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Erfahrungsbericht einer mutigen Frau

Vom alltäglichen Kampf um Freiheit im Iran

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IranerinIranerin

Beitragsbild: cottonbro studio / Pexels

Dieser Bericht der Iranerin Nasim, basierend auf ihren detaillierten Tagebuchaufzeichnungen, zeigt das erschreckende Ausmaß von systematischer Überwachung und Verfolgung, patriarchaler Strukturen und sexualisierter Gewalt. Zum Schutz ihrer Person und ihrer Familie werden keine weiteren Angaben zur Identität der Autorin gemacht.

Mein Name ist Nasim. Ich bin 32 Jah­re alt. Ich bin Ira­ne­rin. Mein All­tag als Frau im Iran war ein stän­di­ger Kampf und hat mich ver­än­dert.

In den ers­ten Jah­ren mei­nes Lebens habe ich kaum Dis­kri­mi­nie­rung erlebt, weil mei­ne Eltern für­sorg­lich und ver­ständ­nis­voll waren. Die Dis­kri­mi­nie­rung begann, als wir uns in der Öffent­lich­keit zei­gen woll­ten.

Mei­ne ers­te unan­ge­neh­me Erfah­rung mach­te ich, weil ich ein Mäd­chen war. Ich war etwa sie­ben oder acht Jah­re alt und spiel­te mit mei­nem Vater im Park in unse­rer Nach­bar­schaft Feder­ball. Ein Basid­schi (Ange­hö­ri­ger der Para­mi­liz im Iran, die in der Öffent­lich­keit aktiv ist und die isla­mi­schen Geset­ze durch­setzt, Anm. d. Red.) kam wütend auf mich zu, schrie mich an und kri­ti­sier­te mei­ne Klei­dung. Ich trug einen Rock. Mein Vater kam dazu. Der Basid­schi stritt mit mei­nem Vater, der ihm sag­te, dass sein Ver­hal­ten unmensch­lich und dass ich noch ein Kind sei. Der Mann ging weg, mein Vater nahm mich auf den Arm und wir ver­lie­ßen den Park.

Schule

Eine wei­te­re unan­ge­neh­me Erfah­rung war das Tra­gen des Hijabs und der dunk­len Stoff­uni­form am ers­ten Schul­tag. Wir muss­ten den Hijab tra­gen, sonst durf­ten wir nicht in die Schu­le. Die ande­ren Mäd­chen und ich, auch vie­le aus reli­giö­sen Fami­li­en, haben erst mit 14 oder 15 Jah­ren ange­fan­gen, den Hijab auch außer­halb der Schu­le zu tra­gen. Wir leg­ten das Kopf­tuch ab, bis wir kei­ne Kin­der mehr waren und uns ohne Kopf­tuch nicht mehr sicher genug fühl­ten. Die Schu­le war zunächst der ein­zi­ge Ort, an dem wir uns mit die­sen selt­sa­men Din­gen aus­ein­an­der­set­zen muss­ten. Die weni­gen Schü­le­rin­nen, die einen reli­giö­sen Hin­ter­grund hat­ten, muss­ten sich auch zu Hau­se damit befas­sen. Wir wuss­ten damals nicht, wie gefähr­lich es sein konn­te, kei­nen Hijab zu tra­gen, und wel­che Kon­se­quen­zen das haben konn­te.

„Unangemessene“ Hijabs

Die ira­ni­sche Ver­fas­sung erlaubt die „Inter­pre­ta­ti­on des Islams“, was es den reli­giö­sen Auto­ri­tä­ten leicht macht, in ihrem eige­nen Inter­es­se stren­ge und unmensch­li­che Regeln für die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger auf­zu­stel­len. Als ich zum ers­ten Mal von der „Poli­zei“ ver­haf­tet wur­de, war ich 13 Jah­re alt. Ich war mit mei­ner Cou­si­ne ver­ab­re­det, wir woll­ten in ein Ein­kaufs­zen­trum gehen. Als wir uns tra­fen, hielt ein Poli­zei­au­to an und ein Poli­zist sag­te zu mir: „Dein Kopf­tuch ist dünn und bedeckt dei­ne Ohren nicht.“ Ich ver­stand nicht, was er mein­te. Dann kri­ti­sier­te er die Fri­sur mei­ner Cou­si­ne. Wir waren bei­de still und scho­ckiert. Damals wuss­ten wir noch nicht, dass es eine Poli­zei gibt, die Frau­en wegen ihrer Klei­dung ver­haf­ten kann. Er sag­te, wir soll­ten ins Auto stei­gen. Wohin er fuhr, woll­te er uns nicht sagen. Ich geriet in Panik. Als wir bei der Poli­zei­sta­ti­on anka­men, kam eine jun­ge Frau in IRGC-Uni­form (Isla­mic Revo­lu­tio­na­ry Guard Corps, die Ira­ni­sche Revo­lu­ti­ons­gar­de, Anm. d. Red.) und Tscha­dor auf uns zu und frag­te: „Wie alt seid ihr? Wer hat euch her­ge­bracht und was macht ihr hier?“ Als wir ihr sag­ten, dass wir dort sei­en, weil die Poli­zei uns wegen des Hijabs fest­ge­nom­men hat­te, sag­te sie uns, wir soll­ten ein For­mu­lar aus­fül­len und unse­re Eltern anru­fen, damit sie uns abho­len.

