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Regisseur Michael Ruf im Interview

Dokumentarisches Theater zum Klimawandel: „Die Dringlichkeit des Themas deutlich machen“

Dokumentarisches Theater von Michael Ruf

Beitragsbild: Luca Abiento

Vier Menschen stehen auf der Bühne und erzählen die Geschichten realer Menschen. Dazu erklingt vielleicht eine musikalische Begleitung, vielleicht Gesang. Aber es gibt kein Bühnenbild, keine Kostüme, keine Effekte. Das ist das dokumentarische Theater des Autors und Regisseurs Michael Ruf. In seinen Stücken greift er diejenigen Perspektiven auf, die im Diskurs zu kurz kommen, zeigt Missstände auf und will so die Zuschauer*innen zum Denken und Handeln bewegen. Wir haben mit Michael Ruf über seine Arbeit und seine aktuelle Produktion zur Klimakrise gesprochen.

Herr Ruf, Sie haben ein sozialwissenschaftliches Studium absolviert, aber auch einen Master in Film – und machen seit einigen Jahren dokumentarisches Theater. Wie kam das?

Rich­tig, ich bin auf­ge­wach­sen in Unter­fran­ken und das Stu­di­um führ­te mich dann nach Hei­del­berg, Bos­ton, Ber­lin, Lon­don… In Groß­bri­tan­ni­en habe ich die Arbeit der Actors for Human Rights ken­nen­ge­lernt. Das ist ein Pro­jekt, das Geschich­ten durch doku­men­ta­ri­sches Thea­ter erzählt, und ein gro­ßes Netz­werk von vie­len 100 Schauspieler*innen, Musiker*innen und Sänger*innen umfasst. Die­se Thea­ter­stü­cke wer­den also von den regio­na­len Künstler*innen auf die Büh­ne gebracht, im gan­zen Land. Ich habe damals die Asyl­um Mono­lo­gues gese­hen, und fand es sehr inspi­rie­rend, wie mit ver­gleichs­wei­se gerin­gen thea­tra­len Mit­teln bestimm­te sen­si­ble poli­ti­sche The­men erzählt wer­den kön­nen. Das war für mich die Blau­pau­se, hier­zu­lan­de ein ähn­li­ches Pro­jekt auf­zu­zie­hen, an die­ser Schnitt­stel­le von Poli­tik und Kul­tur.

Angefangen haben Sie mit den Asyl-Monologen, die ebenfalls bundesweit zur Aufführung kamen. Sie haben aber seitdem viele weitere Stücke produziert, alle zu kritischen Themen unserer Zeit.

Ja, mei­ne ers­te Thea­ter­pro­duk­ti­on waren Geschich­ten von Geflüch­te­ten, die nach Deutsch­land gekom­men sind. In den fol­gen­den Asyl-Dia­lo­gen ging es um Begeg­nun­gen zwi­schen Men­schen mit und ohne Flucht­er­fah­rung. Danach habe ich die NSU-Mono­lo­ge als Autor und Regis­seur ent­wi­ckelt und dafür mit Hin­ter­blie­be­nen der NSU-Mord­se­rie Inter­views geführt. In den Mit­tel­meer-Mono­lo­gen geht es zum einen um Men­schen, die über das Mit­tel­meer geflüch­tet sind, und zum ande­ren auch um die Akti­vis­ten und Akti­vis­tin­nen, die in der See­not­ret­tung aktiv sind. In mei­ner neu­en Pro­duk­ti­on geht es um Men­schen, die bereits jetzt sehr dezi­diert vom Kli­ma­wan­del betrof­fen sind.

Bild: Luca Abien­to

Micha­el Ruf (*1976) stu­dier­te Fea­ture Film am Golds­mit­hs Col­lege Lon­don, Cri­ti­cal and Crea­ti­ve Thin­king an der Uni­ver­si­ty of Mas­sa­chu­setts Bos­ton sowie Erzie­hungs­wis­sen­schaf­ten, Sozio­lo­gie und Psy­cho­lo­gie in Hei­del­berg und Ber­lin. Er ist Autor, Regis­seur und Geschäfts­füh­rer der Wort und Herz­schlag gUG.

