Wehrdienst-Modernisierungsgesetz

Gleiche Rechte, gleiche Pflichten? Warum die Wehrpflicht kein feministisches Projekt ist

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Beitragsbild: istock.com/huettenhoelscher

Gleichberechtigung beginnt nicht an der Waffe: Warum die Ausweitung der Wehrpflicht auf Frauen kein feministisches Projekt ist, sondern militärische Nützlichkeit mit Gleichstellungs-Rhetorik verschleiert.

Ende August hat das Bun­des­ka­bi­nett das Wehr­dienst-Moder­ni­sie­rungs­ge­setz beschlos­sen. Im Kern bleibt die Geschlech­ter­un­gleich­be­hand­lung jedoch bestehen: Män­ner sind ver­pflich­tet, den neu­en Fra­ge­bo­gen zur „Bereit­schaft und Fähig­keit zum Wehr­dienst“ aus­zu­fül­len, Frau­en hin­ge­gen nicht. Sie kön­nen sich zwar frei­wil­lig mel­den – und vie­le tun dies auch schon seit Jah­ren –, doch recht­lich bleibt ihnen die Pflicht erspart. Juris­tisch ver­weist das Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um auf Arti­kel 12a Grund­ge­setz, in dem es heißt: „Män­ner kön­nen vom voll­ende­ten acht­zehn­ten Lebens­jahr an zum Dienst in den Streit­kräf­ten […] ver­pflich­tet wer­den.“ Poli­tisch wirkt die­se Son­der­re­ge­lung wie ein Relikt aus den 1950er Jah­ren, gespeist aus einem kon­ser­va­tiv-christ­li­chen Frau­en­bild.

Und doch: Dass die­ses Frau­en­bild his­to­risch pro­ble­ma­tisch ist, macht das dahin­ter­lie­gen­de Argu­ment nicht auto­ma­tisch falsch.

Feministische Paradoxien

Ich ver­fol­ge die Wehr­pflicht-Debat­te seit Wochen mit gemisch­ten Gefüh­len und ver­su­che, mei­nem Unbe­ha­gen auf die Spur zu kom­men. Einer­seits bin ich über­zeugt: Ech­te Gleich­be­rech­ti­gung bedeu­tet auch glei­che Pflich­ten. Femi­nis­ti­sche Bewe­gun­gen haben zu Recht immer wie­der dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es dis­kri­mi­nie­rend ist, wenn Frau­en von bestimm­ten Berei­chen aus­ge­schlos­sen wer­den – sei es beim Wahl­recht, im Arbeits­markt oder beim Zugang zu Füh­rungs­po­si­tio­nen. War­um soll­te es also anders sein, wenn es um den Mili­tär­dienst geht? Ich ver­ste­he mich selbst als Gleich­heits­fe­mi­nis­tin, woher also kommt die Skep­sis, das Unbe­ha­gen bei ent­spre­chen­den Posi­tio­nie­run­gen, möch­te doch auch ich nicht ein Frau­en­bild der 1950er Jah­re ver­ste­tigt wis­sen? Die Skep­ti­ke­rin in mir wür­de sich der Fra­ge also viel­leicht so annä­hern: Müs­sen wir aus­ge­rech­net beim Mili­tär damit begin­nen, die Gleich­stel­lung her­zu­stel­len, die in so vie­len ande­ren gesell­schaft­li­chen Berei­chen noch auf sich war­ten lässt? Muss der Preis für glei­che Rech­te aus­ge­rech­net dar­in bestehen, dass auch Frau­en in den Krieg geschickt wer­den kön­nen?

Plötzlich überall Gleichheitsfeministen?

Beim Lesen der zahl­rei­chen Mei­nungs­bei­trä­ge der letz­ten Wochen rich­te­te sich mein Augen­merk sehr schnell auf die Sprecher*innen-Position, so eine Art Schnell-Check: spricht da jemand aus einer intel­lek­tu­el­len Kom­fort­zo­ne, vom Schreib­tisch­stuhl aus? Kann sie*er über­haupt noch zum Dienst ein­ge­zo­gen wer­den? Oder wird hier aus siche­rer Distanz gepflegt argu­men­tiert? Auch bei einem gleich­heits­fe­mi­nis­ti­schen „Wenn, dann für alle“- Argu­ment, wie zuletzt von Eva Ricar­da Lautsch in der ZEIT, regt sich bei mir Unbe­ha­gen, ein lei­ses Pick-me-Gefühl ereilt micht: Die Jungs allei­ne in den Krieg zie­hen las­sen? An jeder (ande­ren) Stel­le auf Gleich­be­rech­ti­gung pochen, und wenn’s ernst wird knei­fen? Viel­leicht ist bei­des auch eine Argu­men­ta­ti­on von der „Hügel­po­si­ti­on“ aus – so, wie Ber­tha von Sutt­ner sie beschrie­ben hat: eine Per­spek­ti­ve der Distanz, in der die Bru­ta­li­tät des Krie­ges nicht unmit­tel­bar vor Augen steht.

