Im Informationszeitalter wissen wir mehr denn je über den Klimawandel und erleben ihn mittlerweile auch in unseren Breiten hautnah. Mehr als 99 Prozent der Wissenschaftler bestätigen eine rasante und dramatische Entwicklung der klimatischen Verhältnisse, die nur noch durch rasches und grundlegendes Eingreifen abzumildern ist. Seit mindesten 40 Jahren werden die Zeitfenster, innerhalb derer wirkungsvolle Änderungen noch möglich sind, immer kleiner. Die Versuche, das Wissen in die Tat umzusetzen, sind von Hemmnissen begleitet, die eine Diskrepanz zwischen Absicht und Tun erzeugen; sowohl für den Einzelnen als auch für Gruppen und Kollektive.
Klimawandelleugnung bzw. ‑zweifelumgehen das Diskrepanzproblem, indem man beim Wissen stehenbleibt und bereits seine Gültigkeit bezweifelt oder leugnet. Großzügig durch Konzerne – vor allem der fossilen Energiebranche – finanzierte Thinktanks, platzieren klimaskeptische Positionen in der Öffentlichkeit. Gruppen (z.B. EIKE) und Parteien (z.B. AfD) sorgen ebenfalls für Fehlinformationen zum Klimawandel. Obwohl diese Positionen aus naturwissenschaftlicher Sicht in aller Regel nicht haltbar sind, werden sie in der journalistischen Berichterstattung zum Klimawandel oft neben wissenschaftlich abgesicherte Befunde gestellt, um so den Vorwurf von Meinungsmache zu verhindern.
Der Blick auf uns selbst: Individualpsychologische Erklärungen und Mechanismen
Die im Folgenden beschriebenen Dispositionen wurden evolutionär entwickelt, weil sie einen Überlebensvorteil boten. Für die komplexen Probleme unserer heutigen Zivilisation sind sie aber oftmals keine Hilfe, ganz im Gegenteil.
Wir sind aber diesen aus dem Unterbewusstsein auftauchenden Wünschen und Bedürfnissen nicht hilflos ausgeliefert, wenn wir um sie wissen und unser bewusstes Kontrollsystem (Neocortex) benutzen. Richten wir also zunächst den Blick auf uns selbst.
Verleugnen und Verdrängen
Wir haben ein starkes Bedürfnis, unsere Überzeugungen und unser Handeln in Einklang zu bringen (Konsistenzbedürfnis), um unsere psychische Stabilität zu wahren. Wenn wir etwas tun, was wir eigentlich nicht für richtig halten (kognitive Dissonanz), empfinden wir ein Unbehagen und damit das dringende Bedürfnis, diesen Widerspruch zu beseitigen oder wenigstens zu reduzieren. Dazu passen wir entweder unsere Einstellung dem Verhalten an oder ändern das Verhalten, sodass es zur Einstellung passt.
Diese die Konsistenz wahrende Verdrängungsleistung verhindert ein Entscheidungen lähmendes Verharren zwischen zwei Möglichkeiten. In der Regel wird eine Rechtfertigung des gezeigten Verhaltens nachgeliefert.
Hierzu ein Beispiel: Der massenhafte Fleischverzehr und die damit verbundene große Nachfrage kann nur durch Massentierhaltung erfüllt werden. Diese führt erwiesenermaßen zu einer erheblichen Beschleunigung des Klimawandels auf verschiedenen Ebenen: durch das Abholzen von Regenwald, massive Ressourcenverschwendung und erhöhte Methanemissionen usw. Hinzukommt noch das unendliche Tierleid in der Massenhaltung. All dies wissen wir und dieses Wissen steht unserem Handeln entgegen. Die Verdrängung dieser Diskrepanz erfolgt mit Hilfe soziokultureller und sozialpsychologischer Mittel. Falls die innere Überzeugung stärker ist als die Verdrängung, wird man auf den Verzehr von Fleisch verzichten.
Verzichtet man nicht, kommt es zu Rechtfertigungsversuchen („normal, natürlich, notwendig…“). Die „Verdränger“ schrecken auch vor Diffamierungen der Befürworter des Verzichts nicht zurück. Dies ist auch in der Auseinandersetzung um den Klimawandel zu beobachten, wie zum Beispiel der Umgang einiger Politiker und Kommentatoren mit Greta Thunberg zeigt („Populistin“, „krankes Mädchen“, „Pubertätsende“…). Man kann dieses Vorgehen als einen Versuch der kognitiven Dissonanzreduktion durch Abwertung der Informationsquelle bezeichnen. Diese heftigen Reaktionen zeigen gleichzeitig, dass Klimaleugner und ‑bezweifler sich mittlerweile stark bedroht fühlen. Sonst müssten sie nicht derart niveaulose Rückzugsgefechte führen.
