Herr Mätschke-Gabel, Sie leiten die Geschäftsstelle des Bündnisses für ein weltoffenes und tolerantes Berlin. Was waren die Gründe dafür, dass das Bündnis ins Leben gerufen wurde?
Zum einen gab es den Wunsch, die interne Organisation zu verbessern. Denn Akteure wie die Kirchen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände haben schon vor der Bündnisgründung immer wieder punktuell zusammengearbeitet, zum Beispiel bei Protesten gegen Neonaziaufmärsche oder im Rahmen von Demokratiefesten. Oft waren das aber „Hauruckaktionen“. Die Idee war also, eine zentrale Struktur für die Koordinierung und Planung zu schaffen, um die Zusammenarbeit zu verstetigen und sich gegenseitig zu unterstützen. Auf der anderen Seite war es so, dass gerade in den Jahren vor der Bündnisgründung größere Neonaziaufmärsche in Berlin stattfanden – und es gab den starken Wunsch, dem etwas entgegenzusetzen und ein starkes Bild nach außen zu vermitteln, dass Berlin weltoffen und tolerant ist.
Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlin
Das Bündnis wurde im November 2016 gegründet udn hat aktuall 23 Mitglieder, darunter der HVD Berlin-Brandenburg, die die Geschäftsstelle über ihre Mitgliedsbeiträge finanzieren.
Mehr infos unter berlin-weltoffen.de
Spielte auch die verstärkte Hetze und Mobilisierung gegen Geflüchtete nach 2015 eine Rolle?
Ja, ich denke, das war auch ein ganz wichtiger Punkt. Eben dieses Bild nach außen zu transportieren: Es gibt sehr, sehr viele Menschen und Organisationen, die sich für geflüchtete Menschen engagieren
Wie wird das erreicht?
Das hat verschiedene Facetten. Das eine ist in der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen, also ganz klar und deutlich aufzutreten gegen Rassismus und gegen Gewalt, sei es über Kampagnen oder Statements. Eine zweite Eben ist die Mobilisierung neuer Zielgruppen. Zum Beispiel organisieren wir bei Gegenveranstaltungen zu einem Neonaziaufmarsch familienfreundlichere Kundgebungen und erreichen und aktivieren so Menschen, die bisher weniger angesprochen wurden. Und das klappt auch ganz gut. Und die dritte Ebene ist die Stärkung der Berliner Zivilgesellschaft insgesamt. Wir sind vernetzt mit verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteuren und da ergänzt sich unser Angebot mit den bestehenden. Und ein weiterer Aspekt ist, dass unsere Mitglieder eben auch große Verbände und Organisationen sind – und deren Engagement bei uns, deren klares Auftreten bei uns, wiederum eine Innenwirkung in diese Mitgliedsorganisationen hinein erzeugt.
Es gibt also neben der Außenwirkung auch eine Innenwirkung?
Ja, das sind zwei Dinge, die sich ergänzen. Mein Empfinden ist, dass langfristig die größte Wirkung bei den einzelnen Menschen liegt. Wenn sie sich sensibilisieren, zum Beispiel zu Verschwörungsmythen, wenn sie mehr Hintergrundwissen erhalten, wie sie agieren, argumentieren und auch handeln können, befähigt das diese Leute wieder dazu, in ihren Organisationen Dinge zu verändern. Ich denke, dass dieser Austausch, die Sensibilisierung, die Fortbildungen, das gegenseitige Mut machen, einen Unterschied macht. Und das kann das Bündnis leisten und tut es auch schon.
Jens Mätschke-Gabel (*1975) ist Dipl.-Informatiker und staatlich anerkannter Sozialarbeiter. Er ist Demokratie- und Antirassismus-Trainer und leitet seit 2017 die Geschäftsstelle des Bündnisses für ein weltoffenes und tolerantes Berlin.
Sie bemühen sich im Bündnis eine Vielfalt abzubilden. Wie läuft denn die Zusammenarbeit mit diesen auch teils sehr unterschiedlichen Bündnispartnern?
Ich glaube, da haben wir in den vergangenen fünf Jahren einen sehr spannenden Prozess erlebt. Denn alle Bündnispartner eint das große Ziel, gegen Rassismus, für mehr Mitmenschlichkeit, für Weltoffenheit einzutreten. Wenn wir uns aber die Mitgliedsorganisationen anschauen, dann hat die Katholische Kirche für diese Ziele eine ganz andere Begründung als der Humanistische Verband (Anm. d. Red.: gemeint ist der HVD Berlin-Brandenburg KdöR) und wieder ganz anders begründet das der Türkische Bund. Am Anfang war das durchaus spannungsgeladen. Es ist auch kein Geheimnis, dass der Humanistische Verband gegenüber den christlichen Kirchen – ich würde es mal liebevoll formulieren – hin und wieder kleine Provokationen in den sozialen Medien veröffentlicht. Aber es ist uns wirklich gelungen, mittlerweile eine sehr vertraute Zusammenarbeit zu etablieren.
Und wie ist das gelungen?
Dadurch, dass die Menschen sich kennengelernt haben und regelmäßig miteinander arbeiten; dadurch, dass wir gemeinsame Aktionen organisiert und durchgeführt haben. Natürlich gibt es auch immer wieder mal Spannungen, wenn es um Zielrichtungen geht. Aber es gibt nun eine Basis an Vertrauen und Wohlwollen und inzwischen ist das, wie ich finde, ein wunderschönes gemeinsames Arbeiten. Ein Beispiel dazu: Vor ein paar Jahren gab es im Berliner Senat eine Anhörung zum Thema Ladenöffnungszeiten am Sonntag, wo verschiedene Akteure wie Kirchen und Gewerkschaften zu Stellungnahmen gebeten wurden. Und diese Anhörung lief in der Vorbereitung sehr intensiv und konstruktiv, weil sich die Akteure über das Bündnis bereits kannten und es damit bereits dieses Vertrauen schon gab. Sobald Menschen sich kennen, regelmäßig und erfolgreich über einen längeren Zeitraum miteinander zusammenarbeiten, verändert das untereinander das ganze Gefühl. Es gibt von den Mitgliedsorganisationen immer mal wieder unterschiedliche Wünsche, die vielleicht nicht für alle den gleichen Stellenwert haben, aber wir versuchen, auch das zusammenzubringen.