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Aktiver Widerstand

Hanno Günther: Ein fast unbekannter jugendlicher NS-Gegner

Gedenktafel für Hanno Günther in Berlin-Britz
Gedenktafel für Hanno Günther in Berlin-Britz

Beitragsbild: OTF | CC BY-SA 2.0 Generic

Am 28. Juli 2021 jährte sich zum 80. Mal die Verhaftung des am 12. Januar 1921 geborenen jugendlichen NS-Gegners Hanno Günther. In jener Zeit, als die große Mehrzahl der Deutschen Hitler frenetisch bejubelt, will er sich nicht mit der NS-Diktatur abfinden. Während die fast gleichaltrige Sophie Scholl mit ihrem bürgerlich-christlichen Hintergrund eine der populärsten Figuren des deutschen Widerstands ist, bleibt der weltliche Linkssozialist Hanno Günther nahezu unbekannt. Dabei ist er genauso mutig und tatkräftig, und er ist von Anfang an ein Gegner des NS-Regimes. Ein Porträt.

Han­no Gün­ther wächst in einem links­so­zia­lis­tisch gepräg­ten Eltern­haus auf. Sei­ne Mut­ter schickt ihn auf die Neu­köll­ner Rüt­lischu­le, eine welt­li­che Lebens­ge­mein­schafts­schu­le. Dort knüpft Gün­ther Kon­tak­te zu den kom­mu­nis­ti­schen Jung­pio­nie­ren, denen er sich aus eige­nem Wil­len anschließt. Die sozi­al­de­mo­kra­tisch ori­en­tier­ten Fal­ken, bei denen ihn sei­ne Mut­ter zunächst ange­mel­det hat­te, sind ihm zu wenig kämp­fe­risch. Im Mai 1933 wird die Rüt­lischu­le, wie alle welt­li­chen Schu­len, von den Natio­nal­so­zia­lis­ten zer­schla­gen. In der Hoff­nung, den­noch das Abitur machen zu kön­nen, wech­selt Han­no Gün­ther 1934 auf die Schul­farm Schar­fen­berg. Aller­dings muss er dazu dem Jung­volk, der NS-Orga­ni­sa­ti­on für die 10- bis 14-jäh­ri­gen Jun­gen, bei­tre­ten. Die­ser für ihn sicher schmerz­haf­te poli­ti­sche Spa­gat endet 1936. Als er bei einem Gesin­nungs­auf­satz mit dem The­ma: „Die Arbeits­lo­sig­keit der Sys­tem­zeit und Hit­lers Arbeits­be­schaf­fungs­pro­gramm” sei­ne Ansich­ten offen for­mu­liert, wird er der Schu­le ver­wie­sen. In der Fol­ge beginnt er eine Bäcker­leh­re und erklärt sei­nen Aus­tritt aus der Hit­ler­ju­gend, zu der er seit dem Früh­jahr 1935 wie alle Jugend­li­chen sei­nes Alters ver­pflich­tet wur­de.

Der aktive Widerstand beginnt

1937 – Sophie Scholl ist zu die­ser Zeit noch Füh­re­rin im Bund Deut­scher Mädel (BDM) – fin­det Han­no Gün­ther über den Vater eines ehe­ma­li­gen Schul­ka­me­ra­den Zugang zu einem Kreis von lin­ken Intel­lek­tu­el­len. Die­ser Kreis trifft sich zumeist in der Woh­nung von Eli­sa­beth Pungs in Ber­lin-Wil­mers­dorf. Nach dem Über­fall auf Polen ent­schei­den sich Eli­sa­beth Pungs und Han­no Gün­ther zum akti­ven Wider­stand über­zu­ge­hen. In jener Zeit, in der sich die gro­ße Mehr­heit der deut­schen Bevöl­ke­rung ange­sichts der Blitz­krie­ge in Jubel­stim­mung befin­det und die KPD im Hin­blick auf den Hit­ler-Sta­lin-Pakt ver­stummt ist, ver­fasst und ver­brei­tet der 18-Jäh­ri­ge gemein­sam mit Eli­sa­beth Pungs Flug­blät­ter, die sie das „Freie Wort“ nen­nen. Von nun an erscheint jeden Monat eine neue Aus­ga­be des „Frei­en Wor­tes“. Inhalt­li­che Schwer­punk­te der Flug­blät­ter bil­den die Agi­ta­ti­on gegen den Krieg sowie die Gegen­über­stel­lung von NS-Pro­pa­gan­da und Wirk­lich­keit. Mit den Aus­sa­gen „Hit­lers Sieg – ewi­ger Krieg!“ und „Jeder Sieg bringt neu­en Krieg“, beweist Han­no Gün­ther sei­ne poli­ti­sche Weit­sicht.

