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Armin Pfahl-Traughber im Interview

Fleischkonsum: „Der Mensch kann entscheiden, der Löwe nicht“

| von
rohes Fleisch, Struktur und Maserung

Beitragsbild: webandi/Pixabay

Fleisch, insbesondere jenes aus Massentierhaltung ist verantwortlich für Umweltprobleme, Ressourcenverschwendung, Rodungen großer Teile des lebenswichtigen Regenwalds und verursacht hohe CO2- und Methan-Emissionen. Mit dem massenhaften Fleischkonsum sind außerdem gesundheitliche Probleme verknüpft – man denke an den Antibiotikaeinsatz in der Tierproduktion und die damit verbundene Gefahr der Ausbildung resistenter Keime. Nicht zuletzt wollen die meisten von uns Tiere nicht leiden sehen. Das sind längst nicht alle Gründe gegen den Fleischverzehr. Warum also – verdammt nochmal! – essen trotzdem so viele Menschen weiterhin so gern und so viel Fleisch? Armin Pfahl-Traughber hat sich mit dieser Frage eingehend beschäftigt. Wir haben mit ihm gesprochen.

Herr Pfahl-Traughber, Sie setzen sich seit vielen Jahren für Tierwohl und fleischfreie Ernährung ein. Was ist Ihre Motivation?

Mit die­ser Auf­fas­sung ist man – noch – in der Min­der­heit, inso­fern besteht eine Erklä­rungs­be­dürf­tig­keit. Man könn­te aber auch eine ande­re Per­spek­ti­ve ein­neh­men und fra­gen: War­um ernährt man sich mit Fleisch, han­delt es sich doch beim in Deutsch­land durch­schnitt­lich hohen Kon­sum um eine unge­sun­de Ernäh­rungs­wei­se? War­um ernährt man sich mit Fleisch, trägt doch ins­be­son­de­re die Mas­sen­tier­hal­tung mit zur Umwelt­kri­se bei? War­um ernährt man sich mit Fleisch, wer­den dadurch doch unnö­tig vie­le Res­sour­cen im unter­schied­lichs­ten Sin­ne ver­schwen­det? Oder: War­um ernährt man sich mit Fleisch, besteht doch eine Grund­la­ge dafür im Lei­den und Ster­ben von emp­fin­dungs­fä­hi­gen Lebe­we­sen? Es geht dem­nach hier auch um das Tier­wohl. Fleisch­freie Ernäh­rung dient aber eben­so dem Men­schen­wohl.

Derzeit ernähren sich etwa zehn Prozent der in Deutschland lebenden Menschen vegetarisch oder vegan. Was denken Sie – warum wollen 90 Prozent nicht auf Fleisch verzichten?

Es gibt unter­schied­li­che Grün­de, vie­le begin­nen mit dem Buch­sta­ben G: Dazu gehört Gewohn­heit, weil der Fleisch­kon­sum all­tags­kul­tu­rell in der Gesell­schaft ver­an­kert ist und nicht hin­ter­fragt wird. Dazu gehört Geschmack, da nach einem sub­jek­ti­ven Emp­fin­den hier­mit per­sön­li­ches Wohl­be­fin­den ver­bun­den ist. Dazu gehört Geschich­te, da die evo­lu­tio­nä­re Ent­wick­lung des Men­schen angeb­lich durch den Fleisch­kon­sum beför­dert wur­de, was aber heu­te für unse­re Exis­tenz nicht mehr rele­vant ist. Dazu gehört Gewalt, denn Men­schen habe die Macht dazu, ein Tier um sei­nes Flei­sches wil­len zu töten.

Auf der einen Seite stehen also Gründe wie Geschmack und Gewohnheit – auf der anderen Seite jedoch das von Ihnen bereits angesprochene Wissen um die Schädlichkeit des Fleischkonsums für Umwelt, Klima, Gesundheit … Ist in diesem Widerspruch auch der Widerwille vieler Menschen begründet, sich mit ihrem Fleischkonsum näher auseinanderzusetzen – um sich eben in der Konsequenz auch nicht einschränken zu müssen?

Die Fra­ge des Fleisch­kon­sums steht zunächst für eine Dop­pel­mo­ral des Men­schen, der etwa das Lamm als „unheim­lich süß“ emp­fin­det, sich des­sen Fleisch dann aber im Restau­rant bestellt. Es gibt auch nach Umfra­gen eine brei­te Ableh­nung der Mas­sen­tier­hal­tung, trotz­dem kau­fen nahe­zu eben­so vie­le Men­schen ein­schlä­gi­ge Pro­duk­te im Super­markt. Bemer­kens­wert ist, dass vie­le zufäl­li­ge Gesprächs­part­ner zum The­ma immer schnell sagen: „Wir essen ja auch wenig Fleisch“. Wäre dem in der Gesell­schaft tat­säch­lich so, wür­de auch der Fleisch­kon­sum stark sin­ken, was nur ansatz­wei­se der Fall ist. Gleich­wohl steht die­se Reak­ti­on für ein schlech­tes Gewis­sen, dürf­ten doch auch dem Fleisch­kon­su­men­ten die schreck­li­chen Lebens­be­din­gun­gen soge­nann­ter Nutz­tie­re zumin­dest all­ge­mein nicht unbe­kannt sein.

