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Freiheitsrechte

Religionsfreiheit und Demokratie

Grundgesetz Artikel 4, vor dem Bundestag in Berlin
Grundgesetz Artikel 4, vor dem Bundestag in Berlin
Religionsfreiheit ist eines unter anderen im Grundgesetz festgeschriebenen Freiheitsrechten. Im konkreten Kampf um die Freiheitsrechte nimmt die Religionsfreiheit aber eine durchaus interessante Rolle ein. In heutigen Diskussionen beweist gerade auch das Recht auf Religionsfreiheit und Freiheit von Religion, dass demokratische Grundrechte immer wieder überprüft werden müssen.

Reli­gi­ons­frei­heit, reli­giö­ser Plu­ra­lis­mus und die Akzep­tanz der Frei­heit von Reli­gi­on gehö­ren heu­te zu den selbst­ver­ständ­li­chen Merk­ma­len moder­ner Gesell­schaf­ten. Ins­be­son­de­re demo­kra­ti­sche Gesell­schaf­ten basie­ren auf einer Aner­ken­nung von Plu­ra­li­tät, also einer Akzep­tanz von reli­giö­ser Viel­falt und dem Selbst­ver­ständ­nis, dass die­se ein not­wen­di­ger Bestand­teil plu­ra­ler Gesell­schaf­ten ist. Reli­giö­se Viel­falt ist damit ein essen­zi­el­ler Wert von Demo­kra­tie.

Das hat vor allem his­to­ri­sche Grün­de. Nach den ent­setz­li­chen Erfah­run­gen der blu­ti­gen Reli­gi­ons­krie­ge in den deut­schen Län­dern mit anschlie­ßen­den Frie­dens­ver­trä­gen bestimm­ten zunächst die Lan­des­fürs­ten die Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit der Unter­ta­nen auf ihrem Gebiet. Doch schon seit dem 18. Jahr­hun­dert führ­ten ver­schie­de­ne Ent­wick­lun­gen dazu, dass sich die Fra­ge nach Reli­gi­ons­frei­heit neu stell­te. Zum einen for­der­te die jüdi­sche Bevöl­ke­rung bedingt durch zuneh­men­de Eman­zi­pa­ti­on den Anspruch auf sozia­le, öko­no­mi­sche und poli­ti­sche Teil­ha­be. Zum ande­ren fan­den schon in der Früh­in­dus­tria­li­sie­rung Migra­ti­ons­be­we­gun­gen statt, die zu einer Ver­mi­schung von Pro­tes­tan­ten und Katho­li­ken führ­ten. Die Gedan­ken der Auf­klä­rung und die Ideen der Men­schen­rech­te als indi­vi­du­el­le Rech­te, die die Gleich­be­rech­ti­gung aller Bür­ger begrün­den, stel­len das ideen­ge­schicht­li­che Fun­da­ment die­ser Ent­wick­lun­gen dar. Es sind zugleich die geis­ti­gen Grund­la­gen, die in den 1840er Jah­ren zu kri­ti­schen Strö­mun­gen inner­halb der christ­li­chen Kir­chen führ­te. In pro­tes­tan­ti­schen Gebie­ten for­mu­lier­ten die Licht­freun­de eine sol­che inner­kirch­li­che Kri­tik, in katho­li­schen Gebie­ten woll­ten die Deutsch­ka­tho­li­ken sich vom Ein­fluss der Obrig­keit in Rom und der Bil­der­ver­eh­rung lösen. Gemein­sam ist den bei­den Rich­tun­gen, eine Kri­tik an den Prak­ti­ken der Kir­chen und ihrer Ver­tre­ter, sowie der Anspruch auf ein selbst­be­stimm­tes Ver­ständ­nis der Reli­gi­on und damit auch auf eine Selbst­be­stim­mung der Reli­gi­on selbst.

Als 1848 in Deutsch­land Bür­ger für Frei­heits­rech­te auf die Stra­ße gin­gen, stand die For­de­rung nach reli­giö­ser Selbst­be­stim­mung von Anfang an mit auf dem For­de­rungs­ka­ta­log. Es scheint selbst­ver­ständ­lich, dass sich demo­kra­ti­sche und kir­chen­kri­ti­sche Men­schen hier poli­tisch ver­bün­det haben, bezie­hungs­wei­se die Demo­kra­ten der Pauls­kir­che zum Teil auch den frei­re­li­giö­sen Strö­mun­gen ange­hör­ten. Doch es lohnt ein Blick auf die­se Dyna­mik, um den Zusam­men­hang von Reli­gi­ons­frei­heit und Demo­kra­tie zu ver­ste­hen. Der Aus­schluss der refor­ma­to­ri­schen Kräf­te aus Kir­chen­ge­mein­den führ­te zu zahl­rei­chen Neu­grün­dun­gen frei­heit­li­cher Gemein­den – den der Deutsch­ka­tho­li­ken und der Licht­freun­de. Inner­halb die­ser neu­en Gemein­den konn­te aber nicht nur die Reli­gi­on im eige­nen Selbst­ver­ständ­nis aus­ge­übt, son­dern auch poli­tisch dis­ku­tiert wer­den. Die Ori­en­tie­rung an den Ideen der Auf­klä­rung boten die inhalt­li­che Ori­en­tie­rung. Die Fra­ge von Frei­heit und Selbst­be­stim­mung war dabei auch eine Fra­ge nach reli­giö­ser Selbst­be­stim­mung, die mit der For­de­rung einer Tren­nung von Staat und Kir­che ver­bun­den war. Der Ruf nach Gleich­be­rech­ti­gung der Bür­ger – unab­hän­gig von Geburts- oder Stan­des­pri­vi­le­gi­en – ging ein­her mit der For­de­rung einer Befrei­ung aus dog­ma­ti­schen Zwän­gen bis hin zum Recht, die eige­nen Über­zeu­gun­gen frei ver­tre­ten zu kön­nen und das Welt­bild am wis­sen­schaft­li­chen Den­ken zu ori­en­tie­ren. Die­se Varia­tio­nen spie­geln sich in den Schlag­wor­ten von Glaubens‑, Gewis­sens- und Reli­gi­ons­frei­heit, wobei Reli­gi­ons­frei­heit zuneh­mend die Frei­heit von Reli­gi­on ein­schloss.

