Tagung der Humanistischen Akademie Deutschland

Humanistische Perspektiven zum deutschen Bauernkrieg und seiner 500-jährigen Rezeptionsgeschichte

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Foto: Evelin Frerk
v.l.n.r.: Dr. Holger Brehm, Dr. Viola Schubert-Lehnhardt, Dr. Friederike Habermann, Wolfgang Hees. Humanistisches Zentrum Stuttgart, 1. November 2025

Beitragsbild: Volker Kirsch

Zum 500. Jahrestag des Deutschen Bauernkriegs lud die Humanistische Akademie Deutschland am 1. November 2025 ins Humanistische Zentrum Stuttgart ein. Im Mittelpunkt des Thementags standen historische Hintergründe, gesellschaftliche Perspektiven und die Frage, wie sich Rebellion und Gerechtigkeit aus humanistischer Sicht deuten lassen.

Etwa 40 inter­es­sier­te Huma­nis­tin­nen und Huma­nis­ten tra­fen sich am 1. Novem­ber 2025 in Stutt­gart, um sich anläss­lich des 500-jäh­ri­gen Geden­kens an den Deut­schen Bau­ern­krieg über des­sen Ablauf und Hin­ter­grün­de zu infor­mie­ren, neue Deu­tungs­an­sät­ze ken­nen­zu­ler­nen und zu dis­ku­tie­ren, was heu­te einen huma­nis­ti­schen Blick aus­ma­chen könn­te und soll­te. Hier­zu gehör­te dann auch die Fra­ge, ob Bot­schaf­ten des zeit­ge­nös­si­schen Bil­dungs­hu­ma­nis­mus bei den Bau­ern „unten“ anka­men oder ob die Impul­se doch eher vom links­re­li­giö­sen Strang der Refor­ma­ti­on aus­gin­gen. 

Mor­gens ging es ins Bau­ern­kriegs­mu­se­um in Böb­lin­gen, wo im Mai 1525 eine der drei gro­ßen, für die Bau­ern trau­ma­tisch ver­nich­ten­den Ent­schei­dungs­schlach­ten tob­te. Die Muse­ums­lei­te­rin Lea Weg­ner gab eine kun­di­ge, aspekt­rei­che Ein­füh­rung in den Ablauf des Auf­stan­des und die Beson­der­hei­ten der schwä­bi­schen Kon­stel­la­ti­on, die mit der wider­sprüch­li­chen Rol­le von Her­zog Ulrich im Kon­text der Refor­ma­ti­on und der Reichs­po­li­tik zusam­men­hing.

Wei­ter ging es dann ins gast­li­che Huma­nis­ti­sche Zen­trum Stutt­gart. Nach einer freund­li­chen Begrü­ßung durch Dr. Hol­ger Brehm, Vor­stand der Huma­nis­ten BaWü und Vize­prä­si­dent der Huma­nis­ti­schen Aka­de­mie DEutsch­land (HAD) owie durch den Geschäfts­füh­rer der BaWü-Huma­nis­ten Andrée Ger­land prä­sen­tier­te Hei­ner Jes­tra­bek, ein frei­geis­ti­ges „Urge­stein“ aus Ost­schwa­ben, wei­te­re Details des Bau­ern­krie­ges im Süd­wes­ten. Beson­ders wich­tig war ihm die Inter­pre­ta­ti­on der Zwölf Mem­min­ger Arti­kel als Vor­läu­fer der huma­nis­ti­schen Men­schen­rech­te.

