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Seniorenbildung für gesellschaftliche Teilhabe

Sich nicht abhängen lassen

Kursleiterin Marie Cornelius beim Qi Gong in ihrem Garten

Beitragsbild: Joachim Cornelius-Winkler

Wie können Seniorinnen und Senioren aktiv und im Austausch bleiben? Wie gelingt Weiterbildung auch im Alter? Und wie können die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie digital überwunden werden, damit eine gesellschaftliche Teilhabe für die ältere Generation weiterhin möglich ist? An diesen Fragen setzt das Seniorenbüro des HVD Berlin-Brandenburg mit seinen vielfältigen, vor allem ehrenamtlich getragenen, Angeboten an.

„Möch­te jemand im Sit­zen mit­ma­chen?“, fragt Marie Cor­ne­li­us. „Nö, nö, im Ste­hen ist schon bes­ser!“, schallt es moti­viert zurück.

Es ist ein Diens­tag­vor­mit­tag im Febru­ar. Marie Cor­ne­li­us steht auf einer Mat­te in ihrem Wohn­zim­mer, per Zoom-Kon­fe­renz wird sie von hier aus ihren Qi-Gong-Kurs lei­ten. Sie beginnt mit Auf­wärm­übun­gen für die Gelen­ke: Füße, Knie, Hüf­te, Schul­tern. Die Kurs­teil­neh­men­den sol­len in sich hin­ein­spü­ren: Wie geht es den Gelen­ken heu­te? Blo­ckiert etwas, geht es leicht? „Nichts erzwin­gen“, sagt Marie Cor­ne­li­us. „Wir sind jeden Tag anders. Mal beweg­li­cher, mal weni­ger beweg­lich.“

In den ers­ten Minu­ten muss sie die Übun­gen immer wie­der unter­bre­chen, weil noch Nach­züg­ler den digi­ta­len Kurs betre­ten, der gleich­zei­tig auch eine Pra­xis­übung für Video­kon­fe­renz­tech­nik ist. Marie Cor­ne­li­us, die sich erst ein­mal selbst mit dem Online-Tool ver­traut machen muss­te, das ihr den Kurs ermög­licht, erklärt jedem der Neu­an­kömm­lin­ge gedul­dig, wie Kame­ra und Laut­spre­cher ein­ge­stellt wer­den kön­nen.

Der Kurs ist ein Ange­bot des Senio­ren­bü­ros des HVD Ber­lin-Bran­den­burg. Zunächst hat­te er noch drau­ßen im Park statt­fin­den kön­nen, doch durch die Coro­na­kri­se war das schließ­lich unmög­lich gewor­den. Das betrifft auch vie­le wei­te­re der Ange­bo­te des Senio­ren­bü­ros. Seit dem letz­ten Herbst wird des­halb ver­stärkt ver­sucht, die Ange­bo­te online umzu­set­zen und die „Her­aus­for­de­rung Coro­na“ als Chan­ce zu nut­zen.

Sich nicht abhängen lassen

„Die Digi­ta­li­sie­rung schrei­tet auch für Senio­ren vor­an“, sagt Simo­ne Kosche­wa. Sie hat die Pro­jekt­lei­tung des Senio­ren­bü­ros im Som­mer 2020 über­nom­men – damals waren die meis­ten Ange­bo­te auf­grund der ers­ten Infek­ti­ons­wel­le bereits aus­ge­setzt. Die aktu­el­le Situa­ti­on kön­ne gro­ße Sor­gen aus­lö­sen, sagt Simo­ne Kosche­wa, gera­de wenn man als älte­rer Mensch vor­her kaum oder gar kei­nen Kon­takt mit der fort­schrei­ten­den Digi­ta­li­sie­rung gehabt hat. „Wer sich mit dem The­ma nicht beschäf­tigt, fühlt sich abge­hängt.“ Dar­um setzt das Senio­ren­bü­ro auf Ange­bo­te wie „Digi­tal mobil 60+“, eine Inter­es­sen­grup­pe, die sich zwei­mal monat­lich trifft, um digi­ta­le Kom­pe­ten­zen zu ver­mit­teln und die Senio­rin­nen und Senio­ren an die „digi­ta­le Welt“ her­an­zu­füh­ren. „Damit gelingt es in wei­ten Tei­len sehr gut, Ängs­te und Sor­gen abzu­bau­en“, sagt Simo­ne Kosche­wa. Das sei wich­tig für eine selbst­be­stimm­te Lebens­wei­se im Alter, denn an der Digi­ta­li­sie­rung kommt man spä­tes­tens seit der Pan­de­mie nicht mehr vor­bei.

