EACAS ist eine Organisation, die europaweit Wissenschaftler*innen, Pädagog*innen und Aktivist*innen zusammenbringt, die sich dem Bereich der Critical Animal Studies (CAS) widmen. Bei CAS handelt es sich um einen interdisziplinären Forschungsansatz, der das Verhältnis zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren kritisch analysiert. Dabei geht es nicht nur um Tierrechte, sondern auch um Zusammenhänge zwischen Speziesismus (Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit einer Art) und anderen Herrschaftsformen wie Rassismus, Sexismus oder Kolonialismus.
Wir – Ann-Marie Orf, Franziska Ramin und ich – sind Lehrkräfte für Humanistische Lebenskunde und Gründungsmitglieder der Tierethik-Arbeitsgemeinschaft, die sich im Juli 2024 unter der Leitung von Katrin Raczynski im Rahmen des Humanistischen Verbandes formiert hat. Als Teil des Organisationsteams waren wir bei der Tagung nicht nur vor Ort, sondern auch aktiv in die Planung eingebunden. Die Veranstaltung bot uns die Möglichkeit, spannende Einblicke in aktuelle tierethische Forschung zu gewinnen und inspirierenden Vorträgen zu lauschen.

Von li nach re: Franziska Ramin (Lebenskunde-Lehrkraft und Teil der Tierethik-AG des Humanistischen Verbandes Deutschlands), Ann-Marie Orf (Lebenskunde-Lehrkraft im Studium, Teil der Tierethik-AG und Mitglied von Mensch Tier Bildung), Carolin Eirich (vortragendes Mitglied von Mensch Tier Bildung), Kathrin Herrmann (Tierschutzbeauftrage des Landes Berlin und Mitglied von EACAS) und Belinda Grimm (Lebenskunde-Lehrkraft, Teil der Tierethik-AG und Mitglied von Mensch Tier Bildung)
Die gegenwärtigen Krisen seien keine voneinander isolierten Ereignisse, sondern Ausdruck eines unterdrückerischen Systems – so formulierte es Dr. Kathrin Herrmann, Landestierschutzbeauftragte Berlin, Mitbegründerin von EACAS und Organisatorin der Konferenz, in ihrer Begrüßungsansprache. Den Hebel für einen Systemwandel sieht sie in der Bildungsarbeit. Drei Tage lang setzten sich 32 Sprecher*innen aus den Bereichen Forschung, Pädagogik, Kunst und Philosophie in ihren Vorträgen damit auseinander, wie kritisches Denken, Empathie, Kreativität und Solidarität nicht nur die Inhalte des Unterrichtes, sondern auch die Haltung der Lehrenden bereichern kann. Verbindend war bei allen Sprechenden die Frage, wie durch Bildung eine gerechtere Welt für alle – Mensch und Tier, geschaffen werden kann.
Insgesamt nahmen etwa 90 Menschen an der Tagung teil, die dank der finanziellen Unterstützung der Bastet Stiftung Hamburg in dieser Form stattfinden konnte. Die Vorträge waren in diverse Themenbereiche mit je zwei bis vier Sprechenden gegliedert. Den Auftakt machte das Thema „Critical Thinking and Empathy“, dem sich vier Vortragende widmeten. Unter ihnen Dr. Dimitra Kountaki mit ihrem Beitrag „Fostering Empathy Beyond Anthropocentrism: The Role of Education in Transforming Human-Animal Relations“. Darin erörterte sie das Potenzial von Bildung für die Förderung von Empathie jenseits des Anthropozentrismus. Außerdem hob sie hervor, wie wichtig es ist, nicht-menschliche Tiere als Betroffene menschlichen Handelns wahrzunehmen. In ihrer Präsentation stellte sie vielfältige pädagogische Ansätze vor, die durch Storytelling, erfahrungsbasiertes Lernen und Übungen im kritischen Denken auf die Verbundenheit aller Lebewesen aufmerksam machen und bestehende Hierarchien hinterfragen. Darüber hinaus gab sie praxisnahe Impulse für Unterrichtsaktivitäten und Projekte, die darauf abzielen, Empathie gegenüber nicht-menschlichen Tieren zu fördern.

