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Leben und Werk von Humanist*innen

Buchreihe „Humanistische Porträts”

Bände der Reihe Humanistische Porträts
Bände der Reihe Humanistische Porträts

Beitragsbild: Humanistische Akademie Berlin-Brandenburg

Die Reihe „Humanistische Porträts“ widmet sich dem Leben und Werk von Humanistinnen und Humanisten, es zeigt die Menschen im Humanismus. Hubert Cancik, einer der drei Herausgeber, erläutert Anlass und Konzept der Reihe und auch die Probleme, denen sie gegenübersteht.

1. Der Anlass

1.1 Was sind und wozu braucht man „Huma­nis­ti­sche Por­träts“? Was ist das Ziel, das Kon­zept die­ser klei­nen Rei­he? Wie ist es ent­stan­den, was war der Anlass? Und schließ­lich: Wel­che Pro­ble­me gibt es? Ein Pro­blem ist nicht etwa, wie man mei­nen könn­te, der Huma­nis­mus.

„Huma­nis­mus“ ist ein­fach eine kul­tu­rel­le Bewe­gung, ein Bil­dungs­pro­gramm, eine Epo­che (die ita­lie­ni­sche Renais­sance), eine Tra­di­ti­on (das „klas­si­sche Erbe“), eine Welt­an­schau­ung (Auf­klä­rung; Frei­den­ker, Frei­re­li­giö­se), eine Form von prak­ti­scher Phi­lo­so­phie, eine poli­ti­sche Grund­hal­tung, wel­che für die Durch­set­zung der Men­schen­rech­te ein­tritt, ein Kon­zept der täti­gen Barm­her­zig­keit, der huma­ni­tä­ren Pra­xis. So steht es in „Huma­nis­mus: Grund­be­grif­fe”. Das ist, so scheint es, hin­rei­chend klar. Die Fra­ge ist also nicht, was ist Huma­nis­mus, son­dern wer oder was ist ein Huma­nist? Das ist in den „Grund­be­grif­fen“ nicht geklärt.

1.2 In die­sem Hand­buch gibt es Arti­kel zu ‚Geschich­te’ und ‚Per­sön­lich­keit’, es gibt aber kei­ne Geschich­ten und kei­ne Per­so­nen. Ein ein­zi­ges Men­schen­bild ziert das Hand­buch „Grund­be­grif­fe“. Es zeigt einen männ­li­chen und einen weib­li­chen Men­schen in anti­ker Pose und im Licht­kleid. Sie ste­hen vor den Tei­len einer Raum­son­de, die auf dem Weg aus unse­rem Son­nen­sys­tem in die Milch­stra­ße fliegt und fer­nen Lebe­we­sen, wenn es sie gibt, das euro­päi­sche Men­schen­bild der Jah­re 1971/72 näher­bringt. Die Pla­ket­te auf dem Raum­schiff ist das ein­zi­ge Kunst­werk und das ein­zi­ge Bild vom Men­schen, das in den „Grund­be­grif­fen“ abge­bil­det ist.

Das Hand­buch „Grund­be­grif­fe“ bie­tet nur eine Aus­wahl von fun­die­ren­den Begrif­fen, mit deren Hil­fe ein „offe­nes Sys­tem“ Huma­nis­mus beschrie­ben wer­den kann, hat aber kei­ne „Per­so­nen-Arti­kel“; es zeigt also gewis­ser­ma­ßen einen Huma­nis­mus ohne Men­schen.

2. Das Konzept

2.1 Ein Por­trät zeigt das Bild einer oder meh­re­rer Per­so­nen, immer in Aus­schnit­ten, immer selek­tiv. Das Zen­trum ist der Kopf, en face oder im Pro­fil, und die cha­rak­te­ris­ti­schen Züge des Gesichts. Nur in Tei­len oder gar nicht wird der Kör­per dar­ge­stellt, bis zur Schul­ter – die Büs­te, bis zur Hüf­te – das Hüft­stück. Mimik und Hal­tung, Klei­dung und Schmuck signa­li­sie­ren Alter, Stand, Beruf, den Typus und Cha­rak­ter, rea­lis­tisch oder idea­li­siert. Das Wich­tigs­te aber ist der Aus­druck des Gesichts. Hier erscheint das Beson­de­re, das Ein­zig­ar­ti­ge der dar­ge­stell­ten Per­son, nach anti­ker Anthro­po­lo­gie das pro­pri­um, das ídi­on eines Indi­vi­du­ums.

