125. Todestag von Wilhelm Liebkecht

Wilhelm Liebknecht – Ein Freidenker

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Foto: Humanistischer Verband Deutschlands
Zentralfriedhof Friedrichsfelde, Berlin-Lichtenberg. Gedenkstätte der Sozialisten, Grab von Wilhelm Liebknecht

Beitragsbild: A. Savin / Wikimedia Commons

Vorbild und ständiger Ansporn zur Gestaltung einer modernen humanen Gesellschaft: Wilhelm Liebknecht verband sein Engagement für soziale Gerechtigkeit mit einem klaren Eintreten für Wissenschaft und Vernunft. Seine Haltung war geprägt von einem humanistischen Weltbild, das auf Aufklärung und Rationalität beruhte. Wir dokumentieren die Rede von Manfred Isemeyer aus Anlass des 125. Todestages Liebknechts am 7. August 2025 auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde.

Lie­be Freun­din­nen, lie­be Freun­de,

Wil­helm Lieb­knecht war unbe­strit­ten eine bedeu­ten­de Per­sön­lich­keit in der deut­schen Arbei­ter­be­we­gung und ein enga­gier­ter Ver­fech­ter von Frei­heit, Gleich­heit und sozia­ler Gerech­tig­keit. Inter­es­sant ist im Wir­ken Lieb­knechts auch sei­ne Hal­tung zu Reli­gi­on, reli­giö­sen Fra­gen und zur Kir­che. War Lieb­knecht neben sei­nem poli­ti­schen und publi­zis­ti­schen Enga­ge­ment auch ein über­zeug­ter Frei­den­ker, ein Athe­ist? Der Begriff „Frei­den­ker“ beschreibt Men­schen, die sich für eine ratio­na­le, wis­sen­schaft­lich fun­dier­te Welt­an­schau­ung ein­setz­ten und sich gegen dog­ma­ti­sche, reli­giö­se und auto­ri­tä­re Struk­tu­ren stel­len.

Glaubt man dem Wiki­pe­dia-Ein­trag, so gehör­te Wil­helm Lieb­knecht zusam­men mit Lud­wig Büch­ner, mit dem er seit sei­ner Stu­den­ten­zeit befreun­det war, 1881 in Frankfurt/M. zu den Grün­dungs­mit­glie­dern des Deut­schen Frei­den­ker­bun­des, der sich „im Unter­schied zur frei­re­li­giö­sen Bewe­gung deut­lich zum Athe­is­mus bekann­te.“ Lieb­knecht sei, so Wiki­pe­dia, ein Anhän­ger der deut­schen Frei­den­ker­be­we­gung gewe­sen.

Tat­säch­lich aber spricht nichts für die Betei­li­gung Lieb­knechts an der Grün­dung des Frei­den­ker­bun­des. Die­se Ver­ei­ni­gung reprä­sen­tier­te bei ihrer Grün­dung eine Alli­anz von Ein­zel­per­so­nen aus dem Bil­dungs- und Besitz­bür­ger­tum. Ver­tre­ter der Arbei­ter­be­we­gung waren nicht zuge­gen. Auch in der zeit­ge­nös­si­schen sozi­al­de­mo­kra­ti­schen und frei­den­ke­ri­schen Pres­se wird Lieb­knecht im Zusam­men­hang mit der Grün­dung nicht erwähnt. Im Gegen­teil: Was er von den Frei­re­li­giö­sen und Frei­den­kern hielt, for­mu­lier­te Lieb­knecht auf dem SPD-Par­tei­tag 1890 in Hal­le so: „Wer macht denn – man ver­zei­he mir den geschäft­li­chen Aus­druck – in reli­giö­ser Frei­heit oder Frei­re­li­gio­si­tät? Ich ver­fol­ge das Tun die­ser Klas­se von Men­schen seit vor 1848. Damals war in mei­ner enge­ren Hei­mat, in Offen­bach, ein Haupt­nest die­ser Frei­re­li­gio­si­tät, der frei­ge­meind­li­chen Bewe­gung. Nun, und was sind die­se Frei­den­ker gewor­den? Wel­che Rol­le haben sie in der Revo­lu­ti­on von 1848 gespielt? Es waren fast alles jäm­mer­li­che Spieß­bür­ger.“ War Wil­helm Lieb­knecht also kein Frei­den­ker?