Graphic recording von Lena Winkel zum Vortrag von Dr. Dimitra Kountaki
Im Themenbereich „Critical Animal Rights Education“ präsentierte Iana Fishova, Doktorandin an der Pompeu Fabra Universität in Barcelona, in ihrem Vortrag „Educating beyond speciesism: Thinking-doing creative-relational inquiry in critical animal pedagogies and vegan education“ erste Ergebnisse ihrer laufenden Doktorarbeit. Darin untersucht sie, wie sich Strömungen wie die CAS auf die pädagogische Praxis auswirken. Wie Dr. Dimitra Kountaki weist auch sie auf eine pädagogische Ausrichtung jenseits des Anthropozentrismus hin und schlägt stattdessen einen antispeziestischen Weg vor, der ethisches Bewusstsein schaffen soll. Iana Fishovas Fokus liegt hierbei auf der philosophischen Denkrichtung des Neuen Materialismus. In dieser wird Materie nicht als passive, unbelebte Substanz verstanden, sondern als ein handlungsfähiger Akteur, der mit menschlichem Handeln verflochten ist. Diese Perspektive betont die Wirkmacht nichtmenschlicher Prozesse – etwa die Rolle des Klimas, das auf anthropozentrisch motivierte Eingriffe mit spürbaren Veränderungen reagiert. Posthumanistische, feministische und ökologische Ansätze spielen dabei eine zentrale Rolle, da sie gängige Machtverhältnisse und Hierarchien zwischen Mensch, Natur und Technik kritisch hinterfragen.

Graphic recording von Lena Winkel zum Vortrag von Iana Fishova
Der Beutelsbacher Konsens und sein erster Grundsatz, das Überwältigungsverbot, war der Inhalt von Carolin Eirichs Vortrag „Learning to be affected – Principles and strategies of (in-)visibility regarding the us of images in (critical) education on animal factories in Germany through the lens of media pedagogy, cultural and media theory“. Während es in der tierethischen Aufklärungsarbeit mit Erwachsenen häufig gängige Praxis ist, gewaltvolle Bilder aus der industriellen Tierhaltung einzusetzen, ist das keine Option für Schulen. Zudem kann die paradoxe Medialität von Fotografien und Bewegtbildern eine affektive Auseinandersetzung mit dem Gezeigten erschweren. Carolin Eirich, langjähriges Mitglied von Mensch Tier Bildung e.V., legte in diesem Zusammenhang die Herausforderung dar, das Schicksal der Tiere in der Industrie sichtbar zu machen, ohne die Schüler*innen durch grausame Bilder emotional zu überfordern. Dabei steht nicht nur die Beachtung des ersten Grundsatzes des Beutelsbacher Konsenses im Fokus. Auch die potenziellen psychischen Auswirkungen, die die Konfrontation mit solchen Bildern auslösen kann, verdienen besondere Aufmerksamkeit. Der Verein Mensch Tier Bildung legt großen Wert auf emanzipatorische Bildung, ein Bildungskonzept, das kritisches Denken fördert und ermutigen soll, aktiv für eine gerechtere Gesellschaft einzutreten. Da dieses Konzept die Lebensrealität der Lernenden in den Mittelpunkt stellt, sollten deren Erfahrungen nicht durch potentiell traumatisierende Bilder belastet werden. Das Material, das hierbei benutzt wird, ist dementsprechend altersgerecht aufgearbeitet und verzichtet auf grausame Bilder aus der Tierindustrie. Stattdessen setzen die Moderierenden der Workshops auf das Kontextualisieren der (Bewegt-)Bilder durch zusätzliches Material und vermitteln auf spielerische Weise Informationen, die zum Nachdenken und Diskutieren anregen.

Carolin Eirich
Die Anzahl und Vielfalt an fundierten wissenschaftlichen Beiträgen im Bereich der CAS war ebenso beeindruckend wie ermutigend. Die interdisziplinären Ansätze, in denen es um Gerechtigkeit, Gleichheit und die kritische Reflexion von Machtverhältnissen geht, zeigen eine signifikante Nähe zu den humanistischen Grundwerten. Gerade die Verbindung von kritischem Denken und Bildungsarbeit in den CAS unterstreicht, wie relevant dieses Feld auch für den Humanistischen Verband und insbesondere für die Humanistische Lebenskunde ist. Ein Unterrichtsfach, das darauf abzielt, Empathie, Urteilsvermögen und verantwortungsvolles Handeln gegenüber Mensch, Tier und Umwelt zu fördern. Ganz im Sinne der Amsterdam-Deklaration, welcher der Humanistische Verband Deutschlands als Mitglied der Humanists International unterstützt. Dort wird im ersten Prinzip „Humanismus ist ethisch“ betont, dass ein freier Mensch Pflichten gegenüber Anderen hat: „Wir empfinden eine Fürsorgepflicht gegenüber der gesamten Menschheit, einschließlich künftiger Generationen, und darüber hinaus gegenüber allen empfindungsfähigen Wesen.“