Beim Blick in deinen Lebenslauf könnte man zusammenfassen: Ein Leben für die humanistische Bildung. Wie kam es dazu?
Das liegt an einer freidenkerischen Linie in meiner Familie. Einer meiner Urgroßväter war Mitglied in der SPD und Vorsitzender der freireligiösen Gemeinde in Breslau. Die Erzählungen über ihn haben mich sehr geprägt. Durch die Erziehung meiner Eltern waren meine Geschwister und ich konfessionslos und ich konnte schon früh selbstbewusst sagen: Ich bin Atheistin. Aber das war nicht in allen Teilen der Familie so. Deshalb habe ich früh gelernt, respektvoll mit anderen Lebensauffassungen umzugehen.
Und wie bist du zur Bildung gekommen?
Ich hatte schon vor, Lehrerin zu werden und weiterzugeben, wie man das Leben gestalten kann. In den 80er-Jahren bin ich in der DDR auch tatsächlich Lehrerin geworden. In meiner Dissertation, die ich in der Wendezeit geschrieben habe, ging es auch um humanistische Bildung. Thema war die Einführung der Jugendweihe in der DDR. Viele der überlebenden früheren Freidenker*innen und Freireligiösen wollten nach dem Krieg an die Tradition der Jugendweihe anknüpfen. Die SED wollte das zunächst nicht, entschied sich aber nach ein paar Jahren anders.
Was hat dich zum Humanistischen Verband geführt?
Der Humanistische Verband ist erst 1993 aus den Freidenkern entstanden. Zunächst war es ein Kontakt zu den Westberliner Freidenkern. Ende 1989 fanden in vielen ostdeutschen Städten Montagsdemos statt und es begann, was man heute „die Wende“ nennt. Zu der Zeit habe ich Manfred Isemeyer, den damaligen Geschäftsführer der Freidenker, auf einer Konferenz in Zwickau kennengelernt. Später bot er mir an, nach der Dissertation nach Berlin zu kommen. So bin ich 1991 in Berlin gelandet. Manfred Isemeyer hatte schon damals den Plan, die Jugendweihe und den Lebenskundeunterricht breiter aufzustellen. So fand nach der Wende in Berlin ein Kreis von Leuten mit einer gemeinsamen Vision für humanistische Bildung zusammen.
Woran hast du in den ersten Jahren gearbeitet?
Wir haben angefangen, die Jugendweihe anders aufzustellen, und sind auf den Namen JugendFEIER gekommen. Der Slogan lautete: „JugendFEIER, die alternative Jugendweihe.“ So wussten alle, worum es geht. Wir haben dann beispielsweise das Gelöbnis am Ende der Zeremonie abgeschafft. Die JugendFEIER hat sich in Berlin und Brandenburg als ein überaus beliebtes Angebot etabliert. Hauptamtlich hatte ich damit aber nur zwei Jahre zu tun. Die meiste Zeit war ich ehrenamtlich für die JugendFEIER aktiv, bestimmt über 25 Jahre. In den 90er-Jahren war ich auch an der Gründung des Jugendverbandes und dem Erfinden des Namens „Junge Humanist*innen“ beteiligt. Wir waren voller Ideen und fanden, dass die Abkürzung „JuHu“ unseren Elan am besten beschreibt. JuHu steht bis heute für Begeisterung, Ideenreichtum und großes Interesse an unserer Gesellschaft.
Wann bist du zurück in deinen Wunschberuf gewechselt?
Das war 2001. Bis 2009 war ich dann als Lehrerin für Humanistische Lebenskunde an einer Grundschule tätig. Obwohl die Religionslehrerin vor Ort wirklich gut war, haben zum Schluss 80 Prozent der Schüler*innen an Lebenskunde teilgenommen. Ich habe dann noch an einer Schule in Brandenburg und an drei Schulen in Berlin den Lebenskundeunterricht mit aufgebaut. Und als es Personalveränderungen in der Verwaltung gab, bin ich in die Schulorganisation gewechselt. Das habe ich dann bis 2015 gemacht. Damals wurde mir zugetraut, die Leitung der Humanistischen Fachschule für Sozialpädagogik zu übernehmen.
Was macht das Humanistische in der Erzieher*innen-Ausbildung an der Fachschule aus?
Das sind verschiedene Dinge. Zum einen, dass wir uns damit beschäftigen, gewaltfrei zu kommunizieren. Dafür begegnen wir jedem Kind und allen Jugendlichen respektvoll und tolerant. Außerdem ist wichtig, die Kinder und Jugendlichen von Anfang an einzubeziehen, sie partizipativ mitwirken zu lassen. Wir, ich insbesondere, fühlen uns den Werten des dänischen Sozialpädagogen Jasper Juul verbunden. Für ihn ist die Gleichwürdigkeit, vor allem im Unterschied zur Gleichwertigkeit, zentral. Er sagt, dass man in seiner Haltung authentisch und integer sein muss und Verantwortung anzunehmen hat.
Und wie versuchst du als Leiterin der Fachschule humanistisch zu handeln?
Ich muss das einschränken: Seit über einem Jahr sind wir ein Tandem in der Leitung. Ich bin also nicht allein in der Verantwortung. Aber ich sehe es als meine Aufgabe an, im Sinne Jasper Juuls authentisch zu sein. Das will ich unbedingt. Wenn ich den Studierenden etwas sage, dann möchte ich auch, dass sie mir glauben können. Wenn ich gute Laune ausstrahle, dann sollen sie auch wissen, dass ich wirklich gute Laune habe. Mir sagte mal jemand: „Hier in der Schule hat noch nie jemand mit mir geschimpft. Auch nicht, wenn ich Mist gebaut habe.“ Diese Gleichwürdigkeit im Umgang ist mir sehr wichtig.
Wenn du auf die vielen Jahre zurückblickst, was hat sich am Humanistischen Verband verändert?
Ich kenne den Verband und seinen Vorgänger ja seit 1991, als die Organisation viel kleiner war. Da kannten wir Mitarbeiter*innen uns so gut wie alle, die Wege für Informationen waren kürzer und informelle Kontakte viel leichter herzustellen. Heute komme ich manchmal zu Projekten oder Einrichtungen des Humanistischen Verbands und kenne dort niemanden. Bei der Größe ist das ganz normal. Aber bedauern tue ich es schon. Der Vorstand lädt seit letztem Sommer zum monatlichen Stammtisch ein. Das finde ich gut. Das ist auf jeden Fall eine Chance, etwas von dieser Bindung wieder herzustellen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview erschien zuerst im Magazin der Freund*innen des HUMANISMUS 14 | Frühjahr 2024. Wir danken dem HVD Berlin-Brandenburg für die freundliche Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.