Die umstrittene Beratungspflicht im § 218a StGB will die SPD-Bundestagsfraktion durch einen Rechtsanspruch auf freiwillige Beratung „rund um Schwangerschaft und Schwangerschaftskonflikt“ ersetzen. Bestandteile sollen unter anderem staatliche Unterstützungsleistungen, vertrauliche Geburten und die Familienplanung sein. Schwangerschaftsabbrüche sollen in Zukunft Teil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen werden. Und sie sollen „noch besser in die medizinische Aus- und Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten integriert werden“.
Zudem sollen Krankenhäuser, denen die Leistungsgruppe Gynäkologie zugewiesen wird, gesetzlich verpflichtet werden, entweder selbst Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen oder Schwangere, die einen solchen bei eigener Methodenwahl wünschen, an eine geeignete Stelle weiterzuleiten. Es ist klug und richtig, im Papier darauf hinzuweisen, dass dabei ein ärztliches Weigerungsrecht zum direkten Abbruch (abgesehen von der Beteiligung an der Vor- und Nachsorge) beibehalten wird. Denn diese Befürchtung, dass einzelne Gynäkolog*innen gegen ihr persönliches Gewissen zu einer nunmehr normalen Versorgungsleistung gezwungen werden könnten, wird so gut wie von allen medizinischer Fachgesellschaften geäußert – wie etwa in der Stellungnahme des BVF (einem Berufsverband von Frauenärzt*innen mit nach eigenen Angaben 15.000 Mitgliedern).
Stärkung reproduktiver Frauenrechte durch Fristenregelung?
„Selbstbestimmungsrecht von Frauen stärken – Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisieren“ – so lautet der Titel des gut dreiseitigen Positionspapiers der SPD-Bundestagsfraktion. Sie nimmt sich damit der jahrzehntelangen Frauenrechts-Forderung „Weg mit § 218 StGB“ an. Die Beratungsinfrastruktur soll weiter gesichert sein: „Unser Ziel ist, dass möglichst viele Frauen eine rechtebasierte und psychosoziale Beratung in Anspruch nehmen.“ Die SPD-Abgeordneten wollen das Recht von Frauen, über ihren Körper, ihre Familienplanung und ihr Sexualleben selbst zu bestimmen, stärken. Dies ist auch zwingend erforderlich. Denn die Rechtswidrigkeit von Abbrüchen ist – jedenfalls in der Frühphase der Schwangerschaft – mit den Grundrechten von ungewollt Schwangeren längst nicht mehr vereinbar (entgegen den einschlägigen Bundesverfassungsgerichtsurteilen aus den Jahren 1975 und 1993 – und damals war es das natürlich auch nicht).
Seit dem 1995 erzielten „faulen“ gesamtdeutschen Kompromiss zu den §§ 218 ff wird in den letzten Jahren auch politisch wieder darüber gestritten. In ihrem Abschlussbericht (von April 2024 der AG1) hat eine von der Ampelregierung eingesetzte Expertinnen-Kommission keinen Zweifel daran gelassen, dass Abtreibungen zumindest in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten zu entkriminalisieren sind. Dementsprechend schlagen auch die Mitglieder der SPD-Fraktion in ihrem Papier vor: „Schwangerschaftsabbrüche sollen bis zu einer gesetzlich zu bestimmenden konkreten Frist legalisiert werden.” Und sie propagieren dazu als Bedingung: „Für uns ist ein wirksames und angemessenes alternatives Schutzkonzept für das ungeborene Leben Voraussetzung für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafrechts.“ Dieser Satz lässt aufhorchen. Ab wann soll der Fetus denn schützenswert sein – vielleicht wenn sich seine Empfindungsfähigkeit im zweiten Schwangerschaftsdrittel zu entwickeln beginnt? Und steht ein solches „Lebensschutzkonzept“ nicht im Spannungsfeld zu Titel und Tendenz des SPD-Positionspapiers?
Gestaltungsraum zum Lebensschutz – ab welcher Schwangerschaftswoche und wie?
