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HVD für ausgewogene gesetzliche Neuregelung

Autonomie bei Suizidhilfe und Suizidprävention zusammen gewährleisten

Beitragsbild: Katarzyna Grabowska

Drei Jahre, nachdem der §217 StGB als verfassungswidrig gekippt wurde, gibt es Bestrebungen, den restriktiven Strafrechtsparagrafen zu erneuern. Der HVD hingegen fordert eine umfassende Lösung, die sowohl das Selbstbestimmungsrecht zum Freitod und die Rechtssicherheit für dabei helfende Ärzt*innen gewährleistet als auch die Suizidprävention deutlich verbessert.

Als das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt im Früh­jahr 2020 den dama­li­gen Straf­rechts­pa­ra­gra­fen zur Sui­zid­hil­fe für nich­tig erklär­te, for­mu­lier­te es gleich­zei­tig aus­führ­li­che Vor­ga­ben für eine mög­li­che Neu­re­ge­lung. Dabei ist zu beach­ten, dass sich das Recht auf einen selbst­be­stimm­ten Tod auf jede frei­wil­lens­fä­hi­ge Per­son bezieht, dass also nicht etwa nur schwerst­kran­ke oder hoch­be­tag­te Men­schen dazu Hil­fe in Anspruch neh­men kön­nen. Aktu­ell steht der Bun­des­tag vor der Her­aus­for­de­rung einer ver­fas­sungs­kon­for­men und aus­ge­wo­ge­nen Lösung. Zu den viel­fäl­ti­gen Kon­flik­ten im Umfeld von Sui­zi­da­li­tät hat der Huma­nis­ti­sche Ver­band Deutsch­lands (HVD) – Bun­des­ver­band pra­xis­na­he Bera­tungs­kon­zep­te vor­ge­schla­gen. Die­se haben in einem libe­ra­len Gesetz­ent­wurf außer­halb des Straf­rechts ihren Nie­der­schlag gefun­den. Dabei ist einer­seits die Ver­hin­de­rung von ver­such­ten Selbst­tö­tun­gen, die auf man­gel­haf­ter Ein­sichts­fä­hig­keit oder spon­ta­ner Ver­zweif­lung beru­hen, zu gewähr­leis­ten. Ande­rer­seits gilt es, die Auto­no­mie zu stär­ken, indem ein Rechts­rah­men für Ärzt*innen geschaf­fen wird, um für selbst­ver­ant­wort­li­che Sui­zi­de geeig­ne­te Mit­tel wie vor allem Natri­um-Pent­o­bar­bi­tal zukünf­tig ver­schrei­ben zu kön­nen.

Für bei­de Fall­kon­stel­la­tio­nen man­gelt es an flä­chen­de­cken­der Ver­sor­gung mit regio­na­len, auch auf­su­chend täti­gen Bera­tungs­stel­len, die kom­mu­nal mit Ärzt*innen sowie ver­schie­de­nen Ein­rich­tun­gen koope­rie­ren und zudem bun­des­weit ver­netzt sein soll­ten. „Kei­nes­falls darf bei den bestehen­den Struk­tu­ren alles beim Alten blei­ben“, betont die HVD-Bun­des­be­auf­trag­te für Medi­zin­ethik, Gita Neu­mann, „son­dern es muss eine ver­häng­nis­vol­le Spal­tung über­wun­den wer­den, näm­lich die zwi­schen Frei­tod­hil­fe einer­seits und Sui­zid­ver­hü­tung ande­rer­seits, also den zwei geg­ne­ri­schen Lagern mit sich jeweils aus­schlie­ßen­den Ziel­vor­ga­ben und Ange­bo­ten.“

