Ute, du hast einen spannenden Werdegang. Du bist Fachkrankenschwester für Onkologie, warst im Hospiz tätig und arbeitest heute als Beraterin für die Zentralstelle Patientenverfügung des HVD. Wie kam es zu deinem ehrenamtlichen Engagement als Trauerbegleiterin?
Bei meiner Tätigkeit als Krankenschwester im Krankenhaus und in einer onkologischen Arztpraxis haben wir Therapien durchgeführt in der Hoffnung auf Heilung, wir haben die Menschen unterstützt. Aber wenn nichts mehr zu tun war, dann sind die Patienten mit einer Hospizliste unterm Arm nach Hause gegangen. Da habe ich mich gefragt: „Was passiert mit den Menschen, wenn die Medizin am Ende angelangt ist, wenn man auf diesem Wege nicht mehr helfen kann?“ Die Palliativmedizin war noch nicht so weit entwickelt wie jetzt. Ich habe mich dann 2010 beim Hospiz beworben und wurde als ambulante Hospizkoordinatorin bei VISITE eingestellt, wo ich sieben Jahre lang gearbeitet habe. Ich wollte ich nie den Blick auf die Praxis verlieren und habe deshalb auch am Wochenende als Schwester im Hospiz gearbeitet. Für die Verstorbenen haben wir Erinnerungsfeiern gestaltet. Dabei sind wir mit Trauernden in Verbindung gekommen und ich habe mich während dieser Zeit sehr mit dem Thema Trauer befasst.
Und dort wolltest du dann ansetzen?
Genau, ich fand, dass Trauerbegleitung eine gute Ergänzung ist, wenn man mit Tod und Sterben und mit trauernden Angehörigen in Verbindung kommt. Deshalb habe ich dann 2015 meine Ausbildung zur Trauerbegleiterin gemacht. Der Umgang mit Tod und Trauer und Emotion ist mir nicht in die Wiege gelegt worden, sondern das habe ich mir erarbeitet.
Ute Zerwer (*1962) ist Fachkrankenschwester für Onkologie, Psychoonkologin, Trauerbegleiterin und seit 2017 Beraterin in der Zentralstelle Patientenverfügung des HVD. Bei Interesse an einem Vorgespräch zum Thema Trauer im Raum Berlin können Sie sich an per Mail an Ute Zerwer wenden.
Wie sieht deine Tätigkeit als Trauerbegleiterin aus? Wie gehst du an das Thema heran?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Trauernde zu begleiten. Ich habe durch meine Ausbildung sozusagen „Tools“ in die Hand bekommen, wie ich mit den Menschen arbeiten kann. Eine Trauerbegleitung kann als Einzeltrauerbegleitung oder in der Gruppe stattfinden – in festen oder in offenen Gruppen. Nach meiner Ausbildung zur Trauerbegleiterin bot sich mir die Möglichkeit, eine offene Trauergruppe zu übernehmen, im Bürgerhaus in Berlin-Buch, mit fünf bis sieben Teilnehmenden. Diese Gruppe läuft seitdem, wenn auch Corona-bedingt aktuell natürlich eingeschränkt.
Wie sieht so eine Gruppensitzung aus, was passiert da?
Eine Gruppensitzung dauert anderthalb Stunden und findet alle 14 Tage statt. Es ist ein niedrigschwelliges Angebot. Die Themen drehen sich um alles, was bewegt. Ich achte darauf, dass es allen gut geht, auch dass wir beim Thema bleiben, was aber auch nicht immer zur Folge hat, dass wir alle im Kreis sitzen und weinen, es wird auch gelacht. Die Gruppe stärkt sich durch die Gespräche gegenseitig und untereinander. Wir schweigen auch mal zusammen, das ist nicht schlimm. Das ist ein Aushalten der Stille. Es gibt die Regel: Jeder kann, keiner muss sprechen. Und Störungen gehen vor, das heißt, wenn es eine Störung gibt, dann weichen wir auch von dem Rahmen ab, den wir uns vorgenommen haben.
Was ist deine Aufgabe als Gruppenleiterin?
Meine Aufgabe besteht darin, zu schauen, wie es den Teilnehmern geht, wenn sie miteinander interagieren. Ich mache Themenvorschläge, leite und begleite das Gespräch. Meine Intention ist es auch, die Teilnehmer zu bestärken, einen anderen Blickwinkel einzunehmen. Ich gebe dabei Impulse bzw. fange sie auf.
Welche Voraussetzungen gibt es für die Trauergruppe? Kann jede*r teilnehmen?
Ich habe selbst Voraussetzungen für die Teilnahme in der Gruppe erarbeitet. Zum Beispiel führe ich zunächst ein einstündiges Vorgespräch, um den Menschen kennenzulernen und zu schauen, ob es für die Gruppe passt. Nicht für jeden ist eine Trauergruppe etwas, das ist ganz klar.
Im Vorgespräch erfrage ich, worum es geht: Ist es ein Mensch, der gestorben ist? Ist es ein Kind, das verstorben ist? Ist derjenige durch Suizid ums Leben gekommen? Es hat sich auch herausgestellt, dass es für die Teilnahme in der Trauergruppe hilfreich ist, dass ein bisschen Zeit vergeht, dass es nicht „ganz frische“ Ereignisse sind. Und ich mache im Vorgespräch immer deutlich: Ich bin keine Therapeutin. Ich kann im Rahmen der Trauerbegleitung dafür sorgen, dass es in einem Gruppengefüge gut läuft. Aber ich kann nicht therapieren.
Ist die Auseinandersetzung mit dem Sterben, mit dem Umgang mit Trauer ein Beitrag zur Enttabuisierung des Themas Tod? Könnte man deine Arbeit in der Trauerbegleitung – im weiteren Sinne – auch eine Art Bildungsangebot begreifen?
Darüber habe ich mir so noch nie Gedanken gemacht. Sicher ist es keine „Bildung“ in dem Sinne, wie sie landläufig verstanden wird – im Sinne von Schule und Co. Aber natürlich kann man sagen: Ich gebe meine Tools weiter, damit die Menschen ihr Leben weiterleben können, gut leben können. Ich biete ihnen andere Perspektiven an, wenn sie das wollen. Insofern kann man sagen, ja, es ist eine Art der Bildung – auch wenn ich mich natürlich nicht als „Lehrerin“ verstehe. Für mich hat diese Arbeit viel mit Gefühl und Empathie zu tun. Ich bin jemand, der großes Interesse an Menschen hat: Wie ticken sie, wie denken sie, wie fühlen sie? Ich glaube an keinen Gott, aber ich glaube an Herz und Verstand.
Vielen Dank für das Interview!
In vielen der HVD-Landesverbände gibt es ausgebildete Trauerbegleiter*innen. Wenden Sie sich bei Interesse an den Landesverband in Ihrem Bundesland.