9. EACAS-Konferenz in Berlin

Wie Bildung eine gerechtere Welt für Mensch und Tier schaffen kann

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Beitragsbild: Daniel Burgos-Nyström

In Zeiten ökologischer Zerstörung, weltweiter Zoonosen und wachsender sozialer Ungleichheit gerät die Sorge um die verletzlichsten Mitbewohner*innen unseres Planeten nur allzu oft in den Hintergrund. Welche Verantwortung trägt Bildung hierbei und welche Chancen stehen ihr offen? Diesen Fragen widmete sich die diesjährige Konferenz der European Association for Critical Animal Studies (EACAS), die vom 2. bis 4. Mai 2025 in Berlin unter dem Titel „Actioning Change Through Education: Transforming Human-Animal Relations in Times of Crisis“ im Haus der Demokratie und Menschenrechte stattfand.

EACAS ist eine Orga­ni­sa­ti­on, die euro­pa­weit Wissenschaftler*innen, Pädagog*innen und Aktivist*innen zusam­men­bringt, die sich dem Bereich der Cri­ti­cal Ani­mal Stu­dies (CAS) wid­men. Bei CAS han­delt es sich um einen inter­dis­zi­pli­nä­ren For­schungs­an­satz, der das Ver­hält­nis zwi­schen Men­schen und nicht­mensch­li­chen Tie­ren kri­tisch ana­ly­siert. Dabei geht es nicht nur um Tier­rech­te, son­dern auch um Zusam­men­hän­ge zwi­schen Spe­zie­sis­mus (Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund der Zuge­hö­rig­keit einer Art) und ande­ren Herr­schafts­for­men wie Ras­sis­mus, Sexis­mus oder Kolo­nia­lis­mus.

Wir – Ann-Marie Orf, Fran­zis­ka Ramin und ich – sind Lehr­kräf­te für Huma­nis­ti­sche Lebens­kun­de und Grün­dungs­mit­glie­der der Tier­ethik-Arbeits­ge­mein­schaft, die sich im Juli 2024 unter der Lei­tung von Kat­rin Rac­zyn­ski im Rah­men des Huma­nis­ti­schen Ver­ban­des for­miert hat. Als Teil des Orga­ni­sa­ti­ons­teams waren wir bei der Tagung nicht nur vor Ort, son­dern auch aktiv in die Pla­nung ein­ge­bun­den. Die Ver­an­stal­tung bot uns die Mög­lich­keit, span­nen­de Ein­bli­cke in aktu­el­le tier­ethi­sche For­schung zu gewin­nen und inspi­rie­ren­den Vor­trä­gen zu lau­schen.

Von li nach re: Fran­zis­ka Ramin (Lebens­kun­de-Lehr­kraft und Teil der Tier­ethik-AG des Huma­nis­ti­schen Ver­ban­des Deutsch­lands), Ann-Marie Orf (Lebens­kun­de-Lehr­kraft im Stu­di­um, Teil der Tier­ethik-AG und Mit­glied von Mensch Tier Bil­dung), Caro­lin Eirich (vor­tra­gen­des Mit­glied von Mensch Tier Bil­dung), Kath­rin Herr­mann (Tier­schutz­be­auf­tra­ge des Lan­des Ber­lin und Mit­glied von EACAS) und Belin­da Grimm (Lebens­kun­de-Lehr­kraft, Teil der Tier­ethik-AG und Mit­glied von Mensch Tier Bil­dung)

Die gegen­wär­ti­gen Kri­sen sei­en kei­ne von­ein­an­der iso­lier­ten Ereig­nis­se, son­dern Aus­druck eines unter­drü­cke­ri­schen Sys­tems – so for­mu­lier­te es Dr. Kath­rin Herr­mann, Lan­des­tier­schutz­be­auf­trag­te Ber­lin, Mit­be­grün­de­rin von EACAS und Orga­ni­sa­to­rin der Kon­fe­renz, in ihrer Begrü­ßungs­an­spra­che. Den Hebel für einen Sys­tem­wan­del sieht sie in der Bil­dungs­ar­beit. Drei Tage lang setz­ten sich 32 Sprecher*innen aus den Berei­chen For­schung, Päd­ago­gik, Kunst und Phi­lo­so­phie in ihren Vor­trä­gen damit aus­ein­an­der, wie kri­ti­sches Den­ken, Empa­thie, Krea­ti­vi­tät und Soli­da­ri­tät nicht nur die Inhal­te des Unter­rich­tes, son­dern auch die Hal­tung der Leh­ren­den berei­chern kann. Ver­bin­dend war bei allen Spre­chen­den die Fra­ge, wie durch Bil­dung eine gerech­te­re Welt für alle – Mensch und Tier, geschaf­fen wer­den kann.

