Editorial von Katrin Raczynski

„Mit Besonnenheit, Vernunft und Mitgefühl gilt es, schwierige ethische Fragen abzuwägen”

| von
Liebe Humanist*innen,

wir befin­den uns in einer Zeit, in der unse­re Auf­merk­sam­keit, aber auch unse­re Sor­ge und Ver­un­si­che­rung seit Wochen und Mona­ten durch einen schreck­li­chen Krieg mit­ten in Euro­pa gebun­den sind. In einer Zeit, in der das Land zer­ris­sen ist über Fra­gen und Bewer­tun­gen, was nun das Rich­ti­ge zu tun sei. In einer Zeit, in der Intel­lek­tu­el­le, Wissenschaftler*innen, Kul­tur­schaf­fen­de und eben auch Humanist*innen um eine gut begrün­de­te Posi­ti­on rin­gen.

Dabei ist das Feld maß­geb­lich geprägt von Unsi­cher­heit und dem Gefühl, dass ganz gleich, wie wir ent­schei­den, wir uns mit die­ser Ent­schei­dung »schul­dig machen«. Der Phi­lo­soph Juli­an Nida-Rüme­lin beschreibt es so: »Wir befin­den uns auf einem sehr heik­len Grat. Es gibt die Mög­lich­keit des Abstur­zes auf bei­den Sei­ten.«

Es fehlt nicht an Hef­tig­keit und Emo­tio­na­li­tät in der Debat­te, genau­so wenig wie an Bes­ser­wis­se­rei, Häme und mora­li­scher Ver­ur­tei­lung, auf bei­den Sei­ten des mut­maß­lich bes­ten Weges. Sel­ten war zu erle­ben, dass sich auch poli­ti­sche Urtei­le und Hal­tun­gen mit so hoher Geschwin­dig­keit ändern, ja, ins Gegen­teil ver­keh­ren. Auch dies mag ange­sichts einer völ­lig neu­en Welt­si­tua­ti­on sei­ne Berech­ti­gung haben. Was wir aber umso mehr benö­ti­gen, ist ein huma­nis­ti­scher Dis­kurs, der den Namen ver­dient und einen Kon­tra­punkt setzt, der gemein­sa­me Lern- und Such­be­we­gun­gen zulässt und statt einer erhitz­ten eine sub­stan­zi­el­le, zuhö­ren­de, respekt­vol­le Debat­te prägt. Las­sen Sie uns die­sen Debat­ten­raum an vie­len Orten gestal­ten und die Stim­me des Huma­nis­mus dort hör­bar machen.

In zahl­rei­chen wei­te­ren Aspek­ten unse­res Mensch­seins gibt es kei­ne ein­fa­chen Ant­wor­ten, kein Schwarz oder Weiß, Rich­tig oder Falsch. Mit Beson­nen­heit, Ver­nunft und Mit­ge­fühl gilt es, schwie­ri­ge ethi­sche Fra­gen abzu­wä­gen und sich Ant­wor­ten zu nähern – die den­noch immer wie­der hin­ter­fragt wer­den kön­nen und auch sol­len.

Die­se Aus­ga­be der dies­seits befasst sich mit exis­ten­zi­el­len und kom­ple­xen Fra­gen der Medi­zin­ethik. Auch die­se kön­nen nicht leicht(fertig) beant­wor­tet wer­den. Wel­che ethi­schen Her­aus­for­de­run­gen birgt die Gen­ma­ni­pu­la­ti­on von Embryo­nen? Wie kön­nen im Fal­le der Tria­ge Men­schen­le­ben prio­ri­siert wer­den? Und wie selbst­be­stimmt kön­nen wir – auch wenn wir jung und gesund sind – über unse­ren Tod ent­schei­den?

Das vor­lie­gen­de Heft spannt einen grö­ße­ren inhalt­li­chen Bogen von Fra­gen der Prä­im­plan­ta­ti­ons­dia­gnos­tik über tier­ethi­sche Her­aus­for­de­run­gen in der Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin bis hin zur Neu­re­ge­lung der Ster­be­hil­fe. Es ist ein im aller­bes­ten huma­nis­ti­schen Sin­ne nach­denk­li­ches Heft über die Kunst eines guten Lebens, die Kunst eines guten Ster­bens und die ethi­schen Her­aus­for­de­run­gen auf der Weg­stre­cke dazwi­schen.

Unser huma­nis­ti­sches Wer­te­fun­da­ment zwingt uns in jeder ein­zel­nen Fra­ge zur Gründ­lich­keit des Durch­den­kens und zur Offen­heit für Wider­spruch. In die­sem Sin­ne: Wir wün­schen Ihnen eine inspi­rie­ren­de Lek­tü­re und freu­en uns auf Ihre Anre­gun­gen und Ihr Feed­back unter redaktion@diesseits.de.

Inhalt teilen

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Beiträge

Paragraf 218 StGB
Zu kurz gesprungen? SPD-Positionierung zu Schwangerschaftsabbruch mit Fetenschutz
Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich in einem am 25. Juni veröffentlichten Positionspapier für eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ein. Gleichwohl soll es laut SPD weiterhin „klare gesetzliche Voraussetzungen“ geben, die mit einem „Schutzkonzept für das ungeborene Leben“ auszutarieren wären. Doch (wie) kann das funktionieren?
Beitrag lesen »
christian-garcia-BGUduu5e4oY-unsplash
Zum neuen Buch von Bernd Stegemann
„Was vom Glauben bleibt“
In seinem aktuellen Buch „Was vom Glauben bleibt“ beklagt der Dramaturg Bernd Stegemann den Verlust religiöser Orientierung und die „atheistische Apokalypse“. Rezensent Johannes Schwill, Präsident des Humanistischen Verbandes Nordrhein-Westfalen, zeigt, warum dieser Rückgriff auf den Glauben zu einer unvollständigen Antwort auf gesellschaftliche Probleme führt.
Beitrag lesen »
2025-01-29_Podium
Neuregelung § 218 StGB
Späte Schwangerschaftsabbrüche: Podium des Humanistischen Verbandes Deutschlands – Bundesverband
Auf der Veranstaltung „Neuregelung § 218 StGB: Später Schwangerschaftsabbruch“ am 29. Januar 2025 stellte sich der Humanistische Verband Deutschlands – Bundesverband die Frage: Wie kann der Schwangerschaftsabbruch nach der 20./22. Woche geregelt werden?
Beitrag lesen »
Gemälde von Mascha Krink, Öl auf Leinwand, 80x80cm, gemalt 2020 nach dem einzigen Foto (1939), das von der Familie mit allen Kindern zusammen existiert.
Anerkennung der verleugneten Opfer des Nationalsozialismus
Blinde Flecken im kulturellen Gedächtnis
Angeblich „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“: Eine neue Wanderausstellung und der Verband vevon e.V. rücken die lange verleugneten Opfergruppen des Nationalsozialismus in den Fokus. Das Erinnern ist nicht nur ein Akt des Gedenkens, sondern auch eine Form des Widerstands gegen das Schweigen.
Beitrag lesen »
Nach oben scrollen