Hanno Günther wächst in einem linkssozialistisch geprägten Elternhaus auf. Seine Mutter schickt ihn auf die Neuköllner Rütlischule, eine weltliche Lebensgemeinschaftsschule. Dort knüpft Günther Kontakte zu den kommunistischen Jungpionieren, denen er sich aus eigenem Willen anschließt. Die sozialdemokratisch orientierten Falken, bei denen ihn seine Mutter zunächst angemeldet hatte, sind ihm zu wenig kämpferisch. Im Mai 1933 wird die Rütlischule, wie alle weltlichen Schulen, von den Nationalsozialisten zerschlagen. In der Hoffnung, dennoch das Abitur machen zu können, wechselt Hanno Günther 1934 auf die Schulfarm Scharfenberg. Allerdings muss er dazu dem Jungvolk, der NS-Organisation für die 10- bis 14-jährigen Jungen, beitreten. Dieser für ihn sicher schmerzhafte politische Spagat endet 1936. Als er bei einem Gesinnungsaufsatz mit dem Thema: „Die Arbeitslosigkeit der Systemzeit und Hitlers Arbeitsbeschaffungsprogramm” seine Ansichten offen formuliert, wird er der Schule verwiesen. In der Folge beginnt er eine Bäckerlehre und erklärt seinen Austritt aus der Hitlerjugend, zu der er seit dem Frühjahr 1935 wie alle Jugendlichen seines Alters verpflichtet wurde.
Der aktive Widerstand beginnt
1937 – Sophie Scholl ist zu dieser Zeit noch Führerin im Bund Deutscher Mädel (BDM) – findet Hanno Günther über den Vater eines ehemaligen Schulkameraden Zugang zu einem Kreis von linken Intellektuellen. Dieser Kreis trifft sich zumeist in der Wohnung von Elisabeth Pungs in Berlin-Wilmersdorf. Nach dem Überfall auf Polen entscheiden sich Elisabeth Pungs und Hanno Günther zum aktiven Widerstand überzugehen. In jener Zeit, in der sich die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung angesichts der Blitzkriege in Jubelstimmung befindet und die KPD im Hinblick auf den Hitler-Stalin-Pakt verstummt ist, verfasst und verbreitet der 18-Jährige gemeinsam mit Elisabeth Pungs Flugblätter, die sie das „Freie Wort“ nennen. Von nun an erscheint jeden Monat eine neue Ausgabe des „Freien Wortes“. Inhaltliche Schwerpunkte der Flugblätter bilden die Agitation gegen den Krieg sowie die Gegenüberstellung von NS-Propaganda und Wirklichkeit. Mit den Aussagen „Hitlers Sieg – ewiger Krieg!“ und „Jeder Sieg bringt neuen Krieg“, beweist Hanno Günther seine politische Weitsicht.
Um seine Widerstandsaktivitäten ausweiten zu können, sucht Hanno Günther beständig nach neuen Mitstreiter*innen. Im September 1940 lernt er beim Geburtstag seiner Freundin Dagmar Petersen Wolfgang Pander kennen. Wolfgang Pander hatte ebenfalls die Rütlischule besucht und war vor 1933 Mitglied des kommunistischen Jugendverbands. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft erfährt er diverse Benachteiligungen und versucht 1937 Deutschland illegal zu verlassen. Das bringt ihm eine zweijährige Zuchthausstrafe und die anschließende Überstellung in ein Konzentrationslager ein. Im Sommer 1940 überraschend entlassen, beteiligt er sich, ohne zu zögern, an den Aktionen von Hanno Günther. Gemeinsam verfassen sie die vierte und fünfte Ausgabe des „Freien Wortes“.
Bei einem Klassentreffen im Dezember 1940 gelingt es Hanno Günther, einige ehemalige Mitschüler*innen, deren politische Haltung ihm bekannt war, für die illegale Arbeit zu interessieren. In der Folge bildet sich eine Gruppe von sechs Personen, die sich fortan regelmäßig trifft. Diese Treffen bilden eine Mischung aus lockerem Zusammensein, politischer Diskussion und Schulung. Neben den beiden schon genannten sind daran Emmerich Schaper, Bernhard Sikorski, Dagmar Petersen und Herta Miethke beteiligt.