Ins­ge­samt nah­men etwa 90 Men­schen an der Tagung teil, die dank der finan­zi­el­len Unter­stüt­zung der Bas­tet Stif­tung Ham­burg in die­ser Form statt­fin­den konn­te. Die Vor­trä­ge waren in diver­se The­men­be­rei­che mit je zwei bis vier Spre­chen­den geglie­dert. Den Auf­takt mach­te das The­ma „Cri­ti­cal Thin­king and Empa­thy“, dem sich vier Vor­tra­gen­de wid­me­ten. Unter ihnen Dr. Dimi­tra Koun­ta­ki mit ihrem Bei­trag „Fos­te­ring Empa­thy Bey­ond Anthro­po­cen­trism: The Role of Edu­ca­ti­on in Trans­forming Human-Ani­mal Rela­ti­ons“. Dar­in erör­ter­te sie das Poten­zi­al von Bil­dung für die För­de­rung von Empa­thie jen­seits des Anthro­po­zen­tris­mus. Außer­dem hob sie her­vor, wie wich­tig es ist, nicht-mensch­li­che Tie­re als Betrof­fe­ne mensch­li­chen Han­delns wahr­zu­neh­men. In ihrer Prä­sen­ta­ti­on stell­te sie viel­fäl­ti­ge päd­ago­gi­sche Ansät­ze vor, die durch Sto­rytel­ling, erfah­rungs­ba­sier­tes Ler­nen und Übun­gen im kri­ti­schen Den­ken auf die Ver­bun­den­heit aller Lebe­we­sen auf­merk­sam machen und bestehen­de Hier­ar­chien hin­ter­fra­gen. Dar­über hin­aus gab sie pra­xis­na­he Impul­se für Unter­richts­ak­ti­vi­tä­ten und Pro­jek­te, die dar­auf abzie­len, Empa­thie gegen­über nicht-mensch­li­chen Tie­ren zu för­dern.

Gra­phic recor­ding von Lena Win­kel zum Vor­trag von Dr. Dimi­tra Koun­ta­ki

Im The­men­be­reich „Cri­ti­cal Ani­mal Rights Edu­ca­ti­on“ prä­sen­tier­te Iana Fisho­va, Dok­to­ran­din an der Pom­peu Fabra Uni­ver­si­tät in Bar­ce­lo­na, in ihrem Vor­trag „Edu­ca­ting bey­ond spe­ci­e­sism: Thin­king-doing crea­ti­ve-rela­tio­nal inquiry in cri­ti­cal ani­mal pedago­gies and vegan edu­ca­ti­on“ ers­te Ergeb­nis­se ihrer lau­fen­den Dok­tor­ar­beit. Dar­in unter­sucht sie, wie sich Strö­mun­gen wie die CAS auf die päd­ago­gi­sche Pra­xis aus­wir­ken. Wie Dr. Dimi­tra Koun­ta­ki weist auch sie auf eine päd­ago­gi­sche Aus­rich­tung jen­seits des Anthro­po­zen­tris­mus hin und schlägt statt­des­sen einen anti­spe­zies­ti­schen Weg vor, der ethi­sches Bewusst­sein schaf­fen soll. Iana Fisho­vas Fokus liegt hier­bei auf der phi­lo­so­phi­schen Denk­rich­tung des Neu­en Mate­ria­lis­mus. In die­ser wird Mate­rie nicht als pas­si­ve, unbe­leb­te Sub­stanz ver­stan­den, son­dern als ein hand­lungs­fä­hi­ger Akteur, der mit mensch­li­chem Han­deln ver­floch­ten ist. Die­se Per­spek­ti­ve betont die Wirk­macht nicht­mensch­li­cher Pro­zes­se – etwa die Rol­le des Kli­mas, das auf anthro­po­zen­trisch moti­vier­te Ein­grif­fe mit spür­ba­ren Ver­än­de­run­gen reagiert. Post­hu­ma­nis­ti­sche, femi­nis­ti­sche und öko­lo­gi­sche Ansät­ze spie­len dabei eine zen­tra­le Rol­le, da sie gän­gi­ge Macht­ver­hält­nis­se und Hier­ar­chien zwi­schen Mensch, Natur und Tech­nik kri­tisch hin­ter­fra­gen.