Es folg­te ein span­nen­der Vor­trag von Dr. Vio­la Schu­bert-Lehn­hardt, Vize­prä­si­den­tin der HAD, zum The­men­kom­plex „Frau­en im Bau­ern­krieg“. Auch wenn die Aktio­nen der Bau­ern haupt­säch­lich – der patri­ar­cha­li­schen Tra­di­ti­on fol­gend – Män­ner­sa­che waren, konn­ten sich ein­zel­ne Frau­en Frei­räu­me erobern. Sie muss­ten Haus und Hof ver­sor­gen, wäh­rend die Män­ner „im Fel­de“ waren, und wur­den als Kund­schaf­te­rin­nen ein­ge­setzt. Bei den Klos­ter­er­stür­mun­gen wirk­ten sie oft aktiv mit, denn die meist wohl­ge­nähr­ten männ­li­chen geist­li­chen Grund­her­ren gal­ten als beson­ders kor­rupt.

Anschlie­ßend lenk­te PD Dr. Richard Faber aus Ber­lin den Blick auf eini­ge Kunst­wer­ke aus der Zeit des Bau­ern­kriegs und auf ihre spä­te ange­mes­se­ne Wür­di­gung z. B. durch Carl Zuck­may­er, den Kunst­his­to­ri­ker Wil­helm Fraen­ger sowie durch Ernst Bloch in sei­nem Buch „Geist der Uto­pie“. Als berühm­te Bei­spie­le inter­pre­tier­te er den hoch expres­si­ven Her­ren­ber­ger Altar des spä­ter als Bau­ern­füh­rer bru­tal hin­ge­rich­te­ten Jerg Rat­geb sowie den bestür­zen­den, gewalt­kri­ti­schen Ent­wurf eines Bau­ern­kriegs­mahn­mals von Albrecht Dürer, der vom Rache­blut­bad der Fürs­ten scho­ckiert war. Erst in unse­rem Gedenk­jahr 2025 ist die­ser Ent­wurf in Mühl­hau­sen, der Wir­kungs­stät­te von Tho­mas Münt­zer, end­lich rea­li­siert wor­den!

Die Bei­trä­ge von Dr. Frie­de­ri­ke Haber­mann und Wolf­gang Hees kreis­ten dann um die bri­san­ten sozio­öko­no­mi­schen Fra­gen und Anknüp­fungs­punk­te der Bau­ern­pro­tes­te für die Gegen­wart und führ­ten zu einer leb­haf­ten Dis­kus­si­on. Haber­mann stell­te den Begriff der „Com­mons“ vor, der auf einer Aktua­li­sie­rung der „All­men­de“, des öko­lo­gisch ver­träg­li­chen Gemein­be­sit­zes des Dor­fes grün­det. Um 1500 habe es zwei gegen­läu­fi­ge wirt­schaft­li­che Bin­dungs­for­men gege­ben: die rück­schritt­li­che Leib­ei­gen­schaft sowie die fort­schritt­li­che Selbst­or­ga­ni­sa­ti­ons­form des Dor­fes als freie Markt­ge­nos­sen­schaft. Scharf kri­ti­sier­te sie den destruk­ti­ven Eigen­tums­be­griff des bür­ger­li­chen Phi­lo­so­phen und Demo­kra­tie­theo­re­ti­kers John Locke, der nicht zu einer sinn­vol­len gemein­wohl­ori­en­tier­ten Nut­zung ver­pflich­te und den Land­raub des Adels legi­ti­miert habe. Als aktu­el­les, ermu­ti­gen­des Anwen­dungs­bei­spiel nann­te sie die zapa­tis­ti­sche Revo­lu­ti­on in Mexi­ko.

Hees arbei­te­te dann im Ver­gleich mit der Bau­ern­kriegs­si­tua­ti­on die Pro­ble­me der aktu­el­len Land­wirt­schaft her­aus: Ent­ge­gen land­läu­fi­ger Annah­men stän­den die Bau­ern auch heu­te unter hohem öko­no­mi­schem und kul­tu­rel­lem Druck; das Höfester­ben gehe unge­bremst wei­ter; die Pro­tes­te 2024 gegen die Agrar­die­sel­steu­er hät­ten auch lang­fris­ti­ge struk­tu­rel­le Ursa­chen. Hier­zu zähl­te er ins­be­son­de­re eine ori­en­tie­rungs­lo­se Agrar- und Gesund­heits­po­li­tik sowie die Markt­macht des extrem kon­zen­trier­ten Lebens­mit­tel­han­dels. Ohne Wider­stand und Selbst­er­mäch­ti­gung wer­de eine sozia­le, bäu­er­li­che und öko­lo­gi­sche Land­wirt­schaft nicht mög­lich sein.