Die Ange­bo­te wer­den gut ange­nom­men, die Senio­rin­nen und Senio­ren sind moti­viert und inter­es­siert, wol­len sich wei­ter­hin tref­fen, den Kon­takt nicht ver­lie­ren – auch wenn die­ser Kon­takt eben für gerau­me Zeit nur digi­ta­ler Art sein kann. Zum Teil die­nen die Ange­bo­te des Senio­ren­bü­ros eben auch der Prä­ven­ti­on von Ein­sam­keit der älte­ren Gene­ra­ti­on. Es sol­len hier Räu­me geschaf­fen wer­den, sich zu tref­fen, sich aus­zu­tau­schen und älte­ren Men­schen neue Mög­lich­kei­ten zu eröff­nen. „Den Lebens­weg neu zu den­ken, neu zu ent­wi­ckeln“, sagt Simo­ne Kosche­wa.

Bild: Hof­fo­to­fra­fen

Simo­ne Kosche­wa ist Pro­jekt­lei­te­rin des Senio­ren­bü­ros des HVD Ber­lin-Bran­den­burg. Sie errei­chen sie tele­fo­nisch unter 030 613904–15 oder per E‑Mail an s.koschewa@hvd-bb.de.

Voneinander erfahren

Gegrün­det wur­de das Senio­ren­bü­ro 2018 von Car­men Mal­ling, einer lang­jäh­ri­gen und äußerst enga­gier­ten Mit­ar­bei­te­rin des Ber­li­ner HVD. Ziel war es, neue und bestehen­de Ange­bo­te und Pro­jek­te unter einem Dach zu bün­deln und mit­ein­an­der zu ver­net­zen. So gab es zum Bei­spiel bereits einen Chor, eben­so wie eine Grup­pe, die sich zusam­men­ge­fun­den hat­te, um lang­jäh­ri­gen Mit­glie­dern jedes Jahr zum Geburts­tag zu gra­tu­lie­ren. Das Senio­ren­bü­ro ermög­licht es, dass die Enga­gier­ten von­ein­an­der und von wei­te­ren Ange­bo­ten erfah­ren.

Neben der Ver­net­zung geht es beim Senio­ren­bü­ro aber vor allem um Befä­hi­gung, erklärt Simo­ne Kosche­wa. Es geht dar­um, dass Senio­rin­nen und Senio­ren in die Gesell­schaft hin­ein­wir­ken, eine Stim­me haben. „Es ist auch unser Ziel, eine ‚Lob­by für Senio­ren‘ zu sein, inner­ver­band­lich, aber auch gesell­schaft­lich.“ Ziel ist es des­halb, einen stän­di­gen Sitz im Senio­ren­bei­rat des Lan­des Ber­lin zu bekom­men.

„Das ist Bildung!“

Netz­werk­ar­beit, Ehren­amts­ar­beit und gesell­schafts­po­li­ti­sche Lob­by­ar­beit, das sind die drei Kern­auf­ga­ben des Senio­ren­bü­ros. Doch die Ehren­amts­ar­beit ist sicher die wich­tigs­te Säu­le des Pro­jek­tes, denn die aller­meis­ten Ange­bo­te und Akti­vi­tä­ten gehen von den Senio­rin­nen und Senio­ren selbst aus: bei der Thea­ter­grup­pe Pfef­fer­kör­ner, bei einem Kurs zum Auf­po­lie­ren der Eng­lisch­kennt­nis­se oder beim Phi­lo­so­phi­schen Gesprächs­kreis. „Die Senio­ren brin­gen sich hier selbst ein, sie gestal­ten das Ange­bot“, sagt Simo­ne Kosche­wa. „Sie haben ein ähn­li­ches Hin­ter­grund­wis­sen, ein ähn­li­ches Alter, eine ähn­li­che Lebens­er­fah­rung – so wird der Aus­tausch mög­lich. Das ist Bil­dung, das ist von­ein­an­der ler­nen!“

Ist das Senio­ren­bü­ro also ein Bil­dungs­an­ge­bot? Ja, sagt Simo­ne Kosche­wa. Bei vie­len Ange­bo­ten gehe es um Wis­sens­ver­mitt­lung, aber Bil­dung grei­fe natür­lich viel wei­ter. „Es geht auch um die Wei­ter­ga­be von Wis­sen – und gera­de die älte­re Gene­ra­ti­on bringt sehr viel Wis­sen mit!“ Schön fän­de sie es, wenn die­se Wis­sens­quel­len nicht ver­sie­gen wür­den, wenn Men­schen aus dem Berufs­le­ben und in Ren­te gehen. „Ich bin eine Ver­fech­te­rin des gene­ra­tio­na­len Ansat­zes, da wür­de ich mir mehr Aus­tausch wün­schen.“ Für die­ses Ziel will sie Impul­se set­zen und For­ma­te ent­wi­ckeln, um Gene­ra­tio­nen in einen Dia­log zu brin­gen.

