Suche
Bremer Universalkünstler

Der Neue Mensch. Auf den Spuren von Heinrich Vogeler

Das Gemälde „Sommerabend“ von Heinrich Vogeler wurde auch bei der 2022er Jubiläumsausstellung in Worpswede gezeigt.
Das Gemälde „Sommerabend“ von Heinrich Vogeler wurde auch bei der 2022er Jubiläumsausstellung in Worpswede gezeigt.
2022 wäre Heinrich Vogeler 150 Jahre alt geworden. Das Künstlerdorf Worpswede bei Bremen, in welchem der Maler einige Zeit lebte und wirkte, stand daher in diesem Jahr ganz im Zeichen Heinrich Vogelers. Vier Worpsweder Museen würdigten den Universalkünstler mit einer großen Jubiläumsausstellung. Sie zeichnete den Weg des Malers von einem erfolgsverwöhnten Jugendstilkünstler zu einem visionären Verfechter gesellschaftlichen Wandels nach. Wer war dieser Mensch, der die Kunst und das Leben und später auch Kunst und Politik zu vereinen suchte?

Am 12. Dezem­ber 1872 kommt Hein­rich Voge­l­er als zwei­tes von sie­ben Kin­dern eines Bre­mer Eisen­wa­ren­groß­händ­lers und sei­ner Frau zur Welt. Finan­ziert vom Vater beginnt er im Alter von 18 Jah­ren ein Stu­di­um an der der Kunst­aka­de­mie in Düs­sel­dorf, die damals neben Mün­chen die bedeu­tends­te Aus­bil­dungs­stät­te für Künst­ler war. Wäh­rend des Stu­di­ums unter­nimmt er Rei­sen, unter ande­rem nach Brüg­ge, Paris und Flo­renz. Nach Abschluss sei­nes Stu­di­ums kauft sich Voge­l­er vom Erbe sei­nes Vaters ein Haus in Worps­we­de und schließt sich der dort woh­nen­den Künst­ler­grup­pe an. Der „Bar­ken­hoff“, wie das Haus auf­grund des angren­zen­den Bir­ken­wal­des genannt wird, ent­wi­ckelt sich zum kul­tu­rel­len Zen­trum des Ortes. Sti­lis­tisch sind die Bil­der und Zeich­nun­gen Vogel­ers in die­ser Zeit aus­nahms­los dem Jugend­stil zuzu­ord­nen. 1905 voll­ende­te Voge­l­er das groß­for­ma­ti­ge Gemäl­de „Som­mer­abend“, das ein Kon­zert auf der Ter­ras­se des Bar­ken­hoffs mit sei­ner Frau Mar­tha als Mit­tel­punkt zeigt.  Nach­dem sei­ne Ehe schei­tert, durch­lebt er eine künst­le­ri­sche Schaf­fens­kri­se. Im Herbst 1912 rich­tet er sich in der Kant­stra­ße 10 in Ber­lin-Char­lot­ten­burg ein klei­nes Ate­lier ein, um dort unge­stört arbei­ten zu kön­nen.

Die schöne Welt zerbricht

Im Alter von fast 42 Jah­ren zieht Hein­rich Voge­l­er als Frei­wil­li­ger in den 1. Welt­krieg. Auf­grund eige­ner Erfah­run­gen im Krieg poli­ti­siert er sich und sieht in den poli­ti­schen Ver­än­de­run­gen in Russ­land eine neue sozia­lis­ti­sche Gesell­schafts­ord­nung, für die es sich auch in Deutsch­land zu enga­gie­ren lohnt. Am 20. Janu­ar 1918 ver­fasst er an Kai­ser Wil­helm II. den Frie­dens­ap­pell Das Mär­chen vom lie­ben Gott: „Set­ze an die Stel­le des Wor­tes die Tat! Demut an die Stel­le der Sie­ge­rei­tel­keit – Wahr­heit anstatt Lüge! Auf­bau statt Zer­stö­rung“. Die­se Wor­te haben in den Tagen des Ukrai­ne-Krie­ges beklem­men­de Aktua­li­tät erlangt. Auch heu­te hat der als Pazi­fist aus dem Krieg zurück­ge­kehr­te Künst­ler, der sich in der Fol­ge radi­kal mit den gesell­schafts­po­li­ti­schen Wider­sprü­chen aus­ein­an­der­setz­te, uns noch viel zu sagen.