Inwiefern ist die Form des dokumentarischen Theaters geeignet, um solche Themen zu bearbeiten?

Natür­lich gibt es vie­le gewinn­brin­gen­de Arten und Wei­sen Thea­ter­stü­cke zu machen, das doku­men­ta­ri­sche Thea­ter ist nur eine von vie­len mög­li­chen. Aber die­se Geschich­ten beinhal­ten schon so viel Dra­ma, so viel Inten­si­tät, dass eine Fik­tio­na­li­sie­rung oder eine dra­ma­tur­gi­sche Zuspit­zung gar nicht not­wen­dig ist. Und zum ande­ren gilt es ja, den Leu­ten die Rea­li­tät näher­zu­brin­gen. Es geht mir dar­um, die Geschich­ten zu erzäh­len, die sonst zu kurz kom­men, oder die zu wenig erzählt wer­den. Des­halb wird auch vor jeder Auf­füh­rung ange­kün­digt, wie die Stü­cke ent­stan­den sind. Dadurch rezi­pie­ren die Leu­te die­se Stü­cke auf eine ganz ande­re Art und Wei­se, weil sie wis­sen, jetzt wird mir eine rea­le Geschich­te erzählt. Das ver­än­dert kom­plett die Art und Wei­se, wie Leu­te so eine Geschich­te hören und ver­ar­bei­ten – und wie sich das aus­wirkt auf ihr Den­ken oder auch im bes­ten Fal­le auf ihr Han­deln.

Wie entstehen die Stücke denn?

Zunächst spre­che ich mit rela­tiv vie­len Men­schen, neh­me mir viel Zeit, um Interviewpartner*innen zu suchen. Nach­dem ich ihre Geschich­ten gehört habe, tref­fe ich eine Ent­schei­dung für eine Aus­wahl von Per­so­nen, die ich dann zwei­tes oder drit­tes Mal inter­viewe. Die­se Inter­views dau­ern dann meh­re­re Stun­den oder auch ein, zwei Tage. Anschlie­ßend ver­dich­te ich die­se Inter­views und brin­ge sie in eine dra­ma­tur­gi­sche Form. Das ist mei­ne doku­men­ta­ri­sche Arbeit.

Sie haben ihre aktuelle Produktion schon erwähnt, die Klima-Monologe. Das Thema Klimawandel ist sicher an Brisanz kaum zu überbieten, findet aber medial auch schon sehr stark statt. Welche Stimmen oder Aspekte kommen dabei zu kurz, dass Sie gesagt haben: „Da muss ich ran!“?

Ich wün­sche mir, dass mehr dar­über gespro­chen wird, was der Kli­ma­wan­del schon heu­te für vie­le Men­schen im Glo­ba­len Süden bedeu­tet. Das ist total wich­tig, um die Dring­lich­keit des The­mas deut­lich zu machen, hier und heu­te. Und ja, es gibt durch­aus hier­zu­lan­de einen breit ver­an­ker­ten Dis­kurs zum The­ma Kli­ma­wan­del, aber dabei wer­den bestimm­te The­men ver­nach­läs­sigt. Ich sehe es als mei­ne Auf­ga­be, die­se zu kurz kom­men­den Per­spek­ti­ven deut­lich zu machen.

Geben Sie mal ein Beispiel einer solchen zu kurz kommenden Perspektive, wie Sie sie in den Klima-Monologen aufgreifen.

