Rechtsanwalt Wolfgang Putz im Gespräch

Wird das Recht auf Suizidhilfe torpediert?

| von
Wie lässt sich freiverantwortliche Suizidhilfe sichern, ohne neue Bevormundung zu schaffen? Rechtsanwalt Wolfgang Putz im Gespräch mit Gita Neumann über juristische Grenzfälle, ethische Risiken und die Notwendigkeit klarer Regeln.

Gita Neu­mann: Lie­ber Wolf­gang, Du hast durch Gerichts­in­stan­zen hin­durch grund­ge­setz­lich ver­bürg­te Per­sön­lich­keits­rech­te auf Ster­be­hil­fe durch­ge­setzt. Im letz­ten Jahr wur­den zwei Ärz­te zu drei­jäh­ri­ger Haft ver­ur­teilt, die Bei­hil­fe zur Selbst­tö­tung von Men­schen mit so schwe­ren psy­chi­schen Erkran­kun­gen geleis­tet hat­ten, dass die Gerich­te deren Frei­ver­ant­wort­lich­keit als nicht gege­ben bewer­te­ten. Du sahst dich damit von einer hin­rei­chen­den Rechts­la­ge in Deutsch­land bestä­tigt, die Grund­rech­te erfolg­reich durch­zu­set­zen ermög­licht und dabei miss­bräuch­li­che Aus­wir­kun­gen schwer bestraft. Doch nun hast du am 13. Okto­ber eine über­ra­schen­de Pres­ser­klä­rung her­aus­ge­ge­ben. Dem­nach ist die Pra­xis der orga­ni­sier­ten Sui­zid­hil­fe inzwi­schen so „gefahr­träch­tig“, dass sie selbst es ist, wel­che die erziel­ten Errun­gen­schaf­ten tor­pe­diert. Wie bist du zu dei­ner Neu­ein­schät­zung gekom­men, dass es des­halb nun doch ein spe­zi­fi­schen Gesetz braucht?

Wolf­gang Putz: Die bei­den Fäl­le der 2024 ver­ur­teil­ten Ärz­te (ein Urteil ist noch nicht rechts­kräf­tig) betra­fen extre­me Aus­nah­me­fäl­le auf Täter- wie Opfer­sei­te, so dass sie kein Signal für die lei­der zuneh­mend nicht aus­rei­chend sorg­fäl­tig prak­ti­zier­te geschäfts­mä­ßi­ge Sui­zid­hil­fe dar­stel­len. Es ist rich­tig, dass ich mich lan­ge dage­gen aus­ge­spro­chen habe, dass wir nach dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts­ur­teil vom 26. Febru­ar 2020 zusätz­lich eine gesetz­li­che Rege­lung brau­chen. Das Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ent­hält ja dezi­diert alle Vor­aus­set­zun­gen für die Frei­ver­ant­wort­lich­keit, die beim Sui­zi­den­ten gege­ben sein müs­sen. Zur Regu­lie­rung von Fehl­ent­wick­lun­gen erscheint das Schwert des bestehen­den Straf­rechts aller­dings zu stumpf, da – teils auf­grund des­in­ter­es­sier­ter Ver­fol­gungs­be­hör­den – Ver­fah­ren ent­we­der nicht ein­ge­lei­tet wer­den oder extrem lan­ge andau­ern. Wie gesagt ver­trau­te ich auf eine Selbst­re­gu­lie­rung ange­sichts der bestehen­den Andro­hung schwers­ter Stra­fen für Tot­schlag in mit­tel­ba­rer Täter­schaft für eine Sui­zid­hil­fe bei Nicht­frei­ver­ant­wort­li­chen. Eine Rege­lung, in die etwa Bera­tun­gen oder sons­ti­ge Sorg­falts­pflich­ten ein­ge­baut wären, wie es auch euer Huma­nis­ti­scher Ver­band außer­halb des Straf­rechts gefor­dert hat, das hielt ich wegen die­ser mas­si­ven Straf­dro­hun­gen frü­her für unnö­tig und über­flüs­sig.