Die Ant­wort auf die­se Fra­ge gab Lieb­knecht im fort­ge­schrit­te­nen Alter in sei­nen Erin­ne­run­gen selbst: „In Bezug auf die Reli­gi­on hat­te ich in mei­nem Innern früh rei­nen Tisch gemacht.“ Evan­ge­lisch getauft, nähr­te der ortho­do­xe Reli­gi­ons­un­ter­richt des Gym­na­si­ums die Ableh­nung der obrig­keits­treu­en Kir­che und damit ver­bun­de­nen Aus­le­gung des Glau­bens. Sein Stu­di­um der Theo­lo­gie mach­te ihn mit dem dama­li­gen Best­sel­ler „Das Leben Jesu“ von David Fried­rich Strauß ver­traut, der jeg­li­che Form des Über­na­tür­li­chen ablehn­te und in Jesus einen his­to­ri­schen Men­schen ansah. Die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Chris­ten­tum und sein gestei­ger­tes Inter­es­se an phi­lo­so­phi­schen Fra­gen bewog Wil­helm Lieb­knecht, sich 1846 in der phi­lo­so­phi­schen Fakul­tät in Ber­lin zu imma­tri­ku­lie­ren. Die Haupt­stadt Preu­ßens war in die­ser Zeit das Zen­trum der Jung­he­ge­lia­ner, einer Strö­mung, die u.a. eine radi­ka­le Reli­gi­ons­kri­tik ent­wi­ckel­te. Die Ber­li­ner Stu­di­en­zeit, so Lieb­knecht, sei für ihn eine „Gäh­rungs­zeit“ gewe­sen. Aber erst die Schrif­ten der uto­pi­schen Sozia­lis­ten Saint-Simon und Owen brach­ten ihn, wie Lieb­knecht 1898 rück­bli­ckend schrieb, „sehr bald aus dem Him­mel der Theo­lo­gie und Phi­lo­so­phie auf den har­ten Boden der Erde und der Wirk­lich­keit.“ Für Lieb­knecht stand fort­an die prak­ti­sche Poli­tik zur Durch­set­zung einer sozia­lis­ti­schen Gesell­schaft im Vor­der­grund.