Nach einem Abend­im­biss ver­such­te dann Johan­nes Schwill, Prä­si­dent des HVD NRW, in der Abschluss­dis­kus­si­on die huma­nis­ti­schen Aspek­te zu bün­deln. Weit­ge­hend einig war man sich, dass es kaum direk­te Ver­bin­dun­gen des zeit­ge­nös­si­schen Bil­dungs­hu­ma­nis­mus zum Den­ken und Agie­ren der Bau­ern gab. Eine gro­ße Rol­le spiel­te die Idee der gött­li­chen Gerech­tig­keit, die – ver­mit­telt durch links­re­li­giö­se Impul­se ‑end­lich auch auf Erden gel­ten soll­te. Und die Bau­ern konn­ten zwar meis­tens nicht lesen und schrei­ben, aber sel­ber den­ken und hat­ten durch­aus ein „natür­li­ches“ Gerech­tig­keits­ge­fühl. Man könn­te das „intui­ti­ven Huma­nis­mus von unten“ nen­nen.

Brei­te Zustim­mung gab es zu der The­se, dass zu einem heu­ti­gen huma­nis­ti­schen Blick selbst­ver­ständ­lich sau­be­re Metho­dik und Quel­len­ar­beit (kein „Zurecht­bie­gen der Geschich­te“) gehö­ren, eben­so Mul­ti­per­spek­ti­vi­tät und Offen­heit für neue Sicht-wei­sen. Auch die The­se, dass Humanist*innen nicht im Trü­ben fischen soll­ten, son­dern bes­ser dort „gra­ben“ soll­ten, wo man ein eman­zi­pa­to­ri­sches Lern­po­ten­ti­al ver­mu­te, fand weit­ge­hen­de Zustim­mung. Offen blieb die Fra­ge von Johan­nes Schwill, ob man heu­te wie­der einen uni­ver­sa­lis­ti­schen roten Faden benö­ti­ge und damit ein Stück weit an den his­to­ri­schen Opti­mis­mus z. B. eines Johann Gott­fried Her­ders anknüp­fen könn­te, auch wenn des­sen Huma­nis­mus – noch – reli­gi­ös grun­diert war.

Nach der knap­pen, aber für die wei­te­re his­to­rio­gra­phi­sche huma­nis­ti­sche Arbeit in der Huma­nis­ti­schen Aka­de­mie und dar­über hin­aus not­wen­di­gen Theo­rie­de­bat­te ging es dann um ergän­zen­de Aspek­te zum Bau­ern­krieg sowie um die Skiz­zie­rung wei­te­rer loh­nen­der his­to­ri­scher The­men­fel­der. Genannt wur­den:

  • Ein ver­tief­ter Blick auf Tho­mas Münt­zer
  • Ver­hält­nis Huma­nis­mus – Reli­gi­on, ggf. mit dem Schwer­punkt 18. Jahr­hun­dert
  • Genea­lo­gie von Grund­wer­ten / Men­schen­rech­ten
  • USA 1776–2026: Demokratie/ Men­schen­rech­te – Ver­fas­sung und Rea­li­tät
  • D im Vor­märz – Heu­te, Schwer­punkt Nation/Entstehung der AfD
  • Kon­flikt­lö­sung über Staats­gren­zen hin­weg

In der Schluss­run­de gab es viel Lob für die Referent*innen und das Vor­be­rei­tungs­team. Gewünscht wur­de mehr Dis­kus­si­ons­raum, etwa durch ein Zwei-Tages-For­mat.

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