Als ich das nächs­te Mal ver­haf­tet wur­de, war ich 16 Jah­re alt. Sie brach­ten mich für eine Stun­de in einen klei­nen War­te­raum. Als mei­ne Mut­ter kam, sag­te sie ihnen, dass ihr Ver­hal­ten ille­gal und unmensch­lich sei und dass ich noch ein Kind sei. „Wie kön­nen Sie das einem Mäd­chen antun und ein Kind wegen sei­ner Fri­sur ver­haf­ten? Haben Sie kei­ne Müt­ter, Töch­ter oder Schwes­tern?“ Ein Mann droh­te mei­ner Mut­ter und sag­te: „Wenn du dei­ne Toch­ter zurück­willst, dann sei still und war­te.“ Sie ver­stumm­te. Ich muss­te in ein Zim­mer gehen, in dem der „Rich­ter“ saß. Ich erzähl­te ihm, was mir pas­siert war. Dann sag­te er zu dem Poli­zis­ten: „Lass sie gehen.“ Aber der Poli­zist hielt mich noch eini­ge Stun­den fest. Als sie mich dann frei­lie­ßen, droh­ten sie, dass sie dies und jenes tun wür­den, wenn es noch ein­mal pas­sie­ren wür­de.

Die­se Ver­haf­tun­gen wegen des Hijabs wie­der­hol­ten sich in den nächs­ten Jah­ren noch drei oder vier Mal. Jedes Mal wur­de ich für eini­ge Stun­den auf der Poli­zei­wa­che fest­ge­hal­ten und dann wie­der frei­ge­las­sen. In all die­sen Fäl­len trug ich ein Kopf­tuch.

Autofahrten

Ein ande­res Erleb­nis hat­te ich mit einer Freun­din auf der Heim­fahrt von der Biblio­thek. Ich war unge­fähr 17, mei­ne Freun­din 18. Plötz­lich über­hol­te uns mit­ten auf der Stra­ße ein Poli­zei­au­to. Mei­ne Freun­din muss­te anhal­ten. Wir sahen uns bei­de scho­ckiert an. Ein Poli­zist for­der­te mich auf, aus­zu­stei­gen. Er setz­te sich neben mei­ne Freun­din auf den Vor­der­sitz, ich setz­te mich auf den Rück­sitz. Dann sag­te er in einem Befehls­ton, sie sol­le in die Rich­tung fah­ren, die er ihr vor­gab. Wir frag­ten: „Was ist pas­siert? Was ist das Pro­blem?“ Aber wir beka­men kei­ne Ant­wort. Nach fünf Minu­ten Fahrt soll­te sie neben einem gro­ßen Baum anhal­ten, der uns vor Bli­cken ver­steck­te. Wie­der soll­te ich aus­stei­gen. Nach­dem der Poli­zist die Papie­re mei­ner Freun­din über­prüft hat­te, kri­ti­sier­te er ihren Hijab als „unan­ge­mes­sen“.

Ich konn­te sehen, wie er sei­ne lin­ke Hand auf den Ober­schen­kel mei­ner Freun­din leg­te und sehr nahe an ihren Intim­be­reich führ­te. Als ich das sah, ging ich näher an sein Fens­ter, damit er wuss­te, dass ich sah, was er tat. Dann hör­te und sah ich, wie mei­ne Freun­din sei­ne Hän­de weg­zog und zu ihm sag­te: „Bit­te tun Sie das nicht. Sind Sie Mus­lim? Ihre Reli­gi­on ver­bie­tet es, den Intim­be­reich einer Frau zu berüh­ren.“ Der Mann sag­te mei­ner Freun­din, sie sol­le ihm ihre Num­mer geben, dann stieg er aus dem Auto. Die Hän­de mei­ner Freun­din zit­ter­ten immer noch vor Angst und sie konn­te nicht wei­ter­fah­ren. Sie fing an zu wei­nen. Ich war wütend und scho­ckiert und wuss­te nicht, was ich tun soll­te. Nach die­sem Tag rief er sie mehr­mals an und droh­te ihr, Ärger zu machen, wenn sie ihn nicht tref­fen woll­te.

