Im Januar 2024 begann eine bahnbrechende Zusammenarbeit zwischen europäischen humanistischen Organisationen. Neunzehn Organisationen einigten sich darauf, das European Humanist Services Network (EHSN) zu gründen. Es ist das erste Mal, dass sich so viele Organisationen bereit erklärt haben, bei der Entwicklung und Qualitätssicherung dessen zusammenzuarbeiten, was im Netzwerk als praktischer Humanismus oder humanistische Dienstleistungen bekannt ist. Zuvor gab es eine politische Zusammenarbeit in der Organisation European Humanist Federation (EHF), die aus verschiedenen Gründen vor einigen Jahren aufgelöst wurde. Darüber hinaus gibt es die European Humanist Professionals (EHP), ein Netzwerk für einzelne Zelebrant*innen, Tutor*innen, Lehrer*innen und andere, die ebenfalls mit praktischem Humanismus arbeiten. Im EHSN findet die Zusammenarbeit auf organisatorischer Ebene statt.
Praktischer Humanismus wird im Netzwerk als die Aufgaben definiert, die die humanistische Organisationen für die Gesellschaft, ihre Mitglieder und alle Menschen erfüllen, die den Wunsch oder Bedarf haben, diese Angebote zu nutzen. Derzeit sind dies humanistische Zeremonien, Seelsorge, Institutionen und Organisationen sowie humanistische Erziehung und Pädagogik. Nur die Vorstellungskraft und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit setzen die Grenzen dessen, was im Netzwerk möglich ist.
Die Vision des Netzwerks ist nicht weniger, als dass qualitativ hochwertige praktisch-humanistische Angebote in ganz Europa verfügbar sein sollen. In manchen Ländern ist der Weg dorthin weiter als in anderen. Die Stärke des Netzwerks besteht gerade darin, dass wir auf gute Erfahrungen, die irgendwo in Europa gemacht wurden, zurückgreifen und sie an alle anderen Organisationen weitergeben können. Gleichzeitig können alle Organisationen etwas voneinander lernen, unabhängig von ihrer Größe. Der Weg zu praktisch-humanistischen Angeboten in ganz Europa führt über starke nationale humanistische Organisationen, die Zusammenarbeit auf allen Ebenen in den Organisationen, die Mitglieder des Netzwerks sind, und eine daraus resultierende Erweiterung des Wissens über die praktisch-humanistischen Angebote.
Struktur des Netzwerks
Das European Humanist Services Network ist ein Netzwerk und keine eigentliche Organisation. Es funktioniert auf einer sogenannten Opt-in-Basis, was bedeutet, dass nicht alle Organisationen an allen Aktivitäten des Netzwerks beteiligt sein müssen, um Partner im Netzwerk zu sein. Bisher haben 20 Organisationen Partnerverträge mit dem Netzwerk unterzeichnet. Die Kriterien für die Aufnahme in das Netzwerk sind, dass die Organisation Vollmitglied von Humanists International ist sowie ein Interesse an der Mitarbeit an einem oder mehreren der aktuellen Projekte hat.
Das Netzwerk wird in drei jährlichen Treffen der CEOs der Partnerorganisationen verwaltet. Diese treffen sich zweimal online und einmal zu einem Präsenztreffen, das von einem der Partner organisiert wird. Bei diesen Treffen werden der Fortschritt der Projekte, die Visionen im Netzwerk sowie die Pläne für die zukünftige Zusammenarbeit besprochen. Der laufende Betrieb des Netzwerks wird von einem Netzwerkmanager übernommen. Dieser ist Mitglied der dänischen Organisation Humanistisk Samfund, wird jedoch von der norwegischen Humanistischen Vereinigung finanziert. Darüber hinaus sind alle Aktivitäten im Netzwerk auf Sachleistungen der Partnerorganisationen angewiesen, unter anderem in Form von Arbeitsstunden der Mitarbeitenden für die Teilnahme an Sitzungen oder für das Teilprojektmanagement, zur Verfügung gestellten Besprechungsräumen für Präsenztreffen oder Verpflegung während der Treffen. Als Partner des Netzwerks verpflichten sich die Organisationen, sich finanziell oder in Form von Sachleistungen an den Aktivitäten des Netzwerks zu beteiligen.
Das Netzwerk gliedert sich zudem in drei Arbeitsgruppen, die mit spezifischen Teilprojekten in den Bereichen Hochzeitszeremonien, Jugendarbeit und ‑bildung sowie humanistische Existenzhilfe arbeiten.
