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Militärseelsorge

Humanistische Lebensbegleitung in der Bundeswehr

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Beitragsbild: huettenhoelscher

Mindestens die Hälfte aller 182.000 Soldat:innen der Bundeswehr gehören keiner Kirche an. Wenn sie mit ihren Sorgen und Nöten Unterstützung suchen, haben sie keine weltanschaulich nahen Ansprechpersonen, obgleich ihnen das Grundgesetz ausdrücklich das Recht auf eine eigene nichtreligiöse Seelsorge gewährt.

Die Inte­gri­tät und Unab­hän­gig­keit Deutsch­lands zu gewähr­leis­ten und die Frei­heit und Sicher­heit unse­rer Gesell­schaft zu schüt­zen, kann Soldat:innen den Ein­satz ihrer Gesund­heit und ihres Lebens abfor­dern. Des­halb soll­te es auch kon­fes­si­ons­frei­en Ange­hö­ri­gen der Bun­des­wehr sowie ihren Fami­li­en offen­ste­hen, Ver­ständ­nis, Trost und Zuver­sicht im Rah­men eines huma­nis­ti­schen Bera­tungs-/Seel­sor­ge­an­ge­bots zu suchen und zu fin­den: ein Ange­bot im vor-psy­cho­lo­gi­schen Bereich, das Men­schen nicht patho­lo­gi­siert. Doch über exis­ten­zi­ell bedeut­sa­me Erfah­run­gen ins Gespräch zu kom­men, erfor­dert die bedin­gungs­lo­se Annah­me des ande­ren Men­schen. Das Wis­sen, zutiefst per­sön­li­che welt­an­schau­li­che Über­zeu­gun­gen nicht zu tei­len, hemmt sol­che Gesprä­che. Selbst in der größ­ten Zuge­wandt­heit bleibt der ande­re in die­sem Unter­schied jemand, der die „Wahr­heit“ einer Reli­gi­on oder Welt­an­schau­ung noch nicht erkannt hat. Des­halb feh­len in der Bun­des­wehr im Wesent­li­chen huma­nis­ti­sche – im Übri­gen auch mus­li­mi­sche – Ansprechpartner:innen.

Lebenskundlicher Unterricht in der ethischen Bildung

Die Bun­des­wehr ver­tieft die Bin­dung der Soldat:innen an die Wer­te und Nor­men des Grund­ge­set­zes durch ver­pflich­ten­de ethi­sche Bil­dung. Wesent­li­cher Teil davon ist der „Lebens­kund­li­che Unter­richt“ mit frei­em Aus­tausch über mora­li­sche Fra­gen. Der Unter­richt fin­det außer­halb der mili­tä­ri­schen Hier­ar­chie statt – bis­her liegt er in der Ver­ant­wor­tung der christ­li­chen Militärseelsorger:innen. Aus Sicht der Teil­neh­men­den steht dabei die Fra­ge nach der Posi­ti­on der Leh­ren­den immer im Raum: sowohl in Bezug auf die Welt­an­schau­ung als auch in Bezug auf die Dis­kurs­macht oder Deu­tungs­ho­heit. Humanist:innen wür­den hier für eine Hal­tung ein­ste­hen, die mora­li­sches Han­deln von vorn­her­ein aus dem Blick auf ande­re Men­schen ablei­tet, reli­giö­se Ethi­ken durch­aus inte­griert, aber mensch­li­che Wür­de immer auf­ge­klärt-säku­lar begrün­det.

Stärkung der Demokratie

Mit der Abschaf­fung der Wehr­pflicht wur­de eine sozia­le Ent­flech­tung der Bun­des­wehr von der Zivil­ge­sell­schaft beför­dert und die Nach­wuchs­ge­win­nung erschwert. Die Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der Soldat:innen ver­stärkt die Ent­kop­pe­lung ihres beruf­li­chen Erle­bens von der Kul­tur und Moral der Gesell­schaft, der sie die­nen sol­len. Eine plu­ra­lis­ti­sche Brei­te der Mili­tär­seel­sor­ge, die alle – auch nicht­re­li­giö­se – Soldat:innen anspricht, ist eine Brü­cke zwi­schen der zivi­len und der mili­tä­ri­schen Lebens­welt. Der HVD kann den Staat auch an die­ser Stel­le mit einem friedens‑, rechts- und demo­kra­tie­för­dern­den Ange­bot unter­stüt­zen und zur Bil­dung und Erhal­tung eines gemein­sa­men huma­nis­ti­schen Wer­te­ka­nons bei­tra­gen. Die gesamt­ge­sell­schaft­li­che Dimen­si­on, an deren Gestal­tung der HVD dabei mit­wirkt, ist das Stre­ben nach einer resi­li­en­ten Demo­kra­tie.

