Von Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert (Humanistische Hochschule Berlin) & Dr. Jana Mikota (Universität Siegen)
Unter der Überschrift: Lyrik lebt! fand vom 7. bis zum 9. November 2024 eine Tagung zur gegenwärtigen deutschsprachigen Kinder- und Jugendlyrik statt. Sie wurde gefördert von der Fritz-Thyssen-Stiftung. Im Zentrum des Interesses stand der Einfluss digitaler Möglichkeiten auf die Rezeption und Produktion von Lyrik im literaturwissenschaftlichen, literaturdidaktischen und pädagogischen Kontext. Insgesamt kamen etwa 50 Wissenschaftler:innen, Dichter:innen, Spoken-Word-Künstler:innen, Aktivist:innen, Studierende und Bibliothekar:innen hybrid in Siegen zusammen, um sich an drei Tagen in den sieben Sektionen: Lyrik analysieren, Lyrik illustrieren, Lyrik empfehlen, Lyrik sprechen, Lyrik schulisch vermitteln, Lyrik außerschulisch vermitteln und Lyrik verlegen über Kinder- und Lyrikformate der Gegenwart auszutauschen. Lesungen, Performance, Werkstattgespräche und Vorträge bildeten den Rahmen. Die Tagung wurde durch einen Lyrikabend mit allen anwesenden Lyriker:innen und der Spokenword-Darbietung Rhytmuse Spokenword mit Timo Brunke bereichert.
Zusammenfassung der Ergebnisse
Die „neue“ Kinderlyrik kommt in den Neuen Medien nicht nur auf Papier daher. Sie sucht sich ihre Kanäle crossmedial, intermodal und interaktiv und spricht dabei Kinder und Erwachsene gleichermaßen an. Sie wird gesprochen, gesungen oder gerappt, in jedem Fall „performed“. Die Oralität der Neuen Medien bringt die Lyrik dorthin, wo sie herkommt, denn Lyrik, auch Kinderlyrik, war immer schon gesprochenes und gesungenes Wort, immer schon performativ, immer schon anlassgebunden. Das bedeutet, dass das Klingen und Tönen der Gedichte immer schon nicht nur „wichtig“, sondern wesentlich für das Genre war. Lyrik ist Tun, ist Spiel, ist Aufführung, ist Spüren. Die Neuen Medien führen „die Gedichtrezitation“ zu ihren Wurzeln zurück, und es liegt eine große Chance für alle Beteiligten darin, über diese Rückkehr auch den historischen Horizont des Genres einzuholen und neue „ästhetische Bühnen“ zu bauen.
Mit der digitalen Transformation auf dem Buchmarkt erlebt das Kinder- und Jugendbuch vor allem einen Audioboom und konvergierende Medienumwelten. Verlage selbst behandeln Lyrik und lyrische Ausdrucksformen, die eine kaum zählbare Verbreitung in den Sozialen Medien erleben, dabei weiterhin stiefmütterlich, genauso wie Buchläden und Bibliotheken. Neue literarische Formen aber suchen sich Wege über neue mediale Kanäle (vgl. Franz 2020), was Verlagslandschaft und Bildungsinstitutionen aufgreifen sollten.
Ein in die Jahre gekommener Gedichts-Kanon der Schulbücher steht derzeit unverbunden neben einer den Kindern und Jugendlichen über die Neuen Medien unmittelbar zugänglichen Lyrik nicht-kanonisierter Verfasser:innen. Dabei entstehen immer wieder neue bzw. als neu aufgefasste literarische Ausdrucksformen (u.a. Memes, Instagram-Lyrik, Deutschrap). Sie bieten allen Akteur:innen reichlich Anlass, sich ganz grundsätzlich mit den traditionellen Paradigmata von der Formgebundenheit von Dichtung auseinanderzusetzen. Digitalität eröffnet dem Unterricht einen „Möglichkeitsraum“, der geprägt ist von Nicht-Linearität und assoziativen Verknüpfungen. Wichtig ist nun, dieses Potential in der Vermittlung zu nutzen und Lyrikarbeit neu zu denken. So geht es bei der Produktion, beispielsweise von Memes nicht so sehr um die Demonstration (sprach-)künstlerischer Fähigkeiten, sondern um einen Prozess des Findens und Erfindens von erfahrungs- und erlebnisgesättigten inneren und äußeren Bildern. Lyrisches Tun wird so zum Weltverarbeiten und zur Identitätsfindung, das gilt für Schüler:innen genauso wie für Lyriker:innen.
Das Spiel mit Sprache bedeutet Zweckentbundenheit. Das Sprachspiel macht Sprache selbst zum Gegenstand und nutzt sie kontextunabhängig, sinnfrei oder kreativ sinnstiftend (Liede, 1963, S.12 ff.). Die Befreiung von semantisierenden Funktionen lyrischer formgebundener Sprache schafft pädagogische und therapeutisch nutzbare Synergien. So ließen sich beispielweise integrativer Deutschunterricht und literarisches Lernen im Sprachspiel zusammenführen. Im Spiel könnten Lernende in ihre rezeptions- und sprachästhetische Mündigkeit geführt werden, indem ihnen genügend Interpretationsspielraum für sinnliche, emotionale und kognitive Auseinandersetzungen gelassen würden.
