Es geht hier nicht darum, ob der sicher diagnostizierte Hirntod als der Tod des Menschen anzusehen ist. Dies kann aus humanistischer Weltanschauung mit guten Gründen bejaht werden. Beleuchtet werden soll vielmehr, was vorher auf der Intensivstation noch mit sterbenden Komapatienten zum Zweck der Organentnahme geschieht.
Primärer Hirntod bei schlagendem Herzen
Organe retten Leben – so lautet das Credo der Nächstenliebe. Seit veröffentlichte Organspendezahlen in Deutschland einen Tiefstand auswiesen, ist deren Erhöhung allgemein das erklärte Ziel. Statt wie hierzulande gesetzlich auf einer Zustimmung zu bestehen, scheint als Voraussetzung dazu ein nicht erfolgter Widerspruch vernünftig und zumutbar. Eine solche Neuregelung wird in einem Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und dem SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach u.a. vertreten. Die Befürworter*innen der Widerspruchslösung wollen damit vermehrt organbedürftigen Kranken zwischen Todesaussicht und Hoffnung zum Leben verhelfen.
Alternativ zu Spahn setzen federführend Annalena Baerbock (Grüne) und die Linken-Vorsitzende Katja Kipping in ihrem Gesetzentwurf darauf, dass eine „bewusste und freiwillige Entscheidung“ wie bisher beibehalten werden soll. Die Ermutigung der Bürger*innen dazu soll durch Informationen zur Organspende erfolgen, wenn sie etwa einen Personalausweis beantragen oder den Hausarzt aufsuchen. Ihre Entscheidung soll dann – wie auch im Spahn-Entwurf der Widerspruch – in einem vorgesehenen Online-Register festgehalten werden. Die beiden Modelle ähneln sich also ziemlich.
Informierte Zustimmung ohne Aufklärung?
Auch beim Vorschlag von Baerbock, Kipping u. a. kann von einer informierten Zustimmung keine Rede sein, dazu bedürfte es einer schonungslosen medizinischen Aufklärung. Tabuisiert wird hierzulande jedoch die Überschneidung von Organentnahme mit Hilfe zum Sterben und mit der Untersagung von intensivmedizinischen Maßnahmen durch eine Patientenverfügung – bevor der Hirntod eingetreten ist. Bei Spendenbereitschaft geht es nicht mehr um das Wohl des irreversibel komatösen Patienten, sondern um die optimale Konditionierung seiner zu entnehmenden Organe. Das heißt, es werden kurz vor Todeseintritt noch Eingriffe wie Herzkatheter, Reanimation etc. nur zum Nutzen Fremder vorgenommen. Besonders bedenklich stimmen – wenn man darüber Bescheid wüsste – die zur endgültigen Diagnostik notwendigerweise zugefügten Schmerzreize, um eine vielleicht doch noch vorhandene Reaktion des erst höchstwahrscheinlich Hirntoten zu testen.
Dabei gibt es eine andere Möglichkeit, die den Pool möglicher Organspender*innen sogar stark erweitern würde. In der Schweiz wird auch der „normale“ Herzstillstand nach zehn Minuten, was einfach festzustellen ist, als Voraussetzung für eine Organentnahme akzeptiert. Es hat sich gezeigt, dass dann – mit Ausnahme des Herzens – die Organe noch durchaus transplantationsfähig erhalten sind.
Humane Alternative zu irreführendem Konstrukt
Vor einer Organentnahme werden in der Schweiz laut Patientenverfügung oder ärztlich diagnostiziertem Sterbeprozess Intensivmaßnahmen abgestellt. Verabreicht werden dann nur noch schmerzstillende, ruhigstellende und narkotisierende Mittel. Dass eben diese bei der Hirntoddiagnose hierzulande nicht mehr verabreicht werden, ist ein besonders gravierender Umstand – Grund ist eine sonst mögliche Verfälschung der endgültigen Hirntoddiagnostik.
Beim Hirntod handelt es sich um ein Konstrukt zur Legitimierung. Der deutsche Gesetzgeber würde sich niemals auch nur dem Verdacht aussetzen, wehrlose Menschen durch die Organentnahme töten zu lassen. Dahinter steht auch das hierzulande drastische Verbot jeglicher „aktiven“ Sterbehilfe. Der Hospizarzt Dr. Jürgen Bickhardt thematisiert in seinen Patientenberatungsschulungen stets die in den Organspendeausweisen zur Ankreuzung genannte Voraussetzung „im Fall meines Todes“. Fast alle Schulungsteilnehmer*innen verstehen darunter, ihr Herz habe aufgehört zu schlagen und erst dann würde ihr Leichnam aufgeschnitten. Der Chirurg und Publizist Dr. Bernd Hontschick spricht von bewusster „Irreführung“ durch die Organspende-Lobby und davon, der Hirntod sei für Spender*innen eine „eher riskante Erfindung, die beängstigen kann.“ Der Mangel an Spenderorganen lässt sich kaum beheben, wenn nur die sehr seltenen Sterbefälle von primärem Hirntod bei schlagendem Herzen – etwa ein Prozent aller Sterbefälle, in der Regel durch schwerste Kopfverletzung – in Betracht kommen. Die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe unterscheiden sich weit weniger als sie behaupten. Warum wird hierzulande von niemandem auch das Schweizer Modell als eine humane Alternative erwogen?