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Toleranz - was ist das eigentlich?

Über die Rolle der Toleranz in der Demokratie

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Wohnblock Anonymität Zusammenleben Wohnungen

Beitragsbild: Matt Wiebe | CC BY 2.0 Generic

Wenn es um das friedliche Zusammenleben in unserer Demokratie geht, wird schnell die Toleranz beschworen. Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind dabei in besonderer Weise gefordert. Doch was ist das eigentlich, Toleranz? Und wie wird sie verantwortungsvoll gelebt?

In einem demo­kra­ti­schen Staat, in dem Bür­ge­rin­nen und Bür­ger selbst­be­stimmt leben, spielt die Tole­ranz eine beson­de­re Rol­le. Schließ­lich stre­ben wir alle danach, uns frei zu ent­fal­ten. Doch unse­re eige­ne Frei­heit hat ihre Gren­zen dort, wo sie die Frei­heit der ande­ren berührt. Neh­men wir als Bei­spiel eine Haus­ge­mein­schaft. Ein­zel­ne Miet­par­tei­en, Eigen­tü­mer und Ver­mie­ter haben unter­schied­li­che Inter­es­sen. Kommt es zu Kol­li­sio­nen und Über­schnei­dun­gen, ent­steht erzwun­ge­ner­ma­ßen ein geteil­ter neu­er Raum, den es mit­tels Tole­ranz als gemein­sa­men Hand­lungs­raum ein­zu­rich­ten gilt, und zwar um das Ziel des Frie­dens wil­len.

In die­sem Zusam­men­hang ist dann auch schnell von einer Tole­ranz­schwel­le die Rede, die bei dem einen schnel­ler über­schrit­ten ist als bei ande­ren. Sie ist abhän­gig von den eige­nen Gewohn­hei­ten und Lau­nen, die in einem zwangs­wei­se geteil­ten Raum von einer nega­ti­ven Befind­lich­keit bedrückt wer­den. Gemeint ist Ableh­nung. Sie zu zäh­men ist Auf­ga­be der Tole­ranz, was trotz emp­fun­de­ner Ableh­nung mit dem Auf­brin­gen von Respekt gelän­ge. Dazu bedür­fe es einer „Aner­ken­nung als anders­ar­ti­ge Glei­che“, wie es Prof. Bernd Simon vor­schlägt, der als Sozi­al­psy­cho­lo­ge an der Chris­ti­an-Albrechts-Uni­ver­si­tät zu Kiel zum The­ma Tole­ranz forscht.

Doch im all­täg­li­chen Umgang mit­ein­an­der wer­den wir oft von den eige­nen Befind­lich­kei­ten gelenkt. Unse­re Tole­ranz ist dann eine Form von Will­kür. Erst in Bezug auf ent­spre­chen­de Leit­sät­ze tritt eine Prüf­in­stanz hin­zu, die das eige­ne Tole­ranz­ver­ständ­nis aus dem Bereich des per­sön­li­chen Emp­fin­dens her­aus­hebt. Ein sol­cher Satz muss fra­gen, was es denn eigent­lich am ande­ren Men­schen unbe­dingt zu respek­tie­ren gilt.

Ähn­lich wie die Kie­ler For­schungs­grup­pe, die Tole­ranz über eine „Aner­ken­nung als anders­ar­ti­ge Glei­che“ defi­niert, for­mu­liert es unser Grund­ge­setz. Es schreibt fest, dass nie­mand bevor­zugt oder benach­tei­ligt wer­den darf wegen „sei­nes Geschlechts, sei­ner Abstam­mung, sei­ner Ras­se, sei­ner Spra­che, sei­ner Hei­mat und Her­kunft, sei­nes Glau­bens, sei­ner reli­giö­sen oder poli­ti­schen Anschau­un­gen.“ Ein sol­cher Leit­satz ist Aus­druck einer kate­go­ri­schen Tole­ranz. Sie bezieht sich auf die indi­vi­du­el­len Erschei­nungs­for­men des gemein­sa­men Nen­ners allen Mensch­seins. Das ist es, wovor es unbe­ding­ten Respekt zu haben gilt. Die Tole­ranz­schwel­le wird damit objek­tiv greif­bar. Sie gelangt aus dem Bereich der Will­kür ein Stück weit in den Raum rechts­staat­li­cher Ord­nung und wird dadurch auch erst zu einem brauch­ba­ren Instru­ment, bei­spiels­wei­se wenn es um den Schutz von Min­der­hei­ten geht.