Die Förderung selbstbestimmter sprachsinnlicher Erfahrungsräume hält transgressive Räume offen, die durch auf Algorithmen basierende digitale Maschinen und selbstreferenzielle KI verengt werden. Sich selbst hinterfragen zu können, Fragen zu stellen, Probleme zu erkennen, sich seiner eigenen Absichten bewusst zu sein, lässt die transhumanistische Idee Künstlicher Intelligenzen in weite Ferne rücken. So konstituiert KI lediglich das Echo der eigenen Intentionalität, ist aber kein „echter“ Dialogpartner als Gegenüber. Auch verfolgt Künstliche Intelligenz selbst keine kreative Intention. Wird all dies berücksichtigt, dann können KI und digitale Medienformate ergänzende und faszinierende Möglichkeiten in Unterricht und Erziehung offerieren.
Die Nutzung digitaler Medien spricht lediglich den Seh- und Hörsinn an, auf andere Sinneserlebnisse kann zwar referiert, diese können aber digital nicht erzeugt werden. Um Welt sprachlich mit allen Sinnen zu begreifen, bedarf es deshalb vor allem Erfahrungen in der Realwelt, die durch digitale Formate sinnvoll ergänzt werden können.
Derzeit fehlen außerschulische lyrische Bildungsangebote. Bislang gibt es nur im Haus für Poesie Berlin eine durchgängige Ausbildung von 8–28 Jahren für sprachbegabte Dichter:innen.
Mit einem Handbuch zur Kinder- und Jugendlyrik wird im Anschluss an die Tagung der Forschungsstand systematisiert aufbereitet und ihr Nutzen für schulische, außerschulische und therapeutische Settings für eine breite Leserschaft sichtbar sein. Bereits geknüpfte Netzwerke werden gepflegt und erweitert.
Der sprachästhetischen Auseinandersetzung kommt, wie auf der Tagung deutlich wurde, in Zeiten digitaler Transformationsprozesse gesamtgesellschaftliche Bedeutung zu. Die menschliche Verarbeitung der auf Algorithmen basierenden postfaktischen Informationsprozesse braucht sinnstiftende, sprachsensibilisierende und sinnlich erlebbare Räume als ein nicht maschinelles Gegenüber, um die Bildung von Kindern und Jugendlichen zu mündigen, sprachsensiblen und autonomen Menschen zu gewährleisten.
7. November 2024
Die Tagung wurde eröffnet durch Grußworte des Dekans Daniel Stein der Philosophischen Fakultät Siegen. Er machte auf die vielen Aktivitäten aufmerksam, die an der Uni Siegen bereits seit vielen Jahren bestehen und Vorbildcharakter haben könnten.
Einführende Worte fanden die Gastgeberinnen. Jana Mikota von der Universität Siegen rückte die Wirkung von Sprache in den Fokus. Sie machte deutlich, dass Gedichte humorvoll oder nachdenklich Gedanken aufgreifen und dazu in der Lage seien, Wärme zu verbreiten. Sie betonte die Wichtigkeit einer Bestandsaufnahme, die da anfange, wo die Arbeiten von Kurt Franz, der die Erforschung der Kinderlyrik gemeinsam mit Hans-Jürgen Kliewer und Franz-Josef Payhuber maßgeblich geprägt habe, aufhörten. So verwies Franz auf inter- und transmediale Aspekte, den Versroman und auf verschiedene mediale Kanäle, über die Lyrik vermittelt werde. Hier nun, so Mikota, würde die Tagung mit den Leitfragen ansetzen: Was wurde erreicht? Was ist mit Blick auf die Entwicklungen auf dem Buchmarkt – Stichwort KI – zu erwarten oder gar beängstigend? Was entwickelt sich gut? Was und wer fehlt? Mikota erinnerte daran, dass Kinderlyrik nicht nur Germanist:innen oder Literaturwissenschaftler:innen, sondern alle etwas anginge. Als Literaturdidaktikerin hob sie die Chancen der Lyrik als ästhetisches Bildungsangebot in der Grundschule. hervor und zeigte die Gefahr auf, dass übermäßige Analyse von Lyrik Kindern die Freude am Reim nehmen könne.
Sandra Niebuhr-Siebert von der Humanistischen Hochschule Berlin machte auf die Bedeutung sprachästhetischer Bildung in Zeiten digitaler Transformationen und KI aufmerksam. Sie hob das sprachästhetische Lustprinzip hervor, dem Potentiale für die alltägliche schulische, außerschulische und therapeutische Sprachförderung inhärent seien. Zudem machte sie deutlich, dass in der Lyrik die Chance stecke, Lesende in ihre rezeptionsästhetische Mündigkeit zu führen, indem sie genügend Interpretationsspielraum ließe und jeden einzelnen nicht nur kognitiv, sondern auch sinnlich und emotional abzuholen vermöge.