„Warum eigentlich etwas tun?“ – Unsere Anpassungsfähigkeit macht uns blind
98 Prozent unseres täglichen Lebens funktionieren wie gehabt: Die Busse fahren, die Flieger fliegen, die Blätter sind erst grün, fallen dann ab und bald ist wieder Weihnachten… Die auch für uns immer deutlicher zu spürbar werdenden Klimawandelfolgen werden heruntergespielt und die massiven Umweltschäden in fernen Regionen geschehen eben anderswo und weit weg (Raumfalle). Außerdem liegen eventuell negative Konsequenzen des eigenen jetzigen Handelns in der Zukunft (Zeitfalle).
Unsere evolutionär erworbene, früher einmal überlebenswichtige Anpassungsfähigkeit an die sich ändernden Umgebungen und Umwelten führt dazu, dass wir kleine Veränderungen nicht bemerken. Das Artensterben beispielsweise – auch in Deutschland gibt immer weniger Insekten und Vögel – ist für kaum jemanden wirklich persönlich spürbar, weil die eigenen Maßstäbe sich ändern (sogenannte shifting baselines). Das gilt im Übrigen auch für gesellschaftliche Entwicklungen, in denen sich in kleinen Schritten die Grenzen des Sagbaren verschieben.
Ohnmacht und Angst
Ein weiteres wichtiges Hemmnis für klimafreundliches Handeln ist die Erfahrung, dass unsere persönliche Wirkung nur gering ist und uns gleichzeitig große Verantwortung zugeschrieben wird. Dabei entsteht auch angesichts vieler Informationen und großer Komplexität bei vielen ein handlungslähmendes Ohnmachtsgefühl und die Illusion „Ich mache keinen Unterschied.“ Dabei kann jede*r Einzelne seinen Beitrag leisten – meist ohne zusätzliche Kosten: Weniger Fleisch und Tierprodukte konsumieren, auf Flüge verzichten, Ökostrom beziehen, auf Kurzstrecken radeln und laufen statt Auto fahren usw. – und dadurch als mutmachendes Vorbild wirken.
In den letzten Jahren ist zu dem Gefühl der Ohnmacht ein ernstzunehmendes Phänomen hinzugekommen und wird wissenschaftlich untersucht: sogenannte Klimaangst, die lähmende Sorge vor den massiven Folgen des Klimawandels auf das eigene Leben und die gesamte menschliche Zivilisation. Besonders häufig sind Jugendliche betroffen.
Angst ist eine natürliche Reaktion auf eine mögliche Bedrohung und damit nicht notwendig pathologisch. Wie aber diese Angst bewältigen? Entscheidend dabei sei „die Erkenntnis, dass die Bekämpfung der Klimaangst und die Bekämpfung der Klimakrise eng miteinander verbunden sind“, so Dr. Patrick Kennedy-Williams, klinischer Psychologe der Universität Oxford, gegenüber dem Guardian und betont als positive Einsicht der Untersuchungen, dass das „Heilmittel gegen Klimaangst dasselbe ist wie das Heilmittel gegen Klimawandel – aktiv werden und etwas zu tun, das hilft.“ Andere Untersuchungen zeigen, dass es zusätzlich hilfreich sei, statt ständiger Katastrophenmeldungen bevorzugt von den positiven Folgen von Klimaschutz-Projekten zu berichten. Angst kann somit in Aktivität und sogar in Wut umschlagen und einzelne Aktivisten besonders antreiben. Doch die Wirksamkeit des Einzelnen kann nur durch gemeinsames Handeln an notwendiger Stärke gewinnen. Damit kommen die Anderen ins Spiel.
Der Blick auf die Anderen: Sozialpsychologische Erklärungen – Anerkennung, Gruppe und Wir-Gefühl
Wir sehnen uns nach Anerkennung und orientieren uns in unserem Verhalten in ungewohnten Situationen automatisch und bevorzugt daran, wie sich die Anderen verhalten, aus dem Bedürfnis heraus, gesehen und sozial anerkannt zu werden. Oft kommt es dabei vor, dass man in einer Gruppe oder Gesellschaft mit seiner Auffassung oder Handlung plötzlich ein Einzelfall ist, der das Übliche stört (weil man kein Fleisch isst, nicht mit dem Flugzeug verreist …). Dabei entsteht dann der Impuls sich wider besseres Wissen anzupassen und vielleicht handelt man aus diesem Drang heraus sogar gegen die eigenen Überzeugungen.
