Ab dem 1. Juni 2025 erhalten Frauen in Deutschland erstmals einen gestaffelten Mutterschutz nach einer Fehlgeburt – sofern diese nach der zwölften Schwangerschaftswoche eintritt. Das ist ein überfälliger Schritt in Richtung Anerkennung und Schutz für Frauen in einer Ausnahmesituation. Doch die gesetzliche Neuregelung greift zu kurz – sie lässt genau jene Frauen weiter allein, die in den ersten Wochen ihrer Schwangerschaft ihr Kind verlieren. Und das sind nicht wenige.
Was in der politischen Debatte oft ausgeblendet wird: Die Initiative zu dieser Reform kam nicht aus dem Bundestag oder einem Ministerium. Sie kam von Betroffenen selbst. Die Autorin und Aktivistin Natascha Sagorski erlitt 2019 eine Fehlgeburt in der zehnten Schwangerschaftswoche. Trotz der physischen und seelischen Erschütterung wurde ihr im Krankenhaus lapidar mitgeteilt, sie könne am nächsten Tag wieder arbeiten. Diese Erfahrung des Schmerzes, kombiniert mit der fehlenden gesellschaftlichen und rechtlichen Anerkennung, ließ sie nicht los.
Gemeinsam mit der Unternehmerin und Mitaktivistin Isa Grütering startete sie eine Petition und später eine Verfassungsbeschwerde. Die Petition sammelte über 75.000 Unterschriften. Die beiden Frauen gaben dem Thema eine Stimme, die lange verstummt war. Unterstützt wurden sie ideell auch von Pionierinnen wie Barbara Künzer-Riebel, die bereits in den 1980er Jahren mit der Initiative REGENBOGEN „Glücklose Schwangerschaft“ den Boden bereitete für mehr gesellschaftliche Sichtbarkeit dieses Themas.
Aus humanistischer Sicht ist die neue Regelung ein unvollständiger Fortschritt. Denn sie zieht eine willkürliche Grenze: Wer sein Kind in der zwölften Woche verliert, hat Pech gehabt. Wer es in der 13. Woche verliert, erhält Mutterschutz. Das ignoriert, dass der Schmerz, die Bindung, die körperliche und emotionale Belastung nicht an Kalenderwochen gebunden sind.
Wichtig ist auch eine klare Differenzierung: Eine Krankschreibung ersetzt keinen Mutterschutz. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stellt Krankheit fest – Mutterschutz hingegen ist ein gesellschaftlicher Schutzraum. Er würdigt, dass hier eine besondere Lebenssituation vorliegt, in der Fürsorge, nicht Funktion, im Vordergrund stehen sollte. Das Fehlen eines solchen Schutzes für Frauen mit frühen Fehlgeburten bedeutet nach wie vor eine strukturelle Geringschätzung.
Wir fordern deshalb:
- Eine Ausweitung des Mutterschutzes auf alle Fehlgeburten, unabhängig von der Schwangerschaftswoche
- Eine angemessene öffentliche Würdigung der zivilgesellschaftlichen Initiative, die diese Reform erst ermöglicht hat
- Eine klare rechtliche und gesellschaftliche Differenzierung zwischen Krankschreibung und Mutterschutz
- Eine aktive Enttabuisierung von Fehlgeburten in Arbeitswelt, Gesundheitswesen und Öffentlichkeit
Humanismus heißt, den Menschen in seiner Würde und Verletzlichkeit ernst zu nehmen. Auch – und gerade – im Moment des Verlusts. Das ist keine Frage der Statistik, sondern der Empathie.