Beantwortet hat der Lyriker Arne Rautenberg aus Kiel seine Vortragsfrage: Wann ist ein Gedicht ein Kindergedicht – und wann ist es kein Kindergedicht? mit den Worten: „Grundschulkindern würde ich zwar melancholische Tönungen, doch keine hermetischen Einschüchterungsgedichte oder Lebensmüdigkeiten zumuten wollen. Erwachsenen allerdings Kindergedichte schon. Denn es ergibt Sinn, als Erwachsener Gedichte für Kinder zu lesen, um sich abermals in die Sphäre der Mikrodynamiken zu begeben und sich dem beschwingten, weil letztlich doch zum Guten wendenden innehalten auszusetzen.“ Mit Neo-Naivität ließe sich das Gefühl der Überlegenheit im Kunstraum aushebeln und wieder vermehrt ans kindhafte Staunen andocken – und damit an eine höhere Form des Verstehens. Zudem wünsche er sich als Lyriker mithelfen zu können, andere das Nicht-Verstehen verstehen zu lehren!
Ines Heiser von der Universität Duisburg-Essen kommt in ihrem Vortrag: Boom Schakkalakka – Dikka, das rappende Rhinozeros – Wo und warum Kinderlyrik populär wird zu dem Ergebnis, dass Kinderlyrik gegenwärtig insbesondere im Kinderlied populär sei. Dabei zeitigten Kinderprojekte von bekannten Künstler:innen besonderen Erfolg. Ihre Analysen machen deutlich, dass Erwachsene auf verschiedenen Ebenen textlich und musikalisch gezielt mit angesprochen werden (Mehrfachadressierungen), so dass entsprechende Texte von Erwachsenen auch ohne Kinder gehört würden. Über Zitate und Anspielungen, z.B. Eis, Eis, Baby (DIKKA 2022) mit Reminiszenzen zu Ice, Ice, Baby (Vanilla Ice 1990) würde zudem Intertextualität auf der Ebene der Songtexte erzeugt, die nur von Erwachsenen verstehbar seien. Zudem würden in den Texten Elternrollen bestätigt und als etabliert geltende Haltungen, z.B. „Ihr kriegt uns nie mehr klein“ (zu Kinderrechten, mit Spende an UNICEF) oder „Mit euch kann ich alles allein“ (allgemeines Empowerment mit Hinweisen zum Bienenschutz) vermittelt. Auf diese Weise werde ein inner- und außerfamiliärer Austausch über Literarisches zwischen verschiedenen Generationen ermöglicht mit dem Potential, Sprachbewusstsein entwickeln und einen spielerischen Umgang mit Sprache einüben zu können.
In seinem Beitrag Der (verlorene) Klang der Gedichte setzte sich Christoph Fasbender von der Technischen Universität Chemnitz mit der Tradition des Gedichtvortrags in Schulen auseinander. So sei das Deklamieren faktisch schon im Mittelalter Teil des Unterrichts gewesen; im 18. Jh. wurde es von Herder ausdrücklich für die Schule empfohlen, und so pflanzte es sich über die Jahrhunderte in den Lehrplänen fort: mit stets neuen Begründungen, die heute durchweg nicht mehr greifen. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts sei denn auch der scheiternde, ins Lächerliche abgleitende Gedichtvortrag (häufig Friedrich Schillers) Gegenstand zahlreicher Romane und Filme. Im Handlungs- und Produktionsorientierten Unterricht der 1980er Jahre finden sich hingegen Ansätze zur unbefangenen Auseinandersetzung von Kindern mit Gedichten. So wird etwa in der Grundschule mit eigenständiger musikalischer Umsetzung und zwangloser Modifikation der Texte operiert, die sich in der Sekundarstufe I fortsetze. Es ist unverkennbar und wird auch direkt ausgesprochen, dass die vielen Ansätze vor allem motivationalen Problemen entspringen und zudem das ästhetisch Unbefriedigende als die Achillesferse des Gedichtvortrags kaschieren solle. Zu bedenken bleibt, dass die Verlagerung in das Kunstwollen der Rezipienten von den komplexen Texten fort und ins nicht mehr Messbare (oder ins Triviale) führen könne.
