Das nunmehr gemeinsame, sogenannte „Christliche Krankenhaus“ in Lippstadt ist kein Einzelfall. Zur wirtschaftlichen und versorgungsmäßigen Effizienzsteigerung sollen zunehmend sinnvolle Fusionen durchgeführt werden. Katholische und evangelische Verwaltung unter einem gemeinsamen Dach? Dieses bislang für unmöglich gehaltene Novum findet gesundheitspolitische Anerkennung. Im Zuge der Krankenhausreform scheint aber die katholische Kirche bei Beteiligungsmodellen einen Hebel in der Hand zu haben, um ihre Moralvorstellungen entgegen deren gesellschaftlichem Relevanzverlust aufrechtzuerhalten. Wie andere Beispiele zeigen, drückt sie auch in Übernahme-Partnerschaften mit kommunalen Trägern die aktuelle Grundordnung des kirchlichen Dienstes der Deutschen Bischofskonferenz in den Gesellschaftsverträgen durch.
Dabei erklären die katholischen Träger rigorose Beschränkungen bei Schwangerschaftsabbrüchen zur unverhandelbaren Grundvoraussetzung – was bisher als nur kleines Detail keine Beachtung fand.
Klage gegen Spätabtreibungsverbot des Arbeitgebers
Erst der Fall des Lippstädter Chefarztes der Gynäkologie, Prof. Joachim Volz, hat zu öffentlicher Empörung geführt mit Demonstrationen („wir sind stolz auf Dr. Volz“), einer Welle von ärztlichen Solidaritätsadressen („Die Härte des katholischen Standpunktes empfinden wir als unbarmherzig“), medialer Berichterstattung (in Nachrichten von ARD und ZDF) bis hin zur inzwischen weit mehr als 250.000-fachen Zeichnung seiner Petition („Ich bin keine Mörder“). Volz erhielt Mitte Januar 2025 ein Schreiben der neuen Krankenhaus-Geschäftsführung, ab 1. Februar keine Schwangerschaftsabbrüche aufgrund medizinischer Indikation mehr durchführen zu dürfen. Nur wenn ansonsten akute Lebensgefahr für die Schwangere bestünde, wäre ausnahmsweise ein Abbruch weiterhin möglich. Sollte er diese Anweisung nicht befolgen, werde ihm gekündigt.
Dagegen ging Volz arbeitsgerichtlich vor – doch beim Arbeitsgericht Hamm zu seiner Enttäuschung vergeblich. Demgegenüber dürfte seine eingereichte Revision aussichtsreich sein (zumal das Hammer Urteil unter „Entscheidungsgründe“ fälschlicherweise anführt, dass Schwangerschaftsabbrüche gemäß medizinischer Indikation „nach staatlichem Recht möglicherweise nicht strafbar, gleichwohl aber rechtswidrig sind“). Allerdings könnte der Passus bestehen bleiben, worin erstinstanzlich sein beklagter neuer Arbeitgeber Recht erhielt. In der Urteilsbegründung heißt es dazu: Das Klinikum Lippstadt – Christliches Krankenhaus gGmbH sei im Rahmen seines Direktionsrechts zu der entsprechenden Anweisung gegenüber Prof. Dr. Volz berechtigt – und diese dürfe sich sogar auf die reproduktionsmedizinische Nebentätigkeit in seiner kassenärztlich anerkannten Privatpraxis beziehen!
Persönlicher Hintergrund von Prof. Volz
Auf der Internetseite joachimvolz.de ist zu lesen: Für ihn stand beim Wechsel an das evangelische Klinikum Lippstadt vor 13 Jahren im Vordergrund, „Frauen und jungen Paaren in der emotional extrem schwierigen Situation einer Schwangerschaft mit einem todgeweihten oder schwer behinderten Kind konsequent helfen zu können.“ Dies habe auch in seinem Arbeitsvertrag Ausdruck gefunden. Dabei gehörten die herkömmlich regelhaften Abbrüche (das heißt innerhalb der 3‑Monatsfrist nach Pflichtberatung) nicht zu seinen Aufgaben, wohl aber die Aus- und Fortbildung.