Seit rund 40 Jah­ren kämpft Wolf­gang Putz als Rechts­an­walt, Fach­buch­au­tor, Lehr­be­auf­trag­ter an der Uni Mün­chen, Medi­zin­recht­ler und ‑ethi­ker für selbst­be­stimm­tes Ster­ben und Hil­fe dazu. Neben Rechts­wis­sen­schaft hat er Human­me­di­zin stu­diert und spe­zia­li­sier­te sich in sei­ner Kanz­lei für Medi­zin­recht vor allem auf Pati­en­ten­rech­te am Lebens­en­de. Er wur­de von Geg­nern auch ange­fein­det, muss­te sich als Rechts­an­walt ein­mal selbst vor Gericht ver­ant­wor­ten, wobei es um die Ent­fer­nung einer sog. PEG-Magen­son­de bei uner­wünsch­ter Lebens­ver­län­ge­rung ging. Der Bun­des­ge­richts­hof sprach ihn mit einem Grund­satz­ur­teil frei. Mehr­fach hat er bahn­bre­chen­de Grund­satz­ur­tei­le erstrit­ten. Als Rechts­an­walt ver­trat er Ärz­te, die eine zuletzt erfolg­rei­che Kla­ge beim Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt gegen den § 217 Straf­ge­setz­buch ein­ge­reicht hat­ten. Eine umfang­rei­che Vor­trags- und Semi­nar­tä­tig­keit zur Fort­bil­dung u.a. von Ärz­ten, Juris­ten, Pfle­ge­kräf­ten und Lai­en zeich­net ihn aus.

Gita Neu­mann: Kri­ti­siert wur­de an unse­rem Gesetz­ent­wurf die Rol­le von staat­lich zu för­dern­den Sui­zid­kon­flikt-Bera­tungs­stel­len, wobei es dar­in heißt: Die­se dür­fen „selbst kei­ne Sui­zid­hil­fe oder ‑beglei­tung anbie­ten“ und auch nicht mit ent­spre­chen­den Anbie­tern „der­art ver­bun­den sein, dass hier­nach eine Ver­flech­tung“ mit Inter­es­sen­kon­flik­ten nahe­lie­gen wür­de. Das wur­de uns – trotz der eman­zi­pa­to­ri­schen Ziel­rich­tung einer ergeb­nis­of­fe­nen Bera­tung – als unzu­läs­si­ge Ent­mün­di­gung durch obli­ga­to­ri­sche Auf­klä­rung und Infor­ma­ti­on von sui­zid­wil­li­gen Men­schen ange­krei­det. Die­se wür­den sich, so hieß es, doch lie­ber unmit­tel­bar an Ster­be­hil­fe­ver­ei­ne wen­den, da nur die­se ihrem Anlie­gen gegen­über vor­be­halt­los posi­tiv ein­ge­stellt wäre … Nun aber zurück zu dei­nem Sin­nes­wan­del, über­haupt eine pro­ze­du­ra­le gesetz­li­che Rege­lung gut­zu­hei­ßen.