In ihrem Vortrag: „Das Herz schlägt letztlich doch immer für Außenseiter“ Nils Mohls „Tierische Außenseiter“ als Texte und Ton-Bild-Inszenierungen konnten Julia Kruse und Monika Hernik von der Universität Potsdam aufzeigen, wie Nils Mohl, ein bekannter Gegenwartslyriker, mit Außenseiter-Motiven spielt und dabei zugleich die Vermenschlichung von Tieren problematisiert. Er schafft eine Distanzierung von negativen Empfindungen durch komische Elemente und ermöglicht mit seinen Gedichten das Erleben gemischter oder auch widersprüchlicher Emotionen. Er experimentiert mit Übersetzungen von statischen Gedichtbildern in bewegte Bilder, indem er eigene Gedichtfilme entstehen lässt, für Elemente audiovisueller Gestaltung sensibilisiert und multimediale Zugänge zum Text und zur Erschaffung von Sinnespotenzialen außerhalb narrativer Strukturen nutzt.
Dr. Lisa Källström aus Lund ermöglichte mit ihrem Vortrag Lyrik, Poesie und Bild einen beeindruckenden Einblick in das lyrische Bilderbuch in Schweden. Anhand ausgewählter Bilderbücher, u.a. von Ulf Stark, zeigte sie, wie Lyrik und Bild miteinander verbunden werden können. Neben der Vorstellung der lyrischen Bilderbücher, die nicht ins Deutsche übertragen wurden, diskutierte sie die Herausforderunge der Übersetzungen von Lyrik.
Wie Lyrik illustriert werden kann, zeigte die renommierte Kinderbuch-Illustratorin Regina Kehn unter anderem anhand des bekannten Lyrikbandes Das literarische Kaleidoskop und anhand von Illustrationen für Gedichtbände von und mit Nils Mohl. Regina Kehn versteht sich selbst als Bildautorin. Ihr geht es in ihrem Arbeiten immer auch um eine Aufwertung der Illustration. Denn diese werde zur unterstützenden Illustrierung des Textes oft nur als Mittel zum Zweck gesehen und nicht als eigenständige Kunstform. Eigenständigkeit bedeutet für Kehn, dass der geschriebenen Sprache eine visuelle Stimme hinzugefügt werde. Sprache und Bild treten sozusagen in einen Dialog. Illustrationen dürfen dabei durchaus widerständig sein und Widersprüche formulieren. So führe sie auch Figuren ein, die gar nicht im Text vorkommen oder füge etwas ganz anderes hinzu. Es geht ihr also genau nicht um die Abbildung eines Textes, sondern um einen öffnenden Wort-Bild-Reigen.
Ines Galling von der Internationalen Jugendbibliothek München (IJB) stellte in ihrem Vortrag die Lyrikempfehlungen für Kinder vor, die es seit 2024 gibt. Ein Kreis aus Expert:innen stellt für die LYEfK nun jedes Jahr eine Auswahl von insgesamt elf Titeln zusammen, die sich an ein Lesepublikum zwischen drei und elf Jahren richte und immer am Welttag der Poesie bekanntgegeben würden. Es handele sich hierbei um ein Kooperationsprojekt der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der Stiftung Internationale Jugendbibliothek, der Stiftung Lyrik Kabinett, dem Haus für Poesie, dem Deutschen Bibliotheksverband und dem Deutschen Literaturfonds. Zudem berichtete Ines Galling vom Erfolg des Kinder Kalenders mit Gedichten und Bildern aus der ganzen Welt. Der Kinder Kalender zeigt Text und Bild im Original ergänzt um die Übersetzung ins Deutsche. Im letzten Jahr wurde aus Gedichten des Kinder Kalenders die derzeitige Jahresausstellung der IJB „Klapperkisten Plapperkasten. Kindergedichte für alle Sinne“ zusammengestellt. Abschließend erwähnte Ines Galling noch, dass die IJB u.a. über die Nachlässe der Kinderlyriker James Krüss und Josef Guggenmos verfügt. Sie stehen Forschenden und anderen Interessierten in einer Vor-Ort-Nutzung zur Verfügung und können über das Portal Kalliope recherchiert werden.
José Fernandéz Pérez und Janika Frei-Kuhlmann von der Universität Gießen haben den Kinderkalender genauer untersucht und seine Potentiale ausgelotet. Jede Woche wird ein neues Gedicht oder Lied aus aller Welt in der Herkunftssprache und auf Deutsch abgebildet. Während sich einige Monate explizit auf Jahreszeiten, Feste oder besondere Anlässe in verschiedenen Sprach- und Kulturräumen bezögen, müsse der Bezug bei anderen erst hergestellt werden. Ein jahreszeitlicher Bezug sei dabei allerdings nicht immer gegeben. Neben der schriftsprachlichen Ebene existiere eine grafische: Jedem Gedicht sei ein großformatiges Bild zugeordnet, das das Thema des Gedichtes oder Liedes aufgreift und bildnerisch umsetzt. Damit werde mit dem Kinderkalender ein Medium offenbar, das zahlreiche Facetten in sich vereint, die für den Literaturunterricht relevant seien: Lyrik, visuelle Literalität und Bildverstehen, interkulturelles Lernen und Mehrsprachigkeit.
