Mensch sein

Muttersprache: Menschenliebe

| von
Die Hoffotografen

Beitragsbild: Rajesh Rajput/Unsplash

In der neuen Rubrik Mensch sein schreibt Christian Lisker monatlich über das ganze bunte Leben als Mensch unter Menschen in all seinen Facetten. Diesmal bricht er eine Lanze für humanistische Seelsorge und Lebensbegleitung und zeigt, warum weltliche Seelsorge ein Zukunftsmodell für unsere Zivilgesellschaft sein kann

Ein Kran­ken­haus, mit­ten in Eng­land. Der huma­nis­ti­sche Seel­sor­ger Bill begeg­net auf sei­nem Weg über die Sta­tio­nen einer Frau, die ihm mit­teilt, dass ihr Krebs zurück­ge­kehrt ist. Sie hat Trä­nen in den Augen, als sie ihm erzählt, wie erschöpft sie ist. Eine wei­te­re Che­mo­the­ra­pie, da ist sie sich sicher, könn­te sie nicht ertra­gen. Ihre Fami­lie aber sei wie ver­stei­nert von der Aus­sicht, sie zu ver­lie­ren. Sie fürch­tet: Wenn sie ihren Lie­ben ihren Wunsch mit­teilt, dann wer­den die­se sie anfle­hen, die Behand­lung unbe­dingt fort­zu­set­zen. Bill spricht behut­sam mit ihr über ihren Wunsch und wel­che Kraft es sie kos­ten wird, ihrer Fami­lie das zuzu­mu­ten. Doch am Ende ihres gemein­sa­men Gesprächs scheint sie fest ent­schlos­sen, kei­ner wei­te­ren Behand­lung zuzu­stim­men. Sie bedankt sich bei Bill, dass er ihr bei­gestan­den hat.

Was ein bri­ti­scher huma­nis­ti­scher Seel­sor­ger erleb­te, könn­te so oder so ähn­lich über­all pas­sie­ren. Auf jedem Kon­ti­nent. Und nicht nur im Kran­ken­haus. Das Her­zens­an­lie­gen: aus Men­schen­lie­be einem Men­schen in aku­ten Kri­sen­si­tua­tio­nen bei­ste­hen. Wenn völ­lig unklar ist, wie es wei­ter­ge­hen soll, da das Bekann­te nicht mehr trägt. Wenn plötz­lich alles infra­ge steht. In die­sem Moment ein Gegen­über sein. Gemein­sam nach Sinn suchen. Ver­ste­hen wol­len, lie­be­voll und gedul­dig. Mensch­li­che Wär­me geben, Mit­ge­fühl und Respekt. Da sein.

In Verletzlichkeit Verbundenheit und Sinn erfahren

Schlicht dadurch geben welt­li­che Seelsorger*innen oft enor­men Trost. Wenn sie aus­hal­ten, dass Trä­nen flie­ßen und Ver­zweif­lung sich Raum schafft. Wenn sie – sofern mög­lich und gewünscht – eine Umar­mung geben. Wenn sie das Leben eines Men­schen eine Zeit lang auf den eige­nen Schul­tern mit­tra­gen. Wenn sie zur Ruhe, zum Atem­ho­len, zum Erzäh­len und Phi­lo­so­phie­ren ein­la­den – und dazu bei­tra­gen, sich inmit­ten größ­ter Ver­letz­lich­keit wert­voll und ange­nom­men füh­len zu kön­nen. All das kann Sinn schaf­fen ange­sichts der Här­ten des Lebens. Ganz ohne reli­giö­se Bezü­ge.

Dabei grün­det huma­nis­ti­sche Lebens­be­glei­tung dar­auf, geleb­tes Leben nicht zu beur­tei­len oder zu ver­ur­tei­len. Seelsorger*innen erklä­ren hil­fe­su­chen­den Men­schen nicht deren Welt. Schon gar nicht sagen sie ihnen, wie sie ihre Pro­ble­me lösen sol­len, son­dern hel­fen ihnen, selbst­be­stimmt ihre eige­nen Erklä­run­gen und Lösun­gen zu fin­den – um so ein Stück des Weges mit­zu­ge­hen und im bes­ten Sin­ne des Wor­tes Lebensbegleiter*innen zu sein.

Humanistische Seelsorge: ein Zukunftsmodell

Davon braucht es viel mehr. Des­halb stre­ben wir Humanist*innen nach Gleich­be­hand­lung in einer hier­zu­lan­de nach wie vor kirch­lich domi­nier­ten Seel­sor­ge­land­schaft. Wir stre­cken die Füh­ler aus in öffent­li­che Berei­che insti­tu­tio­nel­ler Lebens­be­glei­tung. Humanist*innen wer­den auch in Gefäng­nis­sen, bei der Poli­zei, in der Not­fall­seel­sor­ge und in ande­ren Berei­chen des Lebens drin­gend gebraucht. In einer mit viel­fa­chen Kri­sen belas­te­ten Zeit wol­len wir mit Für­sor­ge und Mensch­lich­keit an so vie­len Orten wie mög­lich prä­sent sein, um huma­nis­ti­sche Lebens­be­glei­tung zu einem Zukunfts­mo­dell unse­rer Zivil­ge­sell­schaft zu machen – einer Gesell­schaft, in der Men­schen­lie­be als Mut­ter­spra­che des Huma­nis­mus erkannt wird.

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