Arbeit in der Parlamentsarmee

Weil die Rol­le der Bun­des­wehr inner­halb unse­rer Gesell­schaft unter Inan­spruch­nah­me christ­li­cher oder huma­nis­ti­scher Wert­ur­tei­le ver­ein­zelt in Fra­ge gestellt wird, möch­te ich in einem kur­zen Exkurs zwei Vor­aus­set­zun­gen für jede huma­nis­ti­sche Arbeit im Mili­tär beschrei­ben. Ers­tens: die fes­te Bin­dung an unse­re Demo­kra­tie. Die Bun­des­wehr ist eine Par­la­ments­ar­mee. Ihr Auf­trag und Han­deln wird durch vier Grund­ge­setz­ar­ti­kel und das Par­la­ments­be­tei­li­gungs­ge­setz kon­trol­liert: Sie wird durch den Ver­tei­di­gungs­aus­schuss (Art. 45a GG) und die:den Wehrbeauftragte:n (Art 45b GG) beauf­sich­tigt, die obers­te Befehls­ge­walt liegt bei der:dem Verteidigungsminister:in (Art. 65a GG) und allein der Bun­des­tag ent­schei­det über Ein­sät­ze außer­halb Deutsch­lands (Par­la­ments­be­tei­li­gungs­ge­setz) sowie über den Zufluss von Geld in die Bun­des­wehr (Art 87a GG). Zwei­tens: Ana­log zur reli­giö­sen Seel­sor­ge läge die Dienst- und Fach­auf­sicht über die huma­nis­ti­sche Seelsorge/Beratung beim HVD. Für Huma­nis­ti­sche Lebensbegleiter:innen wür­de gel­ten, was für alle Militärseelsorger:innen gilt: Sie befol­gen kei­ne Befeh­le von Soldat:innen, son­dern sie sind ver­pflich­tet, sich nach den Vor­ga­ben ihrer Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaft zu rich­ten.

Internationale Vorbilder

Gute Bei­spie­le für huma­nis­ti­sche Mili­tär­seel­sor­ge in euro­päi­schen Armeen fin­den sich bereits in Bel­gi­en und Nor­we­gen. Eine her­aus­ge­ho­be­ne Stel­lung neh­men die Nie­der­lan­de ein: Den ins­ge­samt 40.000 Soldat*innen ste­hen der­zeit 39 huma­nis­ti­sche Seelsorger:innen zur Ver­fü­gung. Die „Huma­nis­tisch Geest­e­li­jke Ver­zor­ging“ gibt es dort seit 1964. Ihre Mitarbeiter:innen erhal­ten eine fun­dier­te Aus­bil­dung in Koope­ra­ti­on mit der Uni­ver­si­ty of Huma­ni­stic Stu­dies in Utrecht. Und die Arbeit mit den Soldat:innen wird regel­mä­ßig wis­sen­schaft­lich beglei­tet.

Der HVD unter­hält vie­le Ver­bin­dun­gen in die Nie­der­lan­de und kann beim Auf­bau eige­ner Seel­sor­ge-/Be­ra­tungs­struk­tu­ren von die­ser Koope­ra­ti­on pro­fi­tie­ren. Ins­be­son­de­re an der Huma­nis­ti­schen Hoch­schu­le Ber­lin AdöR mit den Stu­di­en­gän­gen Sozia­le Arbeit und Ange­wand­te Ethik bestehen gute Vor­aus­set­zun­gen, um eige­ne Berater:innen zu qua­li­fi­zie­ren.

Chancen

Durch huma­nis­ti­sche Bera­tung kön­nen Soldat:innen und ihre Fami­li­en Trost, Hoff­nung und neue Per­spek­ti­ven erfah­ren, wenn sie mit Kri­sen kon­fron­tiert sind. Sie kön­nen ihre Wer­te und Zie­le klä­ren und zu einem tie­fe­ren Ver­ständ­nis ihrer selbst, der mensch­li­chen Natur und der Umwelt kom­men. Dar­über hin­aus wer­den sie durch den Lebens­kund­li­chen Unter­richt dar­in beglei­tet, ver­ant­wor­tungs­be­wuss­te Ent­schei­dun­gen zu tref­fen und ihre Moral zu reflek­tie­ren.

Der gesell­schaft­li­che Nut­zen liegt in einem wer­te­för­dern­den Pro­zess, in dem der Huma­nis­mus eine ethi­sche Bin­dungs­kraft ent­fal­tet, die den Kir­chen gera­de ver­lo­ren geht. Auf­klä­rung und Huma­nis­mus sind die glaub­wür­digs­ten Moti­ve unse­rer offe­nen demo­kra­ti­schen Kul­tur – müs­sen aber gepflegt wer­den.

Auf ver­band­li­cher Ebe­ne hat sich der HVD ein Selbst­ver­ständ­nis gege­ben, das Sinn ent­fal­tet, wenn es gesell­schaft­li­che Wir­kung erzielt. Ein Staats­ver­trag mit der Bun­des­re­pu­blik, der den HVD beruft, Men­schen in exis­ten­zi­el­len Kri­sen bei­zu­ste­hen, bedeu­tet Aner­ken­nung der huma­nis­ti­schen Welt­an­schau­ung durch den Deut­schen Bun­des­tag und öff­net ihr den Weg in die Pra­xis. Der Auf­trag, Lebens­kund­li­chen Unter­richt durch­zu­füh­ren, wäre zudem ein Bekennt­nis zur mora­li­schen Selbst­be­stim­mung des Men­schen.

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