Sandra Niebuhr-Siebert von der Humanistischen Hochschule Berlin und Karla Montasser, Leiterin der Poetischen Bildung im Haus für Poesie, haben mit Unterstützung von vielen Lyrikbegeisterten die 100+ schönsten Lyrikbände für Klein und GROß zusammengetragen und auf der Tagung das erste Mal präsentiert. Auf der Suche nach Sprachkunst und Lyrik für Kinder und Jugendliche bildeten sie insgesamt 24 Kategorien. Neben bekannten Formen, wie Monografien, gereimten Bilderbüchern und Anthologien, konnten sie gereimte Sachbücher, Pappbilderbücher, Hausbücher mit Gedichten, Liedern, kurzen Erzählungen, Rezepten und Basteleien entdecken. Auch in Sprachspielbüchern, Versromanen, Wimmelbüchern, in Spoken-Word-Anleitungen, Tagebuchpoesien, Büchern mit Abzähl- oder Neckreimen, Gebetsbüchern, Balladensammlungen, Rätsel- und Erstlesebüchern lasse sich Lyrisches finden. Die lyrische Welt sei demnach reicher als von den meisten angenommen. Das Lesen und Schreiben von Gedichten sollte deshalb fester und selbstverständlicher Bestandteil des Alltags, Unterrichts und Studierens sein, denn die Auseinandersetzung mit Sprachen und seinem eigenen Sprachpotential braucht immer auch sprachsinnliche Erfahrung, und die Quelle einer solchen liege nun einmal in der Lyrik.
8. November 2024
Über das Schreiben von Gedichten für Kinder eröffnete der Münchener Kinderlyriker Uwe-Michael Gutzschhahn den zweiten Tagungstag mit seinem Vortrag Zauberland Kinderlyrik. Anhand der Entstehung eigener Gedichte reflektierte er seinen Schaffensprozess. Er zeigte, dass jedes Gedicht auf seine eigene Weise entstehe. Es gebe demnach keinen Baukasten, nach dem man ein Gedicht zusammensetzen könne. Jedes Gedicht aber hänge ab von einem ersten Ton, von einem ersten Wort, einer ersten Zeile. Eine solche Zeile, so Gutzschhahn, muss nicht der Anfang des Gedichts sein, sie sei eben nur der Anfang der Arbeit. Diesen Anfang könne man auch als „Klangidee“ bezeichnen. In seinem Schaffensprozess spiele der Autor auf kindhafte Weise mit Wörtern, mit der Möglichkeit, Entlegenes zusammenzuziehen und eine neue Realität, etwas Unbekanntes, Fremdes, nie Dagewesenes zu schaffen. Die Spielwelt der Sprache sei für ihn die Phantasie selbst. In ihr sei alles vorstellbar. „Und doch staunt das Pferd im Gedicht – sieht den Ball an, schnuppert dran. Und dann wird es mutig – setzt sich auf den Ball. Und das Ich nimmt das Spiel auf, schießt den Ball ins All.“ Immer aber werde das Spiel von den Reimmöglichkeiten selbst gelenkt, nicht also von real gegebenen Möglichkeiten. Wenn Gedichte von etwas handelten, dann tun sie das aus der Sprache heraus. Das Gedicht entstehe nicht mit dem Willen, an ein Ziel, eine Lösung zu kommen. Jedes Gedicht taste in der Sprache und erforsche so ihre Möglichkeiten.
Dass Unsinnsdichtung nicht mit Morgenstern anfange, sondern auf einer jahrhundertealten Tradition aufruhe, zeigte Christoph Fasbender in seinem Beitrag Zwischenraum, hindurchzuschaun. Texte vom Typus „Dunkel war‘s, der Mond schien helle“ seien geprägt durch die Stilfigur des Adynaton: eine dem Oxymoron verwandten Figur des Unmöglichen. Vor 800 Jahren hieß die Unsinnsdichtung noch „Lügendichtung“ – weil sie von Dingen handelte, die nach unserem Ermessen nicht ‚wahr‘ seien. Am Gedicht vom Backofen (aus dem 15. Jahrhundert), der auf einem Strohwisch ausreite und zu einer Insel gelange, auf der ein Essigkrug herrsche, dessen Mutter einen Bären zur Welt bringe, der ein großer Esel gewesen sei usw., zeigte Fasbender typische Adynata-Ketten dieser Gedichtsorte auf. Dass freilich nicht alle vormoderne Unsinnsdichtung des Sinns entbehre, sie vielmehr unter der Überschrift, gelogen zu sein, Bedenkenswertes vortrage ließ sich am Gedicht von der Hochzeit des Schüsselkorbs (16. Jh.) aufzeigen, in dem die als schadhaft ausgemusterten, um ihr Leben fürchtenden Gartengeräte es noch einmal so richtig ‚krachen‘ ließen. So fächerte der Referent das Wirkungsspektrum eines Genres auf, das die Möglichkeiten der stilistischen „Un-Sinns-Signale“ voll ausschöpfte.
