Tiere haben keine Ethik. Warum? Weil Ethik das voraussetzt, was im Faust – sinnigerweise durch Mephisto – mit den Worten charakterisiert wird: „Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum“. Anders ausgedrückt: Ethik setzt das Unterscheidungsvermögen zwischen gut und schlecht voraus. Daraus folgt, dass Ethik und ethische Probleme genuin menschlich sind, weil nur dem Menschen dieses Unterscheidungsvermögen zugesprochen wird.
Doch was bedeutet diese Prämisse für die Tierethik? Vor allem eines, nämlich dass der ethische Umgang mit Tieren ein menschliches Problem darstellt, nämlich eine Herausforderung an seine eigene Haltung, die Immanuel Kant als „sittliche“ gekennzeichnet hat. Der Frage, wie diese „Sittlichkeit“, also die ethische Haltung Tieren gegenüber, unter humanistischen Aspekten auszugestalten sei, soll hier nachgegangen werden.
Vorausschickend sollen zunächst grob jene drei Grundpositionen zwischen Mensch und Tier vorgestellt werden, die sich im Laufe der Historie etabliert haben.
In der ersten Position wird von einer klaren hierarchischen Ordnung ausgegangen, bei der eine utilitaristische Zweckgebundenheit des Tieres angenommen wird. Diese Unterordnung des Tieres wird beispielsweise aus der Formulierung der Genesis abgeleitet, wo von einem „Untertan Machen“ der Erde gesprochen wird und die in der bundesdeutschen Rechtsauffassung ihren Niederschlag gefunden hat, wo im § 90a BGB die Stellung des Tieres wie folgt definiert wird: „Tiere sind keine Sachen. Sie werden durch besondere Gesetze geschützt. Auf sie sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist.“ Diese erste Position fasst das Tier kurz gesagt als für den Menschen nützliches Objekt auf.
In diesem Sinne stellen auch für Kant Tiere lediglich ein Mittel zum Zweck dar, ohne selbst Zweck zu sein. Daher folgert er, dass der Mensch Tieren gegenüber keine direkten Pflichten habe, sondern lediglich indirekte Pflichten, die sich aus unseren Pflichten gegenüber anderen Menschen ergeben. Obwohl Tiere deshalb keine Rechte im moralischen Sinne haben, sollte der Mensch dennoch mitfühlend und respektvoll mit ihnen umgehen, um seine eigene moralische Integrität zu wahren.
Die zweite Position steht im deutlichen Gegensatz zu der ersten, da hier das Tier eine religiöse oder spirituelle Erhöhung erfährt, die es über den Menschen stellt. Diese Position umfasst nicht alle Tiere, sondern es werden je einzelne Tierarten ausgewählt. Diese Erhöhung ist entweder der religiösen Ansicht geschuldet, dass gewisse Tiere bestimmte Götter selbst darstellen oder in anderer Weise repräsentieren oder als Reinkarnationen von Ahnen oder anderen Menschen gedeutet werden. So nimmt etwa das Krokodil im Alten Ägypten oder die Kuh im Hinduismus eine „gesellschaftliche Stellung“ ein, die beide sakrosankt werden lassen. Im Buddhismus und anderen spirituellen Philosophien und Religionen wird etwa die Achtung vor dem Tier damit begründet, dass in Tieren menschliche Seelen reinkarniert werden.
In der dritten Position wird die Animalität von Mensch und Tier betont: Der Mensch als zoon logon echon bzw. animal rationale bleibt trotz seiner Vernunftfähigkeit letztlich auch nur ein Tier von vielen. Diese Position wird nicht zuletzt durch die Forschungsergebnisse der Genetik bestärkt, die eine bis in die Neuzeit kaum für möglich gehaltene Übereinstimmung zwischen Menschen und Tieren ans Licht gebracht hat.
Dass diese drei Positionen nur bedingt in Übereinstimmung zu bringen sind, liegt auf der Hand. Dass in Ethik, Gesellschaft und Kultur über diese drei Grundpositionen hinaus noch eine unüberschaubare Menge von Zwischenpositionen diskutiert werden, zwingt uns die Gretchenfrage auf: Wie halten wir es humanistisch mit der Tierethik?
