Schwangerschaftsabbruch

Chefarzt der Gynäkologie kämpft gegen kirchliches Arbeitsrecht

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In Lippstadt (NRW) hat eine Fusion der evangelischen und katholischen Kliniken stattgefunden. Danach sind gemäß bischöflicher Moraldoktrin dort bisher durchgeführte medizinisch indizierte (das heißt nicht rechtswidrige) Schwangerschaftsabbrüche untersagt worden. Anlässlich des aktivistischen Safe Abortion Day (= Tag zur sicheren Abtreibung) am 28. September ist auf einen vernachlässigten Aspekt hinzuweisen, nämlich auf das kirchliche Arbeitsrecht auf gynäkologischen Stationen.

Das nun­mehr gemein­sa­me, soge­nann­te „Christ­li­che Kran­ken­haus“ in Lipp­stadt ist kein Ein­zel­fall. Zur wirt­schaft­li­chen und ver­sor­gungs­mä­ßi­gen Effi­zi­enz­stei­ge­rung sol­len zuneh­mend sinn­vol­le Fusio­nen durch­ge­führt wer­den. Katho­li­sche und evan­ge­li­sche Ver­wal­tung unter einem gemein­sa­men Dach? Die­ses bis­lang für unmög­lich gehal­te­ne Novum fin­det gesund­heits­po­li­ti­sche Aner­ken­nung. Im Zuge der Kran­ken­haus­re­form scheint aber die katho­li­sche Kir­che bei Betei­li­gungs­mo­del­len einen Hebel in der Hand zu haben, um ihre Moral­vor­stel­lun­gen ent­ge­gen deren gesell­schaft­li­chem Rele­vanz­ver­lust auf­recht­zu­er­hal­ten. Wie ande­re Bei­spie­le zei­gen, drückt sie auch in Über­nah­me-Part­ner­schaf­ten mit kom­mu­na­len Trä­gern die aktu­el­le Grund­ord­nung des kirch­li­chen Diens­tes der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz in den Gesell­schafts­ver­trä­gen durch.
Dabei erklä­ren die katho­li­schen Trä­ger rigo­ro­se Beschrän­kun­gen bei Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen zur unver­han­del­ba­ren Grund­vor­aus­set­zung – was bis­her als nur klei­nes Detail kei­ne Beach­tung fand.

Klage gegen Spätabtreibungsverbot des Arbeitgebers

Erst der Fall des Lipp­städ­ter Chef­arz­tes der Gynä­ko­lo­gie, Prof. Joa­chim Volz, hat zu öffent­li­cher Empö­rung geführt mit Demons­tra­tio­nen („wir sind stolz auf Dr. Volz“), einer Wel­le von ärzt­li­chen Soli­da­ri­täts­adres­sen („Die Här­te des katho­li­schen Stand­punk­tes emp­fin­den wir als unbarm­her­zig“), media­ler Bericht­erstat­tung (in Nach­rich­ten von ARD und ZDF) bis hin zur inzwi­schen weit mehr als 250.000-fachen Zeich­nung sei­ner Peti­ti­on („Ich bin kei­ne Mör­der“). Volz erhielt Mit­te Janu­ar 2025 ein Schrei­ben der neu­en Kran­ken­haus-Geschäfts­füh­rung, ab 1. Febru­ar kei­ne Schwan­ger­schafts­ab­brü­che auf­grund medi­zi­ni­scher Indi­ka­ti­on mehr durch­füh­ren zu dür­fen. Nur wenn ansons­ten aku­te Lebens­ge­fahr für die Schwan­ge­re bestün­de, wäre aus­nahms­wei­se ein Abbruch wei­ter­hin mög­lich. Soll­te er die­se Anwei­sung nicht befol­gen, wer­de ihm gekün­digt.
Dage­gen ging Volz arbeits­ge­richt­lich vor – doch beim Arbeits­ge­richt Hamm zu sei­ner Ent­täu­schung ver­geb­lich. Dem­ge­gen­über dürf­te sei­ne ein­ge­reich­te Revi­si­on aus­sichts­reich sein (zumal das Ham­mer Urteil unter „Ent­schei­dungs­grün­de“ fälsch­li­cher­wei­se anführt, dass Schwan­ger­schafts­ab­brü­che gemäß medi­zi­ni­scher Indi­ka­ti­on „nach staat­li­chem Recht mög­li­cher­wei­se nicht straf­bar, gleich­wohl aber rechts­wid­rig sind“). Aller­dings könn­te der Pas­sus bestehen blei­ben, wor­in erst­in­stanz­lich sein beklag­ter neu­er Arbeit­ge­ber Recht erhielt. In der Urteils­be­grün­dung heißt es dazu: Das Kli­ni­kum Lipp­stadt – Christ­li­ches Kran­ken­haus gGmbH sei im Rah­men sei­nes Direk­ti­ons­rechts zu der ent­spre­chen­den Anwei­sung gegen­über Prof. Dr. Volz berech­tigt – und die­se dür­fe sich sogar auf die repro­duk­ti­ons­me­di­zi­ni­sche Neben­tä­tig­keit in sei­ner kas­sen­ärzt­lich aner­kann­ten Pri­vat­pra­xis bezie­hen!