Andy Suderman von der Universität Landau untersuchte in seinem Vortrag Von spinnenden Spinnen und ziegenden Ziegen das ästhetische und sprachliche Lernen mit sprachspielerischen Gedichten. So erkannte er in sprachlyrisch erzeugten Auffälligkeiten, nicht nur Möglichkeiten lustbetont aktiv zu werden, sondern phonetische, flexionsmorphologische und syntaktische Besonderheiten sprachbewusst wahrzunehmen, zu betrachten und mit Schüler:innen zu reflektieren. Integrativer Deutschunterricht und literarisches Lernen ließen sich im Sprachspiel zusammenführen.
Anna-Lena Demi von der Humboldt-Universität zu Berlin hat in ihrem Vortrag Memes im Literaturunterricht der Grundschule – Produktive und ästhetische Auseinandersetzungen mit Kinderlyrik das Potential von Memes für den Deutschunterricht herausgearbeitet. Das Konzept „Meme“ repräsentiere, so Demi, in der Sache ein breites Spektrum, es stehe für alle möglichen Phänomene, die sich im Internet derzeit schnell verbreiteten und so von vielen Nutzer:innen rezipiert würden. Meist seien es Kombinationen aus Texten mit Bildern oder Videos. Memes kennzeichne aber fast immer ein humoristischer Unterton. Ihre Gestaltung öffne Räume für Fantasie, Kreativität und Identitätsarbeit. So könne Eigenes im Text wiedergefunden werden, man könne sich so selbst gegenüberzutreten und zugleich fremde subjektive Befindlichkeiten und Entwicklungsprozesse nachvollziehen und befragen. Die Memes-Produktion lasse sich im Kontext von Persönlichkeitsbildung und ästhetischem Lernen betrachten. Sie lasse Suchbewegungen und individuelle Deutungen zu, übe die symbolische Verarbeitung ein, die Wunschbilder und utopische Vorstellungen enthalten könne. Vor allem aber seien Memes Teil einer digitalen Partizipationskultur. Digitalität eröffne dem Unterricht einen „Möglichkeitsraum“, der geprägt sei von Nicht-Linearität und assoziativen Verknüpfungen. Gleichwohl sei die Produktion von Memes keine Produktion und damit Demonstration künstlerischer Fähigkeiten, sondern als Prozess des Findens und Erfindens von erfahrungs- und erlebnisgesättigten inneren und äußeren Bildern zu betrachten.
Raila Karst von der Universität Halle untersuchte in ihrem Vortrag Poetisches Welterkunden in Gedichten von Primarschüler:innen, welche Rolle Lyrik für die kindliche Identitätsbildung spielt und inwiefern Gedichte von Primarschüler:innen als eigenständige literarische Ausdrucksform anerkannt werden sollten. Während außerschulische Initiativen wie der lyrix-Wettbewerb oder die Lyrikcomics wachsende Aufmerksamkeit für zeitgenössische Kinderlyrik belegten, bliebe ihr Stellenwert im Unterricht oft marginal. Anhand einer monografischen Aufarbeitung und einer ergänzenden Diskursanalyse der Zeitschrift „Die Grundschule“ über einen Zeitraum von 50 Jahren konnte Karst herausarbeiten, dass die Rezeptionsperspektive lange dominierte und sich seit den 1970er Jahren zunehmend eine produktionsorientierte Didaktik durchsetze. Diese betrachte Lyrik nicht nur als Wissensgegenstand, sondern als Medium individueller und gesellschaftlicher Artikulation. In einer weiteren Analyse eines Textkorpus aus dem Archiv für Kindertexte Eva Maria Kohls, das über 1.900 Kindergedichte umfasst, die im Rahmen des Wettbewerbs unzensiert und unfrisiert (1993–2019) eingereicht wurden, zeige sich in den Schüler:innen-Texten neben einer großen thematischen Bandbreite und hohen poetischen Qualität auch deren „Polyphonie“ (Bachtin). Anhand konkreter Beispiele konnte Karst zeigen, wie Kinder in ihren Gedichten unterschiedliche Stimmen erheben – mahnend, fragend, hoffnungsvoll oder ermächtigend. Vor dem Hintergrund ihrer Analysen plädierte Karst für eine Didaktik, die Kinder als Schreibende ernst nehme und ihnen Raum für ihre eigenen poetischen Ausdrucksformen biete.