Sobald aber zwei oder drei Personen „auf meiner Seite“ sind, sinkt schlagartig das Unbehagen, also ein Teil der sozialen Kosten des Verstoßes gegen die Konventionen. Untersuchungen bestätigen, dass Minderheiten einen Einfluss auf die Mehrheitsmeinung bis hin zur Änderung dieser haben können. Laut einer experimentellen Studie von Forschern der University of Pennsylvania liegt die „kritische Masse“ bei etwa 25 Prozent: Wenn also etwa ein Viertel der Menschen in einer Gruppe oder Gesellschaft eine bestimmte Meinung vertritt, neigt die Mehrheit zur Übernahme dieser Minderheitsmeinung: Es kommt zu einem Wandlungsprozess.
Aus dieser Situation kann sich dann eine Gruppe bilden, die das „Wir-Gefühl“ befriedigend und mit einer Zielvorstellung ausgestattet, in der Lage ist, mehr zu bewirken als jedes Mitglied der Gruppe für sich. Eine Gruppe traut sich mehr zu als der Einzelne, weil die Last der Verantwortung für Handlungen der Gruppe auf viele Schultern verteilt wird (Verantwortungsdiffusion).
Wenn einer etwas tut, kann er zum Vorbild werden. So wird die Gruppenbildung oft von Einzelpersonen, wie Greta Thunberg, ausgelöst. Erst die Gruppe hat die Wirkungsmacht, auf die Durchsetzung gemeinsamer Anliegen erfolgreich hinzuwirken – ein Beispiel ist die Bewegung „Fridays for Future“.
Die Gesellschaft im Blick – Das Dilemma der großen Zahl
„Die Klimakrise ist kein Umwelt‑, sondern ein Gesellschaftsproblem“, so die Transformationsforscherin Maja Göpel. Wenn die Überschaubarkeit der Gruppe oder Gemeinschaft, die die soziale Kontrolle untereinander und den Zusammenhalt und die Einhelligkeit sichert, durch steigende Mitgliederzahl allmählich verlorengeht geht, wenn also die Teilnehmer zunehmend isoliert voneinander agieren, steigt beim Individuum die Unsicherheit über das Verhalten der anderen. Es entstehen unter anderem Probleme bei der Durchsetzung allgemeiner Regelbefolgung. Dies wirkt sich insbesondere bei der Nutzung von Gemeingütern wie auch ihrer Erhaltung aus.
Ein Beispiel: Beim Fischfang steigt der Gewinn für den einzelnen Fischer mit der Anzahl der gefangenen Fische. Doch wenn alle ihren Gewinn maximieren, kann sich der Bestand nach einer gewissen Zeit nicht mehr regenerieren und jeder Fischer hat den Schaden (Überfischung). Geboten ist also der Schutz des Fischbestandes. Wenn jeder sicher sein kann, dass die anderen, Einschränkungen in Kauf nehmend, sich an das Gebotene halten, wird auch er entsprechend handeln, womit er sich obendrein im Einklang mit seiner Gerechtigkeitsdisposition befindet.
An ambitionierten Vereinbarungen der verschiedenen Klimaschutzabkommen mangelt es nicht. Ein einzelner Staat oder mehrere Staaten können bei entsprechendem politischem Willen mittels ihrer Instrumente das Klima sehr wohl schützen. Aber wer garantiert auf der internationalen Ebene, dass andere Staaten ebenso handeln?
In allen obigen Fällen wären bewährte Auswege aus dem Dilemma Vertrauensbildung, Regeln, Kontrolle und Sanktionen. Sinnvolle Verbote finden bei großen Teilen der Bürger*innen hohe Akzeptanz, man denke nur an Rauchverbot in Räumen oder Sicherheitsgurte.
Nicht resignieren!
Oft wird resigniert: „Was hilft mein erspartes CO₂ angesichts des CO₂-Ausstoßes der Anderen?“ Das gilt für das Individuum wie für den Staat. Sollen wir also warten und verschmutzen, bis die anderen so weit sind? Nein! Man sollte die Strahlkraft eines erfolgreichen Umweltverhaltens auf die anderen Individuen bzw. Gruppen bzw. Staaten nicht unterschätzen und eher daran denken, welches Signal wir senden, wenn wir es hier nicht schaffen.
Im Übrigen gilt: Moralische Pflichten werden nicht dadurch aufgehoben, dass andere sich nicht an sie halten.