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Interview zum Hambacher Fest

„Das Hambacher Schloss ist eine Wiege der deutschen Demokratie“

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Hambacher Schloss
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Das Hambacher Fest von 1832 gilt als wichtiges Ereignis der deutschen, aber auch der europäischen Demokratiegeschichte. Dr. Kristian Buchna, seit 2020 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Hambacher Schloss, erzählt im Interview, auf welche Weise die Stiftung Geschichte und Werte vermittelt und wichtige Demokratiearbeit leistet – und wie sie sich gegen geschichtliche Vereinnahmungen des Hambacher Fests von rechts zu wehren weiß.

Herr Buchna, das Hambacher Schloss war Mittelpunkt des Hambacher Festes von 1832. Was genau geschah damals?

Am 27. Mai 1832 haben sich bis zu 30.000 Men­schen zusam­men­ge­fun­den, um auf dem Ham­ba­cher Schloss­berg gegen die Unter­drü­ckungs­po­li­tik der dama­li­gen Obrig­keit und gegen sozia­le und wirt­schaft­li­che Miss­stän­de zu pro­tes­tie­ren. Zugleich haben sie posi­ti­ve For­de­run­gen for­mu­liert. So waren alle Teil­neh­men­den durch­drun­gen von dem Wunsch nach einem geein­ten deut­schen Staat, in dem rechts­staat­li­che Prin­zi­pi­en und bür­ger­li­che Frei­heits­rech­te wie Rede- und Pres­se­frei­heit gal­ten. In den Far­ben Schwarz-Rot-Gold, die damals mas­sen­haft in Form von Kokar­den und Fah­nen mit­ge­führt wur­den, drück­ten sich die­se Wün­sche und For­de­run­gen sym­bo­lisch aus. Aber im Fest­zug waren auch ande­re Fah­nen zu sehen, denn Fran­zo­sen befan­den sich eben­so unter den Teil­neh­men­den wie pol­ni­sche Frei­heits­kämp­fer.

Da die Obrig­keit einen demo­kra­ti­schen Flä­chen­brand befürch­te­te, reagier­te sie mit har­ter Hand: Die maß­geb­li­chen Orga­ni­sa­to­ren des Ham­ba­cher Fes­tes wur­den ver­haf­tet oder muss­ten ins Aus­land flie­hen. Es grif­fen im Vor­märz also jene Mecha­nis­men von demo­kra­ti­schem Auf­bruch und staat­li­cher Unter­drü­ckung, die wir noch heu­te in auto­kra­tisch regier­ten Staa­ten beob­ach­ten müs­sen.

Bild: Stif­tung Ham­ba­cher Schloss

Dr. Kris­ti­an Buch­na (*1983) stu­dier­te Neue­re und Neu­es­te Geschich­te, Neue­re deut­sche Lite­ra­tur­wis­sen­schaft und Phi­lo­so­phie an der Uni­ver­si­tät Augs­burg. Pro­mo­ti­on 2013 mit einer Stu­die zum The­ma »Ein kle­ri­ka­les Jahr­zehnt? Kir­che, Kon­fes­si­on und Poli­tik in der Bun­des­re­pu­blik wäh­rend der 1950er Jah­re«. For­schungs­schwer­punk­te: Geschich­te des Libe­ra­lis­mus, Demo­kra­tie­ge­schich­te, kirch­li­che Zeit­ge­schich­te.

Welche Bedeutung hatten die Ereignisse für die deutsche und die europäische Geschichte?

Mit Theo­dor Heuss lässt sich das Ham­ba­cher Fest als „die ers­te poli­ti­sche Volks­ver­samm­lung“ in Deutsch­land beschrei­ben. Nah­men etwa beim Wart­burg­fest von 1817 nur Stu­den­ten, Pro­fes­so­ren und Bil­dungs­bür­ger teil, so stamm­ten die Teil­neh­men­den des Ham­ba­cher Fes­tes aus allen sozia­len Schich­ten. Vor allem aber haben sich auch Mäd­chen und Frau­en dem Fest­zug ange­schlos­sen, was über­aus bemer­kens­wert ist. Bereits im Ein­la­dungs­schrei­ben zum Ham­ba­cher Fest wur­den sie aus­drück­lich zur Teil­nah­me ermu­tigt, da man ihre bis­he­ri­ge poli­ti­sche Miss­ach­tung für einen Feh­ler hielt. Inso­fern steht das Ham­ba­cher Fest für eine Mobi­li­sie­rung und Poli­ti­sie­rung der Gesell­schaft, die ihrer­seits Vor­aus­set­zung für den Pro­zess der Demo­kra­ti­sie­rung war. Außer­dem hat­te die deut­sche Ein­heits- und Demo­kra­tie­be­we­gung mit dem Ham­ba­cher Fest end­gül­tig ein gemein­schafts­stif­ten­des Sym­bol gewon­nen, näm­lich die schwarz-rot-gol­de­ne Fah­ne mit drei gleich­gro­ßen Farb­strei­fen. Eine sol­che Fah­ne weh­te wäh­rend des Fes­tes auf dem Turm der Burg­rui­ne und kann daher mit eini­ger Berech­ti­gung als deut­sche „Urfah­ne“ gel­ten. Eben die­se Fah­ne mit der Auf­schrift „Deutsch­lands Wie­der­ge­burt“ prä­sen­tie­ren wir übri­gens in unse­rer Dau­er­aus­stel­lung „Hin­auf, hin­auf aufs Schloss!“. Bezo­gen auf Deutsch­land lässt sich also mit Recht sagen: Das Ham­ba­cher Schloss ist eine Wie­ge der deut­schen Demo­kra­tie.