Wer nach gegenseitigem Respekt und Achtung strebt, bewegt sich immer einen Schritt nach oben hin zu einer höheren Gruppenzugehörigkeit

Wir alle ken­nen das: In der Woh­nung neben­an wird zu laut Musik gehört. Die Fami­lie von oben parkt ihren Kin­der­wa­gen im Erd­ge­schoss, wo er die Brief­käs­ten blo­ckiert. Oder wir haben einen Nach­barn, der zur Unzeit sei­nen Rasen mäht. All das sind Fäl­le, bei denen unter­schied­li­che Inter­es­sen mit­ein­an­der kol­li­die­ren. Jetzt kann ich Tole­ranz nach Gut­dün­ken üben. Emp­fin­de ich mei­ne Tole­ranz­schwel­le den­noch als über­schrit­ten, wird es Zeit, den Ver­ur­sa­cher zu stel­len. Die Form, die einer gemein­sam geteil­ten demo­kra­ti­schen Lebens­form dabei am bes­ten zu Gesicht steht, ist der Aus­tausch von Grün­den, die sich auf jene Regeln bezie­hen, mit denen wir unser Zusam­men­le­ben ord­nen und gestal­ten. In Anse­hung der oben genann­ten Bei­spie­le sind dies Haus­ord­nun­gen und gesetz­li­che Ruhe­zei­ten.

Doch machen wir uns nichts vor. Wir alle neh­men uns die Frei­heit her­aus, von Zeit zu Zeit gegen die Regeln des Zusam­men­le­bens zu ver­sto­ßen. Wir tun es, weil wir uns in dem Augen­blick nicht jener Grup­pe zuge­hö­rig füh­len, der wir als Hand­lungs­ge­mein­schaft eben auch ange­hö­ren. Statt­des­sen sehen wir uns selbst im Mit­tel­punkt oder die Inter­es­sen unse­rer Fami­lie, die mit uns eine Woh­nung teilt. Des­halb haben wir weni­ger Respekt vor ande­ren, die sich außer­halb unse­res eige­nen klei­nen Zir­kels bewe­gen. Tole­ranz zu üben, bedeu­tet daher, eine gemein­sa­me höhe­re Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit zu pfle­gen. Bezo­gen auf die oben genann­ten Bei­spie­le ist das die Haus­ge­mein­schaft. Erst dann erlan­gen wir Respekt auf Augen­hö­he, der uns für ech­te Argu­men­te über­haupt erst emp­fäng­lich macht.

Das ist die akti­ve Hal­tung, die es im Umgang mit ande­ren ein­zu­neh­men gilt. Dabei ste­hen Reli­gi­ons- und Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaf­ten vor einer beson­de­ren Her­aus­for­de­rung und sich oft­mals eben nicht als anders­ar­ti­ge Glei­che gegen­über. Das wird deut­lich, wenn man ver­gleicht, wie Spra­che im Huma­nis­mus und in den Ver­kün­di­gungs­re­li­gio­nen gebraucht wird.

Qualifikation zur Demokratie bedeutet Qualifikation im Sprachgebrauch zu fördern

Huma­nis­mus ist eine demo­kra­ti­sche Lebens­form, die sich über den Aus­tausch von Grün­den ent­fal­tet. Die Spra­che hat hier zum Ziel, unse­re Frei­heit mit Rück­sicht auf ein fühl- und mess­ba­res Leid zu orga­ni­sie­ren, das oft­mals erst durch den Gebrauch unse­rer Frei­hei­ten ent­steht.