Große Lücke zwischen Sterbeverein und Telefonseelsorge

Dabei sol­len Leis­tun­gen der Ster­be­hil­fe­ver­ei­ne, wenn­gleich sie aus­schließ­lich für ihre Mit­glie­der zu hohen vier­stel­li­gen Sum­men ver­füg­bar sind, eben­so erhal­ten blei­ben wie Lai­en­ge­sprä­che der Tele­fon­seel­sor­ge, wenn­gleich Anru­fen­de mit Selbst­tö­tungs­ab­sich­ten davon kaum durch die ehren­amt­lich Zuhö­ren­den effek­tiv abge­hal­ten wer­den kön­nen. „De fac­to fal­len die aller­meis­ten rat­su­chen­den und hil­fe­be­dürf­ti­gen Men­schen durch die­ses Ras­ter in eine gro­ße Lücke, weil sie bei dem weit ver­brei­te­ten Phä­no­men eines mehr oder weni­ger mani­fes­ten Suizid(hilfe)begehrens zöger­lich, miss­trau­isch, ambi­va­lent oder auch fest ent­schlos­sen, aber kein Mit­glied eines Ster­be­ver­eins sind“, ergänzt Neu­mann. Ver­ständ­li­cher­wei­se wür­de sich die gro­ße Zahl der Betrof­fe­nen eher an eine ein­zi­ge unab­hän­gi­ge Stel­le wen­den, die mul­ti­pro­fes­sio­nell aus­ge­stat­tet kos­ten­freie Sui­zid­kon­flikt­be­ra­tung anbie­tet, das heißt ergeb­nis­of­fe­ne Gesprä­che, auf den indi­vi­du­el­len Fall bezo­ge­ne Infor­ma­ti­on, Ver­mitt­lung von viel­fäl­ti­gen psy­cho­so­zia­len oder finan­zi­el­len Unter­stüt­zungs­mög­lich­kei­ten und/oder Aus­stel­len einer Bera­tungs­be­schei­ni­gung zur Vor­la­ge bei Ärzt*innen, die prin­zi­pi­ell zur Sui­zid­hil­fe bereit sind.

Spezieller Präventionsbegriff und verpflichtende Beratung

Bür­ge­rin­nen und Bür­ger mit dem Wunsch, bei zuneh­men­dem Lei­den oder exis­ten­zi­el­ler Ein­schrän­kung von Lebens­qua­li­tät aus dem Leben zu schei­den, neh­men oft genug davon Abstand, wenn ihnen ein Gefühl von Sicher­heit ver­mit­telt wird. Dies setzt aller­dings vor­aus, dass ihnen nicht nur vage etwa Lin­de­rungs- und Bes­se­rungs­aus­sich­ten, ein gutes Pfle­ge­heim oder hos­piz­li­che Ster­be­be­glei­tung als Mög­lich­keit vor Augen geführt wer­den. Son­dern sie müs­sen sich für den Fall des Fal­les auf eine zuge­si­cher­te kom­pe­ten­te Frei­tod­be­glei­tung ver­las­sen kön­nen. Die­ses spe­zi­el­le Kon­zept wird von Vertreter*innen des natio­na­len Sui­zid­prä­ven­ti­ons­pro­gramms (des­sen Aus­hän­ge­schild die Num­mer der Tele­fon­seel­sor­ge ist) ent­schie­den abge­lehnt, dabei vor allem von Berufs­an­ge­hö­ri­gen der Psych­ia­trie, den Kir­chen und dem Deut­schen Hos­piz- und Pal­lia­tiv­ver­band. Denn Prä­ven­ti­on bedeu­tet in die­sen Fäl­len ja gera­de, Selbst­tö­tun­gen sofern sie wohl­über­legt auf Ernst­haf­tig­keit und Frei­wil­lens­fä­hig­keit beru­hen nicht ver­hü­ten zu wol­len, son­dern bei Bedarf durch ärzt­li­che Assis­tenz so human wie mög­lich zu gestal­ten.

„Es soll­te zumut­bar sein“, zeigt sich Neu­mann über­zeugt, „für die im Rah­men des neu­en Geset­zes ermög­lich­te Ver­schrei­bung von sui­zid­taug­li­chen Mit­teln wie vor allem Natri­um-Pent­o­bar­bi­tal sich dann ver­pflich­tend auf ein Gespräch bei einer aner­kann­ten Stel­le ein­zu­las­sen.“ Ster­be­hil­fe­ver­ei­ne weh­ren sich vehe­ment gegen sol­che angeb­lich ent­mün­di­gen­de „Zwangs­be­ra­tung“, die staat­lich finan­ziert wür­de. Deren aktu­el­le Kam­pa­gne zum „Recht auf letz­te Hil­fe“ lehnt des­halb nicht nur jeden neu­en Ver­such einer ver­fas­sungs­wid­ri­gen Straf­rechts­re­ge­lung ab, son­dern auch die Alter­na­ti­ve dazu bei der Abstim­mung im Bun­des­tag, näm­lich den libe­ra­len Gesetz­ent­wurf.

Solan­ge die dar­in vor­ge­se­he­ne Bera­tungs­in­fra­struk­tur erst eta­bliert wer­den muss, blie­be es zunächst noch beim Sta­tus quo. Aber ein neu­es Suizidhilfe(konflikt)gesetz wür­de dafür sor­gen, dass es in abseh­ba­rer Zukunft flä­chen­de­ckend für alle sui­zid­wil­li­gen und/oder ‑gefähr­de­ten Men­schen kos­ten­frei kom­pe­ten­te Anlauf­stel­len gibt, in denen sie indi­vi­du­ell zuge­schnit­te­ne Unter­stüt­zung ohne jeg­li­che Tabui­sie­rung und auch „letz­te Hil­fe“ fin­den kön­nen. 

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