Mensch sein

Ein Staubkorb als Heimat. Die Geburt des „Pale Blue Dot“

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Die Hoffotografen

Beitragsbild: NASA / JLP-Caltech | Public Domain Mark 1.0

In der neuen Rubrik „Mensch sein“ schreibt Christian Lisker monatlich über das ganze bunte Leben als Mensch unter Menschen in all seinen Facetten. Diesmal geht es um einen Blick auf uns selbst aus über 6 Milliarden Kilometern und warum ein kleiner blasser Punkt uns helfen kann, bewusster zu leben.

Im Spät­herbst der 70er Jah­re, inmit­ten des Kal­ten Krie­ges und dem auf­kei­men­den Umwelt­be­wusst­sein einer unru­hi­gen Mensch­heit, star­te­te ein tech­ni­sches Wun­der­werk in die Dun­kel­heit. Zwei Raum­son­den, Voy­a­ger 1 und Voy­a­ger 2, ver­lie­ßen im Auf­trag der NASA die Erde. Ihr Ziel: die äuße­ren Pla­ne­ten unse­res Son­nen­sys­tems. Doch für einen Mann war das nur der Anfang.

Carl Sagan, bril­lan­ter Astro­phy­si­ker, popu­lä­rer Wis­sen­schafts­ver­mitt­ler und phi­lo­so­phi­scher Den­ker, sah in den Voy­a­gers mehr als blo­ße Maschi­nen. Für ihn waren sie Aus­druck einer neu­gie­ri­gen Spe­zi­es, die ihre Gren­zen erkun­de­te. Sagan war schon früh in das Pro­jekt ein­ge­bun­den. Er lei­te­te das Team, das die berühm­te „Gol­den Record“ gestal­te­te, eine gol­de­ne Schall­plat­te mit Musik, Bil­dern und Bot­schaf­ten von der Erde, gedacht für etwa­ige außer­ir­di­sche Fin­der. Doch es war ein ganz beson­de­res Bild, das ihm nicht mehr aus dem Kopf ging – ein Bild, das Voy­a­ger noch nicht gemacht hat­te.

Ein Vorschlag, der warten musste

Schon 1981, nach­dem Voy­a­ger 1 ihre Vor­bei­flü­ge an Jupi­ter und Saturn erfolg­reich absol­viert hat­te, schlug Sagan vor, die Son­de sol­le sich ein letz­tes Mal umdre­hen – und zur Erde zurück­bli­cken. Ein Blick von außen auf unse­ren Pla­ne­ten, mein­te er damals, wäre ein tief­grei­fen­der Moment der Refle­xi­on für die gan­ze Mensch­heit. Der Vor­schlag war gewagt. Die Tech­ni­ker der NASA hiel­ten dage­gen: die Kame­ras sei­en emp­find­lich, das Son­nen­licht kön­ne sie beim Ver­such, die hel­le Erde zu foto­gra­fie­ren, irrepa­ra­bel beschä­di­gen. Zudem hat­te Voy­a­ger ihre wis­sen­schaft­li­che Mis­si­on längst erfüllt – ein sen­ti­men­ta­les Bild schien den Auf­wand nicht wert.

Doch Carl Sagan war kein Tech­ni­ker. Er war ein wis­sen­schaft­li­cher Geschich­ten­er­zäh­ler. Und für ihn war die­ses Bild ein Kapi­tel, das nicht feh­len durf­te. Immer wie­der brach­te er den Vor­schlag auf. In Kon­fe­ren­zen. In öffent­li­chen Vor­trä­gen. In Gesprä­chen mit NASA-Offi­zi­el­len. Ihn trieb die Fra­ge um: Wie kann eine Zivi­li­sa­ti­on sich selbst ver­ste­hen, wenn sie sich nie von außen gese­hen hat?

Jah­re ver­gin­gen. Die Son­den ent­fern­ten sich wei­ter von der Son­ne, lie­fer­ten kon­ti­nu­ier­lich Daten aus den Tie­fen des Alls. Und schließ­lich, im Jahr 1989 – als Voy­a­ger 1 schon fast 6,4 Mil­li­ar­den Kilo­me­ter von der Erde ent­fernt war – gaben die NASA-Ver­ant­wort­li­chen dem Drän­gen Sagans nach. Die Son­de dreh­te sich um – und schau­te zurück zu jenem fer­nen Ort, von dem aus sie auf­ge­bro­chen war.

Ein Porträt der Menschheit entsteht

Am Valen­tins­tag, dem 14. Febru­ar 1990, über­trug Voy­a­ger 1 ihre letz­ten Bil­der zur Erde. Und auf einem die­ser Bil­der war sie zu erken­nen: ein win­zi­ger, blass­blau­er Punkt – etwa 0,12 Pixel groß. Die Erde. Ein­ge­bet­tet in das Streu­licht der Son­ne, das durch die Lin­se der Kame­ra lief. Unse­re Erde mit­ten einem Son­nen­strahl.

Carl Sagan war tief bewegt. Für ihn war die­ses Bild nicht nur das letz­te von Voy­a­ger – es war ein Por­trät der Mensch­heit. Die Erde: zu klein, um dar­auf Gren­zen zu erken­nen. Zu win­zig, um Krie­ge, Hel­den oder Ideo­lo­gien sicht­bar zu machen. Und doch die ein­zi­ge Hei­mat, die wir je hat­ten.

Vier Jah­re spä­ter ver­öf­fent­lich­te Sagan sein Buch „Pale Blue Dot: A Visi­on of the Human Future in Space“. Dar­in beschrieb er nicht nur die Geschich­te des Bil­des, son­dern auch sei­ne tie­fe­re Bedeu­tung. In einer berühm­ten Pas­sa­ge schrieb er:

„Sehen Sie noch ein­mal die­sen Punkt. Das ist hier. Das ist unse­re Hei­mat. Das sind wir. Auf ihm leb­ten alle, die Sie lie­ben, die Sie ken­nen, von denen Sie je gehört haben, jeder Mensch, der je exis­tiert hat. \[…] Jede Mut­ter und jeder Vater, jedes Kind vol­ler Hoff­nung, jeder Ent­de­cker, jeder Held, jeder ‚gro­ße Füh­rer’, jeder Sün­der und jeder Hei­li­ge in der Geschich­te unse­rer Art hat dort gelebt – auf einem Staub­korn im Son­nen­strahl. Unse­re Hal­tung, unse­re ein­ge­bil­de­te Selbst­über­schät­zung, die Illu­si­on, eine pri­vi­le­gier­te Posi­ti­on im Uni­ver­sum zu haben – sie wird her­aus­ge­for­dert durch die­sen blas­sen Licht­punkt.“

Sagans Wor­te ver­lie­hen dem Bild sei­ne Strahl­kraft. Es war nicht nur ein tech­ni­sches Meis­ter­stück, son­dern ein Auf­ruf zur Demut, zur pla­ne­ta­ren Ver­ant­wor­tung, zur fried­li­chen Koexis­tenz.

„Pale Blue Dot“ zeigt: Wir haben nur die­sen einen Pla­ne­ten. Und nur ein­an­der. Die Bedeu­tung des Bil­des liegt in dem, was es in uns aus­löst: eine Ahnung von der einen Mensch­heit, die zusam­men­ge­hört. Eine Ahnung von unse­rer Rol­le als gemein­sa­me Hüter die­ser klei­nen, blau­en Hei­mat im wei­ten Dun­kel.

Eine Ahnung davon, wer wir als Men­schen sein könn­ten.

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