Zum Buch „Klare, lichte Zukunft“ von Paul Mason

Muss unser Humanismus politischer werden?

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Foto: Evelin Frerk

Beitragsbild: Adrian Diaz-Sieckel/unsplash

Was bleibt vom Glauben an den Menschen? In „Klare, lichte Zukunft“ fordert Paul Mason eine Rückbesinnung auf die universalistischen Menschenrechte und den freien Willen – als Gegenentwurf zur „Religion“ des Marktes und zur neuen Gläubigkeit gegenüber Maschinen. Humanismus, so das Plädoyer, muss heute politischer und widerständiger gedacht werden.

Huma­nis­mus ist ein wei­tes Feld. Heu­te möch­te ich einen Autor vor­stel­len, der trotz der kom­ple­xen Welt­pro­ble­me expli­zit Mut machen will auch in Zei­ten, in denen sich Defä­tis­mus breit­macht, für vie­le Men­schen der Zukunfts­ho­ri­zont ein­trübt und ihnen kon­kre­te Ideen, ja selbst die Träu­me von gerech­te­ren und huma­ne­ren Lebens­ver­hält­nis­sen abhan­den­kom­men.

Der bri­ti­sche Wirt­schafts­jour­na­list Paul Mason (Jahr­gang 1960) will sich den Glau­ben an eine „kla­re, lich­te Zukunft“ der Mensch­heit von Trump & Co und den Ängs­ten vor einem reak­tio­nä­ren digi­ta­len Über­wa­chungs­staat nicht zer­stö­ren las­sen. Die größ­ten Bedro­hun­gen für den Men­schen als auto­no­mes, gemein­schaft­li­ches Wesen sieht er in der neo­li­be­ra­len Ideo­lo­gie der frei­en Markt­wirt­schaft, die seit That­cher und Rea­gan die Poli­tik bei­sei­te gedrängt hat und seit ihrem Zusam­men­bruch in einen natio­nal-auto­ri­tä­ren Kapi­ta­lis­mus trans­for­miert wur­de, der die Rei­chen schützt und Frei­heits­rech­te aus­he­belt, und zwei­tens in digi­ta­ler Kon­trol­le, falsch pro­gram­mier­ter KI und einer neu­en „Maschi­nen­gläu­big­keit“. Aktu­ell sieht er die Gefahr, dass „die Unter­wer­fung unter die Logik des Mark­tes den Weg zur Unter­wer­fung unter die Logik der Maschi­ne ebnet“. Obwohl das Buch schon 2019 erschie­nen ist, „pas­sen“ lei­der sowohl der Ukrai­ne­krieg als auch Trump II zu sei­nen län­ger­fris­ti­gen Ana­ly­sen.

Lösungs­per­spek­ti­ven sieht er in einem befrei­en­den „radi­ka­len Huma­nis­mus“, der an die Grund­ge­dan­ken des frü­hen Karl Marx zur Natur des Men­schen in der rea­len Welt und zu sei­nem Eman­zi­pa­ti­ons­po­ten­ti­al anknüpft, der aus Fehl­ein­schät­zun­gen von Marx lernt und der die Feh­ler und Ver­bre­chen des Staats­so­zia­lis­mus nicht ver­harm­lost. Auf jeden Fall müs­se heu­te die öko­lo­gi­sche, die frau­en­eman­zi­pa­to­ri­sche und die post­ko­lo­nia­le Per­spek­ti­ve ein­be­zo­gen wer­den. An den uni­ver­sa­lis­ti­schen Men­schen­rech­ten, dem frei­en Wil­len und der Idee der Selbst­be­frei­ung des Men­schen sei unbe­dingt fest­zu­hal­ten! Wir sind nicht nur Algo­rith­men! Der Huma­nis­mus der 50er Jah­re, etwa von Are­ndt, Levi und Orwell, rei­che heu­te nicht mehr, um die „Reli­gio­nen des Irra­tio­na­lis­mus und Fata­lis­mus zu ent­zau­bern.“ Trä­ger des Wider­stands und Vor­kämp­fer der not­wen­di­gen Wei­chen­stel­lung sei heu­te nicht mehr die Arbei­ter­klas­se, son­dern das ver­netz­te Indi­vi­du­um, das sich in Kon­sum­streik­bünd­nis­sen, Genos­sen­schaf­ten, Kam­pa­gnen und auch in pro­gres­si­ven Par­tei­en orga­ni­sie­ren müs­se. Wich­tig sei die Wie­der­her­stel­lung einer „kol­lek­ti­ven ple­be­ji­schen Moral“. Es gel­te, „Löcher in das Fun­da­ment der kapi­ta­lis­ti­schen Herr­schaft zu schla­gen“ und „Räu­me zu schaf­fen, in denen wir unse­ren Traum von der Mensch­lich­keit aus­le­ben kön­nen“.

Detail­reich und sehr lesens­wert ana­ly­siert Mason zu Beginn den Auf­stieg Trumps und führt ihn letzt­lich auf die fehl­ge­lei­te­te Wirt­schafts­po­li­tik des glo­ba­len Neo­li­be­ra­lis­mus und des­sen Trans­for­ma­ti­on nach der Finanz­kri­se 2008 zurück. Auto­bio­gra­phisch berich­tet er von sei­ner Kind­heit in den 1960ern, als es den Arbei­tern in Eng­land noch gut ging. Die „Reli­gi­on“ des Mark­tes habe dann seit den spä­ten 1970ern die Ein­heit der Arbei­ter­klas­se zer­stört, vie­le Ver­lie­rer pro­du­ziert und ihnen auch noch ein­ge­re­det, dass sie an ihrem Abstieg selbst schuld wären. Kapi­ta­lis­ti­sches Kon­kur­renz­den­ken und die „Sor­ge um sich allein“ sei in alle Berei­che der Gesell­schaft ein­ge­zo­gen, habe das soli­da­ri­sche Selbst defor­miert und ver­ängs­tig­te, mut­lo­se Indi­vi­du­en zurück­ge­las­sen. Hier ist Mason im Ein­klang mit vie­len ande­ren Kri­ti­ke­rIn­nen.