Persönlicher Hintergrund von Prof. Volz

Auf der Inter­net­sei­te joachimvolz.de ist zu lesen: Für ihn stand beim Wech­sel an das evan­ge­li­sche Kli­ni­kum Lipp­stadt vor 13 Jah­ren im Vor­der­grund, „Frau­en und jun­gen Paa­ren in der emo­tio­nal extrem schwie­ri­gen Situa­ti­on einer Schwan­ger­schaft mit einem tod­ge­weih­ten oder schwer behin­der­ten Kind kon­se­quent hel­fen zu kön­nen.“ Dies habe auch in sei­nem Arbeits­ver­trag Aus­druck gefun­den. Dabei gehör­ten die her­kömm­lich regel­haf­ten Abbrü­che (das heißt inner­halb der 3‑Monatsfrist nach Pflicht­be­ra­tung) nicht zu sei­nen Auf­ga­ben, wohl aber die Aus- und Fort­bil­dung.

Er habe die kli­nisch beson­ders anspruchs­vol­le Auf­ga­be von Spät­ab­brü­chen bei Feten (das sind bereits weit ent­wi­ckel­te Embryo­nen) dann „mit Unter­stüt­zung sei­nes gesam­ten Teams, einer Ethik­kom­mis­si­on und der evan­ge­li­schen Geschäfts­füh­rung ruhig und hoch­pro­fes­sio­nell leis­ten kön­nen“, heißt es dort, und wei­ter zur Erklä­rung: „Eine medi­zi­ni­sche Indi­ka­ti­on liegt vor, wenn für die Schwan­ge­re die Gefahr einer schwer­wie­gen­den Beein­träch­ti­gung des kör­per­li­chen oder see­li­schen Gesund­heits­zu­stan­des besteht. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn bei Unter­su­chun­gen fest­ge­stellt wird, dass das Unge­bo­re­ne an schwers­ten, oft nicht lebens­fä­hi­gen Fehl­bil­dun­gen oder Beein­träch­ti­gun­gen lei­den wird.“

Volz betont: Er hät­te über­wäl­ti­gen­den Zuspruch erfah­ren und ken­ne per­sön­lich kei­nen Men­schen, der das kirch­li­che Ver­bot nach­voll­zieh­bar fän­de. „Ich lie­be mei­nen Job und ich wer­de nicht auf­ge­ben und wei­ter für die Frau­en kämp­fen.“ Weg­lau­fen käme für ihn nicht in Fra­ge, was zudem den Ver­sor­gungs­eng­pass noch ver­schär­fen wür­de – ein Argu­ment, wel­ches das Gericht voll­stän­dig unbe­ach­tet ließ.

Rechtmäßige Spätabbrüche unter der Lupe

In Deutsch­land ist die Begrün­dung für eine eigent­lich fetopa­thi­sche Indi­ka­ti­on (bei Fehl­bil­dung oder Schä­di­gung des Fetus) der medi­zi­ni­schen Indi­ka­ti­on zuge­rech­net, womit das Selbst­be­stim­mungs­recht und Wohl der Frau in den Vor­der­grund rückt. In einem sol­chen Fall ist der – meist nicht vor dem vier­ten Schwan­ger­schafts­mo­nat durch­ge­führ­te – Schwan­ger­schafts­ab­bruch (anders als bei der sog. Bera­tungs­re­ge­lung inner­halb von drei Mona­ten) nicht rechts­wid­rig. Er ist erst recht nicht straf­bar – obwohl der Fötus bereits außer­halb des Ute­rus lebens­fä­hig sein könn­te.

