Herr Ranisch, seit einigen Jahren ist von der CRISPR/Cas-Methode zu hören. Was steckt hinter der sogenannten „Genschere“ und was wird damit gemacht?
Bei Verfahren der Genom-Editierung wie CRISPR/Cas9 und anderen haben wir es mit komplexen molekularbiologischen Werkzeugen zu tun. Auch wenn Metaphern hier nicht ganz unproblematisch sind, wird ihre Funktion gerne mit der einer Schere verglichen. Unsere Gene codieren ja, was sich phänotypisch ausprägen kann, sei es eine Disposition für eine Augenfarbe oder eine bestimmte Erkrankung. Man kann mit diesen molekularbiologischen Werkzeugen nun in die genetische Ebene hineingehen und beispielsweise eine bestimmte Mutation auf diesem Strang von Basenpaaren finden, von der man weiß, dass sie mit einer Erkrankung assoziiert ist. Mit so einer „Genschere“ kann man dort dann gezielt einen Schnitt setzen und Teile herausschneiden oder sie sogar durch andere Teile ersetzen.
Und die Genom-Editierung wird bereits in der Humanmedizin eingesetzt?
In der Medizin lassen sich grundsätzlich zwei Anwendungsszenarien unterscheiden. Zum einen die sogenannte somatische Gentherapie, das ist die Therapie an einem lebenden Patienten, der z.B. eine angeborene Blutkrankheit hat. Häufig lassen sich hier allenfalls Symptome lindern, aber eine Heilung ist kaum möglich. Mittels Genom-Editierung hofft man nun, den entsprechenden Gendefekt dauerhaft zu bekämpfen oder zu kompensieren. In den letzten fünf Jahren gab es hierzu vielversprechende klinische Studien. Allerdings ist das noch in der Entwicklung. Man hat da viel Hoffnung – und ich glaube, zum Teil auch gerechtfertigter Weise –, aber es ist eben noch „Work in Progress“ und es gibt keine Garantie auf Erfolg.
Und das andere Anwendungsszenario für die Genom-Editierung?
Das sind die sogenannten Keimbahntherapien oder auch Keimbahneingriffe. Hier werden durch solche molekularbiologischen Werkzeuge nicht Patienten mit einer manifesten Erkrankung therapiert, sondern man behandelt sozusagen präventiv die Krankheit einer Person, die erst noch geboren wird – es geht also um die Heilung von zukünftige Patienten.
Wie kann ich mir das vorstellen?
Angenommen, ein Kinderwunschpaar hat eine genetische Veranlagung – eine Erbkrankheit wie Sichelzellenanämie oder Mukoviszidose – und man weiß, dass die Nachkommen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit diese Krankheit ausprägen würden. Zumindest in der Theorie gibt es die Möglichkeit, dass man Verfahren der Genom-Editierung nutzt, um an einem Embryo – direkt nach oder unmittelbar mit der Befruchtung einer Eizelle – diesen Gendefekt zu korrigieren.
Das Ganze ist aber nicht mehr nur bloße Theorie, richtig? 2018 wurde bekannt, dass der chinesische Wissenschaftler He Jianhui genau solche Keimbahneingriffe an Embryonen vorgenommen hat.
Richtig. Schon im Jahr 2015 wurde von einem chinesischen Wissenschaftsteam erstmals eine Genom-Editierung an menschlichen Embryonen durchgeführt. Diese Embryonen waren aber nicht lebensfähig und es sollte auch keine Schwangerschaft herbeigeführt werden. He Jianhui hingegen hat solche, mithilfe der Genom-Editierung veränderten menschlichen Embryonen nun in den Mutterleib übertragen. Nach allem, was wir wissen, wurde in der Folge drei Kinder geboren.
Robert Ranisch (*1985) ist Juniorprofessor für medizinische Ethik mit Schwerpunkt auf Digitalisierung an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften Brandenburg, Universität Potsdam, sowie Leiter der Forschungsstelle „Ethik der Genom-Editierung” am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Tübingen.
Was ist das Problematische dabei?
