Herr Buchna, das Hambacher Schloss war Mittelpunkt des Hambacher Festes von 1832. Was genau geschah damals?
Am 27. Mai 1832 haben sich bis zu 30.000 Menschen zusammengefunden, um auf dem Hambacher Schlossberg gegen die Unterdrückungspolitik der damaligen Obrigkeit und gegen soziale und wirtschaftliche Missstände zu protestieren. Zugleich haben sie positive Forderungen formuliert. So waren alle Teilnehmenden durchdrungen von dem Wunsch nach einem geeinten deutschen Staat, in dem rechtsstaatliche Prinzipien und bürgerliche Freiheitsrechte wie Rede- und Pressefreiheit galten. In den Farben Schwarz-Rot-Gold, die damals massenhaft in Form von Kokarden und Fahnen mitgeführt wurden, drückten sich diese Wünsche und Forderungen symbolisch aus. Aber im Festzug waren auch andere Fahnen zu sehen, denn Franzosen befanden sich ebenso unter den Teilnehmenden wie polnische Freiheitskämpfer.
Da die Obrigkeit einen demokratischen Flächenbrand befürchtete, reagierte sie mit harter Hand: Die maßgeblichen Organisatoren des Hambacher Festes wurden verhaftet oder mussten ins Ausland fliehen. Es griffen im Vormärz also jene Mechanismen von demokratischem Aufbruch und staatlicher Unterdrückung, die wir noch heute in autokratisch regierten Staaten beobachten müssen.
Dr. Kristian Buchna (*1983) studierte Neuere und Neueste Geschichte, Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität Augsburg. Promotion 2013 mit einer Studie zum Thema »Ein klerikales Jahrzehnt? Kirche, Konfession und Politik in der Bundesrepublik während der 1950er Jahre«. Forschungsschwerpunkte: Geschichte des Liberalismus, Demokratiegeschichte, kirchliche Zeitgeschichte.
Welche Bedeutung hatten die Ereignisse für die deutsche und die europäische Geschichte?
Mit Theodor Heuss lässt sich das Hambacher Fest als „die erste politische Volksversammlung“ in Deutschland beschreiben. Nahmen etwa beim Wartburgfest von 1817 nur Studenten, Professoren und Bildungsbürger teil, so stammten die Teilnehmenden des Hambacher Festes aus allen sozialen Schichten. Vor allem aber haben sich auch Mädchen und Frauen dem Festzug angeschlossen, was überaus bemerkenswert ist. Bereits im Einladungsschreiben zum Hambacher Fest wurden sie ausdrücklich zur Teilnahme ermutigt, da man ihre bisherige politische Missachtung für einen Fehler hielt. Insofern steht das Hambacher Fest für eine Mobilisierung und Politisierung der Gesellschaft, die ihrerseits Voraussetzung für den Prozess der Demokratisierung war. Außerdem hatte die deutsche Einheits- und Demokratiebewegung mit dem Hambacher Fest endgültig ein gemeinschaftsstiftendes Symbol gewonnen, nämlich die schwarz-rot-goldene Fahne mit drei gleichgroßen Farbstreifen. Eine solche Fahne wehte während des Festes auf dem Turm der Burgruine und kann daher mit einiger Berechtigung als deutsche „Urfahne“ gelten. Eben diese Fahne mit der Aufschrift „Deutschlands Wiedergeburt“ präsentieren wir übrigens in unserer Dauerausstellung „Hinauf, hinauf aufs Schloss!“. Bezogen auf Deutschland lässt sich also mit Recht sagen: Das Hambacher Schloss ist eine Wiege der deutschen Demokratie.
Zugleich ist das Hambacher Schloss seit 2015 Trägerin des Europäischen Kulturerbe-Siegels. Mit dieser Auszeichnung wird der europäische Charakter des Hambacher Festes gewürdigt, schließlich wurde in den damaligen Reden die Solidarität der europäischen Völker beschworen. Die Rede von Johann Georg August Wirth, einem der führenden Köpfe des Hambacher Festes, endete mit dem Ruf: „Hoch! Dreimal hoch das conföderierte republikanische Europa!“ Vom Hambacher Fest ging also auch das Signal aus, dass das Bekenntnis zur deutschen Nation keiner Konstruktion sozialer, kultureller oder nationaler Feindbilder bedarf, wie es bei Vertretern des Nationalismus der Fall war und heute noch immer ist. Vielmehr erfuhr der Ruf nach nationaler Einheit und Freiheit eine entscheidende Stärkung und Mobilisierung gerade dadurch, dass er die europäischen Völker integrierte, dass man sich mit ihnen und ihrem Freiheitskampf solidarisch erklärte.
Inwiefern sind die geschichtlichen Ereignisse um das Hambacher Fest noch heute relevant?