Er habe die klinisch besonders anspruchsvolle Aufgabe von Spätabbrüchen bei Feten (das sind bereits weit entwickelte Embryonen) dann „mit Unterstützung seines gesamten Teams, einer Ethikkommission und der evangelischen Geschäftsführung ruhig und hochprofessionell leisten können“, heißt es dort, und weiter zur Erklärung: „Eine medizinische Indikation liegt vor, wenn für die Schwangere die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes besteht. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn bei Untersuchungen festgestellt wird, dass das Ungeborene an schwersten, oft nicht lebensfähigen Fehlbildungen oder Beeinträchtigungen leiden wird.“
Volz betont: Er hätte überwältigenden Zuspruch erfahren und kenne persönlich keinen Menschen, der das kirchliche Verbot nachvollziehbar fände. „Ich liebe meinen Job und ich werde nicht aufgeben und weiter für die Frauen kämpfen.“ Weglaufen käme für ihn nicht in Frage, was zudem den Versorgungsengpass noch verschärfen würde – ein Argument, welches das Gericht vollständig unbeachtet ließ.
Rechtmäßige Spätabbrüche unter der Lupe
In Deutschland ist die Begründung für eine eigentlich fetopathische Indikation (bei Fehlbildung oder Schädigung des Fetus) der medizinischen Indikation zugerechnet, womit das Selbstbestimmungsrecht und Wohl der Frau in den Vordergrund rückt. In einem solchen Fall ist der – meist nicht vor dem vierten Schwangerschaftsmonat durchgeführte – Schwangerschaftsabbruch (anders als bei der sog. Beratungsregelung innerhalb von drei Monaten) nicht rechtswidrig. Er ist erst recht nicht strafbar – obwohl der Fötus bereits außerhalb des Uterus lebensfähig sein könnte.
Dies mag irritierend sein und solche Spätabtreibungen aufgrund eines fetopathischen Befundes mittels Pränataldiagnostik sind – teils zwischen Frauenrechts- und Behindertenbewegung – nicht unumstritten. Meist wird das Thema „Lebensschutz“ lieber ausgeblendet. Dies gilt in Bezug auf voraussichtlich graduelle Beeinträchtigung des Ungeborenen, etwa ob es sich um sein späteres Leben mit Trisomie (Down-Syndrom) handelt oder aber mit schweren organischen und/oderdas Gehirn betreffenden Schädigungen (wie etwa Anencephalie), was meist mit wenig Überlebenszeit und viel Leid verbunden ist.
Diese Fragen, die unweigerlich mit der Abwägung von Lebenswert und ‑qualität der späteren Existenz einhergehen, werden gern verdrängt und sind heikel. Der Humanistische Verband Deutschlands – Bundesverband hatte sich sozusagen getraut, am 29. Januar 2025 diesbezüglich zur zweiten Podiumsveranstaltung seiner Reihe zur Neuregelung § 218 ins Berliner Haus des Humanismus einzuladen.
Verständlicherweise steht dieses sensible und komplexe Thema nicht gerade im Zentrum von Bündnissen für sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung, welche für (queerkonform!) weibliche Personen die unbeschränkte Wahlfreiheit („Pro-Choice“) zum Schwangerschaftsabbruch fordern – und nicht nur eine ersatzlose Abschaffung der §§ 218 ff. StGB, sondern zudem das Ende von Patriarchat und Entmündigung.
Die Vernachlässigung der religionspolitischen Aspekte
Auch bei Aufrufen, Aktionstagen wie dem Safe Abortion Day oder den zahlreichen Initiativen spielt das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland offenbar keine Rolle. Aktuell fordert die Initiative grundrecht-abtreibung.de die Aufnahme des Freiheitsrechts auf Schwangerschaftsabbruch ins Grundgesetz (wie in Frankreich), weil auch die Streichung von § 218 nicht ausreichend wäre und die Gefahr durch rechtsextreme und autokratische politische Kräfte abgewehrt werden müsse. Führt die immer weiterreichende Einbeziehung von diversen Anliegen vielleicht dazu, konkrete religionspolitische Entwicklungstendenzen in unserer Krankenhauslandschaft unbeachtet zu lassen?