Hier klaf­fen Ein­stel­lun­gen und Hand­lun­gen aus­ein­an­der, das gilt auch für ande­re gesell­schaft­li­che Fra­gen wie den Kli­ma- oder Umwelt­schutz. Ganz all­ge­mein bedarf es von daher einem stär­ke­ren Ein­klang von Den­ken und Han­deln.

Prof. Dr. phil. Armin Pfahl-TraughberBild: pri­vat

Prof. Dr. phil. Armin Pfahl-Traugh­ber (*1963) ist ein deut­scher Poli­tik­wis­sen­schaft­ler und Sozio­lo­ge, u. a. mit den For­schungs­schwer­punk­ten poli­ti­scher Extre­mis­mus, Ter­ro­ris­mus und Anti­se­mi­tis­mus. Pfahl-Traugh­ber ist haupt­amt­lich Leh­ren­der an der Hoch­schu­le des Bun­des für öffent­li­che Ver­wal­tung in Brühl und gibt eben­dort das „Jahr­buch für Extre­mis­mus- und Ter­ro­ris­mus­for­schung“ her­aus. Dar­über hin­aus kri­ti­siert er seit Jah­ren die Fol­gen von Fleisch­kon­sum und wirbt für eine neue Tier­ethik.

Sie sprachen es ja bereits an: Insbesondere die Massentierhaltung ist ein Klimakiller, verbraucht enorm viele Ressourcen, verursacht massives Tierleid und das Fleisch steckt zudem voller Antibiotika. Wenn man schon nicht völlig auf Fleisch verzichten mag – warum wird Ihrer Meinung nach nicht zumindest auf solches aus Massentierhaltung verzichtetet? Zwar wird oft darauf hingewiesen, dass sich viele Menschen dies nicht leisten könnten, dennoch gibt es ja auch viele, die finanziell durchaus in der Lage wären, Bio- und fair produziertes Fleisch zu kaufen.

Zunächst fin­det beim Kon­su­men­ten wie in der Wer­bung eine Ver­drän­gung der gemein­ten Zustän­de statt. Wenn etwa Metz­ge­rei­en mit einem glück­lich lächeln­den Schwein als Logo für ihre Pro­duk­te wer­ben, dann steht dies für eine der­ar­ti­ge Igno­ranz oder Schön­schrei­bung. Sie erleich­tert den Kauf sol­cher Pro­duk­te. Dies gilt noch mehr für den Super­markt, wo Fleisch in Plas­tik ver­packt zu bekom­men ist. Das vor­he­ri­ge Lei­den und Ster­ben der Tie­re fällt so aus der Wahr­neh­mung her­aus. Aber zur Fra­ge noch zwei wei­te­re Anmer­kun­gen: Bio­fleisch bedeu­tet nicht not­wen­di­ger­wei­se, dass es den Tie­ren bes­ser ging. Sie mögen ein wenig mehr Aus­lauf oder Platz gehabt haben, wur­den aber gleich­wohl wegen ihres Flei­sches getö­tet. Und auch Ärme­re soll­ten gera­de auf Bil­lig­fleisch ver­zich­ten, denn für ihre Gesund­heit dürf­te des­sen Kon­sum nicht son­der­lich för­der­lich sein. Es gibt mitt­ler­wei­le gesün­de­re und güns­ti­ge­re vege­ta­ri­sche Alter­na­ti­ven, wofür das Bewusst­sein und Wis­sen erhöht wer­den könn­te.

Eines Ihrer Argumente für fleischfreie Ernährung ist, dass der Mensch dazu in der Lage ist, über seine Ernährung nachzudenken. Doch die wenigsten wollen wissen, wie das Tier, das sie auf dem Teller haben, zuvor gelebt hat. Ist diese Distanz zu unserer Nahrung Teil des Problems?

