Vor kurzem saß ich mit Freunden in meiner WG-Küche. Es war ein gemütlicher Abend mit entspannter Atmosphäre und wir plauderten über die spannendsten Ereignisse der Woche. Einer meiner Freunde regte sich sehr über seinen letzten Arbeitstag auf: Bei seiner Schicht an der Kasse eines Supermarktes wollte ein Kunde in letzter Sekunde unbedingt noch einen Großeinkauf tätigen. Zwar hatte der Laden bereits geschlossen und es war schon zehn Minuten über die Zeit, trotzdem blieb dieser letzte Kunde hartnäckig. Die anderen Angestellten konnten sich bereits auf ihren Feierabend freuen, nur mein Freund ärgerte sich über ein überquellendes Kassenband. Als er uns davon erzählte, redete er sich in Rage: „Der ist doch behindert – was bildet der sich ein?!“
„Behindert“ – mehrfach verwendete er diesen Ausdruck, um die Wut und das Unverständnis über den gestressten Kunden auszudrücken und verlieh seinem Frust damit Nachdruck. Ich zuckte jedes Mal etwas zusammen. Etwas in mir sträubte sich gegen das Wort. „Behindert“. Sagt man das einfach so?
Beim Sprechen spiegeln die von uns gewählten Worte unsere persönliche Gedankenwelt wider. Dieser Mechanismus ist ganz unabhängig davon, ob wir mit positiven oder negativen Gedanken an eine Situation herantreten. Beschreibe ich beispielsweise hohe Temperaturen im Sommer, gibt es dabei mindestens zwei Möglichkeiten: Ich kann von angenehm wohliger Wärme sprechen oder von unangenehm stechender Hitze. Beide Varianten spiegeln klar meine Einstellung gegenüber der Wetterlage wider.
Sprache ist jedoch keine Einbahnstraße. Auch wie man eine Situation auffasst und wahrnimmt, hängt davon ab, welche Worte zu ihrer Beschreibung verwendet werden. Geht man zum Beispiel im Wald spazieren, macht es emotional einen Unterschied, ob das nun der Düsterwald oder doch ein Kiefernforst in der Lüneburger Heide ist. Worte sind in der Lage, Gefühle und Emotionen zu beeinflussen – und zu verändern. Da die Prozesse ständig in beide Richtungen stattfinden, kann die Interaktion von Sprache und Denken als eine Art Wechselwirkung verstanden werden.
Was ist nun die Wechselwirkung in der anfangs geschilderten Situation? Das Wort „behindert“ beschreibt im eigentlichen Sinne erst einmal nur die körperliche oder geistige Einschränkung eines Menschen, wurde hier aber genutzt, um eine negative Situation zu beschreiben, sogar um jemanden schlecht zu reden. Verwendet man das Worte „behindert“ also zweckentfremdet in solch einem Kontext, bringt man jedes Mal eine benachteiligte Gruppe von Menschen mit etwas Schlechtem, Unerwünschtem in Verbindung. Menschen mit Behinderung, die sich in unserer Gesellschaft ohnehin Diskriminierungen ausgesetzt sehen, werden auf diese Weise weiter abgewertet.
Unser alltäglicher Sprachgebrauch enthält viele solcher diskriminierenden Ausdrücke. Nicht nur Menschen mit Einschränkungen sind dem ausgesetzt, sondern auch Personen mit Migrationshintergrund, Frauen, Personen in Armut und Drogenabhängige, um nur einige aufzuzählen. Die weitreichenden Auswirkungen dessen, wie wir uns ausdrücken, machen wir uns zumeist nicht bewusst.
Wie kann man dem entgegentreten? Vermutlich nicht durch Moralpredigten. Doch gerade im eigenen Umfeld ist viel Veränderung und Einsicht möglich. Ich für meinen Teil werde zukünftig mein eigenes Unbehagen bei solchen Ausdrucksweisen nicht auf sich beruhen lassen. Man kann auf unbewusste Diskriminierung hinweisen, ohne dabei den moralischen Zeigefinger zu heben. Und natürlich gilt es immer auch, die eigene Sprache zu überprüfen.