Das Heikle ist, dass solche gentechnischen Eingriffe an Embryonen sehr folgenreich sind – so folgenreich, dass diese genetischen Veränderungen auch vererbt werden können. Das ist die eigentliche Sprengkraft bei Keimbahneingriffen: dass von den erwünschten Wirkungen, aber auch den Nebenwirkungen, nicht nur eine Person betroffen ist, die es noch gar nicht gibt (und die auch gar nicht mitreden kann bei der Frage, ob sie sich das wünscht oder nicht), – sondern insbesondere auch, dass dadurch zukünftige Generationen genetisch beeinflusst werden können. Deshalb sprechen manche auch mit ein bisschen Pathos davon, dass dies ein Eingriff in die Evolution des Menschen sei. Die evolutionären Wege, wie sich Menschen entwickeln und genetisch verändern, sind damit zum unmittelbaren und direkten Objekt menschlicher Interventionsmöglichkeiten geworden.
Im Falle von He Jianhui gab es aber noch weitere kritische Punkte, richtig?
Dieses Experiment war in vielerlei Hinsicht dubios und es wurden ganz grundsätzliche forschungsethische Anforderungen missachtet. Meiner Ansicht nach war dort zudem ein sehr ausgeprägtes Ego, ein großes Geltungsbewusstsein und auch eine gewisse Hybris des Forschers im Spiel. He Jianhui wollte als Pionier in die Geschichte der Fortpflanzungsmedizin eingehen – als der, der die erste Genom-editierten Menschen der Welt „erschaffen“ hat. Außerdem gab es bei diesen Versuchen sicherlich auch einige zweifelhafte kommerzielle Interessen. In diesem Fall liegt also einiges im Argen, aber das Augenscheinlichste ist: Die Zielsetzung von diesem Experiment war für die Nachkommen nutzlos.
Das Ziel war doch eine Resistenz gegenüber einer HIV-Erkrankung.
Genau. Es gibt eine natürlich vorkommende Mutation, von der man weiß, dass sie Träger gegen eine Variante des HI-Virus schützen kann. He Jianhui wollte diese Mutation mittels der Genom-Editierung künstlich in die Embryonen einbringen.
Und das war nutzlos?
Zumindest standen diese Experimente in keinem Verhältnis zu den Risiken. Es gibt wesentlich einfachere Möglichkeiten, um sich vor einer Ansteckung mit dem HI-Virus zu schützen. Und auch für HIV-positive Männer, wie He Jianhui sie für seine Experimente rekrutiert hat, gibt es Möglichkeiten der Familienplanung, ohne Frau und Kind dem Risiko einer Infektion auszusetzen. Zugleich waren die Eingriffe für die Nachkommen mit allerlei Risiken verbunden, die sich auch bei nachfolgenden Generationen manifestieren könnten. Im Allgemeinen gibt es nur sehr wenig Szenarien, in denen ein Keimbahneingriff alternativlos ist. Wenn Kinderwunschpaare Träger von einer Mutation sind, können sie in den meisten Fällen mit verfügbaren und sichereren Mitteln die Weitergabe der Krankheiten ausschließen, nämlich mittels künstlicher Befruchtung und anschließender Auswahl von Embryonen, die nicht von einer Krankheits-assoziierten Mutation betroffen sind. Warum also direkt Einfluss nehmen in die genetische Ausstattung eines Embryos?
Welche Risiken gibt es denn beim Einbringen dieser „Genscheren“?
Die Herausforderungen hier sind vielfältig. Wenn man diese kleinen, im Labor designten Werkzeuge zum Beispiel in einen frühen Embryo einbringt, kann es passieren, dass diese nicht nur dort eine Veränderung hervorrufen, wo man es gehofft hat, sondern auch an einer anderen Stelle. Tatsächlich passiert es nicht selten, dass man außerhalb des Zielbereichs noch einen Schnitt setzt oder einzelne Basen löscht. Und Veränderungen auf dieser genetischen Ebene können eben alles Mögliche bedeuten – zum Beispiel ein erhöhtes Risiko für Krebs für die betroffene Person.
Und es gibt noch weitere Unsicherheitsfaktoren. Stellen Sie sich einen Embryo wie eine kleine Himbeere vor, die sich aus der befruchteten Eizelle immer weiter ausdifferenziert. Hier müsste die Genom-Editierung in jeder einzelnen Zelle richtig erfolgen, ansonsten kommt es zu sogenannten Mosaiken, bei dem manche Zellen verändert sind, andere aber nicht. Es gibt Hinweise, dass auch die Kinder aus dem Experiment von He Jianhui von Mosaikbildungen betroffen sind. Das Problem ist, dass dies im Vorfeld kaum überprüfbar ist: Sie können schwer herausfinden, ob die Veränderung in jeder ausdifferenzierten Zelle erfolgreich war, wenn Sie den Embryo später noch übertragen wollen, denn dafür müsste man ihn quasi „zerpflücken“.