Ein ande­res Mal fuhr ich von einer Geburts­tags­fei­er in einem Dorf in der Nähe mei­ner Stadt nach Hau­se. Unter­wegs stopp­te ein Poli­zist mein Auto an einem Kon­troll­punkt, über­prüf­te mei­nen Füh­rer­schein und mei­ne Papie­re und frag­te: „Woher kommst du?“ „Von einer Geburts­tags­fei­er“, ant­wor­te­te ich. Dann mus­ter­te er mich von Kopf bis Fuß und lud mich zu sich auf einen Tee ein. Als ich ablehn­te, wur­de er wütend und droh­te mir, das Auto zu beschlag­nah­men. Damals wuss­te ich noch nicht, dass er das laut Gesetz gar nicht durf­te. Ich war ver­wirrt und hat­te Angst. Ich nahm mein Han­dy und sag­te ihm, dass ich die Poli­zei rufe, wenn er so wei­ter­macht. Das war alles, was mir in dem Moment ein­fiel. Dar­auf lächel­te er und sag­te: „Geh.“

Im Café

Im Jahr 2015 wur­de eine Freun­din von mir mit ihrem Neu­ge­bo­re­nen auf dem Arm ver­haf­tet, als sie mit ande­ren Frau­en in einem Café saß. Ein Poli­zei­wa­gen kam und ver­haf­te­te vie­le Frau­en im Café, weil sie einen „unan­ge­mes­se­nen“ Hijab tru­gen. Mei­ne Freun­din rief ihren Mann an, um das Fläsch­chen für ihr Neu­ge­bo­re­nes zur Poli­zei­sta­ti­on zu brin­gen.

Die­se Situa­ti­on war fast all­täg­lich: Die Poli­zei besuch­te wahl­los Cafés und Restau­rants, die für Mäd­chen und auch für Jun­gen die ein­zi­gen Orte sind, an denen sie sich tref­fen und Kon­tak­te knüp­fen kön­nen. Jugend­li­che wur­den wegen ihres Hijabs ver­haf­tet oder weil sie fei­er­ten, Alko­hol tran­ken oder ein­fach anders dach­ten und sich in einer Wei­se klei­de­ten, die für die Poli­zei und die Geist­li­chen „unan­ge­mes­sen“ ist.

Kle­ri­ker und Macht­ha­ber erlau­ben sich ihre eige­ne Inter­pre­ta­ti­on des Islams und neh­men dies als Vor­wand, um Bür­ge­rin­nen und Bür­ger will­kür­lich zu ver­haf­ten (und in den meis­ten Fäl­len von ihnen Geld zu ver­lan­gen, wenn sie wie­der frei­ge­las­sen wer­den wol­len).

Systematische Überwachung von Frauen

Die Poli­zei ver­stärkt die Über­wa­chung von Frau­en immer wei­ter. Sie benutzt Kame­ras, um Frau­en zu iden­ti­fi­zie­ren, die kei­nen Hijab tra­gen, und schickt ihnen dann Dro­hun­gen über Text­nach­rich­ten. Ich habe zwei­mal sol­che Nach­rich­ten erhal­ten. Ein­mal war unser Auto vom Park­platz ver­schwun­den. Nach­dem wir nach­ge­forscht und die Poli­zei ange­ru­fen hat­ten, um einen Dieb­stahl zu mel­den, erfuh­ren wir, dass die Poli­zei das Auto wegen eines „unan­ge­mes­se­nen“ Hijabs beschlag­nahmt hat­te. Nach ein paar Tagen droh­ten sie mir, dass ich das nächs­te Mal vor Gericht müs­se, und gaben mir das Auto zurück.

Soziale Medien

Ich wur­de mehr­fach indi­rekt mit Ver­ge­wal­ti­gung und Fol­ter bedroht, weil ich in den sozia­len Medi­en die Regime­trup­pen für die Tötung von Jugend­li­chen und Kin­dern kri­ti­siert hat­te. Die ers­te Dro­hung erhielt ich, als ich ein RIP an die Fami­lie von Navid Afka­ri pos­te­te, der 2019 unmit­tel­bar nach den Pro­tes­ten in Shiraz vom Regime hin­ge­rich­tet wur­de, nur um den Jugend­li­chen die Bot­schaft zu sen­den: „Das ist die Ant­wort für die­je­ni­gen, die gegen die Ideo­lo­gie des Regimes sind und ihre Mei­nung äußern.“

Nach mei­nem Post erhielt ich einen Anruf von jeman­dem, den ich von einer Grup­pen­wan­de­rung kann­te. Er begann, mich aggres­siv für mei­nen Post zu kri­ti­sie­ren. Ich war über­rascht und sag­te ihm, er sol­le auf­hö­ren, sich mei­ne sozia­len Medi­en anzu­schau­en und mei­ne Pri­vat­sphä­re zu ver­let­zen. Aber er wur­de immer aggres­si­ver und droh­te: „Du scheinst es nicht ver­ste­hen zu wol­len. Ris­kie­re nicht dein Leben und das dei­ner Fami­lie.“ Die­ser letz­te Satz scho­ckier­te mich. Danach pos­te­te ich nichts mehr.