Wolf­gang Putz: Der Grund ist: Erst jetzt erfül­len skan­dal­träch­ti­ge Ent­wick­lun­gen eine vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt dazu ver­lang­te Vor­aus­set­zung. Das Fass zum Über­lau­fen brach­te wohl im Sui­zid­hil­fe­fall Flo­ri­an Wil­let das Vor­ge­hen der größ­ten ein­schlä­gi­gen Orga­ni­sa­ti­on, näm­lich der Deut­schen Gesell­schaft für Huma­nes Ster­ben. Das deckt sich auch mit mei­ner zuneh­men­den Kri­tik am Ver­fah­ren der DGHS, selbst bei Ein­hal­tung ihrer Eigen­ver­pflich­tun­gen. Das gilt zum Bei­spiel für ihr unzu­läng­li­ches „Vier­au­gen­prin­zip“, wobei eine der bei­den Per­so­nen ein Jurist oder eine Juris­tin sein soll. Die­ses dient dort näm­lich nicht als Instru­ment zur gegen­sei­ti­gen Kor­rek­tur even­tu­el­ler Fehl­ein­schät­zun­gen, son­dern vor­ran­gig zur Beein­druckung von Öffent­lich­keit und ein­tref­fen­der Poli­zei, also zur eige­nen Absi­che­rung und Image­pfle­ge. Unter „Vier­au­gen­prin­zip“ hier­bei wird dem­ge­gen­über von allen seriö­sen Fach­leu­ten der gegen­sei­ti­ge Mei­nungs­aus­tausch zwei­er Per­so­nen ver­stan­den, die jeweils in aller Regel Arzt oder Ärz­tin sind.

Gita Neu­mann: Ein vier­sei­ti­ger SPIE­GEL-Arti­kel unter dem Titel „Die Todes­ver­mitt­ler“[1] wirft der Deut­schen Gesell­schaft für Huma­nes Ster­ben – kurz DGHS – vor, bei der Sui­zid­as­sis­tenz von Flo­ri­an Wil­let nicht ein­mal ihre eige­nen Sorg­falts­kri­te­ri­en ein­ge­hal­ten zu haben. Er mag wohl einen Son­der­sta­tus als inter­na­tio­nal pro­mi­nen­ter Sui­zid­hel­fer gehabt haben. Wil­let hat­te näm­lich mit einer sarg­ähn­lich futu­ris­ti­schen „Sar­co-Kap­sel“, in die durch den Sui­zi­den­ten tod­brin­gen­der Stick­stoff ein­ge­lei­tet wer­den kann, eine auf­se­hen­er­re­gen­de Inno­va­ti­on vor­ge­stellt. Doch er schei­ter­te mit die­sem Modell kläg­lich. Bei ihm, einem 47-Jäh­ri­gen, wur­de dann „Lebens­s­att­heit“ als Begrün­dung in sei­nem Sui­zid­hil­fe­an­trag nach nur kur­zer Mit­glied­schaft von der DGHS ohne wei­te­res akzep­tiert. Die sonst vor­ge­se­he­nen War­te­zei­ten wur­den erheb­lich unter­schrit­ten und dabei sei­ne psych­ia­tri­schen Dia­gno­sen miss­ach­tet. Denen zufol­ge litt er unter anhal­ten­den Ängs­ten, para­no­iden Denk­in­hal­ten und Ich-Stö­run­gen mit Wahn­ideen. Dies alles wäre unent­deckt geblie­ben, hät­ten nicht Ange­hö­ri­ge nach sei­nem Tod die ent­spre­chen­den Unter­la­gen der Staats­an­walt­schaft Köln und jetzt auch dem SPIEGEL über­las­sen.

Wolf­gang Putz: Es ist viel­leicht die Spit­ze eines Eis­bergs. Denn Män­gel und Unstim­mig­kei­ten sind seriö­sen Ärz­ten, Juris­ten und ver­ant­wor­tungs­vol­len Enga­gier­ten, die sich um frei­ver­ant­wort­li­che Selbst­be­stim­mung am Lebens­en­de bemü­hen, wozu ja auch ihr vom Huma­nis­ti­schen Ver­band Deutsch­lands gehört, längst bekannt. Die Infor­ma­tio­nen dar­über sickern trotz des Mau­erns der Ster­be­hil­fe-Ver­ei­ne – bei nach außen hin pro­pa­gier­ter Trans­pa­renz – durch, und zwar teils aus Gesprä­chen mit Betrof­fe­nen oder ehe­ma­li­gen Mit­ar­bei­ten­den der DGHS, teils offi­zi­ell oder aus einem gut funk­tio­nie­ren­den Netz­werk unter der Hand.