Kirchliche Strukturen als geschützte Freiräume

Struk­tu­rell bot die Not­wen­dig­keit, Kir­chen­ge­mein­den auf­bau­en zu müs­sen, zu einem Frei­raum für poli­ti­sche Ideen und der Mög­lich­keit, die­se zu ver­brei­ten, denn in die­sen Struk­tu­ren waren Ver­samm­lun­gen mög­lich. Auch wenn in Reak­ti­on auf die März­re­vo­lu­ti­on die genann­ten Gemein­den ver­bo­ten wur­den, war der Gedan­ke nach reli­giö­ser Selbst­be­stim­mung wei­ter­hin tra­gend und bil­det auch heu­te noch unser demo­kra­ti­sches Selbst­ver­ständ­nis.

Eine ähn­lich posi­ti­ve Funk­ti­on von Kir­chen­häu­sern fin­det sich auch in dik­ta­to­ri­schen Staa­ten. Ein deut­li­ches Bei­spiel dafür fin­det sich im Novem­ber 1989, als die Demons­tra­tio­nen für Demo­kra­tie in der DDR häu­fig im Anschluss von Got­tes­diens­ten statt­fan­den. Die­se Funk­ti­on begrün­det sich weni­ger in christ­li­chen Über­zeu­gun­gen als viel­mehr in der Son­der­stel­lung reli­giö­ser Insti­tu­tio­nen.

Heu­te bedür­fen wir die­ser Insti­tu­tio­nen nicht mehr – zumin­dest nicht in demo­kra­ti­schen Gesell­schaf­ten –, um einen Aus­tausch an Mei­nun­gen zu gewähr­leis­ten. Im Gegen­teil, wir kön­nen fest­stel­len, dass gera­de unter dem beson­de­ren Schutz von Reli­gi­on zuneh­mend auch anti­de­mo­kra­ti­sche Bestre­bun­gen rei­fen. Reli­giö­ser Extre­mis­mus und Fun­da­men­ta­lis­mus schei­nen sich unter dem beson­de­ren Schutz von Glau­be und Reli­gi­on beson­ders gut aus­brei­ten zu kön­nen. Aber auch Reli­gi­on selbst hat anti­de­mo­kra­ti­sche Ele­men­te. So spie­len Dog­ma­tis­mus im Glau­ben eben­so eine Rol­le wie die Aner­ken­nung von Auto­ri­tä­ten und Macht­struk­tu­ren – alles Ele­men­te, die dem kri­ti­schen Den­ken, das einer demo­kra­ti­schen Hal­tung zugrun­de liegt, ent­ge­gen­ste­hen. Hier ist zu ver­mu­ten, dass die mit Reli­gi­ons­frei­heit gewähr­te Tole­ranz in gefähr­li­cher Wei­se auf Into­le­ran­te aus­ge­dehnt wird. Was in einer Gesell­schaft tole­riert wird und wann Into­le­ranz die Tole­ranz gefähr­det, ist dabei nicht fest­ge­schrie­ben, son­dern muss in den kon­kre­ten Situa­tio­nen mit­un­ter müh­sam aus­ge­han­delt wer­den. Aber auch der erziel­te Kom­pro­miss ist nicht als abschlie­ßen­des Ende zu sehen, son­dern darf auch immer wie­der hin­ter­fragt wer­den. Reli­gi­ons­frei­heit und Frei­heit von Reli­gi­on, das sind demo­kra­ti­sche Wer­te und Rech­te, die erkämpft wer­den muss­ten. Reli­gi­ons­frei­heit ist dabei eines von wei­te­ren essen­zi­el­len Rech­ten, die unse­re demo­kra­ti­sche Gesell­schaft aus­ma­chen. Die­se sind nicht selbst­ver­ständ­lich, son­dern wir müs­sen sie schüt­zen, wah­ren und auch kri­tisch hin­ter­fra­gen, damit sie uns erhal­ten blei­ben.

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