Es gibt durch­aus hier und da mal die Mel­dung, dass es auf­grund des Kli­ma­wan­dels eine Dür­re im Nor­den von Kenia gibt und dies eine Hun­gers­not zur Fol­ge haben könn­te. Das sind eben kur­ze Mel­dun­gen, die man mal hört, aber man ver­steht nicht das gan­ze Aus­maß der Kata­stro­phe. Die dor­ti­gen Vieh­hir­ten, die vor­her hun­dert Tie­re hat­ten, haben jetzt viel­leicht noch fünf. Die ver­blei­ben­den Tie­re kön­nen kei­ne Milch mehr geben – und auch sie wer­den wahr­schein­lich in den nächs­ten Wochen und Mona­ten weg­ster­ben. Das heißt, es ent­zieht den Leu­ten kom­plett die Lebens­grund­la­ge. Vie­le Fami­li­en hun­gern, kön­nen ihren Kin­dern nicht genug zu essen geben. Meis­tens sind die Müt­ter die Letz­ten in der Fami­lie, die etwas zu essen neh­men, damit erst die ande­ren Fami­li­en­mit­glie­der essen kön­nen. Um das Hun­ger­ge­fühl zu lin­dern, schnal­len sie sich einen Gür­tel mög­lichst fest um den Magen. Die Frau, die ich inter­viewt habe, hat erzählt, dass sich ihr Kör­per auf­grund die­ses Hun­gers kom­plett ver­än­dert hat, um 10, 15 Jah­re geal­tert ist. Wenn ich so eine Geschich­te erzäh­le, wird der Kli­ma­wan­del auf eine ande­re Art und Wei­se greif­bar.

Wie haben Sie die Menschen und ihre Geschichten für das Stück gesucht und die Auswahl getroffen?

Das war eine sehr schwie­ri­ge Aus­wahl. Und es war auch schlimm zu sehen, dass man in so vie­len Län­dern so vie­le kon­kre­te Bei­spie­le fin­den konn­te, wo der Kli­ma­wan­del schon mas­si­ve Aus­wir­kun­gen hat. Natür­lich habe ich nach Geschich­ten gesucht, die gut erzähl­bar sind. Der Kli­ma­wan­del ist ein Vor­gang, der sich teils sehr schlep­pend und lang­wie­rig ereig­net. Er ist dadurch natür­lich nicht weni­ger ekla­tant, aber da gilt es eben Geschich­ten zu suchen, die man auch in der der Kür­ze der Zeit eines Thea­ter­stücks ver­ste­hen kann. Da der Kli­ma­wan­del ver­schie­de­ne Arten von Umwelt­ver­än­de­run­gen, Umwelt­ka­ta­stro­phen ver­ur­sacht oder ver­stärkt, habe ich vier Geschich­ten gesucht, die die Viel­schich­tig­keit der Kli­ma­wan­del­fol­gen abbil­den.

Sie haben vorhin gesagt, dass es ihnen auch darum geht, dass ihre Stücke etwas in den Menschen auslösen – im Denken und Handeln. Gibt es deshalb auch immer Publikumsgespräche im Anschluss an Aufführung Ihrer Theaterstücke?

Genau. Die­se Publi­kums­ge­sprä­che sol­len einen mög­lichst nied­rig­schwel­li­gen Ein­stieg ermög­li­chen, dass Leu­te sich mit dem The­ma wei­ter beschäf­ti­gen und im bes­ten Fal­le eben selbst aktiv wer­den. Das wird auch bei den Kli­ma-Mono­lo­gen wie­der der Fall sein. Gera­de bei die­sem The­ma ist das ein schma­ler Grat: einer­seits Dring­lich­keit ver­mit­teln, aber eben nicht so, dass die Leu­te den Kopf in den Sand ste­cken und den­ken, es sei nichts mehr zu ret­ten. Es gilt, die Leu­te zu akti­vie­ren. Die Kli­ma­be­we­gung spielt eine wich­ti­ge Rol­le, um auf Entscheidungsträger*innen in der Poli­tik Druck aus­zu­üben.

Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!

Das bun­des­wei­te Netz­werk Wort und Herz­schlag besteht aus eini­gen hun­dert Schauspieler*innen und Musiker*innen, die die Mono­log-Stü­cke von Micha­el Ruf auf die Büh­ne brin­gen. Die Auf­füh­run­gen in den ver­schie­de­nen Städ­ten tra­gen somit immer die indi­vi­du­el­le Hand­schrift der jewei­li­gen regio­na­len Künstler*innen. Infos zu den bun­des­wei­ten Auf­füh­run­gen sind zu fin­den unter: www.wort-und-herzschlag.de/#termine

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