Gita Neu­mann: Du empörst dich in dei­ner jüngs­ten Stel­lung­nah­me sehr deut­lich. Es ist ja auch dras­tisch, was Wil­let in sei­nem Begrün­dungs­schrei­ben an die DGHS, aus wel­chem der SPIEGEL zitiert, für sei­ne Lebens­s­att­heit ange­führt hat: „Ich habe die meis­ten Geheim­nis­se des Mensch­seins erfah­ren“, alles sei ihm lang­wei­lig gewor­den, die „wun­der­schö­ne ers­te Lebens­hälf­te“ rei­che ihm, eine zwei­te brau­che er nicht und kön­ne sich für nichts mehr begeis­tern.

Wolf­gang Putz: War­um ich mich jetzt öffent­lich äuße­re: Ich erle­be nun­mehr bereits zum wie­der­hol­ten, genau­er gesagt zum drit­ten Mal, dass das gerech­te Anlie­gen auf effek­ti­ven Grund­rechts­schutz, und zwar für Sui­zi­den­ten eben­so wie für ärzt­li­che Sui­zid­hel­fer, aus­ge­rech­net von Sui­zid­hil­fe­ver­ei­nen tor­pe­diert wird.

Gita Neu­mann: Du bist im Bereich des Rechts am Lebens­en­de wei­ter­hin in den anspruchs­vol­len Man­da­ten dei­ner Kanz­lei tätig sowie in zahl­lo­sen Vor­trä­gen und Schu­lun­gen – etwa für Rich­ter und Rich­te­rin­nen wie für Hos­piz­mit­ar­bei­ten­de. Dei­ne Ein­schät­zung ist gefragt, nicht zuletzt auf­grund dei­ner jahr­zehn­te­lan­gen Erfah­rung, mit der du auch auf die Geschich­te der orga­ni­sier­ten Sui­zid­hil­fe zurück­blickst.

Wolf­gang Putz: Zunächst ein­mal bli­cke ich dabei auf die hoff­nungs­vol­le Grün­dung der Deut­schen Gesell­schaft für Huma­nes Ster­ben 1980. Sie bot neben ihrem Ein­satz für Pati­en­ten­rech­te Hil­fe zum Frei­tod an. Die­ses Arbeits­feld lief aller­dings schnell aus dem Ruder, als der Grün­dungs­prä­si­dent Hans Hen­ning Atrott mit nicht nur skru­pel­lo­sen, son­dern auch kri­mi­nel­len Machen­schaf­ten (z.B. Zyan­ka­li- und Medi­ka­men­ten­ver­sand per Post gegen Vor­kas­se an sui­zid­wil­li­ge Mit­glie­der) jeg­li­ches Ver­trau­en in die­se Orga­ni­sa­ti­on und ihr Anse­hen dra­ma­tisch ver­spiel­te – einer Orga­ni­sa­ti­on, die doch so posi­tiv als Kämp­fer für die Men­schen­rech­te am Lebens­en­de begon­nen hat­te. Nach Atrotts Ver­ur­tei­lung stell­te die DGHS die Sui­zid­hil­fe sofort ein, ver­lor bald etwa zwei Drit­tel ihrer Mit­glie­der und trat nach dem Skan­dal nur noch sehr defen­siv auf.

Gita Neu­mann: Frei­tod­wil­li­ge, wel­che es sich leis­ten konn­ten, fuh­ren dann zur Hil­fe in die Schweiz. Und wie ging es wei­ter?

