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Wie eine Friedensorganisation auf unterschiedlichen Ebenen Dialog schafft

Frieden ist möglich

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Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Gewalt. In Krisengebieten arbeitet die Berghof Foundation sowohl mit Entscheidungsträger*innen als auch direkt vor Ort. Das Beispiel eines lokalen Einsatzes der Nichtregierungsorganisation in Jemen zeigt: Durch Dialog auf verschiedenen Ebenen können Konflikte transformiert werden.

Der rus­si­sche Angriffs­krieg auf die Ukrai­ne hat vie­len Europäer*innen gezeigt, was für Mil­lio­nen Men­schen welt­weit bereits grau­sa­me Rea­li­tät ist: Gewalt und Krieg brin­gen Tod und unvor­stell­ba­res Leid. In Zei­ten schein­ba­ren Frie­dens ver­drän­gen wir das, wenn es nicht in unse­rer Nähe pas­siert. Die­sen Luxus kön­nen sich Mil­lio­nen Men­schen nicht leis­ten.

In Äthio­pi­en herrsch­te bis vor Kur­zem für zwei Jah­re einer der bru­tals­ten und töd­lichs­ten Krie­ge, der Tau­sen­de Men­schen das Leben kos­te­te und Mil­lio­nen ver­trieb. Auch in Jemen beför­dert der gewalt­tä­ti­ge Kon­flikt eine huma­ni­tä­re Kri­se, die in unse­ren Medi­en viel zu wenig Auf­merk­sam­keit fin­det. Der Sudan, wo seit April Hun­der­te Zivi­lis­ten den Kämp­fen zum Opfer fal­len, fin­det zwar aktu­ell in unse­re Schlag­zei­len – wir müs­sen jedoch aktiv dar­an arbei­ten, dass auch die­ser Kon­flikt nicht aus unse­rem Blick­win­kel ver­schwin­det.

Mehr als nur keine Gewalt

Krieg bringt nicht nur offen­sicht­li­ches Leid, Krieg stellt immer wie­der in Fra­ge, wie wir als Men­schen zusam­men­le­ben möch­ten. Und genau­so ist Frie­den nicht ledig­lich das Weg­blei­ben von Gewalt, son­dern die gro­ße Her­aus­for­de­rung, gemein­sam zu defi­nie­ren, wie wir als Gesell­schaft funk­tio­nie­ren. Ein umfas­sen­der Ansatz für die Fra­ge „Wie funk­tio­niert Frie­den?“ beinhal­tet neben der offen­sicht­li­chen Ableh­nung von Dis­kri­mi­nie­rung und Gewalt auch einen posi­ti­ven Frie­dens­be­griff, also die Stär­kung der sozia­len Gerech­tig­keit und die Schaf­fung einer Kul­tur des Frie­dens inner­halb und zwi­schen den Gesell­schaf­ten.

Frie­den steht also im engen Ver­hält­nis zu den Men­schen­rech­ten und den Grund­be­dürf­nis­sen der Bevöl­ke­rung. In huma­ni­tä­ren Kri­sen, wie bei­spiels­wei­se im Liba­non, ist der Ver­such, Dia­lo­ge zwi­schen ver­schie­de­nen Glau­bens­ge­mein­schaf­ten her­zu­stel­len, getrie­ben von dem Wunsch, eine Grund­la­ge für inklu­si­ve und demo­kra­ti­sche Struk­tu­ren auf­zu­bau­en. So erhofft man sich, auch die wirt­schaft­li­chen und huma­ni­tä­ren Kri­sen im Land auf lan­ge Sicht zu been­den.

Eine Grund­vor­aus­set­zung für Frie­dens­ar­beit ist, dass sie von den Men­schen vor Ort gewollt und ange­trie­ben wird. Es gilt das Mot­to: Frie­den nicht nur für den Frie­dens­wil­len, son­dern für die Men­schen, die ihn wol­len.

