Ralf, der 13. Band der Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg widmet sich dem Thema „Humanistische Bildung“. Was ist das eigentlich, humanistische Bildung?
Humanistische Bildung heute nimmt das klassische humanistische Bildungsideal auf und modifiziert es. Es bleibt bei der Idee, dass Menschen sich selbst und gemeinsam gemäß Vorstellungen von Selbstbestimmung und Humanität entwickeln können, ohne Notwendigkeit eines Rückgriffs auf religiöse Traditionen. Und es bleibt auch bei einer Bildung des ganzen Menschen: Ziel ist nicht seine gesellschaftliche Verwertbarkeit, sondern die Stärkung seiner kognitiven, sozialen, emotionalen, ethischen und ästhetischen Fähigkeiten. Anders aber als im klassischen Bildungshumanismus sind wir heute sehr skeptisch gegenüber Vollkommenheitsidealen und schätzen auch die menschlichen Schwächen und Grenzen. Anders ist heute auch die deutliche Berücksichtigung sozialer Eingebundenheit von Individuen und der Notwendigkeit gerechter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen: Inklusion und keine Elitenbildung, einen interkulturellen und keinen eurozentrischen Humanismus.
Dr. phil. Ralf Schöppner (*1968) ist praktischer
Philosoph, Politik- und Literaturwissenschaftler. Er ist Direktor der Humanistischen Akademie Deutschland sowie der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg.
Wie wird humanistische Bildung vermittelt, wie und wo erfolgt sie?
Oft wird humanistische Bildung als sogenannte „Wertevermittlung“ verstanden. Was irreführend ist: als ob ein Wissender einem Unwissenden das Richtige eintrichtert. Wenn wir schon von Werten sprechen, dann eher von Wertebildung: als ein vielstimmiger und oft genug anstrengender Prozess, in dem Bewertungen erlernt und erprobt werden. Was nicht nur explizite Diskussionen meint, sondern generell gemeinsame Praxis. Humanistisch wird ein solcher Prozess, wenn Beteiligte sich darum bemühen, dass die Bedürfnisse und Besonderheiten der Einzelnen zur Entfaltung kommen und zugleich gemeinsam getragene Regeln entstehen. Wenn es um Self-Empowerment, Geselligkeit, Empathie und Unterstützung geht, für die man die Zuständigkeit nicht an andere Instanzen abgeben kann. Und wenn dabei der Blick über die eigenen Tellerränder von Familie, Peergroup, Region oder Nation hinausgeht und global wird. Immer dann und überall dort, wo Menschen das miteinander austragen, findet – in einem weiten Sinn – humanistische Bildung statt.
Der neue Band der HABB-Schriftenreihe behandelt auch Themen wie das Anthropozän bzw. den Anthropozentrismus. Der Humanismus stellt ja traditionell den Menschen in den Mittelpunkt. Sollte sich das humanistische Menschenbild ändern, auch im Rahmen einer „humanistischen Bildung“?
Der Mensch bleibt Ausgangspunkt. Wie sollte es auch anders gehen? Menschen können nur ausgehend von einem menschlichen Standpunkt Narrative und Bilder produzieren, selbst wenn dies stets in Austauschprozessen mit der sozialen und natürlichen Umwelt geschieht. Eine solche epistemische Anthropozentrik ist unvermeidbar. Sparen sollten wir uns dagegen eine moralische Anthropozentrik: Wir können anderen Tieren und der Natur einen Eigenwert zuschreiben und sollten dies auch tun. Das setzt ihrer Nutzung und Ausbeutung für menschliche Zwecke Grenzen. Massentierhaltung, exorbitanter Fleischkonsum und kapitalistischer Raubbau müssen ein Ende haben. Verantwortung dafür tragen Menschen, in diesem Sinne können wir auch heute noch von einer Sonderstellung des Menschen sprechen.
Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin Brandenburg, Band 13. Herzensbildung und Urteilsfähigkeit – Elemente moderner humanistischer Bildung.
Ralf Schöppner (Hrsg.), 2021, Alibri Verlag, 216 Seiten, 22 €.
Der Titel des Bandes beinhaltet auch das Wort „Herzensbildung“. Was ist damit gemeint und inwiefern ist Herzensbildung Teil humanistischer Bildung?
Dem Band liegen Debatten zweier Tagungen im letzten Jahr zugrunde. Es war interessant dort zu sehen, dass die Fachwissenschaftler*innen „Herzensbildung“ für einen selbstverständlichen Teil von Bildung hielten, während Vertreter*innen humanistischer Organisationen da zum Teil auch zurückhaltend waren. Man kann das anscheinend für zu banal, zu religionsnah oder gar für Sozialkitsch halten. Dabei steckt schon im Wort Humanismus, „dass auch der andere zählt“ und Humanität lässt sich schwerlich auf eine rationale oder vertragsförmige Beziehung reduzieren. Wenn ich dazu was sagen muss, würde ich sagen: Bei Herzensbildung geht es um die Kultivierung einer Leidenschaft für das Glück des anderen. Die Metapher des Herzens sagt aber eigentlich alles und die Allermeisten wissen auch sehr genau, was damit gemeint ist.