Der Anspruch auf eine fachgerechte Behandlung bei einer medizinischen Indikation (das Gleiche gilt auch bei kriminologischer Indikation nach Vergewaltigung) gemäß § 218 a Abs. 2 wird durch katholische Moralnormen ausgehebelt. Es widerspricht aber der Trennung von Kirche und Staat und ist inakzeptabel, dass diese Schwangerschaftsabbrüche aufgrund religiös motivierter Vorgaben im Krankenhaus nur noch bei akuter Lebensgefahr der Schwangeren erlaubt sein sollten.
Zwei weitere Punkte zur fragwürdigen Verbotsanweisung
1. Die gegen Volz ausgesprochenen Verbotsanweisungen betreffen ausgerechnet die unstrittig rechtkonformen und krankenkassen-finanzierbaren Abbrüche nach medizinischer Indikation. Das heißt, die immer wieder geforderte Abschaffung der grundsätzlichen Strafbarkeit bei der überwältigenden Mehrheit (von ca. 95 %) „nicht-indizierter“ Abbrüche steht auf einem ganz anderen Blatt. Das Gebot (nicht nur die ausdrückliche gesetzliche Erlaubnis!) unter medizinisch indizierten Umständen auf Wunsch der betroffenen Frau die Schwangerschaft abzubrechen, darf hingegen gar nicht willkürlich eingeschränkt werden.
2. Das Arbeitsgericht Hamm hielt das Verbot jedoch für statthaft und verwies auf das staatlich in Art. 140 Grundgesetz zugestandene Selbstbestimmungs- bzw. Gestaltungsrecht bei kirchlicher Trägerschaft. Dies geschah im Fall des „christlichen Krankenhaus“ in Lippstadt allerdings zu Unrecht. Denn es ist dort keine einheitliche Glaubensnorm vorhanden, auf die sich die fusionierte Klinik korrekterweise stützen konnte. Die katholische Kirchenlehre bezeichnet jede Abtreibung als Sünde und Papst Franziskus sprach von Auftragsmorden. Der religionspolitische Experte Prof. Hartmut Kreß führt dazu aus: Die Begründung ergibt sich aus der katholischen Lehre, dass Gott dem damit unantastbaren Embryo bereits bei der Empfängnis eine Geistseele eingebe. Diese Auffassung wäre vom Protestantismus nie geteilt worden, der sich zudem für Gewissensfreiheit ausspräche. Tatsächlich sei, so Kreß, nach der Fusion keine kirchliche Glaubenslehre mehr vorhanden, auf die sich das neu gegründete „Christliche Krankenhaus“ stützen könnte.
Fazit zum Tag der Sicherstellung von Schwangerschaftsabbrüchen
Zumindest am Rande sollte einmal die Forderung laut werden: Keinesfalls darf es sich wiederholen, dass Kliniken im Zuge weiterer Krankenhausfusionen zu derartigen katholischen Bedingungen fusionieren. Dabei werden auch die allein kirchlich getragenen Krankenhäuser nicht etwa aus Kirchensteuermitteln finanziert, sondern aus öffentlichen Mitteln (Landes- und Bundeszuschüsse, Krankenkassenleistungen).
Eine willkürliche Einschränkung gibt es auch in anderer (nicht kirchlicher) Trägerschaft mit gynäkologischer Abteilung und ist dort ebenso unhaltbar. Denn das öffentliche Gesundheitswesen muss die medizinische Versorgung beim Schwangerschaftsabbruch adäquat gewährleisten und der Staat hätte (zumindest die bestehenden!) individuellen Grundrechte der Patientinnen gesetzlich zu schützen.
Nicht nur bleibt es nach dem gescheiterten Versuch einer Neuregelung bei der grundsätzlichen Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs. Katholischen „Fusionspartner” haben dafür gesorgt, dass die ohnehin reformbedürftige deutsche Abtreibungsregelung noch verschärft und auch die bisherige Durchführung von rechtmäßigen Abtreibungen in der Lippstädter Klinik nach § 218a Abs. 2 verboten wurde. Der Widerstand dagegen im Fall Prof. Volz lässt allerdings hoffen.