Span­nend zu lesen ist dann die Ana­ly­se der Finanz­kri­sen in den 2000er Jah­ren und der wei­te­ren staat­li­chen Wirt­schafts­po­li­tik im Wes­ten. Mason deu­tet sie kennt­nis­reich als eine Selbst­zer­stö­rung des Neo­li­be­ra­lis­mus, der sich vom Staat hel­fen las­sen muss­te und ihn danach in der Vari­an­te „natio­nal-auto­ri­tä­rer Libe­ra­lis­mus“ geka­pert hat.

Kri­tisch rekon­stru­iert er das Ver­hält­nis von Mensch und Maschi­ne. Der Berg­manns­sohn ist kei­nes­wegs tech­no­lo­gie­scheu und will die Chan­cen der Auto­ma­ti­sie­rung und Digi­ta­li­sie­rung nut­zen: Die Maschi­nen sol­len für die Men­schen arbei­ten, sie aber nicht nach­ah­men und kon­trol­lie­ren. Des­halb muss in die KI ein ethi­scher Kodex ein­pro­gram­miert wer­den.

Reli­gi­ons­kri­tik kommt bei Mason nur am Ran­de vor. Die gegen­auf­klä­re­ri­schen „Offen­si­ven gegen den Huma­nis­mus“ wie der Trans­hu­ma­nis­mus, der Post­hu­ma­nis­mus, das angeb­li­che „Ende der Geschich­te“ 1989 und die kul­tu­rel­le Post­mo­der­ne ins­ge­samt ste­hen für ihn in einem direk­ten Zusam­men­hang mit dem öko­no­mi­schen Neo­li­be­ra­lis­mus. Sie wer­den aber nicht in einen Bezug zu einer „Rück­kehr der Reli­gi­on“ gesetzt. His­to­risch bil­ligt er den Welt­re­li­gio­nen huma­nis­ti­sches Poten­ti­al zu; die sub­ver­si­ve Ver­drän­gung der maro­den römi­schen Staats­re­li­gi­on durch das Chris­ten­tum in der Spät­an­ti­ke sieht er sogar als bei­spiel­ge­bend für ein erfolg­rei­ches Agie­ren des radi­ka­len Huma­nis­mus „von unten“ in der Gegen­wart.

Las­sen wir Mason selbst zu Wort kom­men: „Ich bin ein radi­ka­ler Huma­nist, der glaubt, dass wir kurz davor ste­hen, etwas zu ver­wirk­li­chen, das Marx vor­schweb­te: Eine von der Tech­no­lo­gie befä­hig­te Gesell­schaft, in der die meis­ten Din­ge, die wir kon­su­mie­ren, kos­ten­los sein wer­den, und eine mas­sen­haf­te Ver­än­de­rung des mensch­li­chen Wesens, die es uns erlau­ben wird, die neue Frei­heit zu nut­zen. Wie Marx glau­be ich, dass unser Stre­ben nach Frei­heit das Pro­dukt unse­rer Evo­lu­ti­on ist und dass die jüngs­ten Fort­schrit­te in Gene­tik, Evo­lu­ti­ons­bio­lo­gie und Neu­ro­wis­sen­schaft die­se Über­zeu­gung bestä­ti­gen. Wie Marx glau­be ich, dass eine auf dem Pri­vat­ei­gen­tum beru­hen­de Gesell­schaft die Ver­ge­sell­schaf­tung des Wis­sens durch den tech­no­lo­gi­schen Fort­schritt nicht über­ste­hen wird. Aber anders als Marx glau­be ich, dass die­se Revo­lu­ti­on der Mensch­heit nicht durch das unbe­wuss­te Han­deln einer ein­zel­nen Klas­se, son­dern durch ein viel­ge­stal­ti­ges Netz­werk bewusst han­deln­der mensch­li­cher Wesen her­bei­ge­führt wird. Anders als Marx glau­be ich, dass der Pla­net dem Ein­satz der Tech­no­lo­gie Gren­zen setzt und uns zwingt, bei der Über­win­dung des Kapi­ta­lis­mus bestimm­te Prio­ri­tä­ten zu set­zen. Und anders als Marx bre­che ich nicht in Geläch­ter aus, wenn ich das Wort „Moral­phi­lo­so­phie“ höre, denn um die Tech­no­lo­gie beherr­schen zu kön­nen, die wir nut­zen wer­den, um den Über­fluss zu errei­chen, brau­chen wir einen glo­ba­len ethi­schen Rah­men.“ (S. 304)

Paul Mason: Kla­re, lich­te Zukunft. Eine radi­ka­le Ver­tei­di­gung des Huma­nis­mus.
Suhr­kamp, Ber­lin, 2019
415 Sei­ten, 32 €
ISBN: 978–3‑518–42860‑3

Der Bei­trag erschien zuerst in Frei­es Den­ken 2 | 2025. Wir dan­ken dem Huma­nis­ti­schen Ver­band Nord­rhein-West­fa­len für die freund­li­che Geneh­mi­gung zur Zweit­ver­öf­fent­li­chung.

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