Die Antwort lässt sich kurz und knapp zusammenfassen: Nenn mir Dein Menschenbild und ich sage Dir Deine ethische Einstellung zu Tieren! Eine humanistische Tierethik rekurriert deshalb auf ein humanistisches Menschenbild.
Da wir hier darauf verzichten wollen, dieses humanistische Menschenbild in extenso auszubreiten, greifen wir für unsere Zwecke argumentativ auf folgenden Syllogismus zurück – schließlich erfreut sich diese Schlussform nicht grundlos einer gewissen philosophischen Beliebtheit:
(P1) Humanismus ist durch die Conditio humana bestimmt.
(P2) Die Conditio humana rekurriert auf menschliche Vernunft.
(K) Ein humanistischer Umgang mit Tieren wäre ein vernünftiger.
Doch wie ist das genau zu verstehen? Grundsätzlich sieht der Humanismus in der menschlichen Vernunft ein zentrales, wenn nicht das wichtigste Merkmal dessen, was den Menschen als Menschen ausmacht. Menschen haben deshalb die Verantwortung, sich vernünftig gegenüber anderen Menschen, der Umwelt und auch Tieren zu verhalten. Weil diese Verantwortung ihrem eigenen Wesen entspringt, ihrem Anspruch an sich selbst, vernünftig zu sein. Aber wie kann dieser vernünftige und deshalb humanistische Umgang mit Tieren aussehen?
Dass Tiere als Teil des Ökosystems dieser Erde eine funktionelle Notwendigkeit für die Existenz des Menschen und der Welt darstellen, wird uns Menschen in Zeiten der Klimakatastrophe und ihren Folgen immer deutlicher bewusst. Damit ist der Zweck von Tieren unumstritten. Aber eine ethisch-humanistische Begründung des Umgangs mit Tieren muss über reine Zweckmäßigkeit hinaus gedacht werden.
Ein vernünftiger Umgang mit Tieren besteht deshalb darin, das Tierwohl im Blick zu behalten. Das impliziert, Tiere nicht zu beeinträchtigen, etwa zu quälen oder grundlos zu töten, die Tierhaltung so auszugestalten, dass sie weitestgehend dem Tierwohl entspricht und gleichzeitig einer „vermenschlichenden“ und damit der adäquaten Lebensform des Tieres zuwiderlaufende Vereinnahmung von Tieren entgegenzuwirken.
Diesen theoretischen Forderungen stimmt vermutlich jeder grundsätzlich zu. Das Problem liegt aber auch hier wieder einmal in der praktischen Umsetzung. Die scheitert regelmäßig vor allem an zwei Faktoren: mangelnder Einsichtsfähigkeit auf persönlicher Ebene und kapitalistischem Gewinnstreben auf gesamtgesellschaftlicher, wirtschaftlicher und kultureller Ebene.
Eine humanistisch-ethische Gegenposition wäre demnach eine solche, die einen vernünftigen Umgang mit Tieren in den Vordergrund rückt, d. h. den Lebensraum von Tieren schützen, die Artenvielfalt gewährleisten und Tiere nicht zum menschlichen Zweck- und Vergnügungsobjekt degradieren möchte. Das reicht dabei von Husky-Haltung in einer 1‑Zimmerwohnung in Südspanien bis hin zu Massentierhaltung von Schweinen in Niedersachsen. Beides wäre nicht mit der Vernunft und damit den humanistischen Werten in Einklang zu bringen.
Einen vernünftigen Umgang mit Tieren gebietet also nicht nur eine humanistische Tierethik, sondern auch – und zu dieser Einsicht sollte jeder Mensch befähigt sein – menschlicher Eigennutz. Es ist heute Binsenweisheit, dass die menschliche Existenz vom Dasein der Tiere abhängt. Albert Einstein soll diesen Zusammenhang drastisch so formuliert haben: „Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.“
1 Kommentar zu „Homo animali lupus est – eine philosophisch-humanistische Perspektive auf Tierethik“
Ein gelungener, sehr instruktiver Artikel, der einige der beliebtesten Diskussionen gekonnt zusammenfasst. Tierethik umfasst natürlich noch viel mehr, aber man muss sich auf einen Aspekt konzentrieren können.