Bild: Foto­graf unbe­kannt | Public Domain Mark 1.0
Hein­rich Voge­l­er im Jahr 1897

Wäh­rend der Novem­ber­re­vo­lu­ti­on 1918/19 enga­giert sich Voge­l­er im Arbei­ter- und Sol­da­ten­rat in Oster­holz. Sei­nen Traum von einer neu­en Gesell­schaft setzt er wenig spä­ter mit der Grün­dung einer Kom­mu­ne und der Arbeits­schu­le in Worps­we­de fort. Selbst­ver­sor­gung, Land­wirt­schaft und Tausch­han­del bil­den deren Exis­tenz­grund­la­ge. In der Arbeits­schu­le sol­len Kin­der ohne Auto­ri­tät auf­wach­sen: Voge­l­er ent­wirft im Gegen­satz zur bür­ger­li­chen Schu­le ein päd­ago­gi­sches Kon­zept, um „den jun­gen Men­schen zu einer vol­len indi­vi­du­el­len Gestal­tungs­kraft in der Arbeit zum Woh­le sei­ner Mit­men­schen zu brin­gen“. In der Wirt­schafts­kri­se 1923 schei­tert das Pro­jekt; Voge­l­er ver­kauft die Arbeits­schu­le an die neu gegrün­de­te Rote Hil­fe Deutsch­land.

1925 tritt Hein­rich Voge­l­er der KPD bei. Wie­der­holt reist er in die Sowjet­uni­on. Seit Kunst­stil ver­än­dert sich. Er malt Bil­der, die Sze­nen revo­lu­tio­nä­rer Kämp­fe der Arbei­ter­be­we­gung und Ent­wür­fe eines neu­en gesell­schaft­li­chen Lebens zei­gen. „Das Leben und Schaf­fen des Künst­lers ist ein leben­di­ges Sym­bol für den schöp­fe­ri­schen Men­schen. Sein Werk ist der Frie­den, den er mit der Natur schließt“, schreibt er. Als „Rechts­ab­weich­ler“, der für die Ein­heits­front der Arbei­ter­be­we­gung gegen den auf­kom­men­den Faschis­mus ein­tritt, wird er zwei Jah­re spä­ter aus der KPD aus­ge­schlos­sen.

Im Juli 1931 geht Voge­l­er nach Mos­kau, um sich mit sei­ner Kunst und Lite­ra­tur für den Auf­bau eines „wah­ren Sozia­lis­mus“ ein­zu­set­zen. Gleich­zei­tig enga­giert er sich als Anti­fa­schist gegen die NS-Dik­ta­tur in Deutsch­land. In der unter ande­rem von Ber­tolt Brecht her­aus­ge­ge­ben Exil-Zeit­schrift „Das Wort“ ist Hein­rich Voge­l­er mehr­fach als Autor ver­tre­ten. Nach dem deut­schen Ein­marsch in die Sowjet­uni­on wird er 1941 zwangs­eva­ku­iert. Voge­l­er wird nach Kasach­stan gebracht, wo er am 14. Juni 1942 völ­lig ent­kräf­tet und bet­tel­arm im Kran­ken­haus der Kol­cho­se „Bud­jon­ny“ stirbt.

Ein Künstler zwischen den Welten

Hein­rich Voge­l­er war Zeit sei­nes Lebens nicht nur begna­de­ter Künst­ler, son­dern auch ein Lebens­re­for­mer, Sozia­list, Päd­ago­ge und Schrift­stel­ler – ein Men­schen­freund auf der Suche nach einer bes­se­ren Welt. Vogel­ers Welt­an­schau­ung beruh­te zunächst auf urchrist­li­chen Wer­ten. Im Lau­fe sei­nes Lebens ent­wi­ckel­te er sich mehr und mehr zum Frei­den­ker.

Die Fra­ge, wel­che Rol­le Kunst und Kul­tur in Umbruch­zei­ten zur Gestal­tung unse­rer Lebens­welt spie­len kann, bil­de­te ein Leit­mo­tiv für die Voge­l­er-Werk­schau in Worps­we­de. Sei­ne Suche nach einer Welt, in der Men­schen ohne Gewalt und Unter­drü­ckung fried­lich mit­ein­an­der leben, schlägt eine Brü­cke in unse­re Gegen­wart. Die Ant­wor­ten auf die Her­aus­for­de­run­gen unse­rer Zeit müs­sen heu­te auch Humanist*innen geben.

Emp­feh­lens­wert, um noch tie­fer in das Leben des Künst­lers ein­zu­tau­chen, ist der Film „Hein­rich Voge­l­er – Aus dem Leben eines Träu­mers“, der 2021 pro­du­ziert wur­de und 2022 in die Kinos kam.

Inhalt teilen

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Meistgelesen

Ähnliche Beiträge

Ein persönlicher Nachruf

Die ehemalige Vorstandsvorsitzende der Humanisten Baden-Württemberg, ...

Nach oben scrollen