Wolf­gang Putz: 2005 grün­de­te die Schwei­zer Ster­be­hil­fe­or­ga­ni­sa­ti­on DIGNITAS in Han­no­ver einen deut­schen Able­ger, dem der pro­vo­kant auf­tre­ten­de Lud­wig Minel­li vor­stand. Spä­ter war es der ehe­ma­li­ge Ham­bur­ger Jus­tiz­se­na­tor Dr. Roger Kusch, der für sei­nen neu­en Ver­ein „Ster­be­hil­fe Deutsch­land“ (so der heu­ti­ge Name) mit öffent­lich­keits­wirk­sa­men, dabei mehr als unap­pe­tit­li­chen Auf­trit­ten scho­ckier­te – z. B. der Pres­se­kon­fe­renz in einer Senio­ren­ein­rich­tung mit Prä­sen­ta­ti­on eines Selbst­tö­tungs­au­to­ma­ten. Die­ses frag­wür­di­ge Geba­ren ein­zel­ner Sui­zid­hel­fer und Ver­bands­ver­tre­ter führ­te letzt­lich im Dezem­ber 2015 zum gesetz­li­chen „Ver­bot der geschäfts­mä­ßi­gen För­de­rung der Selbst­tö­tung“ durch § 217 Straf­ge­setz­buch. Danach war es erst ein­mal aus mit dem Grund­recht auf Bei­hil­fe zur Selbst­tö­tung. Ein Total­scha­den, pro­vo­ziert aus der Ecke derer, die doch nach Eigen­dar­stel­lung die­sen Grund­rech­ten zur prak­ti­schen Umset­zung ver­hel­fen wol­len – aller­dings in allen Fäl­len nur für die eige­nen Mit­glie­der.

Gita Neu­mann: Die­ses Ver­bot wur­de ja 2020 vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in einem Auf­se­hen erre­gen­den Urteil auf­ge­ho­ben und für von Anfang an nich­tig erklärt.

Wolf­gang Putz: Das war ein gro­ßer Erfolg der­je­ni­gen, die gegen den § 217 Straf­ge­setz­buch geklagt hat­ten, das heißt von Pati­en­ten, ihren Anwäl­ten und auch den bei­den oben genann­ten vor­her täti­gen Ster­be­hil­fe­ver­ei­nen. Weil mei­ne Kanz­lei zusätz­lich im Auf­trag von Ärz­ten mit deren Ver­fas­sungs­be­schwer­den erfolg­reich war, bekam das Urteil ein ganz beson­de­res Gewicht. Denn Ärz­te­or­ga­ni­sa­tio­nen hat­ten stets die unrich­ti­ge Behaup­tung auf­ge­stellt, Ärz­te wür­den kei­ne Sui­zid­hil­fe leis­ten. Vie­le Men­schen, die ihr Lei­den nicht mehr aus­hal­ten woll­ten oder konn­ten, atme­ten auf. Und sogleich waren die bei­den Ver­ei­ne umso stär­ker im Auf­wind. Dazu gesell­te sich schließ­lich auch die DGHS unter Füh­rung ihres spä­te­ren Vor­sit­zen­den Prof. Robert Roß­bruch. Sie mach­te aller­dings gel­tend, nach wie vor kei­ne Sui­zid­hil­fe zu leis­ten, son­dern die­se ledig­lich an mit ihr eng koope­rie­ren­de Zwei­er-Teams aus jeweils Arzt/Ärztin und Rechts­an­wal­t/-anwäl­tin zu ver­mit­teln. Den Sui­zid­wil­li­gen war das egal, der DGHS-Tarif von 4000 € dafür war im Ver­gleich zu den bei­den ande­ren „güns­tig“ und die Men­schen ström­ten wie­der und strö­men heu­te monat­lich tau­send­fach in die DGHS. Ihre Mit­glie­der­zahl stieg inner­halb von 3 Jah­ren von ca. 20.000 auf über 50.000 heu­te, was die füh­ren­den DGHS-Reprä­sen­tan­ten markt­schreie­risch für die unan­greif­ba­re Bedeu­tung ihres Erfolgs­mo­dells aus­ge­ben.