Seit Anfang der 1870er Jah­re war eine deut­li­che Abgren­zung der Sozia­lis­ten, ins­be­son­de­re von den Frei­re­li­giö­sen erkenn­bar. Auf dem Ver­ei­ni­gungs­par­tei­tag 1875 in Gotha for­mu­lier­ten die Sozia­lis­ten ihre distan­zier­te Stel­lung­nah­me zu reli­giö­sen Fra­gen. Auf Betrei­ben Lieb­knechts wur­de hier die For­mel „Erklä­rung der Reli­gi­on zur Pri­vat­sa­che“ ins Pro­gramm auf­ge­nom­men. An die­ser Posi­ti­on ent­zün­de­te sich bis zum Ers­ten Welt­krieg immer wie­der die Kri­tik der Frei­re­li­giö­sen und Frei­den­ker, die der Sozi­al­de­mo­kra­tie Indif­fe­renz in welt­an­schau­li­che Fra­gen vor­war­fen. Der Erlass des Sozia­lis­ten­ge­set­zes 1878 brach­te aller­dings eine gewis­se Wen­de in die Bezie­hun­gen zwi­schen der unter staat­li­chen Druck ste­hen­den Par­tei­or­ga­ni­sa­ti­on und den frei­geis­ti­gen Gemein­schaf­ten. Über­all tra­ten nun Sozi­al­de­mo­kra­ten den Ver­bän­den und Gemein­den bei. Der Par­tei­tag in Hal­le 1890 bemüh­te sich dann erneut um eine Klä­rung des Ver­hält­nis­ses zur frei­geis­ti­gen Bewe­gung. Wie schon 1875 in Gotha war es wie­der­um Wil­helm Lieb­knecht, der in einem Vor­trag die reli­giö­sen Grund­satz­fra­gen behan­del­te. Nach einer aus­führ­li­chen Debat­te folg­te der Par­tei­tag der Emp­feh­lung Lieb­knechts, an dem Grund­satz „Erklä­rung der Reli­gi­on zur Pri­vat­sa­che“ fest­zu­hal­ten. Im Lager des bür­ger­li­chen Frei­den­ker­tums wer­te­te man den Beschluss des Par­tei­ta­ges als end­gül­ti­ge Absa­ge der Arbei­ter­be­we­gung an das Frei­den­ker­tum ins­ge­samt. Ent­schie­den wei­ter gin­gen dann die For­de­run­gen der SPD im Erfur­ter Pro­gramm von 1890, auf das Lieb­knecht ent­schei­den­den Ein­fluss genom­men hat­te. In Punkt 6 des Pro­gramms hieß es nun­mehr: „Abschaf­fung aller Auf­wen­dun­gen aus öffent­li­chen Mit­teln zu kirch­li­chen und reli­giö­sen Zwe­cken. Die kirch­li­chen und reli­giö­sen Gemein­schaf­ten sind als pri­va­te Ver­ei­ni­gun­gen zu betrach­ten, wel­che ihre Ange­le­gen­hei­ten voll­kom­men selb­stän­dig ord­nen.“ Und in Punkt 7 wur­de die „Welt­lich­keit der Schu­le“ gefor­dert.

Bereits 1872 hat­te Lieb­knecht auf dem Stif­tungs­fest des Dresd­ner Bil­dungs-Ver­eins auf den prä­gen­den Ein­fluss der Kir­chen auf die Schul­bil­dung hin­ge­wie­sen. „Die Geschich­te des Pfaf­fenth­ums aller Natio­nen und aller Kon­fes­sio­nen ist ein unun­ter­bro­che­ner Kampf gegen den auf­stre­ben­den mensch­li­chen Geist, eine unun­ter­bro­che­ne Rei­he von Atten­ta­ten gegen Ver­nunft und Huma­ni­tät“, so Wil­helm Lieb­knecht. Und wei­ter for­mu­lier­te er: „Ernst­haft gefähr­lich ist die Kir­che nur in der Schu­le, die sie als gehor­sa­me Die­ne­rin des Staats, für des­sen Zwe­cke zurich­tet.“ Die Sozi­al­de­mo­kra­tie bezeich­ne­te er als „Par­tei der Wis­sen­schaft“ und beton­te die Not­wen­dig­keit einer umfas­sen­den Volks­bil­dung. Die dür­fe kei­nen Kir­chen­kampf füh­ren, habe aber für „gute Schu­len“ zu sor­gen. Das sei „das bes­te Mit­tel gegen die Reli­gi­on.“ Zwei Jah­re spä­ter for­der­te Lieb­knecht eine sozia­lis­ti­sche Lite­ra­tur und ein beleh­ren­des Geschich­ten­buch für Kin­der. „Kurz“, so Lieb­knecht „eine wirk­li­che Welt­ge­schich­te ist die Enzy­klo­pä­die allen Wis­sens, die uner­bitt­li­che Zer­stö­re­rin alles reli­giö­sen und poli­ti­schen Umbugs und After­wis­sen­schaft.“ Als „die ers­te Wochen­schrift für Jugend­li­che des Pro­le­ta­ri­ats“ 1880 erschien, gehör­te Lieb­knecht zu den Autoren.

