Rechtswissenschaftlerin Frauke Brosius-Gersdorf

Ein Angriff auf das Verfassungsverständnis – und auf das liberale Fundament unserer Demokratie

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Die Absetzung der Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf in der letzten Sitzung des Bundestages vor der Sommerpause ist für Katrin Raczynski mehr als nur ein politischer Vorgang. Sie ist ein Spiegel dafür, wie manipulationsanfällig die liberalen Grundlagen unseres demokratischen Zusammenlebens inzwischen geworden sind – und wie schnell selbst unabhängige Verfahren von orchestrierten Skandalisierungen überlagert werden können.

Die Rechts­wis­sen­schaft­le­rin Frau­ke Bro­si­us-Gers­dorf ist kei­ne radi­ka­le Außen­sei­te­rin. Sie steht für eine welt­of­fe­ne Per­spek­ti­ve, wie sie im Sin­ne des Grund­ge­set­zes selbst­ver­ständ­lich sein soll­te. Dass sie den­noch zum Spiel­ball poli­ti­scher Macht­in­ter­es­sen wur­de – unter Betei­li­gung von Akteur*innen, die sich offen gegen eine libe­ra­le Gesell­schaft rich­ten –, ist bedenk­lich.

Natür­lich ist es legi­tim, dass bei der Beru­fung ans höchs­te deut­sche Gericht auch welt­an­schau­li­che und ethi­sche Hal­tun­gen eine Rol­le spie­len. Wie wir auf bestehen­des Recht bli­cken, wel­che Fra­gen wir stel­len, wel­che Grund­rech­te wir in den Mit­tel­punkt rücken – all das ist nicht neu­tral. Es ist geprägt von der Hal­tung und dem Men­schen­bild der­je­ni­gen, die Recht spre­chen. Genau des­halb ist die Beset­zung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts kei­ne bloß tech­ni­sche Ent­schei­dung, son­dern ein poli­ti­scher Akt. Inso­fern stellt sich für mich auch die Fra­ge, ob die eige­ne Argu­men­ta­ti­on von Frau­ke Bro­si­us-Gers­dorf – etwa in ihrem Auf­tritt bei Mar­kus Lanz –, wonach es bei ihrer Nomi­nie­rung aus­schließ­lich um juris­ti­sche Qua­li­fi­ka­ti­on und die metho­di­sche Her­an­ge­hens­wei­se an das Recht gehe, nicht zum Bume­rang gewor­den ist. So nach­voll­zieh­bar und inte­ger die­ser Anspruch an Neu­tra­li­tät und Zurück­hal­tung im rich­ter­li­chen Amt auch ist: Er unter­schätzt mög­li­cher­wei­se die poli­ti­sche Rea­li­tät, in der eine sol­che Beru­fung längst auch als welt­an­schau­li­che Posi­ti­ons­be­stim­mung ver­stan­den wird – von Gegner*innen wie von Unterstützer*innen.

Was den Vor­gang beson­ders ärger­lich macht: was wir aktu­ell erle­ben, ist kei­ne fai­re demo­kra­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mehr. Es ist ein geziel­ter Ver­such, eine bestimm­te – näm­lich libe­ra­le, men­schen­rechts­ori­en­tier­te – Per­spek­ti­ve sys­te­ma­tisch aus der höchs­ten juris­ti­schen Instanz her­aus­zu­hal­ten. Und das unter Betei­li­gung von Kräf­ten, die sich nicht scheu­en, aus reli­giö­sen Über­zeu­gun­gen her­aus Ein­fluss zu neh­men und zur per­sön­li­chen Dis­kre­di­tie­rung bei­zu­tra­gen: Die medi­al wirk­sa­men Äuße­run­gen eines katho­li­schen Bischofs sind irri­tie­rend, als sei es sei­ne Auf­ga­be, mit mora­li­schem Zei­ge­fin­ger über Ver­fas­sungs­rich­te­rin­nen zu urtei­len. Viel schlim­mer jedoch: Die Büh­ne dafür wur­de ihm bereit­wil­lig gebo­ten. Dies ist kein Ver­se­hen. Es ist ein Sym­ptom.

Es zeigt, wie stark die tra­dier­ten und ein­sei­ti­gen Ver­flech­tun­gen zwi­schen Kir­che, Medi­en und Poli­tik noch immer sind – und wie die­se in ent­schei­den­den Momen­ten genutzt wer­den, um libe­ra­le Stim­men zu dis­kre­di­tie­ren. Die Tat­sa­che, dass eine qua­li­fi­zier­te Juris­tin am Wider­stand einer sprich­wört­lich unhei­li­gen Alli­anz aus kon­ser­va­ti­ven Mei­nungs­ma­chern, poli­ti­schen Strip­pen­zie­hern und reli­giö­sen Funk­tio­nä­ren schei­tert, soll­te uns alar­mie­ren.

Denn der eigent­li­che Skan­dal liegt nicht in der Per­son Bro­si­us-Gers­dorf, son­dern in der Angst vor ihrer Hal­tung. Es geht um die Ver­tei­di­gung einer offe­nen Gesell­schaft gegen jene, die die­se Offen­heit für gefähr­lich hal­ten. Und um die Fra­ge: Wer darf heu­te noch Richter*in in Karls­ru­he wer­den – und wer nicht?

Der Fall Bro­si­us-Gers­dorf mar­kiert einen Ver­lust. Nicht nur für eine enga­gier­te Juris­tin, son­dern für die Glaub­wür­dig­keit unse­res demo­kra­ti­schen Selbst­ver­ständ­nis­ses. Und er soll­te uns war­nen: Wenn selbst die poli­ti­sche Mit­te in Fra­ge gestellt wird, weil sie nicht mehr in ein zuneh­mend illi­be­ra­les Ras­ter passt – wer schützt dann mor­gen noch den Rechts­staat?

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1 Gedanke zu „Ein Angriff auf das Verfassungsverständnis – und auf das liberale Fundament unserer Demokratie“

  1. Genau So!

    Dan­ke­schön 🙏🏻 , sehr geehr­te Kat­rin Rac­zyn­ski, für Ihren sach­lich ein­ord­nen­den Kom­men­tar.

    Wie gelingt ‑heu­te- eine fai­re demo­kra­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung? Wie kön­nen wir (jeder Einzelne/ich) die­se stär­ken? Wie reagiert man auf Ver­let­zun­gen oder Ansät­ze von Mani­pu­la­tio­nen, ohne „eige­ne“ media­le Platt­form …?

    Dan­ke Ihnen sehr dafür! Jut:

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