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Konjunkturpaket der Bundesregierung

Milliarden im Sinne des praktischen Humanismus

Gemälde, Giovanni Battista Tiepolo: Neptun streut die Schätze des Meeres zu Füßen der Venezia aus.
Gemälde, Giovanni Battista Tiepolo: Neptun streut die Schätze des Meeres zu Füßen der Venezia aus.
Die Bundesregierung hat ein mächtiges Konjunkturpaket beschlossen. Doch mit den 130 Milliarden Euro lässt sich nicht nur die deutsche Wirtschaft retten.

Das im Juni beschlos­se­ne Kon­junk­tur­pa­ket der Bun­des­re­gie­rung zur Ret­tung der deut­schen Volks­wirt­schaft macht eines deut­lich: Die Coro­na­kri­se stellt allein von ihrem Umfang her ein his­to­ri­sches Ereig­nis dar, wie es in der Tie­fe und Brei­te sei­ner Aus­wir­kun­gen nur den gro­ßen Welt­wirt­schafts­kri­sen ver­gleich­bar ist. Ande­rer­seits ist sie nur eine von wei­te­ren glo­ba­len Kri­sen, denen sich die Mensch­heit gegen­wär­tig auf ihrem Pla­ne­ten Erde gegen­über­sieht. Daher muss jede wirk­sa­me Über­win­dung der Coro­na­kri­se dar­an gemes­sen wer­den, wie weit sie zumin­dest zu einer Mil­de­rung und zeit­li­chen Stre­ckung der ande­ren gro­ßen Kri­sen bei­trägt:

  • der mit dem Finanz­crash von 2008/09 zum Aus­druck gekom­me­nen Kri­se des neo­li­be­ra­len Modells der glo­ba­len Herr­schaft der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se,
  • der in den „fai­led sta­tes“ und in krie­ge­ri­schen Kon­fron­ta­tio­nen zum Aus­druck kom­men­den Kri­se der glo­ba­len Abhän­gig­keits­ver­hält­nis­se (die auch den erwar­te­ten Auf­stieg von New­co­mern wie Bra­si­li­en und Süd­afri­ka ver­hin­dert hat),
  • der nur ver­scho­be­nen und ver­dräng­ten Kri­se der patri­ar­cha­li­schen Geschlech­ter­ver­hält­nis­se
  • und eben der gro­ßen öko­lo­gi­sche Kri­se (sicht­bar im Kli­ma-Wan­del und im Arten­ster­ben), wel­che letzt­lich das Habi­tat der Men­schen zu bedro­hen beginnt.

Es gibt Stim­men, wel­che die längst über­fäl­li­gen struk­tu­rel­len Ver­än­de­run­gen auf eine Zeit nach der Rück­kehr zu einer „alten Nor­ma­li­tät“ ver­scho­ben sehen wol­len (wie etwa die Auto­mo­bil­in­dus­trie). Die­se haben sich zwar nicht durch­set­zen kön­nen, doch das klei­ne Maß von struk­tu­rel­len Ver­än­de­run­gen, die im Zuge der Umset­zung die­ses Kon­junk­tur­pa­ke­tes umsetz­bar sein wer­den, wird kon­kret immer noch von wei­te­ren Aus­ein­an­der­set­zun­gen und Kämp­fen abhän­gen.

In die­ser aku­ten Kri­sen­la­ge kann der prak­ti­sche Huma­nis­mus zei­gen, wor­in sei­ne his­to­ri­sche Bedeu­tung liegt – indem er näm­lich drei Auf­ga­ben wahr­nimmt:

Ers­tens soll­te der prak­ti­sche Huma­nis­mus zu einer Soli­da­ri­tät der Mensch­heit in der Abwehr der dring­lichs­ten Not­la­gen bei­tra­gen; etwa des Unter­gangs der Insel­staa­ten, der sich prak­tisch über­all auch mit der Pan­de­mie ver­schär­fen­den abso­lu­ten Armut und Obdach­lo­sig­keit, einer weit­ge­hend zusam­men­bre­chen­den abhän­gi­gen Beschäf­ti­gung und der sich unter dem Druck der Kri­sen­pro­zes­se ver­schär­fen­den sexis­ti­schen und ras­sis­ti­schen Gewalt.