Pro­ble­ma­tisch an bei­den Posi­tio­nen ist für mich, dass Gleich­stel­lung hier nur als for­ma­le Pflicht­gleich­heit ver­han­delt wird, ohne die aktu­el­le Gesamt­si­tua­ti­on (von Ungleich­keit) kri­tisch in den Blick zu neh­men.

Noch irri­tie­ren­der wird es, wenn Politiker*innen, die zuvor nicht mit gleich­heits­fe­mi­nis­ti­schen Posi­tio­nen auf­ge­fal­len sind, plötz­lich so argu­men­tie­ren und damit ver­schlei­ern, dass es pri­mär um mili­tä­ri­sche Nütz­lich­keit und nicht um Gleich­stel­lung geht. Die­ses Mus­ter ist alt­be­kannt: Schon in mei­ner Diplom­ar­beit über Kon­struk­tio­nen von Geschlecht in der Ber­li­ner Poli­zei (2001, gemein­sam mit Son­ja Dudek) zeig­te sich: Gleich­stel­lung von Frau­en wur­de his­to­risch an vie­len Orten nicht aus Über­zeu­gung vor­an­ge­trie­ben, son­dern vor allem dann, wenn ein per­so­nel­ler Man­gel herrsch­te. Geschlecht dien­te dabei als fle­xi­bles Argu­ment: Mal wur­de auf die „beson­de­re Natur der Frau“ ver­wie­sen, um ihre Eig­nung für bestimm­te Auf­ga­ben her­vor­zu­he­ben, mal auf ihre „Anders­ar­tig­keit“, um sie wie­der aus­zu­schlie­ßen – je nach­dem, was gera­de oppor­tun war. Die­ses Mus­ter ist heu­te in der Wehr­pflicht­de­bat­te erneut erkenn­bar: Es geht nicht (immer) um Gleich­stel­lung um ihrer selbst wil­len, son­dern um Nütz­lich­keit im Ange­sicht knap­per Res­sour­cen. Das ist in Ord­nung, aber es muss benannt und von­ein­an­der unter­schie­den wer­den. Und Gleich­heits­fe­mi­nis­tin­nen wer­den zu Steig­bü­gel­hal­te­rin­nen, wenn sie die­sem Argu­ment all­zu bereit­wil­lig fol­gen.

Männlichkeit und Gewalt – eine unauflösbare Verbindung?

Gewalt ist in unse­rer unvoll­kom­me­nen Welt über­wie­gend männ­lich. Das bele­gen zahl­lo­se Sta­tis­ti­ken – ob bei Tötungs­de­lik­ten, Kör­per­ver­let­zung oder sexua­li­sier­ter Gewalt. Laut UNODC (United Nati­ons Office on Drugs and Crime) sind welt­weit über 90 Pro­zent der Täter bei vor­sätz­li­chen Tötungs­de­lik­ten Män­ner. In Deutsch­land waren 2023 über 95 Pro­zent der Tat­ver­däch­ti­gen bei Ver­ge­wal­ti­gung und sexu­el­ler Nöti­gung männ­lich. Die­se For­men unrecht­mä­ßi­ger Gewalt dür­fen natür­lich nicht gleich­ge­setzt wer­den mit der Fra­ge nach legi­ti­mer Lan­des­ver­tei­di­gung. Und doch zeigt uns die Mensch­heits­ge­schich­te, wie sehr Macht und Männ­lich­keit his­to­risch mit Gewalt ver­wo­ben sind.