Zugleich ist das Ham­ba­cher Schloss seit 2015 Trä­ge­rin des Euro­päi­schen Kul­tur­er­be-Sie­gels. Mit die­ser Aus­zeich­nung wird der euro­päi­sche Cha­rak­ter des Ham­ba­cher Fes­tes gewür­digt, schließ­lich wur­de in den dama­li­gen Reden die Soli­da­ri­tät der euro­päi­schen Völ­ker beschwo­ren. Die Rede von Johann Georg August Wirth, einem der füh­ren­den Köp­fe des Ham­ba­cher Fes­tes, ende­te mit dem Ruf: „Hoch! Drei­mal hoch das con­fö­de­rier­te repu­bli­ka­ni­sche Euro­pa!“ Vom Ham­ba­cher Fest ging also auch das Signal aus, dass das Bekennt­nis zur deut­schen Nati­on kei­ner Kon­struk­ti­on sozia­ler, kul­tu­rel­ler oder natio­na­ler Feind­bil­der bedarf, wie es bei Ver­tre­tern des Natio­na­lis­mus der Fall war und heu­te noch immer ist. Viel­mehr erfuhr der Ruf nach natio­na­ler Ein­heit und Frei­heit eine ent­schei­den­de Stär­kung und Mobi­li­sie­rung gera­de dadurch, dass er die euro­päi­schen Völ­ker inte­grier­te, dass man sich mit ihnen und ihrem Frei­heits­kampf soli­da­risch erklär­te.

Inwiefern sind die geschichtlichen Ereignisse um das Hambacher Fest noch heute relevant?

Auch wenn die Ereig­nis­se nun schon fast 190 Jah­re zurück­lie­gen, kön­nen vom Ham­ba­cher Fest ganz ver­schie­de­ne Impul­se aus­ge­hen, die für unser demo­kra­ti­sches Zusam­men­le­ben rele­vant sind. Das fängt schon bei der Ein­sicht an, dass unse­re demo­kra­ti­schen Errun­gen­schaf­ten einst von muti­gen Män­nern und Frau­en erkämpft und ver­tei­digt wer­den muss­ten. Der Volks­fest-Cha­rak­ter des Ham­ba­cher Fes­tes regt fer­ner dazu an, sowohl über Fra­gen der Gleich­be­rech­ti­gung und Teil­ha­be nach­zu­den­ken, als auch über die Bedeu­tung von Emo­tio­nen zu spre­chen, die der betont ratio­na­len Demo­kra­tie manch­mal viel­leicht etwas zu sehr abge­hen. Außer­dem lehrt uns Ham­bach, dass sowohl die Demo­kra­tie als auch Euro­pa kei­ne scharf umris­se­nen, zeit­los gül­ti­gen „Model­le“ sind. Viel­mehr ringt jede Gene­ra­ti­on dar­um, was für sie Demo­kra­tie als Herr­schafts­form und als Lebens­form bedeu­tet, und was das Euro­pa aus­zeich­nen soll, in dem sie ger­ne leben möch­te. Die­se Dyna­mik macht einen Reiz sowohl der Demo­kra­tie als auch Euro­pas aus. Und doch gibt es bei aller Offen­heit für Ver­än­de­run­gen Grund­rech­te und Grund­wer­te, ohne die weder die Demo­kra­tie noch Euro­pa denk­bar wären. Zu nen­nen wären etwa die Mei­nungs- und Pres­se­frei­heit, die ihrer­seits eng mit dem Ham­ba­cher Fest ver­bun­den sind.

Für das Ham­ba­cher Fest wie für alle his­to­ri­schen Ereig­nis­se und Orte gilt jedoch: Impul­se kön­nen von ihnen nur dann aus­ge­hen, wenn wir uns ihnen mit Offen­heit und Neu­gier annä­hern. Ansons­ten blei­ben es nur nack­te Zah­len oder stum­me Stei­ne aus längst ver­gan­ge­nen Zei­ten.

Wie wollen Sie diese Neugier wecken? Auf welche Weise vermitteln Sie Geschichte und Werte bzw. leisten dort Demokratiearbeit?