Verstehe. Man müsste jede einzelne Zelle des Embryos überprüfen – kann ihn dann also nicht mehr in den Mutterleib übertragen?
Exakt – und aus diesem Problem kommt man letztlich kaum raus. Wir haben also auf der einen Seiten eine risikobehaftete Technologie, auf der anderen Seiten den spürbaren Wunsch mancher Paare, sich auf solche Versuche einzulassen. Die Pointe ist: Der Haupttreiber für die Einwicklung von Keimbahneingriffen ist die Hoffnung auf ein gesundes und auf ein genetisch verwandtes Kind. Selbst diejenigen Paare, für die risikoärmere Alternativen wie die Embryonenauswahl keine Option darstellt, könnten sich schließlich für eine Samen- oder Eizellspende oder für eine Adoption entscheiden; sie könnten auch von ihrem Kinderwunsch zurücktreten. Dann gäbe es diesen ganzen Konflikt nicht: Wenn sie die hochrisikoreiche Keimbahnintervention einfach sein ließen, würden die von den Risiken der Genom-Editierung betroffenen Kinder schließlich gar nicht erst gezeugt. Die Frage ist letztlich, wie hoch wir den Wunsch nach blutsverwandten Nachkommen hängen wollen. Und gewichten wir diesen höher als das Risiko, dem das Kind durch solch einen invasiven Eingriff ausgesetzt ist?
Wie kommen wir hier gesellschaftlich – oder gar global – zu einer Antwort?
Das ist eine der Schlüsselfragen, die viele bioethische Diskussionen berührt. Wenn wir uns über Themen wie die Genom-Editierung unterhalten, dann heißt es zwar immer, dass diese Diskurse möglichst partizipativ, inklusiv und ergebnisoffen sein sollen. Aber das sind leider meist Lippenbekenntnisse, da fehlte eigentlich immer der letzte Schritt, nämlich: Wie kommen wir von Formaten der öffentlichen Beteiligung in verschiedenen Kulturen dazu, das in eine vernünftige politische Steuerung und Regulierung zu übersetzen? Ich glaube, das ist eines der größten Defizite bislang und hier ist viel Arbeit zu leisten. Wenn wir hier möglichst viele Akteure einbeziehen wollen, heißt das meiner Ansicht nach aber auch, dass wir die Vorstellung aufgeben müssen, zu einem globalen Konsens zu kommen – zumindest über Detailfragen. Ich denke, wir können uns auf einen Grundstock an moralischen Normen und Werten einigen: zum Beispiel, dass Grundsätze der Gerechtigkeit eingehalten werden sollten oder dass die Selbstbestimmung von Personen wichtig ist. Doch was bedeutet das im konkreten Fall? Ich glaube nicht, dass wir dazu einen Konsens finden können. Das haben auch die letzten Jahrzehnte Diskussion über Schwangerschaftsabbruch oder Stammzellenforschung gezeigt. Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben, dass wir nur lange genug miteinander reden müssen und dann finden wir eine Antwort, mit der wir alle leben können. Das wäre in pluralen Demokratien realitätsfremd. Aber das brauchen wir gar nicht groß bedauern, sondern wir müssen hier einen Modus finden, innerhalb von solchen moralischen Divergenzen zu vermitteln.
Wie könnte denn so ein Modus aussehen, der der Pluralität Raum bietet?
Ein Modus könnte sein, ähnlich wie nach den Experimenten 2018, dass die Wissenschaftsgemeinschaft auf ein Moratorium hinwirkt, also zumindest für den Moment gesagt wird: Wir werden verhindern, dass solche Entwicklungen in die Anwendung kommen – aus dem einfachen Grund, dass wir zu wenig wissen. Vielleicht kommen wir in einigen Jahren zu einem Punkt, an dem man sagt, es wurde ausreichend Grundlagenforschung betrieben und erste Studien könnten für gewisse Paare gerechtfertigt sein. Das Entscheidende ist, dass die internationale Wissenschaftsgemeinschaft zusammensteht. Wenn Personen aus diesem aktuell bestehenden Konsens ausscheren, dann sollte ihnen beispielsweise keine Möglichkeit gegeben werden, in Journalen prestigeträchtig zu publizieren. Das ist ein klassisches Steuerungselement in der Wissenschaft, damit wird ein wesentlicher Anreiz genommen, unverantwortliche Experimente überhaupt durchzuführen.