Auf Text über­tra­gen bezeich­net „Por­trät“ eine kur­ze Beschrei­bung einer Per­son, so etwa in einer Bewer­bung oder einem Nach­ruf, und die deskrip­ti­ve Cha­rak­te­ris­tik (descrip­tio) einer Per­son inner­halb eines Epos oder Geschichts­werks. Das lite­ra­ri­sche Por­trät ist kei­ne Bio­gra­phie, kei­ne umfas­sen­de, gleich­mä­ßig aus­führ­li­che Erzäh­lung aller Sta­tio­nen des Lebens und Wir­kens einer Per­son. Und selbst die Bio­gra­phie ver­fährt bewusst selek­tiv. Die Fül­le des Gesche­hens, heißt es in einer klas­si­schen Defi­ni­ti­on (Plut­arch), muss „zuge­schnit­ten“ – epi­to­miert – wer­den. Leben ist kei­ne His­to­rie, ein bíos ist kei­ne his­to­ría. Die gro­ßen spek­ta­ku­lä­ren Ereig­nis­se offen­ba­ren gera­de nicht den Cha­rak­ter: „viel­mehr erzeugt ein kur­zer Vor­fall, ein Spruch, ein Scherz eher den Ein­druck des Ethos als Schlach­ten mit Tau­sen­den Gefal­le­ner oder die größ­ten Rüs­tun­gen und Bela­ge­run­gen von Städ­ten“. Plut­arch (um 45 – um 125 u. Z.) fährt fort: „Also, wie die Maler die Ähn­lich­kei­ten (in ihren Por­träts) vom Gesicht und dem Aus­druck der Augen neh­men, in denen das Ethos erscheint, und sich dabei am wenigs­ten um die übri­gen Tei­le des Kör­pers küm­mern, so muss es auch mir gestat­tet sein, eher in die Zei­chen der See­le ein­zu­drin­gen und durch sie das Leben des Ein­zel­nen abzu­bil­den und ande­ren die Groß­ta­ten und Kämp­fe zu über­las­sen.“

2.2 Das lite­ra­ri­sche Por­trät ist eine kon­zen­trier­te, noch stär­ker „zuge­schnit­te­ne“ Bio­gra­phie. Sei­ne Struk­tur ist der bíos, Lebens­lauf und Lebens­form. Dar­in ein­ge­bet­tet sind die Umris­se eines lite­ra­ri­schen Œuvres, oder in Por­träts von Män­nern und Frau­en, die als Juris­ten, Ärz­te, Künst­ler, Poli­ti­ker, Natur­for­scher tätig waren, die Umris­se ihrer Wirk­sam­keit.

Etwas Klei­nes ist gesucht, ein Büch­lein, das „in eine Hand“ passt, ein En-chei­ri­d­ion, das man bei sich trägt, wie das Minia­tur­por­trät im Medail­lon um den Hals oder in der Brief­ta­sche: klein, ein­fach, mög­lichst preis­wert, trans­por­ta­bel, zum Ver­schen­ken.

In der Emp­feh­lung an die Autor*innen der Rei­he heißt es: „Ziel der Rei­he ist es, ver­mit­telt über das Leben und Werk von Per­so­nen, einen brei­ten und nicht nur aka­de­mi­schen Per­so­nen­kreis für Huma­nis­mus zu inter­es­sie­ren. Ein huma­nis­ti­sches Por­trät bean­sprucht kei­ne Voll­stän­dig­keit, son­dern wählt selek­tiv aus Bio­gra­phie und Werk der jewei­li­gen Per­son nur das aus, was in huma­nis­ti­scher Per­spek­ti­ve inter­es­sant ist. Die Tex­te sol­len Lese­rin­nen und Lesern einen wis­sen­schaft­lich fun­dier­ten sowie unter­halt­sa­men und nied­rig­schwel­li­gen Zugang ermög­li­chen, gege­be­nen­falls ist ein Glos­sar not­wen­dig.“

Das klei­ne Huma­nis­ti­sche Por­trät ist nicht die Form für die Ver­eh­rung gro­ßer Män­ner oder Frau­en. Die huma­nis­ti­sche Per­spek­ti­ve kann die bio­gra­phi­sche Illu­si­on ver­hin­dern, die Annah­me, lücken­lo­se Chro­no­lo­gie könn­te den Zusam­men­hang, den Sinn, das Ziel eines Lebens zei­gen (teleo­lo­gi­sche Ver­su­chung).

Die­se Per­spek­ti­ve kann auch die Kon­struk­ti­on von „Gestal­ten“ ver­hin­dern, von „Mythen­schau“ und „aka­de­mi­scher Hel­den­sa­ge“, wie sie einst in den „Gestalt­bü­chern“ über Cae­sar und die Geschich­te sei­nes Ruhms oder Fried­rich den Stau­fer erschie­nen sind (hero-wor­ship – die heroi­sche Ver­su­chung).