Dies mag irri­tie­rend sein und sol­che Spät­ab­trei­bun­gen auf­grund eines fetopa­thi­schen Befun­des mit­tels Prä­na­tal­dia­gnos­tik sind – teils zwi­schen Frau­en­rechts- und Behin­der­ten­be­we­gung – nicht unum­strit­ten. Meist wird das The­ma „Lebens­schutz“ lie­ber aus­ge­blen­det. Dies gilt in Bezug auf vor­aus­sicht­lich gra­du­el­le Beein­träch­ti­gung des Unge­bo­re­nen, etwa ob es sich um sein spä­te­res Leben mit Tri­so­mie (Down-Syn­drom) han­delt oder aber mit schwe­ren orga­ni­schen und/oderdas Gehirn betref­fen­den Schä­di­gun­gen (wie etwa Anen­ce­pha­lie), was meist mit wenig Über­le­bens­zeit und viel Leid ver­bun­den ist.

Die­se Fra­gen, die unwei­ger­lich mit der Abwä­gung von Lebens­wert und ‑qua­li­tät der spä­te­ren Exis­tenz ein­her­ge­hen, wer­den gern ver­drängt und sind hei­kel. Der Huma­nis­ti­sche Ver­band Deutsch­lands – Bun­des­ver­band hat­te sich sozu­sa­gen getraut, am 29. Janu­ar 2025 dies­be­züg­lich zur zwei­ten Podi­ums­ver­an­stal­tung sei­ner Rei­he zur Neu­re­ge­lung § 218 ins Ber­li­ner Haus des Huma­nis­mus ein­zu­la­den.

Ver­ständ­li­cher­wei­se steht die­ses sen­si­ble und kom­ple­xe The­ma nicht gera­de im Zen­trum von Bünd­nis­sen für sexu­el­le und repro­duk­ti­ve Selbst­be­stim­mung, wel­che für (que­er­kon­form!) weib­li­che Per­so­nen die unbe­schränk­te Wahl­frei­heit („Pro-Choice“) zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch for­dern – und nicht nur eine ersatz­lo­se Abschaf­fung der §§ 218 ff. StGB, son­dern zudem das Ende von Patri­ar­chat und Ent­mün­di­gung.

Die Vernachlässigung der religionspolitischen Aspekte

Auch bei Auf­ru­fen, Akti­ons­ta­gen wie dem Safe Abor­ti­on Day oder den zahl­rei­chen Initia­ti­ven spielt das kirch­li­che Arbeits­recht in Deutsch­land offen­bar kei­ne Rol­le. Aktu­ell for­dert die Initia­ti­ve grundrecht-abtreibung.de die Auf­nah­me des Frei­heits­rechts auf Schwan­ger­schafts­ab­bruch ins Grund­ge­setz (wie in Frank­reich), weil auch die Strei­chung von § 218 nicht aus­rei­chend wäre und die Gefahr durch rechts­extre­me und auto­kra­ti­sche poli­ti­sche Kräf­te abge­wehrt wer­den müs­se. Führt die immer wei­ter­rei­chen­de Ein­be­zie­hung von diver­sen Anlie­gen viel­leicht dazu, kon­kre­te reli­gi­ons­po­li­ti­sche Ent­wick­lungs­ten­den­zen in unse­rer Kran­ken­haus­land­schaft unbe­ach­tet zu las­sen?

Der Anspruch auf eine fach­ge­rech­te Behand­lung bei einer medi­zi­ni­schen Indi­ka­ti­on (das Glei­che gilt auch bei kri­mi­no­lo­gi­scher Indi­ka­ti­on nach Ver­ge­wal­ti­gung) gemäß § 218 a Abs. 2 wird durch katho­li­sche Moral­nor­men aus­ge­he­belt. Es wider­spricht aber der Tren­nung von Kir­che und Staat und ist inak­zep­ta­bel, dass die­se Schwan­ger­schafts­ab­brü­che auf­grund reli­gi­ös moti­vier­ter Vor­ga­ben im Kran­ken­haus nur noch bei aku­ter Lebens­ge­fahr der Schwan­ge­ren erlaubt sein soll­ten. 