Bild: Gedenk­stät­te Deut­scher Wider­stand
Han­no Gün­ther

Um sei­ne Wider­stands­ak­ti­vi­tä­ten aus­wei­ten zu kön­nen, sucht Han­no Gün­ther bestän­dig nach neu­en Mitstreiter*innen. Im Sep­tem­ber 1940 lernt er beim Geburts­tag sei­ner Freun­din Dag­mar Peter­sen Wolf­gang Pan­der ken­nen. Wolf­gang Pan­der hat­te eben­falls die Rüt­lischu­le besucht und war vor 1933 Mit­glied des kom­mu­nis­ti­schen Jugend­ver­bands. Auf­grund sei­ner jüdi­schen Her­kunft erfährt er diver­se Benach­tei­li­gun­gen und ver­sucht 1937 Deutsch­land ille­gal zu ver­las­sen. Das bringt ihm eine zwei­jäh­ri­ge Zucht­haus­stra­fe und die anschlie­ßen­de Über­stel­lung in ein Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger ein. Im Som­mer 1940 über­ra­schend ent­las­sen, betei­ligt er sich, ohne zu zögern, an den Aktio­nen von Han­no Gün­ther. Gemein­sam ver­fas­sen sie die vier­te und fünf­te Aus­ga­be des „Frei­en Wor­tes“.

Bei einem Klas­sen­tref­fen im Dezem­ber 1940 gelingt es Han­no Gün­ther, eini­ge ehe­ma­li­ge Mitschüler*innen, deren poli­ti­sche Hal­tung ihm bekannt war, für die ille­ga­le Arbeit zu inter­es­sie­ren. In der Fol­ge bil­det sich eine Grup­pe von sechs Per­so­nen, die sich fort­an regel­mä­ßig trifft. Die­se Tref­fen bil­den eine Mischung aus locke­rem Zusam­men­sein, poli­ti­scher Dis­kus­si­on und Schu­lung. Neben den bei­den schon genann­ten sind dar­an Emme­rich Scha­per, Bern­hard Sikor­ski, Dag­mar Peter­sen und Her­ta Mieth­ke betei­ligt.

Der Kontakt zur illegalen KPD führt zur Enttarnung der Gruppe

Da er sich davon eine Pro­fes­sio­na­li­sie­rung sei­ner Wider­stands­tä­tig­keit ver­spricht, sucht Han­no Gün­ther nach einem Kon­takt zur ille­ga­len KPD. Zu Beginn des Jah­res 1941 kommt er schließ­lich mit Her­bert Bochow zusam­men, einem poli­tisch vor­be­straf­ten Kom­mu­nis­ten und erfah­re­nen Wider­stands­kämp­fer. Die­ser rät Han­no Gün­ther, die gefähr­li­chen Flug­blatt­ak­tio­nen ein­zu­stel­len. Nach anfäng­li­chem Zögern befolgt Gün­ther die­sen Rat.