Ja, aber zunächst zum Kern mei­ner Posi­ti­on: Der Mensch muss nicht Fleisch kon­su­mie­ren, um zu über­le­ben. Der Löwe muss Fleisch eines ande­ren Tie­res kon­su­mie­ren, um zu über­le­ben. Der Mensch kann ent­schei­den, der Löwe nicht. Mit dem Gewohn­heits­ar­gu­ment stellt der Mensch sich beim Fleisch­kon­sum somit in die­ser Fra­ge auf das ethi­sche Niveau des Löwen. Dies mag gestreng klin­gen, ist aber nicht falsch. Aber zurück zu Ihrem Aus­gangs­punkt: Fleisch­kon­sum in grö­ße­rem Aus­maß ist heu­te meist nur noch dann akzep­ta­bel, wenn des­sen Vor­aus­set­zun­gen nicht the­ma­ti­siert wer­den. Dies mei­ne ich mit der For­mu­lie­rung „Vor­ge­schich­te des Schnit­zels“, wel­che den Titel von man­chen mei­ner Auf­sät­ze oder Vor­trä­ge bil­de­te. Von Paul McCart­ney, dem Ex-Beat­le und Vege­ta­ri­er, ist der Satz über­lie­fert: „Wären Schlacht­häu­ser aus Glas, wären alle Vege­ta­ri­er“. Fleisch­kon­sum kann heu­te meist nur noch eine Gewohn­heit sein, wenn man die Bedin­gun­gen dafür in Form der Tier­tö­tun­gen igno­riert. Daher ist eine sol­che Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung auch ein Pro­blem.

Inwieweit sehen Sie Tierethik als humanistisches Thema? Im Humanismus steht ja traditionell der Mensch im Mittelpunkt – sollte sich dies ändern, für ein nachhaltiges Verhältnis von Mensch und Natur?

Das kommt immer dar­auf an, inwie­weit man sich als Huma­nist ver­steht. Gilt als Kri­te­ri­um, dass der Mensch im Mit­tel­punkt ste­hen soll, kön­nen Natur und Tie­re als nicht rele­van­te The­men gel­ten. Indes­sen zeugt die­se Auf­fas­sung von einer fal­schen Wirk­lich­keits­wahr­neh­mung, denn der Mensch ist eben nun mal Teil der Natur. Die Natur braucht den Men­schen nicht, der Mensch die Natur aber sehr wohl. Inso­fern liegt es im Eigen­in­ter­es­se des Men­schen, sich auch für Natur­schutz ein­zu­set­zen. Bezo­gen auf die Ein­stel­lung zu Tie­ren geht es dann um eine ethi­sche Posi­tio­nie­rung. Es stellt sich bei jedem Ein­kauf die Fra­ge: Kau­fe ich mir Nah­rungs­mit­tel, wel­che den Tod von Lebe­we­sen vor­aus­set­zen oder nicht? Die Ant­wort in der Pra­xis hat auch etwas mit einer ethi­schen Ver­or­tung zu tun. Indes­sen gilt grund­sätz­lich: Ein Fleisch­kon­su­ment muss kein schlech­ter, ein Vege­ta­ri­er oder Vega­ner kein guter Mensch sein. Es geht hier um eine Detail­fra­ge, die gleich­wohl fern von Tier­ro­man­tik von Bedeu­tung ist. Dafür spre­chen außer­dem poli­ti­sche, sozia­le, öko­lo­gi­sche und wirt­schaft­li­che Grün­de, die alle einen Huma­nis­ten inter­es­sie­ren soll­ten. Sei­ne Ein­stel­lun­gen und Hand­lun­gen machen sei­nen Stand­punkt auch bei die­sem The­ma aus. Inso­fern mag sich hier jeder einer kri­ti­schen Selbst­prü­fung aus­set­zen.

Fleisch und Klima

Pro Kopf wer­den in Deutsch­land jähr­lich 60 Kilo­gramm Fleisch ver­zehrt. 98 Pro­zent davon stam­men aus Mas­sen­tier­hal­tung: 763 Mil­lio­nen Tie­re. Hin­ter einem Kilo Fleisch ver­ber­gen sich bis zu 15.000 Liter Was­ser – ein Kilo Kar­tof­feln braucht 210 Liter Was­ser. Rund drei Vier­tel aller Agrar­flä­chen wer­den für die Tier­füt­te­rung bean­sprucht. Dafür wer­den Mil­lio­nen Hekt­ar Regen­wäl­der gero­det, Böden wer­den durch Pes­ti­zi­de belas­tet. Die Pro­duk­ti­on von einem Kilo Rind­fleisch ver­ur­sacht bis zu 28 Kilo Treib­haus­ga­se. Obst oder Gemü­se lie­gen bei weni­ger als einem Kilo. Wür­de der Fleisch­kon­sum in Deutsch­land auf die Hälf­te sin­ken, könn­ten 13,3 Mil­lio­nen Ton­nen CO₂ ein­ge­spart wer­den.

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