Das im Juni beschlossene Konjunkturpaket der Bundesregierung zur Rettung der deutschen Volkswirtschaft macht eines deutlich: Die Coronakrise stellt allein von ihrem Umfang her ein historisches Ereignis dar, wie es in der Tiefe und Breite seiner Auswirkungen nur den großen Weltwirtschaftskrisen vergleichbar ist. Andererseits ist sie nur eine von weiteren globalen Krisen, denen sich die Menschheit gegenwärtig auf ihrem Planeten Erde gegenübersieht. Daher muss jede wirksame Überwindung der Coronakrise daran gemessen werden, wie weit sie zumindest zu einer Milderung und zeitlichen Streckung der anderen großen Krisen beiträgt:
- der mit dem Finanzcrash von 2008/09 zum Ausdruck gekommenen Krise des neoliberalen Modells der globalen Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise,
- der in den „failed states“ und in kriegerischen Konfrontationen zum Ausdruck kommenden Krise der globalen Abhängigkeitsverhältnisse (die auch den erwarteten Aufstieg von Newcomern wie Brasilien und Südafrika verhindert hat),
- der nur verschobenen und verdrängten Krise der patriarchalischen Geschlechterverhältnisse
- und eben der großen ökologische Krise (sichtbar im Klima-Wandel und im Artensterben), welche letztlich das Habitat der Menschen zu bedrohen beginnt.
Es gibt Stimmen, welche die längst überfälligen strukturellen Veränderungen auf eine Zeit nach der Rückkehr zu einer „alten Normalität“ verschoben sehen wollen (wie etwa die Automobilindustrie). Diese haben sich zwar nicht durchsetzen können, doch das kleine Maß von strukturellen Veränderungen, die im Zuge der Umsetzung dieses Konjunkturpaketes umsetzbar sein werden, wird konkret immer noch von weiteren Auseinandersetzungen und Kämpfen abhängen.
In dieser akuten Krisenlage kann der praktische Humanismus zeigen, worin seine historische Bedeutung liegt – indem er nämlich drei Aufgaben wahrnimmt:
Erstens sollte der praktische Humanismus zu einer Solidarität der Menschheit in der Abwehr der dringlichsten Notlagen beitragen; etwa des Untergangs der Inselstaaten, der sich praktisch überall auch mit der Pandemie verschärfenden absoluten Armut und Obdachlosigkeit, einer weitgehend zusammenbrechenden abhängigen Beschäftigung und der sich unter dem Druck der Krisenprozesse verschärfenden sexistischen und rassistischen Gewalt.
Zweitens ist es Aufgabe des praktischen Humanismus, die Staaten, Staatengemeinschaften (wie der EU) und die internationalen Organisationen, bei allen Versuchen zu unterstützen, ihre beträchtliche Fähigkeit zur Kreditfinanzierung für eine tragfähige Verbindung von kurz‑, mittel- und langfristigen Eingriffen zur Herstellung einer langfristig tragfähigen Perspektive der Reproduktion der Ökonomie der Menschheit in ihrem gemeinsamen Haus der Erde einzusetzen.
Drittens gehört es zum praktischen Humanismus, sich auch entschlossen und kreativ für neue Ansätze einer nachhaltigen Produktions- und Lebensweise einzusetzen, in der die Möglichkeiten einer bewussten Kontrolle und Gestaltung der sozialökologischen Effekte des Arbeitens und Lebens von Menschen – nach dem Scheitern der großen Alternativen des 20. Jahrhunderts – in gemeinsamer emanzipatorischer Praxis neu bestimmt werden.
Das Milliardenpaket der Bundesregierung kann vielfältig eingeschätzt und kritisiert werden. Aus humanistischer Perspektive ist es allerdings ebenso wichtig, dass es in dem Maßnahmenbündel einen Ansatzpunkt dafür gibt, drei elementare Zielbereiche eines humanistischen Engagements wirksamer anzugehen – und zwar in der bewussten Nutzung aller die individuellen Handlungsmöglichkeiten erweiternden Elemente (also vor allem der zeitweisen Senkung der Mehrwertsteuer und des Zuschusses von 300 Euro pro Kind) im Sinne dieser drei Zielbereiche.
Das reicht von der bewussten Veränderung des eigenen Konsumverhaltens – Ernährung, Mobilität und Energiehaushalt – über die Beteiligung etwa an kommunalen Initiativen zu einem demokratisierenden sozialökologischen Umbau bis hin zum finanziellen Engagement für Organisationen, welche in diesen Problemfeldern sozialökologische Interessen vertreten oder exemplarisch tätig sind. Und dies ist grundsätzlich für jede und jeden möglich – sofern und soweit mensch Zugang zu den dafür erforderlichen Informationen hat. Vor allem aber kann jeder humanistisch engagierte Mensch anderen dabei helfen, hier für sich entsprechende Handlungsmöglichkeiten zu entdecken und sie wirksam zu nutzen.
Nutzen wir also diese Chance!