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Wirtschaft und Wachstum

Cradle to Cradle: Zeit für den Aufbruch

Industrie, Sonnenaufgang, Nebel
Das Prinzip „Cradle to Cradle“ (kurz: C2C) strebt eine durchgängige und konsequente Kreislaufwirtschaft an, in der das Konzept Müll und Ressourcenverschwendung obsolet würden. Ein weiteres Wirtschaftswachstum sei auf dieser Grundlage nicht nur möglich, sondern sogar nötig – Einschränkungen oder „Öko-Neutralität“ hingegen seien der falsche Weg. Nora Sophie Griefahn ist Fürsprecherin des Konzepts und plädiert hier für Innovationskraft und neue Formen von Wirtschaft, Konsum und Technik.

Die Her­aus­for­de­run­gen des 21. Jahr­hun­derts sind gigan­tisch: Müll­ber­ge wach­sen, die Ver­schmut­zung der Mee­re, der Luft und der Böden schrei­tet vor­an, gan­ze Tei­le der Welt­be­völ­ke­rung lei­den unter bestimm­ten Pro­duk­ti­ons­ket­ten, und auch wenn die Res­sour­cen­kri­se weni­ger prä­sent ist als die Kli­ma­kri­se, ist sie längst genau­so viru­lent. Weil all das die Fol­ge mensch­li­chen Han­delns ist, liegt das Urteil nahe, unse­re schie­re Exis­tenz sei das Pro­blem. So ent­steht das mensch­li­che Selbst­bild als Schäd­ling, als „pla­ne­ta­re Krank­heit“. Die For­de­run­gen der mis­an­thro­pisch gefärb­ten Öko­lo­gie lau­ten: weni­ger Kon­sum, weni­ger Wirt­schaft, weni­ger Emis­sio­nen, weni­ger Müll, weni­ger Men­schen – doch weni­ger schlecht ist noch längst nicht gut.

Die blo­ße Men­ge der Men­schen ist schließ­lich nicht das Pro­blem. Ob wir viel oder wenig kon­su­mie­ren, ob die Wirt­schaft wächst oder schrumpft, ist für das Öko­sys­tem Erde eben­so nach­ran­gig. Ent­schei­dend ist, wie wir pro­du­zie­ren und wel­che Wirt­schafts­form wächst. Solan­ge aber frü­her oder spä­ter alles auf dem Müll lan­det, blei­ben wir in der Dau­er­kri­se. Eine Crad­le-to-Crad­le-Wirt­schaft hin­ge­gen soll sogar wach­sen, denn je mehr wir Men­schen als Nütz­lin­ge agie­ren, des­to bes­ser: vol­le Baby­win­deln dün­gen Fel­der, Häu­ser pro­du­zie­ren mehr Ener­gie als sie kon­su­mie­ren, kreis­lauf­fä­hi­ge Solar- und Wind­kraft­wer­ke lösen die Kli­ma- und die Res­sour­cen­kri­se, Fer­ti­gungs­pro­zes­se nut­zen CO₂ als Roh­stoff oder rei­ni­gen das Grund­was­ser, Land­wirt­schaft macht Acker­bö­den frucht­ba­rer – so geht mor­gen!

Wir Men­schen sind also nicht zu vie­le, son­dern wir haben es bis­her nicht geschafft, nach dem Vor­bild der Natur zu agie­ren. Das qua­si-reli­giö­se Erklä­rungs­mus­ter, in dem der sünd­haf­te Mensch sich an der hei­li­gen Mut­ter Natur ver­ge­he und den Hohe­pries­tern der Aske­se in die Öko-Neu­tra­li­tät fol­gen müs­se, ist nicht ziel­füh­rend. Statt­des­sen soll­ten wir unse­re Inno­va­ti­ons­kraft nut­zen, um in die Zukunft auf­zu­bre­chen. Denn die Flucht nach hin­ten weist drei unlös­ba­re Pro­ble­me auf: Sie ist so unat­trak­tiv, dass sie sich in einer demo­kra­ti­schen Gesell­schaft kaum umset­zen las­sen wird. Sie ist so unpro­duk­tiv, dass sie Mil­li­ar­den Men­schen dar­an hin­dert, sich aus der Armut zu befrei­en, was wie­der­um neue Pro­ble­me schafft. Vor allem aber ist sie unwirk­sam, wie der hef­ti­ge Coro­na-Lock­down gezeigt hat: Selbst das Her­un­ter­fah­ren der Welt­wirt­schaft hat den Erd­über­las­tungs­tag, an dem die jähr­lich zur Ver­fü­gung ste­hen­den Res­sour­cen auf­ge­braucht sind, um gera­de mal 24 Tage nach hin­ten ver­scho­ben. Um also die gigan­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen des 21. Jahr­hun­derts nach­hal­tig zu lösen, brau­chen wir nicht weni­ger Wirt­schafts­leis­tung, Kon­sum und Tech­no­lo­gie, son­dern ande­re For­men davon. Bes­se­re. Dann sind wir kei­ne Bedro­hung für den Pla­ne­ten, son­dern eine Berei­che­rung.

Cradle to Cradle: Die Grundannahmen auf einen Blick

  • Kon­ti­nu­ier­li­che Kreis­läu­fe: Bestand­tei­le von Gebrauchs­ge­gen­stän­den zir­ku­lie­ren in der Tech­no­sphä­re und kön­nen end­los wie­der­ver­wen­det wer­den. Ver­brauchs­ma­te­ria­li­en sind Nähr­stoff für die Bio­sphä­re.
  • Gesun­de Mate­ria­li­en: Alle Bestand­tei­le sind gesund für Mensch und Umwelt und für ihren Ein­satz­zweck geeig­net.
  • Erneu­er­ba­re Ener­gie: Es man­gelt nicht an ver­füg­ba­rer Ener­gie, son­dern bis­her an der rich­ti­gen Tech­no­lo­gie für ihre kreis­lauf­fä­hi­ge Nut­zung.
  • Fai­re Pro­duk­ti­on: Alle Mit­glie­der einer Pro­duk­ti­ons­ket­te müs­sen gut davon leben kön­nen.
  • Posi­ti­ves Den­ken: Eine bes­se­re Welt ist nicht nur nötig, son­dern auch mög­lich – mit die­ser Hal­tung kann sie erschaf­fen wer­den.

Was muss sich ändern in einer Welt, die an ihrem eige­nen Wachs­tum zu schei­tern droht? Und was kann die huma­nis­ti­sche Idee dazu bei­tra­gen?
Drei streit­ba­re Posi­tio­nen zu Wirt­schaft und Wachs­tum.

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