Zwei­tens ist es Auf­ga­be des prak­ti­schen Huma­nis­mus, die Staa­ten, Staa­ten­ge­mein­schaf­ten (wie der EU) und die inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­tio­nen, bei allen Ver­su­chen zu unter­stüt­zen, ihre beträcht­li­che Fähig­keit zur Kre­dit­fi­nan­zie­rung für eine trag­fä­hi­ge Ver­bin­dung von kurz‑, mit­tel- und lang­fris­ti­gen Ein­grif­fen zur Her­stel­lung einer lang­fris­tig trag­fä­hi­gen Per­spek­ti­ve der Repro­duk­ti­on der Öko­no­mie der Mensch­heit in ihrem gemein­sa­men Haus der Erde ein­zu­set­zen.

Drit­tens gehört es zum prak­ti­schen Huma­nis­mus, sich auch ent­schlos­sen und krea­tiv für neue Ansät­ze einer nach­hal­ti­gen Pro­duk­ti­ons- und Lebens­wei­se ein­zu­set­zen, in der die Mög­lich­kei­ten einer bewuss­ten Kon­trol­le und Gestal­tung der sozi­al­öko­lo­gi­schen Effek­te des Arbei­tens und Lebens von Men­schen – nach dem Schei­tern der gro­ßen Alter­na­ti­ven des 20. Jahr­hun­derts – in gemein­sa­mer eman­zi­pa­to­ri­scher Pra­xis neu bestimmt wer­den.

Das Mil­li­ar­den­pa­ket der Bun­des­re­gie­rung kann viel­fäl­tig ein­ge­schätzt und kri­ti­siert wer­den. Aus huma­nis­ti­scher Per­spek­ti­ve ist es aller­dings eben­so wich­tig, dass es in dem Maß­nah­men­bün­del einen Ansatz­punkt dafür gibt, drei ele­men­ta­re Ziel­be­rei­che eines huma­nis­ti­schen Enga­ge­ments wirk­sa­mer anzu­ge­hen – und zwar in der bewuss­ten Nut­zung aller die indi­vi­du­el­len Hand­lungs­mög­lich­kei­ten erwei­tern­den Ele­men­te (also vor allem der zeit­wei­sen Sen­kung der Mehr­wert­steu­er und des Zuschus­ses von 300 Euro pro Kind) im Sin­ne die­ser drei Ziel­be­rei­che.

Das reicht von der bewuss­ten Ver­än­de­rung des eige­nen Kon­sum­ver­hal­tens – Ernäh­rung, Mobi­li­tät und Ener­gie­haus­halt – über die Betei­li­gung etwa an kom­mu­na­len Initia­ti­ven zu einem demo­kra­ti­sie­ren­den sozi­al­öko­lo­gi­schen Umbau bis hin zum finan­zi­el­len Enga­ge­ment für Orga­ni­sa­tio­nen, wel­che in die­sen Pro­blem­fel­dern sozi­al­öko­lo­gi­sche Inter­es­sen ver­tre­ten oder exem­pla­risch tätig sind. Und dies ist grund­sätz­lich für jede und jeden mög­lich – sofern und soweit mensch Zugang zu den dafür erfor­der­li­chen Infor­ma­tio­nen hat. Vor allem aber kann jeder huma­nis­tisch enga­gier­te Mensch ande­ren dabei hel­fen, hier für sich ent­spre­chen­de Hand­lungs­mög­lich­kei­ten zu ent­de­cken und sie wirk­sam zu nut­zen.

Nut­zen wir also die­se Chan­ce!

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