Um Wis­sens­ver­mitt­lung geht es auch im Kurs von Marie Cor­ne­li­us. Vor 35 Jah­ren begann sie mit Kara­te, spä­ter ging es wei­ter mit Tai Chi, seit 20 Jah­ren macht sie Qi-Gong. „Aber erst jetzt mit über 60 Jah­ren habe ich eine sys­te­ma­ti­sche Aus­bil­dung zur Qi-Gong-Kurs­lei­te­rin und zusätz­lich in den Grund­la­gen der Tra­di­tio­nel­len Chi­ne­si­schen Medi­zin abge­schlos­sen“, sagt sie. „Vor­her hat­te ich lei­der nicht die Zeit dazu.“

Für Senio­rin­nen und Senio­ren sei Qi-Gong ide­al, sagt Marie Cor­ne­li­us, denn man braucht wenig kör­per­li­che Kraft und die Übun­gen las­sen sich je nach Befind­lich­keit im Sit­zen oder im Ste­hen üben und kön­nen an die indi­vi­du­el­len Bedürf­nis­se ange­passt wer­den. Sie selbst emp­fin­det es als gro­ße Berei­che­rung, mit ande­ren üben zu kön­nen, auch wenn der Kon­takt nur digi­tal ist. „Ich bin über­rascht wie gut die Älte­ren – ich bin ja selbst auch nicht mehr jung – sich mit dem Inter­net zurecht­fin­den. Es dau­ert ein biss­chen län­ger als bei den Jun­gen, aber es geht. Und die Freu­de am Kon­takt zu ande­ren und die Wis­sens­lust sowie Expe­ri­men­tier­freu­de bei den Senio­rin­nen und Senio­ren ist erstaun­lich. Es ist ein Genuss, nicht mehr ler­nen zu müs­sen – son­dern ler­nen zu dür­fen. Das beob­ach­te bei ande­ren und bei mir.“

Einfach ausprobieren

Marie Cor­ne­li­us führt ihre Grup­pe in dem etwas mehr als ein­stün­di­gen Video­kurs erst durch ver­schie­de­ne Locke­rungs- und Dehn­übun­gen, dann durch die „Acht Bro­ka­te“, eine Abfol­ge von klas­si­schen Grund­übun­gen. „Qi-Gong spricht nicht nur den Kör­per an, son­dern soll auch Geist und Psy­che har­mo­ni­sie­ren – dazu brau­chen wir auch Acht­sam­keit: die Auf­merk­sam­keit auf die gan­ze Bewe­gung rich­ten, in die inne­re Wahr­neh­mung des Kör­pers gehen“, erläu­tert Marie Cor­ne­li­us, wäh­rend sie die Übun­gen auf ihrer Sei­te des Bild­schirms vor­macht. Hin und wie­der hört man die Teil­neh­men­den schnau­fen. Bei schwie­ri­ge­ren Übun­gen beru­higt Marie Cor­ne­li­us die Grup­pe, dass gera­de am Anfang noch nicht alles ganz stim­mig sein müs­se. „Wir pro­bie­ren das ein­fach aus, das Spie­le­ri­sche ist auch ganz wich­tig.“

Trotz­dem mel­den sich alle am Ende Teil­neh­men­den aus der Grup­pe dafür an, die digi­ta­le Auf­zeich­nung des Kur­ses zuge­schickt zu bekom­men – da kön­ne man sich ja alles noch ein­mal anschau­en und die Übun­gen noch ein­mal lang­sam nach­ma­chen. Die Digi­ta­li­sie­rung hat auch ihre Vor­tei­le. Und tat­säch­lich will Marie Cor­ne­li­us den Kurs auch nach den Coro­na-Ein­schrän­kun­gen wei­ter online anbie­ten, zusätz­lich zu einem Qi-Gong-Ange­bot im Frei­en. Eini­gen der Teil­neh­men­den erspart das lan­ge Wege und bei Regen­wet­ter müss­te der Kurs nicht aus­fal­len.

Am Ende der Stun­de gibt Marie Cor­ne­li­us gibt noch einen Aus­blick auf die nächs­ten Kurs­stun­den und wei­te­re Übun­gen, die noch hin­zu­kom­men wer­den, zum Bei­spiel die Fünf Tier­for­men. „Aber da kom­men dann Schrit­te dazu“, sagt sie, „wäre bes­ser, wenn wir das dann wie­der drau­ßen im Park machen.“

Die Ange­bo­te des Senio­ren­bü­ros, dar­un­ter auch den Qi-Gong-Kurs von Marie Cor­ne­li­us, fin­den Sie unter humanistisch.de/senioren-bb

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