Religionsfreiheit, religiöser Pluralismus und die Akzeptanz der Freiheit von Religion gehören heute zu den selbstverständlichen Merkmalen moderner Gesellschaften. Insbesondere demokratische Gesellschaften basieren auf einer Anerkennung von Pluralität, also einer Akzeptanz von religiöser Vielfalt und dem Selbstverständnis, dass diese ein notwendiger Bestandteil pluraler Gesellschaften ist. Religiöse Vielfalt ist damit ein essenzieller Wert von Demokratie.
Das hat vor allem historische Gründe. Nach den entsetzlichen Erfahrungen der blutigen Religionskriege in den deutschen Ländern mit anschließenden Friedensverträgen bestimmten zunächst die Landesfürsten die Religionszugehörigkeit der Untertanen auf ihrem Gebiet. Doch schon seit dem 18. Jahrhundert führten verschiedene Entwicklungen dazu, dass sich die Frage nach Religionsfreiheit neu stellte. Zum einen forderte die jüdische Bevölkerung bedingt durch zunehmende Emanzipation den Anspruch auf soziale, ökonomische und politische Teilhabe. Zum anderen fanden schon in der Frühindustrialisierung Migrationsbewegungen statt, die zu einer Vermischung von Protestanten und Katholiken führten. Die Gedanken der Aufklärung und die Ideen der Menschenrechte als individuelle Rechte, die die Gleichberechtigung aller Bürger begründen, stellen das ideengeschichtliche Fundament dieser Entwicklungen dar. Es sind zugleich die geistigen Grundlagen, die in den 1840er Jahren zu kritischen Strömungen innerhalb der christlichen Kirchen führte. In protestantischen Gebieten formulierten die Lichtfreunde eine solche innerkirchliche Kritik, in katholischen Gebieten wollten die Deutschkatholiken sich vom Einfluss der Obrigkeit in Rom und der Bilderverehrung lösen. Gemeinsam ist den beiden Richtungen, eine Kritik an den Praktiken der Kirchen und ihrer Vertreter, sowie der Anspruch auf ein selbstbestimmtes Verständnis der Religion und damit auch auf eine Selbstbestimmung der Religion selbst.
Als 1848 in Deutschland Bürger für Freiheitsrechte auf die Straße gingen, stand die Forderung nach religiöser Selbstbestimmung von Anfang an mit auf dem Forderungskatalog. Es scheint selbstverständlich, dass sich demokratische und kirchenkritische Menschen hier politisch verbündet haben, beziehungsweise die Demokraten der Paulskirche zum Teil auch den freireligiösen Strömungen angehörten. Doch es lohnt ein Blick auf diese Dynamik, um den Zusammenhang von Religionsfreiheit und Demokratie zu verstehen. Der Ausschluss der reformatorischen Kräfte aus Kirchengemeinden führte zu zahlreichen Neugründungen freiheitlicher Gemeinden – den der Deutschkatholiken und der Lichtfreunde. Innerhalb dieser neuen Gemeinden konnte aber nicht nur die Religion im eigenen Selbstverständnis ausgeübt, sondern auch politisch diskutiert werden. Die Orientierung an den Ideen der Aufklärung boten die inhaltliche Orientierung. Die Frage von Freiheit und Selbstbestimmung war dabei auch eine Frage nach religiöser Selbstbestimmung, die mit der Forderung einer Trennung von Staat und Kirche verbunden war. Der Ruf nach Gleichberechtigung der Bürger – unabhängig von Geburts- oder Standesprivilegien – ging einher mit der Forderung einer Befreiung aus dogmatischen Zwängen bis hin zum Recht, die eigenen Überzeugungen frei vertreten zu können und das Weltbild am wissenschaftlichen Denken zu orientieren. Diese Variationen spiegeln sich in den Schlagworten von Glaubens‑, Gewissens- und Religionsfreiheit, wobei Religionsfreiheit zunehmend die Freiheit von Religion einschloss.
Kirchliche Strukturen als geschützte Freiräume
Strukturell bot die Notwendigkeit, Kirchengemeinden aufbauen zu müssen, zu einem Freiraum für politische Ideen und der Möglichkeit, diese zu verbreiten, denn in diesen Strukturen waren Versammlungen möglich. Auch wenn in Reaktion auf die Märzrevolution die genannten Gemeinden verboten wurden, war der Gedanke nach religiöser Selbstbestimmung weiterhin tragend und bildet auch heute noch unser demokratisches Selbstverständnis.
Eine ähnlich positive Funktion von Kirchenhäusern findet sich auch in diktatorischen Staaten. Ein deutliches Beispiel dafür findet sich im November 1989, als die Demonstrationen für Demokratie in der DDR häufig im Anschluss von Gottesdiensten stattfanden. Diese Funktion begründet sich weniger in christlichen Überzeugungen als vielmehr in der Sonderstellung religiöser Institutionen.
Heute bedürfen wir dieser Institutionen nicht mehr – zumindest nicht in demokratischen Gesellschaften –, um einen Austausch an Meinungen zu gewährleisten. Im Gegenteil, wir können feststellen, dass gerade unter dem besonderen Schutz von Religion zunehmend auch antidemokratische Bestrebungen reifen. Religiöser Extremismus und Fundamentalismus scheinen sich unter dem besonderen Schutz von Glaube und Religion besonders gut ausbreiten zu können. Aber auch Religion selbst hat antidemokratische Elemente. So spielen Dogmatismus im Glauben ebenso eine Rolle wie die Anerkennung von Autoritäten und Machtstrukturen – alles Elemente, die dem kritischen Denken, das einer demokratischen Haltung zugrunde liegt, entgegenstehen. Hier ist zu vermuten, dass die mit Religionsfreiheit gewährte Toleranz in gefährlicher Weise auf Intolerante ausgedehnt wird. Was in einer Gesellschaft toleriert wird und wann Intoleranz die Toleranz gefährdet, ist dabei nicht festgeschrieben, sondern muss in den konkreten Situationen mitunter mühsam ausgehandelt werden. Aber auch der erzielte Kompromiss ist nicht als abschließendes Ende zu sehen, sondern darf auch immer wieder hinterfragt werden. Religionsfreiheit und Freiheit von Religion, das sind demokratische Werte und Rechte, die erkämpft werden mussten. Religionsfreiheit ist dabei eines von weiteren essenziellen Rechten, die unsere demokratische Gesellschaft ausmachen. Diese sind nicht selbstverständlich, sondern wir müssen sie schützen, wahren und auch kritisch hinterfragen, damit sie uns erhalten bleiben.