Konflikte lokal transformieren

Jeder Kon­flikt ist ein­zig­ar­tig, und doch soll­te sich die Kon­flikt­trans­for­ma­ti­on auf grund­le­gen­de Prin­zi­pi­en stüt­zen: Kon­flik­te sind nicht grund­sätz­lich schlecht, son­dern Teil mensch­li­cher Aus­ein­an­der­set­zung und Antrieb für Ver­än­de­rung und Fort­schritt. Selbst inmit­ten von Zer­stö­rung kön­nen sozia­le und poli­ti­sche Kon­flik­te Kräf­te des posi­ti­ven Wan­dels ent­wi­ckeln. Kon­flikt­par­tei­en müs­sen dafür ler­nen, wie man ohne Gewalt und kon­struk­tiv mit­ein­an­der umgeht, und sie müs­sen gemein­sam nach Wegen suchen, um die Miss­stän­de und Pro­ble­me anzu­ge­hen, die sie von­ein­an­der distan­zie­ren. Frie­dens­för­de­rung hat dem­entspre­chend nicht das Ziel, Kon­flik­te abzu­schaf­fen, son­dern Impul­se zu geben, wie gewalt­tä­ti­ge Kon­flik­te in nach­hal­ti­ge Lösun­gen umge­wan­delt wer­den kön­nen. Des­we­gen spricht die Berg­hof Foun­da­ti­on nicht nur von „Frie­den schaf­fen“, son­dern von „Kon­flik­te trans­for­mie­ren“.

Oft haben wir das Bild vom Ver­hand­lungs­tisch im Kopf, wenn wir an Frie­den den­ken. Das ent­spricht nur teil­wei­se der Rea­li­tät. Es reicht eben nicht, allein mit poli­ti­schen Entscheidungsträger*innen – bei­spiels­wei­se auf natio­na­ler Ebe­ne – zu spre­chen. Nur ein Ansatz, der von loka­len Com­mu­ni­tys über Poli­cy­ma­ker bis zu natio­na­len und inter­na­tio­na­len Entscheidungsträger*innen reicht, ver­spricht lang­fris­ti­gen Erfolg.

Das wird am Bei­spiel von Jemen klar. Dort arbei­tet die Berg­hof Foun­da­ti­on nicht nur mit Kon­flikt­par­tei­en und Entscheidungsträger*innen, son­dern auch auf der loka­len Ebe­ne, um Men­schen ganz kon­kret zu hel­fen, aber auch um natio­na­le Bemü­hun­gen zu unter­stüt­zen. Bei­spiels­wei­se wirk­te Berg­hof in Al-Absi­y­ya, einem klei­nen Dorf im gebir­gi­gen zen­tra­len Hoch­land Jemens. Dort wur­de 2014 durch einen Kon­flikt ein nagel­neu­es ört­li­ches Gesund­heits­zen­trum geschlos­sen. Loka­le Frie­dens­ar­beit konn­te kon­struk­ti­ve Gesprä­che zwi­schen den ver­fein­de­ten Grup­pen initi­ie­ren und damit zu einer erneu­ten Öff­nung des Kran­ken­hau­ses füh­ren. Wie genau läuft so ein Pro­zess ab?

Mediation in Jemen

Jemen befin­det sich inmit­ten eines bereits acht Jah­re anhal­ten­den Bür­ger­kriegs und ist Ort der schwers­ten huma­ni­tä­ren Kri­se der Welt. Ange­sichts der Hun­gers­not, die Hun­dert­tau­sen­de von Men­schen­le­ben bedroht, sind 21,6 Mil­lio­nen Jemenit*innen – davon 11 Mil­lio­nen Kin­der – auf huma­ni­tä­re Hil­fe ange­wie­sen. Inmit­ten des Kon­flikts zwi­schen Hut­hi-Rebel­len und der inter­na­tio­nal aner­kann­ten Regie­rung, wei­ter ver­kom­pli­ziert durch regio­na­le Akteur*innen wie Iran oder Sau­di-Ara­bi­en, sind für die Jemenit*innen die Bewäl­ti­gung loka­ler Pro­ble­me oft wich­ti­ger als die natio­na­le Poli­tik. Denn die­se haben mas­si­ve Aus­wir­kun­gen auf ihr all­täg­li­ches Leben, Gesund­heit und Sicher­heit.

2014 wur­de das Gesund­heits­zen­trum von Al-Absi­y­ya geschlos­sen, nach­dem ein Streit zwi­schen zwei Apo­the­ken­be­sit­zern eska­liert war. Um die fest­ge­fah­re­ne Situa­ti­on zu lösen, schal­te­te sich der Bera­ten­de Aus­schuss ein. Die­ses Gre­mi­um wur­de vom Poli­ti­cal Deve­lo­p­ment Forum, einer engen jeme­ni­ti­schen Part­ner­or­ga­ni­sa­ti­on der Berg­hof Foun­da­ti­on, gegrün­det. Es besteht aus Politiker*innen und Vertreter*innen der Zivil­ge­sell­schaft, ver­schafft loka­len Anlie­gen auf Gou­ver­neurs­ebe­ne Gehör und schlich­tet loka­le Kon­flik­te. In die­sem kon­kre­ten Fall wur­de eine Grup­pe gebil­det, die in dem Kon­flikt ver­mit­teln soll­te.

