140. Geburtstag von Walter Rieck

Gedenken an Walter Rieck: Lehrer, Antifaschist und Gerechter unter den Völkern

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Der Humanist Walter Rieck hat während der NS-Diktatur jüdische Mitbürger*innen versteckt – darunter auch die spätere Schriftstellerin Inge Deutschkron. Für seinen Mut wurde der Sozialdemokrat 1971 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Wir dokumentieren die Rede von Dr. Manuela Schmidt, Präsidentin des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg, anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 140. Geburtstag von Walter Rieck am 28. Oktober 2025.

Lie­be Freun­din­nen und Freun­de,
lie­be Gäs­te,

wir bege­hen heu­te den 140. Geburts­tag des Anti­fa­schis­ten Wal­ter Rieck. Und ich dan­ke Ihnen allen, dass Sie dazu erschie­nen sind.

Rieck und sein befreun­de­ter Leh­rer­kol­le­ge und spä­te­re Ober­bür­ger­meis­ter von Groß-Ber­lin, Otto Ost­row­ski, waren es, die der Jüdin Ella Deutsch­kron und ihrer Toch­ter Inge Deutsch­kron wäh­rend der NS-Dik­ta­tur durch ihren gro­ßen Mut das Leben ret­te­ten, indem sie Mut­ter und Toch­ter über zwei Jah­re unter der stän­di­gen Gefahr ent­deckt zu wer­den, in wech­seln­den Orten Ber­lins ver­steck­ten.

Ich möch­te mich als Prä­si­den­tin des Huma­nis­ti­schen Ver­ban­des Ber­lin-Bran­den­burg in mei­ner kur­zen Anspra­che vor allem auf den Aspekt des welt­li­chen Päd­ago­gen, Bil­dungs­po­li­ti­kers und Anti­fa­schis­ten Wal­ter Rieck kon­zen­trie­ren.

Der Volks­schul­leh­rer Rieck wur­de 1919 Mit­glied des Vor­stan­des der Arbeits­ge­mein­schaft sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Leh­rer. Es war die Zeit des Auf­bruchs und der Refor­men im preu­ßi­schen Schul­we­sen nach der Novem­ber­re­vo­lu­ti­on und der ers­ten demo­kra­ti­schen Ver­fas­sung Deutsch­lands. Ein wich­ti­ger Punkt war dabei die Gleich­stel­lung von kon­fes­si­ons­frei­en Schü­le­rin­nen und Schü­lern. In Ber­lin waren dies in der Wei­ma­rer Repu­blik immer­hin gut 10 Pro­zent der Schü­ler­schaft, in Arbei­ter­be­zir­ken wie Neu­kölln oder dem Wed­ding bis zu 25 Pro­zent, die sich vom Reli­gi­ons­un­ter­richt abge­mel­det hat­ten. Um die kom­pli­zier­te Geset­zes­la­ge zu umge­hen, wur­den ab 1920 die­se Kin­der und Jugend­li­chen in sog. „Sam­mel­schu­len“ zusam­men­ge­fasst, die im Volks­mund schnell als „welt­li­che Schu­len“ bekannt wur­den. Denn dort wur­de statt Reli­gi­on das neue Fach Lebens­kun­de gelehrt. Es war damit das Vor­gän­ger-Fach der heu­ti­gen Huma­nis­ti­schen Lebens­kun­de, für die mein Ver­band bekannt­lich der Trä­ger ist. Bis zum Ende der Wei­ma­rer Repu­blik gab es in Ber­lin ca. 50 die­ser welt­li­chen Schu­len.

Als kon­fes­si­ons­frei­er Reform­päd­ago­ge wur­de Rieck Mit­glied des „Bun­des frei­er Schul­ge­sell­schaf­ten“ und von 1923 bis 1933 war er Rek­tor der 208. Welt­li­chen Schu­le, der heu­ti­gen Wil­helm-Hauff-Schu­le in Ber­lin-Wed­ding. Zeit­wei­se war er auch ehren­amt­li­cher Stadt­ver­ord­ne­ter sowie Stadt­rat für Schu­le, Kunst und Volks­bil­dung. Schließ­lich wur­de der Mul­ti­funk­tio­när Rieck Vor­sit­zen­der aller welt­li­chen Schu­len Ber­lins.

1924 hei­ra­te­ten er und Jen­ny Cie­siel­ski (geb. Hen­nig) in Ber­lin. Zu die­ser Zeit wohn­ten sie in der Goten­bur­ger Stra­ße unweit sei­ner Schu­le im Wed­din­ger Gesund­brun­nen.