9. November 2024
Den letzten Tagungstag eröffnete Heike Nieder aus München mit ihrem Vortrag Klapperschlange im Klapperkasten – Braucht ein Gedicht ein Metrum und was ist das eigentlich? Das Schreiben von Gedichten sei bei ihr immer auch eine Auseinandersetzung mit dem Thema Metrum, sagte sie. Sie selbst lege großen Wert auf einen regelmäßigen Rhythmus, wohl wissend, dass es dazu sowohl unter Kritiker:innen als auch unter Lyriker:innen sehr unterschiedliche Meinungen gebe. Schon Bert Brecht befand 1938 in dem Aufsatz „Über reimlose Lyrik mit unregelmäßigen Rhythmen“, ein regelmäßiger Rhythmus habe eine „einlullende, einschläfernde Wirkung“. Auch unter den zeitgenössischen Kinder-Lyriker:innen gebe es eine Tendenz zum freien Vers, zumindest zu einer nicht immer ganz regelmäßigen Rhythmusstruktur, so die Referentin. Aber welche Gedichte sind nun „besser“ oder „schlechter“? Kann man das überhaupt sagen? Heike Nieder befragte dazu zwei Autor:innen von Kinder- bzw. Jugendlyrik, die diese Gegensätzlichkeit verdeutlichen. Der Schweizer Autor Lorenz Pauli, mit „Kreidolf Reloaded“ auf der Empfehlungsliste des Josef-Guggenmos-Preises für Kinderlyrik 2024, ist ein vehementer Verfechter eines strengen Metrums. Er antwortete: „Metrum ist ein Zaubermittel. Es trägt einen weiter. Wie der Puls. Wie der wilde Ritt auf einem Pferd und schützend wie das verlässliche Wiegen in den Armen eines lieben Menschen.“ Chantal-Fleur Sandjon, 2024 für ihren Versroman „Die Sonne so strahlend und Schwarz“ ausgezeichnet mit den Deutschen Jugendliteraturpreis, hält dagegen: „Ich denke nicht viel über das Metrum nach. Was ich sehr viel mache: Ich lese mir die Texte vor. Das Lautvorlesen ist für mich die Basis dessen, wie ich die Gedichte gestalte.“ Fazit: Es gebe offensichtlich kein richtig oder falsch, sagte Heike Nieder, sondern ob Metrum oder nicht, sei oft ganz einfach eine Geschmacksfrage. Im Anschluss zeigte sie drei eigene Gedichte und berichtete, wie sie hier beim Schreiben vorgegangen war.
Karla Montasser aus Berlin stellte in ihrem Vortrag Poetische Bildung in Deutschland die Frage: Wo bleiben die Sprachkunstschulen? Es gebe zwar in jeder Stadt Musikschulen, aber keine einzige Sprachkunstschule. In der außerschulischen literarischen Bildung fehlten zudem noch immer strukturelle Angebote zur praktischen und kreativen Vertiefung sprachbegabter Talente, wie sie in der Musik durch Instrumentalunterricht, Orchester und Musikschulen abgebildet sein würden. Die wenigen Angebote im literarischen Bereich seien oft auf Wettbewerbe und Projekte beschränkt. Eine Poesieschule könnte sich als interdisziplinäres Zentrum für poetische Bildung verstehen, das die Kunst der Sprache in all ihren Formen fördere – von klassischer Lyrik über Rap und Hip-Hop bis hin zu digitaler, konkreter und visueller Poesie. Der Ansatz verbinde literarische Bildung mit Medien- und Theaterpädagogik, musikalischer und künstlerischer Bildung, um kulturelle und soziale Teilhabe zu ermöglichen. Die Formate könnten ressourcen- und lebensweltorientiert sowie transkulturell gedacht werden; sie zielten auf Empowerment und die Förderung demokratischer Teilhabe. Neben regulären Kursen und Einzelunterricht setze die Poesieschule auf offene Werkstätten, Festivals, Wettbewerbe und Kooperationen, die kulturelle Bildung und Sprachkunst miteinander verbinden. Zu den wichtigsten Formaten könnten Workshops und Meisterklassen mit erfahrenen Dichter:innen, transkulturelle Projekte und Sprachvermittlungsformate, digitale und medienpädagogische Formate, Kollaborationen mit internationalen Kultur- und Bildungseinrichtungen gehören. Derzeit setzt sich das Netzwerk Lyrik e.V. für ein Zentrum für Poetische Bildung auf Bundes- und Landesebene ein. Bislang sei allerdings nur im Haus für Poesie Berlin eine durchgängige Ausbildung von 8–28 Jahren möglich. In Zukunft müssten Forschungslücken geschlossen, Pilotprojekte für weiterführende Schulen mit Schreibprofil entwickelt und Curricula sowie Kompetenzkataloge erstellt werden.
