Mein Name ist Nasim. Ich bin 32 Jahre alt. Ich bin Iranerin. Mein Alltag als Frau im Iran war ein ständiger Kampf und hat mich verändert.
In den ersten Jahren meines Lebens habe ich kaum Diskriminierung erlebt, weil meine Eltern fürsorglich und verständnisvoll waren. Die Diskriminierung begann, als wir uns in der Öffentlichkeit zeigen wollten.
Meine erste unangenehme Erfahrung machte ich, weil ich ein Mädchen war. Ich war etwa sieben oder acht Jahre alt und spielte mit meinem Vater im Park in unserer Nachbarschaft Federball. Ein Basidschi (Angehöriger der Paramiliz im Iran, die in der Öffentlichkeit aktiv ist und die islamischen Gesetze durchsetzt, Anm. d. Red.) kam wütend auf mich zu, schrie mich an und kritisierte meine Kleidung. Ich trug einen Rock. Mein Vater kam dazu. Der Basidschi stritt mit meinem Vater, der ihm sagte, dass sein Verhalten unmenschlich und dass ich noch ein Kind sei. Der Mann ging weg, mein Vater nahm mich auf den Arm und wir verließen den Park.
Schule
Eine weitere unangenehme Erfahrung war das Tragen des Hijabs und der dunklen Stoffuniform am ersten Schultag. Wir mussten den Hijab tragen, sonst durften wir nicht in die Schule. Die anderen Mädchen und ich, auch viele aus religiösen Familien, haben erst mit 14 oder 15 Jahren angefangen, den Hijab auch außerhalb der Schule zu tragen. Wir legten das Kopftuch ab, bis wir keine Kinder mehr waren und uns ohne Kopftuch nicht mehr sicher genug fühlten. Die Schule war zunächst der einzige Ort, an dem wir uns mit diesen seltsamen Dingen auseinandersetzen mussten. Die wenigen Schülerinnen, die einen religiösen Hintergrund hatten, mussten sich auch zu Hause damit befassen. Wir wussten damals nicht, wie gefährlich es sein konnte, keinen Hijab zu tragen, und welche Konsequenzen das haben konnte.
„Unangemessene“ Hijabs
Die iranische Verfassung erlaubt die „Interpretation des Islams“, was es den religiösen Autoritäten leicht macht, in ihrem eigenen Interesse strenge und unmenschliche Regeln für die Bürgerinnen und Bürger aufzustellen. Als ich zum ersten Mal von der „Polizei“ verhaftet wurde, war ich 13 Jahre alt. Ich war mit meiner Cousine verabredet, wir wollten in ein Einkaufszentrum gehen. Als wir uns trafen, hielt ein Polizeiauto an und ein Polizist sagte zu mir: „Dein Kopftuch ist dünn und bedeckt deine Ohren nicht.“ Ich verstand nicht, was er meinte. Dann kritisierte er die Frisur meiner Cousine. Wir waren beide still und schockiert. Damals wussten wir noch nicht, dass es eine Polizei gibt, die Frauen wegen ihrer Kleidung verhaften kann. Er sagte, wir sollten ins Auto steigen. Wohin er fuhr, wollte er uns nicht sagen. Ich geriet in Panik. Als wir bei der Polizeistation ankamen, kam eine junge Frau in IRGC-Uniform (Islamic Revolutionary Guard Corps, die Iranische Revolutionsgarde, Anm. d. Red.) und Tschador auf uns zu und fragte: „Wie alt seid ihr? Wer hat euch hergebracht und was macht ihr hier?“ Als wir ihr sagten, dass wir dort seien, weil die Polizei uns wegen des Hijabs festgenommen hatte, sagte sie uns, wir sollten ein Formular ausfüllen und unsere Eltern anrufen, damit sie uns abholen.
Als ich das nächste Mal verhaftet wurde, war ich 16 Jahre alt. Sie brachten mich für eine Stunde in einen kleinen Warteraum. Als meine Mutter kam, sagte sie ihnen, dass ihr Verhalten illegal und unmenschlich sei und dass ich noch ein Kind sei. „Wie können Sie das einem Mädchen antun und ein Kind wegen seiner Frisur verhaften? Haben Sie keine Mütter, Töchter oder Schwestern?“ Ein Mann drohte meiner Mutter und sagte: „Wenn du deine Tochter zurückwillst, dann sei still und warte.“ Sie verstummte. Ich musste in ein Zimmer gehen, in dem der „Richter“ saß. Ich erzählte ihm, was mir passiert war. Dann sagte er zu dem Polizisten: „Lass sie gehen.“ Aber der Polizist hielt mich noch einige Stunden fest. Als sie mich dann freiließen, drohten sie, dass sie dies und jenes tun würden, wenn es noch einmal passieren würde.