Gra­phic recor­ding von Lena Win­kel zum Vor­trag von Iana Fisho­va

Der Beu­tels­ba­cher Kon­sens und sein ers­ter Grund­satz, das Über­wäl­ti­gungs­ver­bot, war der Inhalt von Caro­lin Eirichs Vor­trag „Lear­ning to be affec­ted – Prin­ci­ples and stra­te­gies of (in-)visibility regar­ding the us of images in (cri­ti­cal) edu­ca­ti­on on ani­mal fac­to­ries in Ger­ma­ny through the lens of media pedago­gy, cul­tu­ral and media theo­ry“. Wäh­rend es in der tier­ethi­schen Auf­klä­rungs­ar­beit mit Erwach­se­nen häu­fig gän­gi­ge Pra­xis ist, gewalt­vol­le Bil­der aus der indus­tri­el­len Tier­hal­tung ein­zu­set­zen, ist das kei­ne Opti­on für Schu­len. Zudem kann die para­do­xe Media­li­tät von Foto­gra­fien und Bewegt­bil­dern eine affek­ti­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Gezeig­ten erschwe­ren. Caro­lin Eirich, lang­jäh­ri­ges Mit­glied von Mensch Tier Bil­dung e.V., leg­te in die­sem Zusam­men­hang die Her­aus­for­de­rung dar, das Schick­sal der Tie­re in der Indus­trie sicht­bar zu machen, ohne die Schüler*innen durch grau­sa­me Bil­der emo­tio­nal zu über­for­dern. Dabei steht nicht nur die Beach­tung des ers­ten Grund­sat­zes des Beu­tels­ba­cher Kon­sen­ses im Fokus. Auch die poten­zi­el­len psy­chi­schen Aus­wir­kun­gen, die die Kon­fron­ta­ti­on mit sol­chen Bil­dern aus­lö­sen kann, ver­die­nen beson­de­re Auf­merk­sam­keit. Der Ver­ein Mensch Tier Bil­dung legt gro­ßen Wert auf eman­zi­pa­to­ri­sche Bil­dung, ein Bil­dungs­kon­zept, das kri­ti­sches Den­ken för­dert und ermu­ti­gen soll, aktiv für eine gerech­te­re Gesell­schaft ein­zu­tre­ten. Da die­ses Kon­zept die Lebens­rea­li­tät der Ler­nen­den in den Mit­tel­punkt stellt, soll­ten deren Erfah­run­gen nicht durch poten­ti­ell trau­ma­ti­sie­ren­de Bil­der belas­tet wer­den. Das Mate­ri­al, das hier­bei benutzt wird, ist dem­entspre­chend alters­ge­recht auf­ge­ar­bei­tet und ver­zich­tet auf grau­sa­me Bil­der aus der Tier­in­dus­trie. Statt­des­sen set­zen die Mode­rie­ren­den der Work­shops auf das Kon­tex­tua­li­sie­ren der (Bewegt-)Bilder durch zusätz­li­ches Mate­ri­al und ver­mit­teln auf spie­le­ri­sche Wei­se Infor­ma­tio­nen, die zum Nach­den­ken und Dis­ku­tie­ren anre­gen.

Caro­lin Eirich

Die Anzahl und Viel­falt an fun­dier­ten wis­sen­schaft­li­chen Bei­trä­gen im Bereich der CAS war eben­so beein­dru­ckend wie ermu­ti­gend. Die inter­dis­zi­pli­nä­ren Ansät­ze, in denen es um Gerech­tig­keit, Gleich­heit und die kri­ti­sche Refle­xi­on von Macht­ver­hält­nis­sen geht, zei­gen eine signi­fi­kan­te Nähe zu den huma­nis­ti­schen Grund­wer­ten. Gera­de die Ver­bin­dung von kri­ti­schem Den­ken und Bil­dungs­ar­beit in den CAS unter­streicht, wie rele­vant die­ses Feld auch für den Huma­nis­ti­schen Ver­band und ins­be­son­de­re für die Huma­nis­ti­sche Lebens­kun­de ist. Ein Unter­richts­fach, das dar­auf abzielt, Empa­thie, Urteils­ver­mö­gen und ver­ant­wor­tungs­vol­les Han­deln gegen­über Mensch, Tier und Umwelt zu för­dern. Ganz im Sin­ne der Ams­ter­dam-Dekla­ra­ti­on, wel­cher der Huma­nis­ti­sche Ver­band Deutsch­lands als Mit­glied der Huma­nists Inter­na­tio­nal unter­stützt. Dort wird im ers­ten Prin­zip „Huma­nis­mus ist ethisch“ betont, dass ein frei­er Mensch Pflich­ten gegen­über Ande­ren hat: „Wir emp­fin­den eine Für­sor­ge­pflicht gegen­über der gesam­ten Mensch­heit, ein­schließ­lich künf­ti­ger Gene­ra­tio­nen, und dar­über hin­aus gegen­über allen emp­fin­dungs­fä­hi­gen Wesen.“

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