Sandra Niebuhr-Siebert von der Humanistischen Hochschule Berlin arbeitete in ihrem Vortrag Lyrik 2.0 in der Kita die Potentiale formgebundener Sprache für die kindliche Entwicklung heraus. Lyrik finde sich im Kinderalltag überall: in Abzählversen, Krabbelversen, Tischsprüchen, Trostversen, Kniereitern, Wiegenliedern, Gedichten, Merksätzen, Eselsbrücken, Balladen. Niebuhr-Siebert machte deutlich, dass erst das poetische Prinzip der Sprache ihren eigentlichen Genuss schenke, und dies dadurch, dass es mit der Ökonomie der Sinnproduktion breche. Im sprachästhetischen Erleben werde die sinnliche Wahrnehmung von einem Medium, mit dem wir sonst Informationen aufnehmen und verbreiten, zu einem Prozess, der seinen Zweck zuvörderst in sich selbst trage, vergleichbar dem kindlichen Spiel. In der sprachästhetischen Empfindung nun wird das Sprachsinnliche zudem selbst thematisiert. Es entstehe eine Aufmerksamkeit auf das Gehörte, das Gesehene oder das Gelesene und insbesondere auf das durch Sprache Empfundene selbst, was wiederum selbstbestimmte Räume öffne. Indem man sich seinen Sinnesempfindungen zuwende, entwickele sich ein Abstand zu alltäglichen, pragmatischen informationsbelasteten, fremdbestimmten Zusammenhängen und ein freies Spiel mit diversen Bedeutungen wird möglich. Jeder kognitive und damit kategoriale Zugang zur Sprache konstruiere Erfahrungen mittels bereits vorhandenen Vorwissens. Sei dieses Vorwissen nicht vorhanden oder zugänglich, versage kognitive Erkenntnis, nicht aber die sinnliche. Sprachästhetische Erfahrung schaffe also einen Ermöglichungsraum für neue Kategorien; sie ist somit der kategorialen Erkenntnis immer vorgeschaltet. Sprachsinnliche Räume wiederum ermöglichen mittels lyrischer Sprache Freiheit, Wege in die Mündigkeit und Freude an und Lust auf die eigene Sprache. Die Förderung sprachsinnlicher Erfahrungsräume hält demnach transgressive Räume offen, die durch auf Algorithmen basierende Digitalität und selbstreferenzielle KI zunehmend verengt würden. So konstituiert KI lediglich das Echo der eigenen Intentionalität und sei kein „echter“ Dialogpartner als Gegenüber. Zudem sprächen digitale Räume lediglich den Seh- und Hörsinn an, sie könnten zwar auf andere Sinneserlebnisse referieren, diese aber nicht selbst erzeugen.
Timo Brunke aus Stuttgart hat in seinem Vortrag Leibhaftig sprachlebenswach – Ein paar Grundsätze, Berichte und Plädoyers zur Poesiearbeit mit Kindern und Jugendlichen insbesondere die Lust an der Sprache durch sinnliches Erleben und Sprachperformen hervorgehoben. Als bekannter Spoken Word Künstler und Sprachdidaktiker plädiert Brunke dafür, dass es im Deutschunterricht zu einem guten Teil verspielt zugehen dürfe. Er setzt auf die dem Spiel inhärente Zweckfreiheit und meint, dass je zweckfreier ein Spiel an der Schule gespielt werde, desto erfolgreicher trage es mittelbar zum Lernerfolg bei. Zudem vertritt er die Überzeugung, dass der Sprachgenuss im Menschen angelegt sei und ein jeder das ‚Grundrecht‘ auf freie Entfaltung sprachlicher Empfindungs- und Ausdrucksmöglichkeiten habe.
In ihrem Vortrag „Die Zukunft ist voll Technik und Licht, Dank künstlicher Intelligenz so schlicht“? Produktion, Materialität und Vermarktung macht Anke Vogel aus Mainz deutlich, dass Kinderlyrik als Warenlabel kaum Beachtung erfährt. So sei sie für gängige Suchmaschinen nicht gut ausgewiesen und schwer zu finden. In Bibliotheken oder Buchläden ist sie zudem wenig bis gar nicht ausgestellt. Lyrik, so schlussfolgert Vogel, habe ein Imageproblem. Gerade Lyrik aber müsse entdeckt werden dürfen. Um zu überleben, brauche sie Sichtbarkeit. Mit der digitalen Transformation auf dem Buchmarkt erlebe das Kinder- und Jugendbuch vor allem einen Audioboom und konvergierende Medienumwelten. Insgesamt zeige sich der Markt multimodal und interaktiv.
Nils Mohl, Lyriker und Autor aus Hamburg, hat seinen Vortrag Mehr Vers als Roman – Wenn das lyrische Ich experimentiert genutzt, um über künstlerisches Schaffen zu reflektieren. Schreiben sei für ihn zunächst eine Tätigkeit gewesen, um im beschwerlichen Berufsalltag eines Lagerarbeiters bei Verstand zu bleiben. Er schrieb in Mittagspausen kürzere Texte, Gedichte, die aussahen wie Prosa (und umgekehrt). Er schrieb, zählte Silben, experimentierte mit der Gestaltung. So seien Fragmente aus dem Alltag eines Ichs entstanden, das mit Gegenwart und Wirklichkeit haderte, das sich verloren und allein fühlte. Über Monate wuchs daraus ein beachtliches Konvolut und es entstand zusammen mit der Illustratorin Regina Kehn der vielfach ausgezeichnete Versroman: An die, die wir nicht werden wollen: Eine Teenager-Symphonie. Literarisches Schreiben verhelfe, so Mohl, der eigenen Identität zum Erhalt, es ermögliche Überleben.