Ohne­hin ver­öf­fent­lich­te ich eigent­lich nichts Poli­ti­sches oder Regie­rungs­feind­li­ches in den sozia­len Medi­en. Ich hat­te die Poli­tik und die Regie­rung bereits so satt, dass ich kei­ne Kri­tik mehr hat­te. Die poli­ti­sche Atmo­sphä­re im Iran war so über­wäl­ti­gend und ent­täu­schend, dass ich (wie vie­le ande­re) irgend­wann auf­hör­te, über poli­ti­sche und reli­giö­se Din­ge zu spre­chen, weil die­se Dis­kus­sio­nen nir­gend­wo hin­führ­ten – wenn sie nicht in Igno­ranz, Ver­leug­nung, Gleich­gül­tig­keit oder Ein­schüch­te­rung ende­ten.

Die ersten Wochen der Proteste

In den ers­ten Wochen der Pro­tes­te, als ich allein in der Stadt unter­wegs war, wur­de ich an öffent­li­chen Orten wie der U‑Bahn und dem Gro­ßen Basar immer wie­der von Sicher­heits­kräf­ten wegen mei­nes Hijabs beschimpft. Im ers­ten Monat der Pro­tes­te sah ich zum ers­ten Mal, wie ein Poli­zist in dem Park, an den ich so vie­le Kind­heits­er­in­ne­run­gen hat­te, Schüs­se abfeu­er­te. Ich schau­te mich um, sah aber nie­man­den, es gab dort kei­ne Pro­tes­te. Er schoss nur, um Angst unter den Men­schen zu ver­brei­ten.

Ein paar Tage spä­ter war­te­te ich vor einem der bekann­tes­ten und beleb­tes­ten Parks auf mei­ne Freun­din. Es war einer der Orte, an denen in den ers­ten Wochen der Pro­tes­te immer wie­der Demons­tra­tio­nen statt­fan­den. Ich sah, wie 15 oder 16 Poli­zei­mo­tor­rä­der von der Stra­ße auf den Bür­ger­steig fuh­ren, wo ein Mäd­chen auf einer Bank saß und rauch­te. Ich stand nur eini­ge Meter von ihr ent­fernt. Die Leu­te im Park gin­gen auf die ande­re Stra­ßen­sei­te, und die ein­zi­gen, die übrig blie­ben, waren das Mäd­chen und ich und eini­ge älte­re Leu­te.

Ich begann, mit dem Mäd­chen zu reden. In weni­ger als 30 Sekun­den kamen sie, alle von Kopf bis Fuß bewaff­net, eini­ge mit ver­mumm­ten Gesich­tern. Einer der Män­ner frag­te uns, war­um wir den Bür­ger­steig nicht ver­las­sen hat­ten. Ich sag­te: „Das sind die Stra­ßen unse­rer Stadt. Wir gehen immer spa­zie­ren und sit­zen hier und genie­ßen den Park. War­um fah­ren Sie mit Motor­rä­dern und Waf­fen auf dem Bür­ger­steig?“ Der Mann ant­wor­te­te: „Setz dich woan­ders hin“, dann beug­te er sich zu dem Mäd­chen hin­un­ter und frag­te lei­se, ganz nah an ihrem Gesicht: „Hast du eine Ziga­ret­te?“ Sie dreh­te sich weg und ant­wor­te­te „Nein.“ Dar­auf sag­te er sar­kas­tisch: „Wenn wir zurück­kom­men, wol­len wir dich nicht mehr auf den Stra­ßen dei­ner Stadt sehen.“

Nach­dem Nasim den Iran ver­las­sen hat, um ihre Aus­bil­dung in Euro­pa fort­zu­set­zen, beschließt sie, wegen des Kriegs des Regimes gegen die eige­ne Bevöl­ke­rung, nicht mehr dort­hin zurück­zu­keh­ren. Zum Schutz ihrer Per­son und ihrer Fami­lie wer­den kei­ne wei­te­ren Anga­ben zu ihrer Iden­ti­tät gemacht.

Die Über­set­zung des Berichts aus dem Eng­li­schen stammt von Bir­ger Hoyer.

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