Diese Verhaftungen wegen des Hijabs wiederholten sich in den nächsten Jahren noch drei oder vier Mal. Jedes Mal wurde ich für einige Stunden auf der Polizeiwache festgehalten und dann wieder freigelassen. In all diesen Fällen trug ich ein Kopftuch.
Autofahrten
Ein anderes Erlebnis hatte ich mit einer Freundin auf der Heimfahrt von der Bibliothek. Ich war ungefähr 17, meine Freundin 18. Plötzlich überholte uns mitten auf der Straße ein Polizeiauto. Meine Freundin musste anhalten. Wir sahen uns beide schockiert an. Ein Polizist forderte mich auf, auszusteigen. Er setzte sich neben meine Freundin auf den Vordersitz, ich setzte mich auf den Rücksitz. Dann sagte er in einem Befehlston, sie solle in die Richtung fahren, die er ihr vorgab. Wir fragten: „Was ist passiert? Was ist das Problem?“ Aber wir bekamen keine Antwort. Nach fünf Minuten Fahrt sollte sie neben einem großen Baum anhalten, der uns vor Blicken versteckte. Wieder sollte ich aussteigen. Nachdem der Polizist die Papiere meiner Freundin überprüft hatte, kritisierte er ihren Hijab als „unangemessen“.
Ich konnte sehen, wie er seine linke Hand auf den Oberschenkel meiner Freundin legte und sehr nahe an ihren Intimbereich führte. Als ich das sah, ging ich näher an sein Fenster, damit er wusste, dass ich sah, was er tat. Dann hörte und sah ich, wie meine Freundin seine Hände wegzog und zu ihm sagte: „Bitte tun Sie das nicht. Sind Sie Muslim? Ihre Religion verbietet es, den Intimbereich einer Frau zu berühren.“ Der Mann sagte meiner Freundin, sie solle ihm ihre Nummer geben, dann stieg er aus dem Auto. Die Hände meiner Freundin zitterten immer noch vor Angst und sie konnte nicht weiterfahren. Sie fing an zu weinen. Ich war wütend und schockiert und wusste nicht, was ich tun sollte. Nach diesem Tag rief er sie mehrmals an und drohte ihr, Ärger zu machen, wenn sie ihn nicht treffen wollte.
Ein anderes Mal fuhr ich von einer Geburtstagsfeier in einem Dorf in der Nähe meiner Stadt nach Hause. Unterwegs stoppte ein Polizist mein Auto an einem Kontrollpunkt, überprüfte meinen Führerschein und meine Papiere und fragte: „Woher kommst du?“ „Von einer Geburtstagsfeier“, antwortete ich. Dann musterte er mich von Kopf bis Fuß und lud mich zu sich auf einen Tee ein. Als ich ablehnte, wurde er wütend und drohte mir, das Auto zu beschlagnahmen. Damals wusste ich noch nicht, dass er das laut Gesetz gar nicht durfte. Ich war verwirrt und hatte Angst. Ich nahm mein Handy und sagte ihm, dass ich die Polizei rufe, wenn er so weitermacht. Das war alles, was mir in dem Moment einfiel. Darauf lächelte er und sagte: „Geh.“
Im Café
Im Jahr 2015 wurde eine Freundin von mir mit ihrem Neugeborenen auf dem Arm verhaftet, als sie mit anderen Frauen in einem Café saß. Ein Polizeiwagen kam und verhaftete viele Frauen im Café, weil sie einen „unangemessenen“ Hijab trugen. Meine Freundin rief ihren Mann an, um das Fläschchen für ihr Neugeborenes zur Polizeistation zu bringen.
Diese Situation war fast alltäglich: Die Polizei besuchte wahllos Cafés und Restaurants, die für Mädchen und auch für Jungen die einzigen Orte sind, an denen sie sich treffen und Kontakte knüpfen können. Jugendliche wurden wegen ihres Hijabs verhaftet oder weil sie feierten, Alkohol tranken oder einfach anders dachten und sich in einer Weise kleideten, die für die Polizei und die Geistlichen „unangemessen“ ist.
Kleriker und Machthaber erlauben sich ihre eigene Interpretation des Islams und nehmen dies als Vorwand, um Bürgerinnen und Bürger willkürlich zu verhaften (und in den meisten Fällen von ihnen Geld zu verlangen, wenn sie wieder freigelassen werden wollen).