Der Kontakt zur illegalen KPD führt zur Enttarnung der Gruppe
Da er sich davon eine Professionalisierung seiner Widerstandstätigkeit verspricht, sucht Hanno Günther nach einem Kontakt zur illegalen KPD. Zu Beginn des Jahres 1941 kommt er schließlich mit Herbert Bochow zusammen, einem politisch vorbestraften Kommunisten und erfahrenen Widerstandskämpfer. Dieser rät Hanno Günther, die gefährlichen Flugblattaktionen einzustellen. Nach anfänglichem Zögern befolgt Günther diesen Rat.
Tragischerweise bedeutete jedoch der Kontakt mit dem zu mehr Vorsicht mahnenden Herbert Bochow das Ende von Hanno Günther und seiner Gruppe. Im Juni 1941 wird Herbert Bochow von der Gestapo wegen einer anderen Angelegenheit verhaftet. Nach langanhaltenden Verhören und Folter bricht er zusammen und gibt alle seine Kontakte preis. Daraufhin gerät die Gemeinschaft um Hanno Günther in die Fänge der Gestapo, die ihr im Zuge der Ermittlungen den Namen „Rütligruppe” gibt. Aus der Gruppe der ehemaligen Rütlischüler*innen verfassten und verbreiteten nur Hanno Günther und Wolfgang Pander Flugblätter. Die anderen Mitglieder leisteten keinen aktiven Widerstand. Dennoch verurteilt der Volksgerichthof alle männlichen Teilnehmer wegen Hochverrats zum Tode. Sie werden am 3. Dezember 1942 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Mit den beteiligten Frauen geht die NS-Justiz glimpflicher um. Dagmar Petersen wird zu sieben Jahren Zuchthaus wegen Beihilfe verurteilt. Hertha Miethke wird nicht angeklagt. Da sie aus beruflichen Gründen häufiger die Treffen versäumt hatte, kann sie der Gestapo glaubhaft machen, dass sie sich politisch von den anderen distanziert habe. Elisabeth Pungs, die erste Mitstreiterin von Hanno Günther, die an schwerer Tuberkulose leidet, wird immer wieder von wohlmeinenden Ärzten für haftunfähig erklärt und kann so dem Prozess entgehen
In der DDR wird Hanno Günther zum Jungkommunisten und die Rütligruppe zu einer Parteizelle stilisiert, die unter Anleitung der KPD-Führung tätig war. Hanno Günther hegte ohne Zweifel Sympathien für die kommunistische Idee, allerdings in deren ursprünglichen Sinne von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit. Ein Parteikommunist war er jedoch nicht. In dem von ihm allein verfassten dritten Flugblatt, das Anfang September 1940 erschien, wird deutlich, dass er eher in den Kategorien eines demokratischen Sozialismus dachte. Er forderte dort unter anderem:
„Wir wollen einen gerechten Frieden und dadurch dauerhaften Frieden!
Wir wollen die Freiheit der Meinung und des Glaubens!
Wir wollen die Verhinderung kommender Kriege durch Verstaatlichung der Rüstungsindustrie und Einziehung der Kriegsgewinne!
Wir wollen die Schaffung einer wahren Volksvertretung!“
Es ist zu vermuten, dass die falsche Inanspruchnahme durch die DDR nachwirkte und dazu beitrug, dass Hanno Günther bis heute in der Bundesrepublik nicht jene Würdigung erhalten hat, die er verdient hätte. Festzuhalten bleibt, dass Hanno Günther vor dem Hintergrund des Siegestaumels in Deutschland, schon 1939 als 18-Jähriger nüchtern die Kriegspolitik des NS-Regimes entlarvt. Das allein schon macht ihn zu einem herausragenden Vertreter des deutschen Widerstands.