Die Ver­kün­di­gungs­re­li­gio­nen unse­res Kul­tur­raums sind anders. Sie sind ihrem Wesen nach auto­ri­tär. Spra­che wird hier gebraucht, um Hand­lun­gen letzt­in­stanz­lich nicht durch Beweg­grün­de und ihre Fol­gen zu bemes­sen, son­dern durch geof­fen­bar­te Ver­kün­di­gun­gen zu recht­fer­ti­gen. Das gelangt in „Gott sagt …!“ zum Aus­druck. Hier ist der Bezugs­punkt nicht eine objek­tiv wach­sen­de Erkennt­nis, die das Über­win­den von Irr­tü­mern ein­schließt, son­dern die eige­nen Vor­stel­lun­gen und Nei­gun­gen, die im Gött­li­chen gespie­gelt und ver­stärkt wer­den, um sie auch wider bes­se­res Wis­sen und gegen ethi­sche Grund­sät­ze mit Abso­lut­heit aus­zu­stat­ten und durch­zu­set­zen. So las­sen sich eben auch unmensch­li­che Hand­lun­gen legi­ti­mie­ren. Kein Land welt­weit, in dem das Staats- und Rechts­we­sen von den Vor­stel­lun­gen einer reli­giö­sen Grup­pe (meist Män­ner) domi­niert wird, ist eine Demo­kra­tie, in der ande­ren Grup­pen und ins­be­son­de­re Frau­en die­sel­ben Rech­te zuge­bil­ligt wer­den. Das hängt direkt mit dem buch­stäb­lich fun­da­men­tal ande­ren Gebrauch von Spra­che zusam­men, der ins­be­son­de­re für die Ver­kün­di­gungs­re­li­gio­nen cha­rak­te­ris­tisch ist. Reli­giö­se Vor­bil­der und reli­giö­se Spra­che qua­li­fi­zie­ren nicht für den demo­kra­ti­schen Dis­kurs.

Doch dage­gen wehrt sich unse­rer Demo­kra­tie, die mit ihren Begrün­dungs­mus­tern eben doch alle Welt­an­schau­un­gen und Reli­gio­nen zu tole­rie­ren ver­mag, indem sie jenen Sprach­ge­brauch, der sich an nach­voll­zieh­ba­ren Beweg­grün­den ori­en­tiert, zumin­dest im öffent­li­chen Dis­kurs ein­for­dert. Erst so wird Respekt unter anders­ar­ti­gen Glei­chen mög­lich und das Kul­ti­vie­ren eines wahr­lich frie­dens­stif­ten­den Bewusst­seins, das im Grund­ge­setz mit sei­nem Bekennt­nis zu den Men­schen­rech­ten ver­an­kert ist. Es lei­tet uns an, die Man­nig­fal­tig­keit der indi­vi­du­el­len Erschei­nungs­for­men eines gemein­sa­men Mensch­seins zu respek­tie­ren. Auf die­ser Basis gilt es, die tat­säch­lich höchs­te Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit (unse­ren Natio­nal­staat) zu for­men, in dem wir den Wunsch nach eige­ner Frei­heit auch allen ande­ren zubil­li­gen. Ziel ist das gemein­sa­me Han­deln. Die Ver­wirk­li­chung des­sen erfolgt in unse­rer Demo­kra­tie über den Aus­tausch ver­nünf­ti­ger Grün­de dort, wo wir das Zusam­men­le­ben ange­sichts nor­ma­ti­ver Regeln als gestalt­bar anse­hen. Die Basis dafür ent­steht durch gegen­sei­ti­gen Respekt, der einer sozio­kul­tu­rel­len Pfle­ge bedarf und im Stre­ben nach einer gemein­sa­men höhe­ren Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit ent­steht. In Anse­hung von Leit­sät­zen wird die Tole­ranz der eige­nen Will­kür ent­ho­ben und zu einem sta­bi­li­sie­ren­den Akt im Gemein­we­sen. Ech­te Tole­ranz zeich­net sich dann dadurch aus, dass sie Ableh­nung mit Respekt über­win­det, indem sie eine gemein­sa­me, und zwar höhe­re Grup­pen­iden­ti­tät mit dem Ziel des gemein­sa­men Han­delns um des Frie­dens wil­len auf­baut und zu erhal­ten sucht.

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