Die Teilprojekte des Netzwerks
Die drei Themenbereiche Hochzeitszeremonien, Jugendaktivitäten und ‑bildung sowie Humanist Existential Care wurden nach einer Umfrage unter den humanistischen Organisationen in Europa ausgewählt. Der Schwerpunkt lag dabei auf ihren Praktiken und deren Entwicklung in naher Zukunft. Die Studie wurde 2022 bis 2023 als Projekt von Humanists International durchgeführt. Später wurde jedoch beschlossen, dass das Netzwerk organisatorisch unabhängig sein sollte. 21 Organisationen nahmen an der Machbarkeitsstudie teil, die ein einhelliges Interesse an einer besser koordinierten Zusammenarbeit im Bereich des praktischen Humanismus zeigte. Darüber hinaus hat sich – wenig überraschend – gezeigt, dass es zwischen den verschiedenen europäischen Organisationen große Unterschiede hinsichtlich Größe und den Aktivitäten gibt. Die Zusammenarbeit sollte in der Lage sein, Organisationen aufzunehmen, die von der weltweit größten humanistischen Organisation in Norwegen, die über 170.000 Mitglieder zählt, über die vier anderen großen Organisationen in Großbritannien, Belgien, Deutschland und den Niederlanden bis hin zu kleinen und neu gegründeten Organisationen wie in Ungarn reichen. Um erfolgreich zu sein, wurde beschlossen, drei Kooperationsprojekte im Netzwerk zu starten, die auf drei verschiedenen Prinzipien basieren: Erstens etwas, das nur wenige Organisationen wirklich gut machen und in dem andere gerne besser werden würden – Humanist Existential Care. Zweitens etwas, mit dem praktisch alle Organisationen arbeiten, in dem aber alle gerne besser werden würden – Jugendaktivitäten und ‑bildung. Und drittens etwas, das praktisch alle Organisationen gut können, das wir gemeinsam entwickeln können – Zeremonien.
Alle drei Teilprojektgruppen treffen sich einmal im Jahr in Präsenz zu einem Arbeitsseminar, bei dem sie neben der Begegnung mit Humanist*innen aus anderen europäischen Organisationen, die im gleichen Bereich wie sie selbst tätig sind, neue Ideen entwickeln und die Ideen, an denen bereits gearbeitet wird, verfeinern.
Humanist Existential Care
Chaplaincy, pastoral care, spiritual care, zeelsorge, geestelijke verzorging, livsveiledning, moral guidance sind nur einige der Begriffe, die in den verschiedenen Partnerorganisationen für Humanist Existential Care verwendet werden. Im Netzwerk haben wir uns auf den Begriff der Humanist Existential Care geeinigt, da er die Praxis der meisten Organisationen abdeckt.
Humanist Existential Care wird in der Regel in Krankenhäusern, beim Militär, in Gefängnissen oder in Bildungseinrichtungen angeboten. Die Mitarbeitenden sind oft Kolleg*innen von Berater*innen aus anderen Weltanschauungen oder Glaubensrichtungen. Die professionelle Humanist Existential Care ist in den Niederlanden und in Belgien gut etabliert, während sie in Norwegen, England und Deutschland auf einem guten Weg ist. Es gibt eine Reihe von Angeboten, die auf Freiwilligenarbeit in verschiedenen Organisationen basieren. Die Vision dieses Projekts ist jedoch eine Professionalisierung dieser Funktion auf europäischer Ebene. Das Fehlen einer gleichberechtigten Humanist Existential Care ist ein offensichtliches Beispiel für die Diskriminierung nichtreligiöser Weltanschauungen in vielen europäischen Ländern. Das Projekt arbeitet daher daran, sowohl Humanist Existential Care als gesamteuropäisches Feld zu etablieren, als auch die humanistische Perspektive in die bereits bestehende gemeinsame Diskussion über interreligiöse Existential Care zu integrieren.
In erster Linie arbeiten wir daran, ein europäisches Netzwerk aufzubauen, an dem sowohl humanistische Organisationen als auch die Bildungseinrichtungen beteiligt sind, die Humanist Existential Care ausbilden. Letzteres betrifft die Universität für Humanistik in Utrecht, die Vrije Universiteit in Brüssel und die Universität Middlesex in London. Im nächsten Schritt werden wir konkret daran arbeiten, einen gemeinsamen europäischen Standard für Humanist Existential Care zu entwickeln und eine wissenschaftliche Fachzeitschrift zu gründen. Im Herbst 2025, genauer gesagt am 27. bis 31. Oktober, wird das Netzwerk gemeinsam mit der Humanistischen Hochschule Berlin den ersten intereuropäischen Seminar in Humanist Existential Care veranstalten.
An diesem Teilprojekt beteiligen sich neben den Bildungseinrichtungen auch Vertreter*innen der großen humanistischen Organisationen in Norwegen, Deutschland (Humanistischer Verband Deutschlands), den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich und Belgien.