Die SPD-Bundestagsfraktion gibt dann im Sinne einer (erforderlichen verfassungsrechtlichen) Güterabwägung als grundsätzliches Ziel vor: „Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes und die Rechte der Schwangeren müssen daher neu austariert werden.“ Diesen Worten kann zwar zugestimmt werden, sie hören sich versöhnlich an, bleiben aber blumig und scheinen doch eher ein Lippenbekenntnis zu sein. Wie weit nun der Schutz des Embryos (bitte nicht von „ungeborenem Kind“ sprechen!) über die zwölf Wochen hinausgehen soll – das steht nicht im SPD-Papier.
Die Expert*innen-Kommission hat dem Gesetzgeber weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt. So könne (!) der Bundestag, wenn er den Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig stellte, eine Beratungspflicht für die Frau mit oder ohne eine Wartezeit auch außerhalb des Strafrechts vorsehen. Bei dieser Ergebnisoffenheit dürfte vor allem über konkrete Fristsetzungen noch viel Rangelei und Streit vorprogrammiert sein, bis es überhaupt zu einem Gesetzentwurf für eine Neuregulierung kommt. Im SPD-Papier heißt es dazu: „Wir sprechen uns für eine Frist aus, die an der Überlebensfähigkeit des Fötus … mit ausreichend zeitlichem Abstand anknüpft.“ Wäre hier wohl eine gesetzlich vorzugebende Terminierung von etwa 18, 21, 24 (oder noch weniger oder noch mehr) Schwangerschaftswochen angezeigt? Es folgt der Satz: „Sobald eine Überlebenschance des Fötus außerhalb des Uterus in Einzelfällen besteht, muss ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verboten sein.“
Die SPD-Bundestagsabgeordneten betonen dabei: „Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Schwangerschaftsabbruch sollen durch strafrechtliche Sanktionen flankiert werden.“ Diese soll dann greifen für Ärztinnen und Ärzte bei der „Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs nach Ablauf der gesetzlichen Frist“. Das führt zu Irritationen: Der gravierende Unterschied zwischen freigegebener Legalisierung einerseits und ärztlicher Bestrafung andererseits würde also auf Messers Schneide stehen – und ggf. vom Ablauf nur einer zu bestimmenden Woche abhängen?
Die bloße Abschaffung einer Rechtswidrigkeit im Strafrecht könnte zumindest intellektuell (und ideologisch) als relativ leichtes Unternehmen erscheinen. Die dann aber folgende schwierige Problemlösung besteht darin, ein praktikables Stufenmodell für die fortschreitende Entwicklung vom Embryo bis zum späten Fetus gesetzlich zu normieren.
Welches ungelöste Problem blendet das SPD-Positionspapier aus?
Dazu sind noch vertiefte Debatten, Überlegungen und eine Berücksichtigung auch der betroffenen Ärzteschaft erforderlich, um innerhalb der Ampelkoalition und erst recht im Bundestag nur annähernd mehrheitsfähig zu werden. Es wären Übergangslösungen, Abwägungen und Indikationen zu formulieren, wonach Abbrüche auch über die völlige Freigabe einer Fristenregelung hinaus nicht rechtwidrig oder gar strafbar wären.
Die einzige in diesem Zusammenhang zu findende Aussage im SPD-Positionspapier macht deutlich, dass man sich damit noch gar nicht befasst hat. Sie lautet nämlich lapidar: „Bei medizinischer Indikation soll für die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs weiterhin keine Frist gelten.“ Das ist zwar richtig und betrifft ja auch nach bestehender Rechtslage hochentwickelte und ggf. auch überlebensfähige Feten bis zum Zeitpunkt der Geburt.
