger­hard Uhlen­bruck)

Pas­sen wir also auf. Jeden Tag. In jedem klei­nen Ort der Welt.

Inhalt teilen

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Beiträge

palestine-8012395_1280(1)
Humanistisches Hilfswerk Deutschland
„Die Menschen in Gaza brauchen uns – jetzt“
Weite Teile Gazas sind unbewohnbar, die Versorgungslage katastrophal und der Winter verschärft die Not massiv. Das Humanistische Hilfswerk Deutschland warnt vor einer humanitären Katastrophe. Im Interview erklären Präsidentin Annathea Braß und Vizepräsident Erwin Kress, warum wir jetzt dringend handeln müssen.
Beitrag lesen »
linda-robert-0yeuiL501sQ-unsplash
Mensch sein
Warmes Nest, leerer Himmel. Ein Plädoyer für humanistische Weihnachten
Auch ohne Glauben an Engel und Erlösung muss niemand auf Weihnachten verzichten, der das nicht will. In dieser humanistischen Deutung erzählt das Fest nicht von einem göttlichen Heilsgeschehen, sondern vom Menschsein selbst – von Verletzlichkeit, Verbundenheit und der tiefen Einsicht, dass niemand eine Insel ist und wir einander brauchen.
Beitrag lesen »
Deutsch-Arabische Schule Berlin-Neukölln
Einsatz für Gewaltfreiheit, Vielfalt und Säkularität bedroht
Arabisch-Deutsche Schule: Humanistische Bildung unter Polizeischutz
Zu den Herausforderungen im Berliner Bezirk Neukölln gehören neben kriminellen Banden radikalislamische Koranschulen. Als mutige Hoffnungsträgerin dagegen wirkt die säkulare Arabisch-Deutsche Schule Ibn Khaldun – bis zu dessen Amtsaufgabe unterstützt von Bezirksbürgermeister Hikel. Jetzt ist gegen den Leiter der Schule ein mutmaßlicher Mordanschlag verübt worden. Jahrelange Anfeindungen und Bedrohungen gingen voraus.
Beitrag lesen »
Nach oben scrollen