Gita Neu­mann: Hier wird doch ein enorm gro­ßes Inter­es­se bedient, ein­mal Hil­fe zu einem selbst­be­stimm­ten Lebens­en­de zu erhal­ten. Die Zahl der assis­tier­ten Sui­zi­de steigt seit Jah­ren an und ist doch gering, ver­gli­chen mit der Schweiz oder mit den Ster­be­hil­fe­zah­len in Hol­land. Es ist nicht nur ein Ange­bots-Markt, son­dern auch ein zuneh­men­der Bedarf vor allem der alt wer­den­den Bevöl­ke­rung vor­han­den. Inzwi­schen gibt es auch Sui­zid­as­sis­tenz etwa durch Linus-Ster­be­hil­fe GmbH, wo man nicht Mit­glied sein muss, oder Ein­zel­per­so­nen wie Bestat­ter, Ärz­te, Pfle­ger oder auch ehe­ma­li­ge und aus­ge­stie­ge­ne Mit­wir­ken­de von der DGHS.

Wolf­gang Putz: Die Ent­wick­lung hier­zu­lan­de zeigt inzwi­schen ihre bedenk­li­chen Schat­ten­sei­ten. Es gab wie erwähnt die Ankla­gen von zwei Staats­an­walt­schaf­ten gegen die Sui­zid­hel­fer Dr. Tur­ow­ski und Dr. Spitt­ler, letz­te­rer befin­det sich nach geschei­ter­ter Revi­si­on im Gefäng­nis. Sicher war es unter ande­rem deren Feh­ler, ganz allein in Eigen­re­gie gehan­delt zu haben. Aller­dings waren bei­de Ärz­te par­al­lel auch für Orga­ni­sa­tio­nen wie DIGNITAS und DGHS tätig. Und am Ende des Tages steht die DGHS selbst im Fokus. Als ihr Prä­si­di­ums­mit­glied und ihre Schatz­meis­te­rin war Ulla Bon­ne­koh laut SPIEGEL betei­ligt an der Sui­zid­hil­fe für Flo­ri­an Wil­let, die er nur knapp vier Wochen nach sei­ner Antrag­stel­lung dazu erhielt, und womit sich nun die Staats­an­walt­schaft Köln beschäf­tigt.

Gita Neu­mann: Das Vor­ge­hen der DGHS im Fall Wil­let mag viel­leicht ein fata­ler, aber ein­ma­li­ger Feh­ler sein. Wenn­gleich es nach inof­fi­zi­el­len Infor­ma­tio­nen immer der DGHS-Prä­si­dent Robert Roß­bruch sein soll, der eine Son­der­ge­neh­mi­gung zu ver­kürz­ten War­te- oder Prüf­fris­ten zu ertei­len hat.

Wolf­gang Putz: Wie dem auch sei, ich sehe es so: Nun ver­spielt im Lau­fe von Jahr­zehn­ten zum drit­ten Mal wie­der eine Sui­zid­hil­fe-Orga­ni­sa­ti­on, und zum zwei­ten Mal ist es die DGHS, das unbe­dingt nöti­ge Ver­trau­en in Inte­gri­tät und Sorg­sam­keit. Und das bei dem so emi­nent wich­ti­gen The­ma der qua­li­fi­zier­ten Hil­fe für Men­schen, die sich frei­ver­ant­wort­lich selbst töten wol­len. Wie­der dro­hen über­schie­ßen­de Reak­tio­nen des Gesetz­ge­bers. Erneut müss­te das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ange­ru­fen wer­den. Und wie­der wäre das eine – von man­cher Sei­te ja begrüß­te – sehr lang andau­ern­de Blo­cka­de von Sui­zid­hil­fe über­haupt.

Gita Neu­mann: Wie könn­te bzw. müss­te denn eine gesetz­li­che pro­ze­du­ra­le Rege­lung, zum Bei­spiel, wer in wel­chen Fäl­len im Vor­feld über die Frei­wil­lens­fä­hig­keit von Sui­zid­wil­li­gen zu bestim­men hät­te, aus­se­hen? 