Auch vor die­sem Hin­ter­grund wirkt es zynisch, Frau­en durch eine Aus­wei­tung der Wehr­pflicht gleich­stel­len zu wol­len. Dass die Bun­des­wehr als „männ­li­ches Sys­tem“ funk­tio­niert, hat ein Bei­trag der ZEIT ein­drück­lich beschrie­ben: „Ange­fasst, ange­pin­kelt, aus­ge­peitscht – will­kom­men bei der Bun­des­wehr.“ Dort heißt es: „Über­grif­fe, Demü­ti­gun­gen und Ritua­le der Unter­wer­fung gehö­ren für vie­le Sol­da­ten noch immer zum All­tag.“ Sol­che Berich­te las­sen erah­nen, was es hei­ßen kann, wenn Frau­en in eine Domä­ne ein­tre­ten, die, zumin­dest teil­wei­se, immer noch von Männ­lich­keits­ri­tua­len, Hier­ar­chien und Grenz­ver­let­zun­gen geprägt ist.

Wider der Unkenrufe

Ich höre schon die Unken­ru­fe und Miss­ver­ständ­nis­se, die sich aus einer sol­chen Posi­ti­on erge­ben könn­ten und möch­te die­sen gleich vor­beu­gen: Frau­en möch­te ich hier nicht auto­ma­tisch als fried­fer­ti­ge Wesen beschrei­ben, die von „Natur aus“ ver­söh­nen oder Gewalt ver­hin­dern. Es geht nicht dar­um, Frau­en zu heroi­sie­ren. Aber es geht dar­um, sie davor zu schüt­zen, aus Grün­den blan­ker Nütz­lich­keit, gar­niert mit gleich­heits­fe­mi­nis­ti­schem Anstrich, in die mili­tä­ri­sche Pflicht zu neh­men.

Viel­leicht müs­sen wir den Gedan­ken, was Eman­zi­pa­ti­on und Gleich­stel­lung in die­sem Kon­text hei­ßen kann, neu den­ken. Schon die Frie­dens­no­bel­preis­trä­ge­rin Ber­tha von Sutt­ner schrieb in Die Waf­fen nie­der!: „Nach mei­ner Über­zeu­gung wird das Schwert­erhand­werk auf­hö­ren müs­sen, wenn die Frau­en in der Gesell­schaft die Bedeu­tung erlan­gen, die ihnen zukommt.“

Das eman­zi­pa­to­ri­sche Poten­zi­al liegt womög­lich nicht dar­in, Frau­en an der Waf­fe gleich­zu­stel­len, son­dern die enge Ver­bin­dung von Männ­lich­keit und Gewalt zu über­win­den – und dadurch neue For­men von Sicher­heit und Frie­den mög­lich zu machen.[1] Eben­so bedeu­tend ist es, sozia­le Sicher­heit, Care-Arbeit und Bil­dung als Grund­pfei­ler von Frie­dens­po­li­tik zu för­dern – weil Gesell­schaf­ten mit gerech­te­ren Teil­ha­be­chan­cen weni­ger anfäl­lig für Mili­ta­ri­sie­rung und Radi­ka­li­sie­rung sind.

Gleichberechtigung beginnt nicht an der Waffe

Wir müs­sen über­all auf der Welt mit­er­le­ben, dass es Situa­tio­nen gibt, in denen Ver­tei­di­gung mit Waf­fen­ge­walt unver­meid­bar ist. Wer Gleich­be­rech­ti­gung ernst nimmt, soll­te sie aber nicht zuerst an der Waf­fe ein­for­dern, son­dern dort, wo es um Frie­den, Sicher­heit und poli­ti­sche oder zivil­ge­sell­schaft­li­che Ver­ant­wor­tung geht.

Und viel­leicht ist es manch­mal klü­ger, mit die­ser – aus der Per­spek­ti­ve eines Gleich­heits­fe­mi­nis­mus – ‘inkon­se­quen­ten’ Hal­tung zu leben, als zum fal­schen Zeit­punkt in einer zwei­fel­haf­ten Kon­se­quenz zu enden.


[1] Für die Aus­füh­rung und Kon­kre­ti­sie­rung die­ser For­de­rung gibt es zahl­rei­che Ansät­ze (Zivi­ler Frie­dens­dienst Deutsch­land, Frau­en­be­we­gun­gen in Kriegs­ge­bie­ten in Ruan­da und Libe­ria, UN-Reso­lu­ti­on 1325, die die Bedeu­tung der Betei­li­gung von Frau­en in Frie­dens­pro­zes­sen aner­kennt u.a.m.) , deren Ver­tie­fung die­sen Bei­trag hier über­for­dern wür­de.

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