Zwei weitere Punkte zur fragwürdigen Verbotsanweisung

1. Die gegen Volz aus­ge­spro­che­nen Ver­bots­an­wei­sun­gen betref­fen aus­ge­rech­net die unstrit­tig recht­kon­for­men und kran­ken­kas­sen-finan­zier­ba­ren Abbrü­che nach medi­zi­ni­scher Indi­ka­ti­on. Das heißt, die immer wie­der gefor­der­te Abschaf­fung der grund­sätz­li­chen Straf­bar­keit bei der über­wäl­ti­gen­den Mehr­heit (von ca. 95 %) „nicht-indi­zier­ter“ Abbrü­che steht auf einem ganz ande­ren Blatt. Das Gebot (nicht nur die aus­drück­li­che gesetz­li­che Erlaub­nis!) unter medi­zi­nisch indi­zier­ten Umstän­den auf Wunsch der betrof­fe­nen Frau die Schwan­ger­schaft abzu­bre­chen, darf hin­ge­gen gar nicht will­kür­lich ein­ge­schränkt wer­den.

2. Das Arbeits­ge­richt Hamm hielt das Ver­bot jedoch für statt­haft und ver­wies auf das staat­lich in Art. 140 Grund­ge­setz zuge­stan­de­ne Selbst­be­stim­mungs- bzw. Gestal­tungs­recht bei kirch­li­cher Trä­ger­schaft. Dies geschah im Fall des „christ­li­chen Kran­ken­haus“ in Lipp­stadt aller­dings zu Unrecht. Denn es ist dort kei­ne ein­heit­li­che Glau­bens­norm vor­han­den, auf die sich die fusio­nier­te Kli­nik kor­rek­ter­wei­se stüt­zen konn­te. Die katho­li­sche Kir­chen­leh­re bezeich­net jede Abtrei­bung als Sün­de und Papst Fran­zis­kus sprach von Auf­trags­mor­den. Der reli­gi­ons­po­li­ti­sche Exper­te Prof. Hart­mut Kreß führt dazu aus: Die Begrün­dung ergibt sich aus der katho­li­schen Leh­re, dass Gott dem damit unan­tast­ba­ren Embryo bereits bei der Emp­fäng­nis eine Geist­see­le ein­ge­be. Die­se Auf­fas­sung wäre vom Pro­tes­tan­tis­mus nie geteilt wor­den, der sich zudem für Gewis­sens­frei­heit aus­sprä­che. Tat­säch­lich sei, so Kreß, nach der Fusi­on kei­ne kirch­li­che Glau­bens­leh­re mehr vor­han­den, auf die sich das neu gegrün­de­te „Christ­li­che Kran­ken­haus“ stüt­zen könn­te.   

Fazit zum Tag der Sicherstellung von Schwangerschaftsabbrüchen

Zumin­dest am Ran­de soll­te ein­mal die For­de­rung laut wer­den: Kei­nes­falls darf es sich wie­der­ho­len, dass Kli­ni­ken im Zuge wei­te­rer Kran­ken­haus­fu­sio­nen zu der­ar­ti­gen katho­li­schen Bedin­gun­gen fusio­nie­ren. Dabei wer­den auch die allein kirch­lich getra­ge­nen Kran­ken­häu­ser nicht etwa aus Kir­chen­steu­er­mit­teln finan­ziert, son­dern aus öffent­li­chen Mit­teln (Lan­des- und Bun­des­zu­schüs­se, Kran­ken­kas­sen­leis­tun­gen).

Eine will­kür­li­che Ein­schrän­kung gibt es auch in ande­rer (nicht kirch­li­cher) Trä­ger­schaft mit gynä­ko­lo­gi­scher Abtei­lung und ist dort eben­so unhalt­bar. Denn das öffent­li­che Gesund­heits­we­sen muss die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung beim Schwan­ger­schafts­ab­bruch adäquat gewähr­leis­ten und der Staat hät­te (zumin­dest die bestehen­den!) indi­vi­du­el­len Grund­rech­te der Pati­en­tin­nen gesetz­lich zu schüt­zen.

Nicht nur bleibt es nach dem geschei­ter­ten Ver­such einer Neu­re­ge­lung bei der grund­sätz­li­chen Straf­bar­keit des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs. Katho­li­schen „Fusi­ons­part­ner” haben dafür gesorgt, dass die ohne­hin reform­be­dürf­ti­ge deut­sche Abtrei­bungs­re­ge­lung noch ver­schärft und auch die bis­he­ri­ge Durch­füh­rung von recht­mä­ßi­gen Abtrei­bun­gen in der Lipp­städ­ter Kli­nik nach § 218a Abs. 2 ver­bo­ten wur­de. Der Wider­stand dage­gen im Fall Prof. Volz lässt aller­dings hof­fen.

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