Im Juni 2014 zog ich nach St. Louis, Missouri – eine geschichtsträchtige Stadt im Mittleren Westen der USA, die sich jedoch einigen Herausforderungen gegenübersieht. Ich kam hierher, um als humanistischer Gemeindeleiter für die Ethical Society of St. Louis zu arbeiten, eine große humanistische Gemeinde. Nur zwei Monate später wurde Mike Brown, ein unbewaffneter afroamerikanischer Teenager, von Darren Wilson, einem weißen Polizisten, erschossen und getötet – und die Stadt explodierte geradezu vor Aktivismus. Unsere Gemeinde teilt die zentrale humanistische Überzeugung, dass alle Menschen in Würde und Wert gleich sind. Daher wäre es für mich, als Vertreter meiner Gemeinschaft und des Humanismus im Allgemeinen, nicht mit unseren Werten vereinbar gewesen, mich den Protesten nicht anzuschließen.
So begann meine mehr als fünfjährige Zusammenarbeit mit Antirassismus-Aktivist*innen in St. Louis – eine Arbeit, die meine Einstellungen gegenüber Rasse und Rassismus infrage stellten und meinen Humanismus in eine radikalere Richtung lenkte. In diesen fünf Jahren habe ich mit lokalen Vertreter*innen anderer religiöser Traditionen zusammengearbeitet, um Straßen zu blockieren, Kundgebungen abzuhalten, Märsche zu organisieren und kreative Proteste zu gestalten. Wir haben bei Baseballspielen, bei Konzerten, bei Theateraufführungen, bei politischen Konferenzen und bei Rathausversammlungen protestiert. Ich habe auch die Ressourcen meiner Gemeinde mobilisiert, um Bildungsprogramme über Rasse und Rassismus anbieten zu können, Diskussionsrunden zu veranstalten, die sich damit beschäftigen, wie es ist, in Amerika schwarz zu sein, und Raum für schwarze Aktivist*innen zu geben, die diesen benötigen.
Unser Ziel ist es, die Strukturen des Rassismus zu demontieren, durch die People of Color erniedrigt werden. Gleichzeitig helfen wir den Weißen, sich ihrer Verantwortung zur Überwindung von Rassismus bewusst zu werden. Wir hoffen, auf diese Weise eine breite antirassistische Bewegung aufbauen zu können, um die Ungerechtigkeiten zu beenden, durch die People of Color drangsaliert werden.
Einige Humanist*innen haben die Sorge, dass die Verwendung des Ausdrucks „Black Lives Matter“ und der Schwerpunkt auf Rassengerechtigkeit den universellen Fokus des Humanismus schwächen könnte. Nach dieser Denkweise hätten Humanist*innen die Pflicht, ausschließlich über die Menschheit als Ganzes zu sprechen und die Menschen nicht in unterschiedliche Gruppen mit ihren jeweiligen Bedürfnissen und Anliegen einzuteilen. Diese Sichtweise ist jedoch falsch, denn die Gesellschaft teilt Menschen bereits in verschiedene Rassengruppen ein: Rassismus existiert, ob wir wollen oder nicht. Und wir können ihn nicht ausrotten, indem wir ihn ignorieren. Die farbenblinde Perspektive – „Ich sehe keine Rasse!“ – vernachlässigt schlichtweg die Realität des Rassismus und ist eine Form des Leugnens (die fast einer Religion gleichkommt). Nur wenn wir den Rassismus, der in der Gesellschaft existiert, anerkennen und uns ihm direkt stellen, können wir die humanistische Vision einer Welt verwirklichen, in der die Würde aller respektiert wird. So zu tun, als ob es keinen Rassismus gäbe, wird den institutionellen Rassismus bei der Polizei, in der Strafjustiz oder in der Kultur insgesamt nicht bekämpfen. Ebenso wenig würde es helfen, so zu tun, als ob es keinen Sexismus gäbe: Indem man es ignoriert, wird das Problem nur weiter fortgeschrieben.
Antirassistischer Aktivismus ist für mich Humanismus in der Praxis: Dieser strebt danach, eine Welt zu schaffen, in der die Würde eines jeden Menschen anerkannt wird. Humanistische Werte haben nur dann Bedeutung, wenn sie umgesetzt werden; wenn sie bestimmen, wie wir entscheiden und wie wir unser Leben gestalten. Und der zentrale humanistische Wert ist die Überzeugung von der Würde aller Menschen.
Der Kampf für Rassengerechtigkeit, an der Seite von Menschen vieler verschiedener Glaubensrichtungen – oder aber frei von Glauben –, ist eine Inspiration beim Kampf um die Würde des Menschen. Wenn wir Humanist*innen wirklich meinen, was wir sagen – wenn alle Menschen das Recht auf ein freies und gleichberechtigtes Leben haben –, dann müssen wir zusammenarbeiten, um die Geißel des Rassismus zu beenden. Seit Jahrhunderten wurde mit weniger Respekt und weniger Anerkennung ihrer Würde auf People of Color geblickt als auf Weiße. Mit antirassistischem Aktivismus können wir das korrigieren. In den Straßen von Ferguson habe ich einen Text von Assata Shakur gelernt, den wir Demonstrierende oft gemeinsam skandierten:
Es ist unsere Pflicht, für unsere Freiheit zu kämpfen.
Es ist unsere Pflicht, zu gewinnen.
Wir müssen uns gegenseitig lieben und unterstützen.
Wir haben nichts zu verlieren, außer unseren Ketten.
Wenn wir Humanist*innen für Rassengerechtigkeit kämpfen, kämpfen wir für die Freiheit aller Menschen. Wir kämpfen dafür, die Menschen von den Ketten des Rassismus zu befreien, die ihre Lebensperspektiven einschränken und sie weniger frei machen. Aber wir kämpfen auch für die Befreiung der Weißen: für die Befreiung von dem von uns selbst geschaffenen rassistischen System, das auch unsere eigene Menschlichkeit schwächt.
Übersetzung aus dem Englischen von Lydia Skrabania.