Nach­dem 1933 das berüch­tig­te „Gesetz zur Wie­der­her­stel­lung des Berufs­be­am­ten­tums“ in Kraft getre­ten war, wur­de er zunächst beur­laubt und spä­ter ent­las­sen. Natür­lich hat­te es auch schon zuvor in Deutsch­land ein Berufs­be­am­ten­tum gege­ben. Das Berufs­be­am­ten­tum-Gesetz der Nazis dien­te jedoch aus­schließ­lich dem Ziel, Men­schen jüdi­scher Her­kunft und poli­tisch uner­wünsch­te Per­so­nen aus dem Staats­dienst zu ent­fer­nen.

Rieck muss­te nun sein Geld unter ande­rem als Haus­ver­wal­ter und als Geschäfts­füh­rer eines Kinos ver­die­nen.

Wal­ter Rieck und sei­ne Ehe­frau Jen­ny waren ab 1933 mit der Fami­lie des Gym­na­si­al­leh­rers und eben­falls SPD-Mit­glie­des Mar­tin Deutsch­kron befreun­det, also dem Vater von Inge Deutsch­kron, eben­so mit dem bereits erwähn­ten Otto Ost­row­ski. Auch Mar­tin Deutsch­kron wur­de ent­las­sen. Alle­samt gehör­ten sie damit zur damals recht gro­ßen Grup­pe von sozia­lis­ti­schen, anti­fa­schis­ti­schen und zumeist welt­lich ori­en­tier­ten Reform­päd­ago­gin­nen und ‑päd­ago­gen in Ber­lin. Auch in der Fami­lie Deutsch­kron spiel­te Reli­gi­on wohl kaum eine gro­ße Rol­le. So erfuhr Inge erst im Jahr 1933, also mit elf Jah­ren, von ihrer Mut­ter, dass sie Jüdin sei. Her­vor­he­ben möch­te ich, dass Ost­row­ski spä­ter, von 1950 bis 1953 Vor­sit­zen­der des Deut­schen Frei­den­ker-Ver­ban­des war, also des Vor­läu­fers des heu­ti­gen Huma­nis­ti­schen Ver­ban­des.

1938 ver­half Ost­row­ski sei­nem Freund Mar­tin Deutsch­kron zu einem Visum für Groß­bri­tan­ni­en. Die Fami­lie soll­te spä­ter nach­kom­men. Aber mit dem Beginn des 2. Welt­krie­ges am 1. Sep­tem­ber 1939 war jede Flucht unmög­lich gewor­den. Von 1941 bis 1943 konn­te Inge Deutsch­kron in der bekann­ten Blin­den­werk­statt von Otto Weidt in Ber­lin-Mit­te arbei­ten. Weidt konn­te sie damit zumin­dest für die­sen Zeit­raum vor der siche­ren Depor­ta­ti­on bewah­ren. Die ein­zi­ge Mög­lich­keit, Mut­ter und Toch­ter in der Fol­ge­zeit vor dem Zugriff der Nazis zu schüt­zen, war es schließ­lich, sie per­ma­nent zu ver­ste­cken. So wur­den bei­de von Rieck, Ost­row­ski und ande­ren Anti­fa­schis­ten tat­säch­lich bis zur Befrei­ung im Mai 1945, also über 2 Jah­re lang, stän­dig von einem ille­ga­len Ver­steck in das ande­re gebracht und damit vor dem siche­ren Tod geret­tet – ein Mar­ty­ri­um, das wir uns heu­te gar nicht mehr vor­stel­len kön­nen. Meh­re­re der muti­gen Betei­lig­ten waren Mit­glie­der der links­so­zia­lis­ti­schen Wider­stands­grup­pe „Roter Stoß­trupp“. Wal­ter Rieck wur­de dabei mehr­fach von der Gesta­po vor­ge­la­den und der soge­nann­ten „Juden­be­güns­ti­gung“ bezich­tigt, aber zum Glück nie ver­ur­teilt. Die Beweis­la­ge der Nazis war zu dünn. Für sei­nen gro­ßen Mut wur­de er schließ­lich im Jahr 1971 in der Holo­caust-Gedenk­stät­te Yad Vas­hem mit dem höchs­ten jüdi­schen Titel als „Gerech­ter unter den Völ­kern“ geehrt.

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