Wolf­gang Putz: Zunächst: In dem Urteil von 2020 wur­de dem Gesetz­ge­ber nicht nahe­ge­legt oder gar der Auf­trag erteilt, eine sol­che Rege­lung zu tref­fen. Die­se könn­te – so das Gericht – „in Bezug auf das Phä­no­men orga­ni­sier­ter Sui­zid­hil­fe“ jedoch dann „bis zu Ver­bo­ten beson­ders gefahr­träch­ti­ger Erschei­nungs­for­men“ Gesetz wer­den, wenn sich bedenk­li­che Prak­ti­ken ent­wi­ckeln soll­ten. Und das ist nach mei­ner Mei­nung jetzt der Fall. Um kei­nen erneu­ten Total­scha­den für unse­re Grund­rech­te zu bewir­ken, braucht es natür­lich kein neu­es Straf­recht, aber Kon­trol­le mit ggf. Zulas­sungs­kri­te­ri­en der geschäfts­mä­ßi­gen und orga­ni­sier­ten Sui­zid­hil­fe. Eine ange­mes­se­ne Sui­zid­prä­ven­ti­on und der Schutz der vie­len vul­ner­ablen, das heißt auch leicht beein­fluss­ba­ren Men­schen, muss mit ein­be­zo­gen wer­den. Auch über obli­ga­to­ri­sche Auf­klä­rung und psy­cho­so­zia­le Bera­tung sowie situa­ti­ons­ab­hän­gi­ge War­te- und Bedenk­fris­ten könn­te nach­ge­dacht wer­den.

Gita Neu­mann: Zum Schluss gefragt, was ist dir beson­ders wich­tig zu ver­mit­teln?

Wolf­gang Putz: Von allen mög­li­chen Hür­den müs­sen unbe­dingt sui­zid­hil­fe­wil­li­ge Ärz­tin­nen und Ärz­te in einem z. B. pal­lia­tiv­me­di­zi­ni­schen oder haus­ärzt­li­chen Behand­lungs­ver­hält­nis aus­ge­nom­men wer­den. Denn sie ken­nen ihre Pati­en­ten gut ein­schließ­lich Pro­gno­se, Ein­wil­li­gungs­fä­hig­keit und Lebens­um­stän­de. Wenn Ärz­tin­nen und Ärz­te mit hoher ethi­scher Ver­ant­wor­tung, ein­ge­bun­den in den Rah­men des Stan­des- und Straf­rechts bereit sind, einem in ihrer Behand­lung befind­li­chen kran­ken Men­schen qua­li­fi­zier­te Sui­zid­hil­fe zu leis­ten, dann müs­sen sie dies ohne Angst vor Sank­tio­nen tun dür­fen und kön­nen. Denn ihre Tätig­keit ist das kras­se Gegen­teil von einer gefahr­träch­ti­gen Erschei­nungs­form der Sui­zid­hil­fe, wie sie im Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ange­spro­chen ist.

Gita Neu­mann: Wir haben uns also erneut in die par­la­men­ta­ri­sche Debat­te hin­ein­zu­ge­ben und dann zu hof­fen, dass sich eine Mehr­heit der Abge­ord­ne­ten im Bun­des­tag über­zeu­gen lässt und für eine Rege­lung ein­tritt, die Schutz­rech­te aus­ta­riert, dabei aber die erreich­te Auto­no­mie kei­nes­falls wie­der ein­schränkt. Die­se wäre viel­mehr im Rah­men einer rechts­si­che­ren Pra­xis zu för­dern. Lie­ber Wolf­gang, wir dan­ken Dir für die­ses sehr auf­schluss­rei­che Gespräch.


[1] SPIEGEL vom 10.10.2025, Sei­te 40–44, „Die Todes­ver­mitt­ler“,


Obwohl Sui­zid­prä­ven­ti­on in die­sem Gespräch kei­ne zen­tra­le Rol­le spielt, möch­ten wir an die­ser Stel­le auf den dies­seits-Bei­trag Was bedeu­tet huma­nis­ti­sche Sui­zid­prä­ven­ti­on? hin­wei­sen.

Inhalt teilen

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Meistgelesen

Nach oben scrollen