Die Grup­pe lei­te­te einen Media­ti­ons­pro­zess ein, zu dem die bei­den Kon­flikt­par­tei­en, die Dorf­be­völ­ke­rung und die Lei­tung des Gesund­heits­zen­trums, ein­ge­la­den wur­den. So konn­te eine Lösung für den Kon­flikt zwi­schen den bei­den Apo­the­ken­be­sit­zern gefun­den wer­den: Das Gesund­heits­amt des Distrikts wech­sel­te das Ver­wal­tungs­per­so­nal des Gesund­heits­zen­trums aus, das durch den Mana­ger direkt in den Kon­flikt invol­viert war, und eröff­ne­te eine öffent­li­che Apo­the­ke, um den ursprüng­li­chen Streit­punkt zu lösen.

Eine Erfolgs­ge­schich­te: Im Okto­ber 2018 konn­te das Gesund­heits­zen­trum end­lich wie­der öff­nen und die 6.000 in der Regi­on leben­den Men­schen ver­sor­gen. Bereits in den ers­ten drei Mona­ten nach der Eröff­nung wur­den über 1.200 Patient*innen behan­delt.

Vorbilder schaffen und Krisen frühzeitig angehen

Die­ses posi­ti­ve Bei­spiel lös­te in der Regi­on ein gro­ßes Echo aus. Der Bera­ten­de Aus­schuss erhielt zahl­rei­che Anfra­gen aus benach­bar­ten Bezir­ken, um Kon­flik­te zu lösen. Mit Unter­stüt­zung des Aus­schus­ses wur­den meh­re­re ande­re loka­le Gesund­heits­zen­tren wie­der­eröff­net. Das zeigt, wie wich­tig es ist, dass in Frie­dens­pro­zes­sen Bemü­hun­gen auf meh­re­ren Ebe­nen par­al­lel statt­fin­den. Das kann Leben ret­ten und schafft wich­ti­ge Vor­bil­der für Ande­re. Und die Arbeit kom­ple­men­tie­ren Ver­hand­lun­gen auf natio­na­ler Ebe­ne, die oft lang­wie­rig sind und fern­ab der Bevöl­ke­rung ablau­fen. Das ist ein wich­ti­ger Bei­trag zur Sta­bi­li­sie­rung, denn natio­na­le Abkom­men sind auf loka­le Unter­stüt­zung ange­wie­sen und kön­nen leicht durch loka­le Kon­flik­te unter­mi­niert wer­den.

Die Dring­lich­keit der Frie­dens­ar­beit ist bedau­er­li­cher­wei­se gestie­gen. Hin­zu kommt, dass die Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels loka­le Com­mu­ni­tys wie in Al-Absi­y­ya vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen stel­len wird. Der Kli­ma­wan­del wird bestehen­de Kon­flik­te inten­si­vie­ren oder sogar neue schaf­fen – ins­be­son­de­re dort, wo Res­sour­cen wie Was­ser und Acker­land knapp wer­den. Gemein­sa­me Beden­ken über die Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels kön­nen jedoch auch ein Ansatz­punkt sein, um Kon­flikt­par­tei­en in einen Dia­log zu brin­gen. Friedensmacher*innen müs­sen bereits jetzt die soge­nann­te Kli­ma­si­cher­heit und gesell­schaft­li­che Anpas­sung an den Kli­ma­wan­del im Blick behal­ten. Natür­lich braucht es dafür wis­sen­schaft­li­che Exper­ti­se. Frie­dens­ar­beit geht daher Hand in Hand mit der For­schung sowie mit der Päd­ago­gik – damit die nächs­ten Gene­ra­tio­nen so früh wie mög­lich die Grund­wer­te der Frie­dens­ar­beit ver­ste­hen und anwen­den kön­nen.

Berghof Foundation

Die Berg­hof Foun­da­ti­on ist eine unab­hän­gi­ge, gemein­nüt­zi­ge und nicht­staat­li­che Orga­ni­sa­ti­on mit Haupt­sitz in Ber­lin, einem Sitz in Tübin­gen, einem Büro in Bei­rut und inter­na­tio­na­len Außen­stel­len. Sie unter­stützt seit über 50 Jah­ren in Kon­flikt­ge­bie­ten Men­schen, fried­li­che Lösun­gen für gewalt­tä­ti­ge Kon­flik­te zu fin­den.
Mehr unter berghof-foundation.org

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