Ein huma­nis­ti­sches Por­trät ist nicht Hagio­gra­phie, nicht Hei­li­gen­le­gen­de, es schafft kei­ne Gale­rie von ver­ehr­li­chen Vor­bil­dern, son­dern ist anschau­li­che Cha­rak­te­ris­tik und kri­tisch. Auch Schei­tern, Fehl­ent­wick­lung und Miss­brauch gehö­ren in die Geschich­te der Huma­nis­ti­schen Bewe­gung, wenn die stu­dia huma­ni­ta­tis für unmensch­li­che Zwe­cke instru­men­ta­li­siert wer­den (die hagio­gra­phi­sche Ver­su­chung).

Dabei gilt es, auch der phy­sio­gno­mi­schen Ver­su­chung zu wider­ste­hen, der Illu­si­on, das Bild eines gan­zen Lebens sei in einer ein­zi­gen Anek­do­te erfasst, der Cha­rak­ter, das ‚Wesen’ einer Per­son sei in einem beson­de­ren Zug von Gesicht und Gestalt, sei in sei­ner Phy­sio­gno­mie zu fin­den.

Und schließ­lich die ver­track­te Auf­ga­be, die Ver­schlin­gun­gen von Leben und Werk zu durch­schau­en. Der Blick aus dem Werk auf das Leben und umge­kehrt, von der lyri­schen Stro­phe auf die Befind­lich­keit des Schrei­ben­den ist not­wen­dig, aber ver­füh­re­risch, oft irre­füh­rend und reduk­tio­nis­tisch. Lite­ra­tur und Leben sind ver­schie­den und nicht zu tren­nen. Das lite­ra­ri­sche Por­trät ver­sucht sich an der Syn­the­sis.

Die Mit­te eines huma­nis­ti­schen Por­träts bil­den „das Wun­der des Indi­vi­du­ums […] mit sei­nem nach allen Rich­tun­gen aus­ge­leb­ten Leben“ (Anna Seg­hers), die Per­son, der „gan­ze Mensch“, sei­ne Lebens­pra­xis und sein Werk, die viel­fäl­ti­gen welt­an­schau­li­chen Misch­for­men und die indi­vi­du­el­len Syn­the­sen, nicht ein rei­ner Huma­nis­mus an sich in sei­nen kla­ren, ein­deu­ti­gen Grund­be­grif­fen. Dies ist die Hoff­nung der drei Her­aus­ge­ber, for­mu­liert in dem Vor­wort zu der neu­en Rei­he (s. Kas­ten).

3. Probleme

a) Unser ers­tes Pro­blem ist die beschränk­te Kom­pe­tenz der Her­aus­ge­ber­frei­heit. Das bis­her abseh­ba­re Pro­fil der Rei­he ist euro­pä­isch und deutsch­spra­chig, weit ent­fernt von den Ansprü­chen eines inter­kul­tu­rel­len Huma­nis­mus. Die schö­ne Lite­ra­tur ist über­re­prä­sen­tiert. Noch feh­len die Juris­ten, Poli­ti­ker, Ärz­te, Künst­ler (also Namen wie Nel­son Man­de­la, Cesa­re Bec­ca­ria, Bona Pei­ser, Mahat­ma Gan­dhi, Albrecht Dürer, Käthe Koll­witz, Anna Seg­hers, Bru­no Wil­le, Juli­an Hux­ley, Rudolf Pen­zig).

b) Die Auf­nah­me pro­ble­ma­ti­scher Per­so­nen ist unklar: Bekom­men Edu­ard Spran­ger und Wer­ner Jae­ger und ihr „Drit­ter Huma­nis­mus“, bekommt Fried­rich Nietz­sche, der Huma­nist, Huma­nis­mus-Refor­mer und Anti­hu­ma­nist, oder Fried­rich der II. von Hohen­stau­fen (1210–1250), der offi­zi­ell erklär­te Anti­christ, einen Platz in die­ser Rei­he?

Schließ­lich: Sol­len Zeit­ge­nos­sen auf­ge­nom­men wer­den? Kön­nen Städ­te por­trä­tiert wer­den, gibt es etwa ein huma­nis­ti­sches „Stadt­bild“ von Flo­renz?

Eini­ge die­ser Pro­ble­me wer­den sich lösen, ande­re wer­den uns beglei­ten und neue wer­den nach­wach­sen. Aber ein Anfang ist gemacht, und „der Anfang“, so heißt es, „ist die Hälf­te des Gan­zen“.

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