1874 trat Lieb­knecht aus der evan­ge­li­schen Kir­che aus.  Als 1878 eine gro­ße Anzahl Ber­li­ner Arbei­ter der Auf­for­de­rung des Sozi­al­de­mo­kra­ten Johann Most zum mas­sen­haf­ten Kir­chen­aus­tritt folg­te, sprach sich Lieb­knecht gegen der­ar­ti­ge Kam­pa­gnen aus, weil sie mög­li­che Genos­sin­nen und Genos­sen abschre­cken wür­den. Er selbst bezeich­ne­te sich als „frü­hen Athe­is­ten“, gegen den Ende 1870 auch ein Pro­zess wegen Reli­gi­ons­schmä­hung ange­strengt wur­de. Als „Dis­si­dent“ wur­de er in sei­ner Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­ten­zeit geführt. Dass Wil­helm Lieb­knecht ein orga­ni­sier­ter Frei­den­ker war, dafür müss­te aller­dings noch erst der Beweis erbracht wer­den.

Mit sei­nem Enga­ge­ment für sozia­le Gerech­tig­keit und durch sei­ne reli­gi­ons­kri­ti­sche Hal­tung gegen­über kirch­li­cher Ein­fluss­nah­me trug Lieb­knecht maß­geb­lich dazu bei, die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Posi­ti­on zu for­men, dass Reli­gi­on Pri­vat­sa­che ist. Er for­der­te die Tren­nung von Kir­che und Staat und setz­te sich für eine säku­la­re Gesell­schaft ein, in der Wis­sen­schaft und Ver­nunft den Vor­rang haben. Sei­ne Ansich­ten waren geprägt von einem huma­nis­ti­schen Welt­bild, das auf Auf­klä­rung und Ratio­na­li­tät basier­te.

Vie­le For­de­run­gen Lieb­knechts, die Gesell­schaft auf Prin­zi­pi­en der Tole­ranz, Frei­heit und Soli­da­ri­tät auf­zu­bau­en, sind heu­te erfüllt. 125 Jah­re nach dem Tod Lieb­knechts sind in der gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Rea­li­tät jedoch vor allem die christ­li­che Reli­gi­on und die tra­di­tio­nel­len Kir­chen wei­ter­hin stark pri­vi­le­giert. Zwar ist durch das Grund­ge­setz die Bun­des­re­pu­blik als welt­an­schau­lich neu­tra­ler Staat kon­sti­tu­iert, die von Lieb­knecht die pro­pa­gier­te Tren­nung von Staat und Kir­che ist aber noch längst nicht erreicht. Wie wür­de er dazu ste­hen, dass in NRW, Rhein­land-Pfalz, Baden-Würt­tem­berg und im Saar­land „Ehr­furcht vor Gott“ oder „Got­tes­furcht“ in den Schul­ge­set­zen als obers­te Bil­dungs­zie­le genannt wer­den? Was hiel­te er von der feh­len­den Ver­tre­tung huma­nis­ti­scher Orga­ni­sa­tio­nen in den Rund­funk- und Pro­gramm­bei­rä­ten in den öffent­lich-recht­li­chen Sen­de­an­stal­ten und was von der Pri­vi­le­gie­rung christ­li­cher Ver­kün­di­gungs­sen­dun­gen? Wür­de er sich gegen die staat­li­chen Zah­lun­gen an die Kir­chen, die auf Ent­eig­nun­gen kirch­li­cher Güter im Zuge der Säku­la­ri­sa­ti­on zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts zurück­ge­führt wer­den und sich im Jahr 2024 auf rund 620.000 Mil­lio­nen Euro belie­fen, wen­den? Ich bin über­zeugt, dass Wil­helm Lieb­knecht es heu­te als sei­ne Auf­ga­be anse­hen wür­de, für eine zeit­ge­mä­ße welt­an­schau­li­che Ord­nungs­po­li­tik zu strei­ten. Inso­fern ist der Frei­den­ker Lieb­knecht für Huma­nis­tin­nen und Huma­nis­ten auch heu­te noch Vor­bild und stän­di­ger Ansporn zur Gestal­tung einer moder­nen huma­nen Gesell­schaft.

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