Auch wenn die Ereignisse nun schon fast 190 Jahre zurückliegen, können vom Hambacher Fest ganz verschiedene Impulse ausgehen, die für unser demokratisches Zusammenleben relevant sind. Das fängt schon bei der Einsicht an, dass unsere demokratischen Errungenschaften einst von mutigen Männern und Frauen erkämpft und verteidigt werden mussten. Der Volksfest-Charakter des Hambacher Festes regt ferner dazu an, sowohl über Fragen der Gleichberechtigung und Teilhabe nachzudenken, als auch über die Bedeutung von Emotionen zu sprechen, die der betont rationalen Demokratie manchmal vielleicht etwas zu sehr abgehen. Außerdem lehrt uns Hambach, dass sowohl die Demokratie als auch Europa keine scharf umrissenen, zeitlos gültigen „Modelle“ sind. Vielmehr ringt jede Generation darum, was für sie Demokratie als Herrschaftsform und als Lebensform bedeutet, und was das Europa auszeichnen soll, in dem sie gerne leben möchte. Diese Dynamik macht einen Reiz sowohl der Demokratie als auch Europas aus. Und doch gibt es bei aller Offenheit für Veränderungen Grundrechte und Grundwerte, ohne die weder die Demokratie noch Europa denkbar wären. Zu nennen wären etwa die Meinungs- und Pressefreiheit, die ihrerseits eng mit dem Hambacher Fest verbunden sind.
Für das Hambacher Fest wie für alle historischen Ereignisse und Orte gilt jedoch: Impulse können von ihnen nur dann ausgehen, wenn wir uns ihnen mit Offenheit und Neugier annähern. Ansonsten bleiben es nur nackte Zahlen oder stumme Steine aus längst vergangenen Zeiten.
Wie wollen Sie diese Neugier wecken? Auf welche Weise vermitteln Sie Geschichte und Werte bzw. leisten dort Demokratiearbeit?
Wir verstehen das Hambacher Schloss als einen lebendigen Erinnerungs‑, Lern- und Diskussionsort. Die Geschichte des Hambacher Festes und Schlosses vermitteln wir nicht nur in unserer Dauerausstellung, sondern auch durch Führungen und Workshops, in denen wir jeweils den Bogen von der Zeit des Vormärz in die Gegenwart schlagen. Schulklassen sind daher natürlich ganz zentrale Zielgruppen unserer Arbeit. Hinzu kommt ein äußerst vielfältiges Veranstaltungsangebot. Ob mit Podiumsdiskussionen oder Buchvorstellungen, Konzerten oder Festbanketts, politischem Kabarett oder Kindertheater – wir möchten mit unserem Angebot ein möglichst breites Publikum erreichen und für diesen besonderen Ort begeistern. In den zurückliegenden Um- und Neubaumaßnahmen rund ums Hambacher Schloss spielte zudem der Aspekt der Barrierefreiheit eine große Rolle.
In der jüngeren Vergangenheit kam es zu Versuchen der Vereinnahmung der Geschichte des Hambacher Festes. Was genau ist da vorgefallen und mit welchen Maßnahmen haben Sie darauf reagiert?
Wie gerade geschildert, ist das Hambacher Schloss ein offener Ort für alle Bürgerinnen und Bürger, aber es ist kein wertfreier Ort. Wir haben seit 2018 wiederholt erleben müssen, dass Rechtspopulisten unter dem anmaßenden und irreführenden Titel „Neues Hambacher Fest“ die Kulisse des Hambacher Schlosses dazu missbraucht haben, um sich zu den „wahren Erben“ des Hambacher Festes von 1832 zu stilisieren. Dies geschieht zum einen unter konsequenter Ausblendung des europäischen Charakters des Hambacher Festes, zum anderen wird unser freiheitlicher Rechtsstaat der Bundesrepublik von den Protagonisten dieser Veranstaltungen systematisch als „Diktatur“ diffamiert und damit delegitimiert. Gerade an einem Ort der deutschen Demokratiegeschichte kann uns dies nicht gleichgültig sein. Wir haben daher ein umfassendes Maßnahmenpaket erarbeitet, das den Demokratieort Hambacher Schloss stärken und dessen politisch motivierte Vereinnahmung verhindern soll. Neben einer Ausweitung unseres Angebots an Veranstaltungen und Workshops haben wir etwa eine Besucherordnung erlassen, die Veranstaltungen mit extremistischen, rassistischen, antisemitischen oder antidemokratischen Äußerungen untersagt. Wir blicken der weiteren Entwicklung daher gelassen, notfalls aber auch wehrhaft entgegen.
Im Jahr 2032 jährt sich das Hambacher Fest zum 200. Mal. Wie werden Sie die Feierlichkeiten begehen?
Tatsächlich haben wir dieses große Jubiläum bereits jetzt im Blick und fangen im Mai nächsten Jahres an, uns schon einmal „warmzufeiern“. Gemeinsam mit der Demokratiestadt Neustadt an der Weinstraße werden wir künftig im Zweijahresrhythmus rund um den Jahrestag des Hambacher Festes ein Demokratiefest feiern, das mit einem vielfältigen Angebot von Veranstaltungen und Aktionen zum Mitmachen einladen soll. Bezogen auf das Jahr 2032 würde ich mir wünschen, dass wir gemeinsam mit vielen regionalen, nationalen und europäischen Partnerinnen und Partnern ein Fest feiern, von dem Impulse ausgehen für unsere Demokratie und für Europa. Auch bei den Planungen des 200. Jahrestages fühlen wir uns also dem Erbe von 1832 verpflichtet.