Tra­gi­scher­wei­se bedeu­te­te jedoch der Kon­takt mit dem zu mehr Vor­sicht mah­nen­den Her­bert Bochow das Ende von Han­no Gün­ther und sei­ner Grup­pe. Im Juni 1941 wird Her­bert Bochow von der Gesta­po wegen einer ande­ren Ange­le­gen­heit ver­haf­tet. Nach lang­an­hal­ten­den Ver­hö­ren und Fol­ter bricht er zusam­men und gibt alle sei­ne Kon­tak­te preis. Dar­auf­hin gerät die Gemein­schaft um Han­no Gün­ther in die Fän­ge der Gesta­po, die ihr im Zuge der Ermitt­lun­gen den Namen „Rüt­li­grup­pe” gibt. Aus der Grup­pe der ehe­ma­li­gen Rütlischüler*innen ver­fass­ten und ver­brei­te­ten nur Han­no Gün­ther und Wolf­gang Pan­der Flug­blät­ter. Die ande­ren Mit­glie­der leis­te­ten kei­nen akti­ven Wider­stand. Den­noch ver­ur­teilt der Volks­ge­richt­hof alle männ­li­chen Teil­neh­mer wegen Hoch­ver­rats zum Tode. Sie wer­den am 3. Dezem­ber 1942 in Ber­lin-Plöt­zen­see hin­ge­rich­tet.

Mit den betei­lig­ten Frau­en geht die NS-Jus­tiz glimpf­li­cher um. Dag­mar Peter­sen wird zu sie­ben Jah­ren Zucht­haus wegen Bei­hil­fe ver­ur­teilt. Her­tha Mieth­ke wird nicht ange­klagt. Da sie aus beruf­li­chen Grün­den häu­fi­ger die Tref­fen ver­säumt hat­te, kann sie der Gesta­po glaub­haft machen, dass sie sich poli­tisch von den ande­ren distan­ziert habe. Eli­sa­beth Pungs, die ers­te Mit­strei­te­rin von Han­no Gün­ther, die an schwe­rer Tuber­ku­lo­se lei­det, wird immer wie­der von wohl­mei­nen­den Ärz­ten für haft­un­fä­hig erklärt und kann so dem Pro­zess ent­ge­hen

In der DDR wird Han­no Gün­ther zum Jung­kom­mu­nis­ten und die Rüt­li­grup­pe zu einer Par­tei­zel­le sti­li­siert, die unter Anlei­tung der KPD-Füh­rung tätig war. Han­no Gün­ther heg­te ohne Zwei­fel Sym­pa­thien für die kom­mu­nis­ti­sche Idee, aller­dings in deren ursprüng­li­chen Sin­ne von Frei­heit und sozia­ler Gerech­tig­keit. Ein Par­tei­kom­mu­nist war er jedoch nicht. In dem von ihm allein ver­fass­ten drit­ten Flug­blatt, das Anfang Sep­tem­ber 1940 erschien, wird deut­lich, dass er eher in den Kate­go­rien eines demo­kra­ti­schen Sozia­lis­mus dach­te. Er for­der­te dort unter ande­rem:

„Wir wol­len einen gerech­ten Frie­den und dadurch dau­er­haf­ten Frie­den!
Wir wol­len die Frei­heit der Mei­nung und des Glau­bens!
Wir wol­len die Ver­hin­de­rung kom­men­der Krie­ge durch Ver­staat­li­chung der Rüs­tungs­in­dus­trie und Ein­zie­hung der Kriegs­ge­win­ne!
Wir wol­len die Schaf­fung einer wah­ren Volks­ver­tre­tung!“

Es ist zu ver­mu­ten, dass die fal­sche Inan­spruch­nah­me durch die DDR nach­wirk­te und dazu bei­trug, dass Han­no Gün­ther bis heu­te in der Bun­des­re­pu­blik nicht jene Wür­di­gung erhal­ten hat, die er ver­dient hät­te. Fest­zu­hal­ten bleibt, dass Han­no Gün­ther vor dem Hin­ter­grund des Sie­ges­tau­mels in Deutsch­land, schon 1939 als 18-Jäh­ri­ger nüch­tern die Kriegs­po­li­tik des NS-Regimes ent­larvt. Das allein schon macht ihn zu einem her­aus­ra­gen­den Ver­tre­ter des deut­schen Wider­stands.

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