Humanistische Seelsorge in Norwegen.
Foto: Human-Etisk Forbund
Bildung und Aktivitäten für Jugendliche
Dieses Teilprojekt, das sich mit dem befasst, worin jeder besser werden möchte, hat die Vision, die Zusammenarbeit zwischen Fachleuten zu erleichtern, die auf die eine oder andere Weise an der Entwicklung der Bildung junger Menschen arbeiten. Eine Gruppe von Vertreter*innen der Partnerorganisationen, die alle in ihrer täglichen Arbeit in das Engagement der Jugend eingebunden sind, hat sich mit diesem Thema beschäftigt und im Teilprojekt drei Tracks entwickelt:
Ein Track, der sich allgemein mit der Stärkung des Engagements der Jugend in den humanistischen Bewegungen befasst. Daran nehmen Vertreter*innen der Jugendabteilungen oder Kooperationspartner in den Partnerorganisationen, die eine solche Gruppe haben, teil. In den Jahren 2024 und 2025 fanden eine Reihe von Online-Seminaren statt, in denen Erfahrungen ausgetauscht wurden. Außerdem wird an einem gemeinsamen Jugendcamp im Sommer 2026 gearbeitet.
Ein Track, der sich mit dem Unterrichten junger Menschen beschäftigt, insbesondere im Zusammenhang mit Coming-of-Age-Zeremonien. In Nordeuropa gibt es eine besondere Tradition, verschiedene Varianten der Jugendfeier abzuhalten, vor allem in Island, Norwegen, Dänemark, Schweden, Deutschland und Belgien. Das Netzwerk hat eine Zusammenarbeit zwischen denjenigen aufgebaut, die mit dem Unterrichten und Durchführen dieser Art von Zeremonien arbeiten, bei der neben Online-Treffen ein jährliches Seminar und ein Austauschprogramm eingerichtet wurden, bei dem ein direkter Einblick in die Praxis anderer Organisationen möglich ist.
Ein weiterer Track zielt auf die Zusammenarbeit und den Austausch über die Bildung von Kindern in der Grundschule ab, für die es vor allem in Belgien, England und Deutschland eine ausgedehnte Praxis gibt.
Vertreter*innen aus Island, Norwegen, dem Vereinigten Königreich, Rumänien, Malta, Ungarn, Deutschland, Irland, Belgien, Litauen und Dänemark nehmen an diesem Teilprojekt teil.
Hochzeitszeremonien
Das dritte Teilprojekt basiert auf einigen der Dinge, die die überwiegende Mehrheit der Organisationen sowohl praktiziert als auch gut beherrscht. In ganz Europa gibt es eine relativ lange, gut etablierte Tradition humanistischer Hochzeitszeremonien. Das macht es naheliegend, unsere gemeinsame Stärke als europäische humanistische Bewegung durch eine gemeinsame Praxis zu zeigen. Die Vision ist, dass humanistische Trauungen in ganz Europa zugänglich werden. Im Teilprojekt haben wir darauf hingearbeitet, indem wir einen gemeinsamen Hochzeitsstandard und ein gemeinsames europäisches Hochzeitsportal geschaffen haben.
Der gemeinsame Standard besteht aus einer Reihe von Anforderungen, die erfüllt sein müssen, um akkreditiert zu werden. Die Anforderungen wurden in Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern der Arbeitsgruppe im Teilprojekt entwickelt und beinhalten die Anforderung, dass die Zeremonie für alle Erwachsenen offen sein muss, die sich zur Teilnahme bereit erklären, in Zusammenarbeit mit dem Paar, das getraut werden soll, erstellt werden muss und von einer humanistischen Zeremonienleitung im Einklang mit der in der Amsterdamer Erklärung definierten humanistischen Philosophie durchgeführt werden muss. Darüber hinaus wurden eine Reihe von Empfehlungen konkretisiert. 18 von 20 Partnerorganisationen haben sich dem Hochzeitsstandard angeschlossen. An die Norm ist ein Akkreditierungsprogramm geknüpft, das unter anderem Anforderungen an die Qualität der Ausbildung von Zeremonienleitern enthält. Derzeit wird daran gearbeitet, mit der Akkreditierung aller Partnerorganisationen zu beginnen, die den Standard unterzeichnet haben.
Das gemeinsame europäische Hochzeitsportal enthält Informationen über Trauungen in Partnerorganisationen und Informationen darüber, welche rechtlichen Anforderungen an eine humanistische Trauung in den verschiedenen europäischen Ländern bestehen. 15 der 20 Partnerorganisationen haben sich an dieser Arbeit beteiligt.

Bildunterschrift: Humanistische Hochzeit in Dänemark. Foto: privat