Diese Regelung einfach „weiterhin“ so beibehalten zu wollen, zeigt jedoch, dass eine Forderung bzw. Empfehlung der Expert*innen-Kommission unbeachtet geblieben ist. Diese schlägt nämlich dem Gesetzgeber dringend vor, auch die bestehende (!) medizinische Indikation neu zu regeln, denn, so heißt es in ihrem Bericht:
„Die gegenwärtige Erfassung des Schwangerschaftsabbruchs bei einem fetopathischen Befund als Unterfall der medizinischen Indikation (siehe § 218a Abs. 2 StGB) ist intransparent. Es fehlen gesetzliche Kriterien für die Beurteilung, unter welchen Voraussetzungen bei einem pränataldiagnostisch auffälligen Befund ein Schwangerschaftsabbruch zulässig ist.“
In diesem Zusammenhang wird die Frage aufgeworfen, ob hierzu nicht auch eine (bei der Indikation bisher nicht vorhandene) Beratungspflicht eingeführt werden sollte. Die medizinische Indikation ist seit dem Gesetz von 1995 zu § 218a StGB ausdrücklich nur auf eine unzumutbar schwere (gar bis lebensgefährdende) seelische oder körperliche Gesundheitsbeeinträchtigung der Frau bezogen. Heute fuße sie jedoch, so der medizinische Fachverband für Ultraschall namens DEGUM, fast immer auf einer vorgeburtlich festgestellten Fehlentwicklung des Fetus. Dieser Befund würde dann quasi automatisch als schwere psychische Belastung der werdenden Mutter, also als bestehende Indikation für einen Abbruch anerkannt, obwohl eine ehrlicherweise fetopathisch zu nennende Indikation ausschlaggebend sei.
Insbesondere beim im Fachjargon so genannten „Fetozid durch Spätinterruptio“ beklagt der Verband DEGUM in seiner Stellungnahme für die Expert*innen-Kommission, dass für die betroffene Ärzteschaft eine ungeregelte Grauzone entstanden ist. Dies führe aufgrund der Todesursache gelegentlich sogar zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Auch von etlichen anderen der insgesamt 39 Stellungnahmen für die Kommission wird auf diese Problematik hingewiesen, wie etwa von Cara, einer fortschrittlichen Beratungsstelle zu Pränataldiagnostik. Diese fordert die Verantwortlichen für Neuregelungen auf, die dargestellten „Problemlagen ernst zu nehmen, zumal sich mit einer möglichen Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und einer veränderten Perspektive auf Fristen ohnehin Fragen nach dem Umgang mit späten Schwangerschaftsabbrüchen stellen werden“.
Welches Fazit ist zu ziehen?
Das SPD-Positionspapier will das „Selbstbestimmungsrecht von Frauen stärken“ und „Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisieren“. Zudem sind Reformen zur Versorgungsverbesserung als Sofortmaßnahmen vorgesehen. Das alles ist unbedingt zu begrüßen!
Hingegen bleibt der – entgegen dem Titel des Positionspapiers – formulierte Anspruch, Rechte von Schwangeren mit einem „Schutzkonzept für das ungeborene Leben“ auszutarieren, unausgegoren. Er wird nicht eingelöst. (Eine solche Abwägung muss aber allein deshalb über ein Lippenbekenntnis hinausgehen, weil sonst diejenigen, die gegen eine liberale Neuregelung erneut vor das Bundesverfassungsgericht ziehen wollen, dort allzu leichtes Spiel hätten.) Medizinische und ethische Beiträge gegen ungeregelte Spätabtreibungen von Fach- und Interessenverbänden, welche die Expert*innen-Kommission eingeladen hatte, werden im SPD-Papier nicht zur Kenntnis genommen. Es bleibt dort fraglich, ob sich das „Lebensrecht des ungeborenen Kindes“ ausschließlich auf den Rechtsstatus zu beziehen hätte, außerhalb des Uterus bereits potentiell lebensfähig zu sein. Die im Papier noch vage bleibenden Angaben und Ausführungen, etwa auch zur Strafbarkeit für Gynäkolog*innen unter bestimmten Umständen, sollen der SPD-Fraktion hier nicht angekreidet werden. Entsprechende Konkretisierungen wären noch auszuarbeiten und abzustimmen. Es bleibt ihr Verdienst, einer frauenrechtlichen Grundsatzposition zum Durchbruch zu verhelfen, mit der politisch der richtige Kurs zur überfälligen Entkriminalisierung und Entstigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen eingeschlagen wird.
Dieser Beitrag erschien zuerst beim Humanistischen Pressedienst (hpd). Wir danken der hpd-Redaktion und der Autorin für die freundliche Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.
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