Wir ver­ste­hen das Ham­ba­cher Schloss als einen leben­di­gen Erinnerungs‑, Lern- und Dis­kus­si­ons­ort. Die Geschich­te des Ham­ba­cher Fes­tes und Schlos­ses ver­mit­teln wir nicht nur in unse­rer Dau­er­aus­stel­lung, son­dern auch durch Füh­run­gen und Work­shops, in denen wir jeweils den Bogen von der Zeit des Vor­märz in die Gegen­wart schla­gen. Schul­klas­sen sind daher natür­lich ganz zen­tra­le Ziel­grup­pen unse­rer Arbeit. Hin­zu kommt ein äußerst viel­fäl­ti­ges Ver­an­stal­tungs­an­ge­bot. Ob mit Podi­ums­dis­kus­sio­nen oder Buch­vor­stel­lun­gen, Kon­zer­ten oder Fest­ban­ketts, poli­ti­schem Kaba­rett oder Kin­der­thea­ter – wir möch­ten mit unse­rem Ange­bot ein mög­lichst brei­tes Publi­kum errei­chen und für die­sen beson­de­ren Ort begeis­tern. In den zurück­lie­gen­den Um- und Neu­bau­maß­nah­men rund ums Ham­ba­cher Schloss spiel­te zudem der Aspekt der Bar­rie­re­frei­heit eine gro­ße Rol­le.

In der jüngeren Vergangenheit kam es zu Versuchen der Vereinnahmung der Geschichte des Hambacher Festes. Was genau ist da vorgefallen und mit welchen Maßnahmen haben Sie darauf reagiert?

Wie gera­de geschil­dert, ist das Ham­ba­cher Schloss ein offe­ner Ort für alle Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, aber es ist kein wert­frei­er Ort. Wir haben seit 2018 wie­der­holt erle­ben müs­sen, dass Rechts­po­pu­lis­ten unter dem anma­ßen­den und irre­füh­ren­den Titel „Neu­es Ham­ba­cher Fest“ die Kulis­se des Ham­ba­cher Schlos­ses dazu miss­braucht haben, um sich zu den „wah­ren Erben“ des Ham­ba­cher Fes­tes von 1832 zu sti­li­sie­ren. Dies geschieht zum einen unter kon­se­quen­ter Aus­blen­dung des euro­päi­schen Cha­rak­ters des Ham­ba­cher Fes­tes, zum ande­ren wird unser frei­heit­li­cher Rechts­staat der Bun­des­re­pu­blik von den Prot­ago­nis­ten die­ser Ver­an­stal­tun­gen sys­te­ma­tisch als „Dik­ta­tur“ dif­fa­miert und damit dele­gi­ti­miert. Gera­de an einem Ort der deut­schen Demo­kra­tie­ge­schich­te kann uns dies nicht gleich­gül­tig sein. Wir haben daher ein umfas­sen­des Maß­nah­men­pa­ket erar­bei­tet, das den Demo­kra­tie­ort Ham­ba­cher Schloss stär­ken und des­sen poli­tisch moti­vier­te Ver­ein­nah­mung ver­hin­dern soll. Neben einer Aus­wei­tung unse­res Ange­bots an Ver­an­stal­tun­gen und Work­shops haben wir etwa eine Besu­cher­ord­nung erlas­sen, die Ver­an­stal­tun­gen mit extre­mis­ti­schen, ras­sis­ti­schen, anti­se­mi­ti­schen oder anti­de­mo­kra­ti­schen Äuße­run­gen unter­sagt. Wir bli­cken der wei­te­ren Ent­wick­lung daher gelas­sen, not­falls aber auch wehr­haft ent­ge­gen.

Im Jahr 2032 jährt sich das Hambacher Fest zum 200. Mal. Wie werden Sie die Feierlichkeiten begehen?

Tat­säch­lich haben wir die­ses gro­ße Jubi­lä­um bereits jetzt im Blick und fan­gen im Mai nächs­ten Jah­res an, uns schon ein­mal „warm­zu­fei­ern“. Gemein­sam mit der Demo­kra­tie­stadt Neu­stadt an der Wein­stra­ße wer­den wir künf­tig im Zwei­jah­res­rhyth­mus rund um den Jah­res­tag des Ham­ba­cher Fes­tes ein Demo­kra­tie­fest fei­ern, das mit einem viel­fäl­ti­gen Ange­bot von Ver­an­stal­tun­gen und Aktio­nen zum Mit­ma­chen ein­la­den soll. Bezo­gen auf das Jahr 2032 wür­de ich mir wün­schen, dass wir gemein­sam mit vie­len regio­na­len, natio­na­len und euro­päi­schen Part­ne­rin­nen und Part­nern ein Fest fei­ern, von dem Impul­se aus­ge­hen für unse­re Demo­kra­tie und für Euro­pa. Auch bei den Pla­nun­gen des 200. Jah­res­ta­ges füh­len wir uns also dem Erbe von 1832 ver­pflich­tet.

Danke für das Interview!

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