Systematische Überwachung von Frauen
Die Polizei verstärkt die Überwachung von Frauen immer weiter. Sie benutzt Kameras, um Frauen zu identifizieren, die keinen Hijab tragen, und schickt ihnen dann Drohungen über Textnachrichten. Ich habe zweimal solche Nachrichten erhalten. Einmal war unser Auto vom Parkplatz verschwunden. Nachdem wir nachgeforscht und die Polizei angerufen hatten, um einen Diebstahl zu melden, erfuhren wir, dass die Polizei das Auto wegen eines „unangemessenen“ Hijabs beschlagnahmt hatte. Nach ein paar Tagen drohten sie mir, dass ich das nächste Mal vor Gericht müsse, und gaben mir das Auto zurück.
Soziale Medien
Ich wurde mehrfach indirekt mit Vergewaltigung und Folter bedroht, weil ich in den sozialen Medien die Regimetruppen für die Tötung von Jugendlichen und Kindern kritisiert hatte. Die erste Drohung erhielt ich, als ich ein RIP an die Familie von Navid Afkari postete, der 2019 unmittelbar nach den Protesten in Shiraz vom Regime hingerichtet wurde, nur um den Jugendlichen die Botschaft zu senden: „Das ist die Antwort für diejenigen, die gegen die Ideologie des Regimes sind und ihre Meinung äußern.“
Nach meinem Post erhielt ich einen Anruf von jemandem, den ich von einer Gruppenwanderung kannte. Er begann, mich aggressiv für meinen Post zu kritisieren. Ich war überrascht und sagte ihm, er solle aufhören, sich meine sozialen Medien anzuschauen und meine Privatsphäre zu verletzen. Aber er wurde immer aggressiver und drohte: „Du scheinst es nicht verstehen zu wollen. Riskiere nicht dein Leben und das deiner Familie.“ Dieser letzte Satz schockierte mich. Danach postete ich nichts mehr.
Ohnehin veröffentlichte ich eigentlich nichts Politisches oder Regierungsfeindliches in den sozialen Medien. Ich hatte die Politik und die Regierung bereits so satt, dass ich keine Kritik mehr hatte. Die politische Atmosphäre im Iran war so überwältigend und enttäuschend, dass ich (wie viele andere) irgendwann aufhörte, über politische und religiöse Dinge zu sprechen, weil diese Diskussionen nirgendwo hinführten – wenn sie nicht in Ignoranz, Verleugnung, Gleichgültigkeit oder Einschüchterung endeten.
Die ersten Wochen der Proteste
In den ersten Wochen der Proteste, als ich allein in der Stadt unterwegs war, wurde ich an öffentlichen Orten wie der U‑Bahn und dem Großen Basar immer wieder von Sicherheitskräften wegen meines Hijabs beschimpft. Im ersten Monat der Proteste sah ich zum ersten Mal, wie ein Polizist in dem Park, an den ich so viele Kindheitserinnerungen hatte, Schüsse abfeuerte. Ich schaute mich um, sah aber niemanden, es gab dort keine Proteste. Er schoss nur, um Angst unter den Menschen zu verbreiten.
Ein paar Tage später wartete ich vor einem der bekanntesten und belebtesten Parks auf meine Freundin. Es war einer der Orte, an denen in den ersten Wochen der Proteste immer wieder Demonstrationen stattfanden. Ich sah, wie 15 oder 16 Polizeimotorräder von der Straße auf den Bürgersteig fuhren, wo ein Mädchen auf einer Bank saß und rauchte. Ich stand nur einige Meter von ihr entfernt. Die Leute im Park gingen auf die andere Straßenseite, und die einzigen, die übrig blieben, waren das Mädchen und ich und einige ältere Leute.
Ich begann, mit dem Mädchen zu reden. In weniger als 30 Sekunden kamen sie, alle von Kopf bis Fuß bewaffnet, einige mit vermummten Gesichtern. Einer der Männer fragte uns, warum wir den Bürgersteig nicht verlassen hatten. Ich sagte: „Das sind die Straßen unserer Stadt. Wir gehen immer spazieren und sitzen hier und genießen den Park. Warum fahren Sie mit Motorrädern und Waffen auf dem Bürgersteig?“ Der Mann antwortete: „Setz dich woanders hin“, dann beugte er sich zu dem Mädchen hinunter und fragte leise, ganz nah an ihrem Gesicht: „Hast du eine Zigarette?“ Sie drehte sich weg und antwortete „Nein.“ Darauf sagte er sarkastisch: „Wenn wir zurückkommen, wollen wir dich nicht mehr auf den Straßen deiner Stadt sehen.“
Nachdem Nasim den Iran verlassen hat, um ihre Ausbildung in Europa fortzusetzen, beschließt sie, wegen des Kriegs des Regimes gegen die eigene Bevölkerung, nicht mehr dorthin zurückzukehren. Zum Schutz ihrer Person und ihrer Familie werden keine weiteren Angaben zu ihrer Identität gemacht.
Die Übersetzung des Berichts aus dem Englischen stammt von Birger Hoyer.