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Auf dem Waldbestattungshain des HVD Niedersachsen in Garbsen

Gedanken zum Totensonntag

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Beitragsbild: HVD Niedersachsen

Auf Einladung des HVD Niedersachsen sprach Erwin Kress, Vorstandssprecher des Humanistischen Verbandes Deutschlands – Bundesverband, bei der letztjährigen Gedenkfeier zum Totensonntag auf dem Bestattungshain Leineaue in Garbsen bei Hannover. Anlässlich des diesjährigen Totensonntags am 24. November dokumentieren wir die Trauerrede vom 26. November 2023.

Trös­te dich, die Stun­den eilen,
Und was all dich drü­cken mag,
Auch die schlimms­te kann nicht wei­len,
Und es kommt ein and­rer Tag.

In dem ew′ gen Kom­men, Schwin­den,
Wie der Schmerz liegt auch das Glück,
Und auch heit­re Bil­der fin­den
Ihren Weg zu dir zurück.

Har­re, hof­fe. Nicht ver­ge­bens
zäh­lest du der Stun­den Schlag:
Wech­sel ist das Los des Lebens,
Und – es kommt ein and­rer Tag.

(Theo­dor Fon­ta­ne)

Anfang des 19. Jahr­hun­derts nach den Napo­leo­ni­schen Krie­gen waren vie­le Men­schen von Ver­lust und Trau­er betrof­fen. Die evan­ge­li­sche Kir­che such­te nach einem Tag, der ähn­lich dem katho­li­schen Aller­see­len dem Geden­ken an die Toten und dem Trost für die Hin­ter­blie­be­nen gewid­met war. Und so wur­de 1816 der Ewig­keits­sonn­tag ein­ge­führt. Er soll­te neben der Erin­ne­rung an die Ver­stor­be­nen dem Gedan­ken an die Ewig­keit gewid­met sein. König Fried­rich Wil­helm III. von Preu­ßen, damals als obers­ter Bischof das lan­des­herr­li­che Ober­haupt der evan­ge­li­schen Kir­che in Preu­ßen, ord­ne­te an, jeweils am letz­ten Sonn­tag des Kir­chen­jah­res, dem letz­ten Sonn­tag vor dem 1. Advent, der Ver­stor­be­nen zu geden­ken. Damit war der „Ewig­keits­sonn­tag“ ein­ge­rich­tet, wie ihn die evan­ge­li­sche Kir­che nann­te. Der Begriff „Toten­sonn­tag“ hat sich jedoch im all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch durch­ge­setzt.

Der Novem­ber wird damit in unse­rer Tra­di­ti­on ein Monat des Toten­ge­den­kens, begin­nend mit Aller­see­len am 2. Novem­ber, dem katho­li­schen Gedenk­tag für die Ver­stor­be­nen. Nach dem I. Welt­krieg ist mit dem Volks­trau­er­tag am vor­letz­ten Sonn­tag des Novem­bers ein staat­li­cher Gedenk­tag hin­zu­ge­kom­men, der pri­mär dem Geden­ken an die Kriegs­op­fer gewid­met ist.

Der Toten­sonn­tag dient vor allem der Ver­stor­be­nen zu geden­ken, die vor nicht lan­ger Zeit ver­stor­ben sind und die Erin­ne­rung an sie zu bewah­ren. In der Ein­la­dung der Emma­us-Gemein­de Gel­sen­kir­chen zum heu­ti­gen Ewig­keits­sonn­tag heißt es: „Wir ver­trau­en sie unse­rem Gott an, von dem wir hof­fen, dass er am Ende die Trä­nen trock­net und unse­re Trau­er in Freu­de ver­wan­delt.“

Nun sind seit Ein­füh­rung des Toten­sonn­tags mehr als zwei­hun­dert Jah­re ver­gan­gen. Von den heu­te Leben­den haben in unse­rer Kul­tur wohl vie­le Men­schen den Glau­ben an ein ewi­ges Leben ver­lo­ren. Aber die Erin­ne­rung an die Toten als ein Ele­ment des Toten­sonn­tags bleibt natür­lich bestehen. So sind unse­re Gedan­ken bei lie­ben Men­schen, die noch vor einem Jahr unter uns waren, die dann von uns gegan­gen sind, die der Tod heim­ge­sucht hat, die er an sich genom­men hat, die er aus dem Leben, aus unse­rer Mit­te weg­ge­ris­sen hat, – wie auch immer wir die­ses Ereig­nis beschrei­ben oder begrei­fen wol­len, das zu trau­ern uns Anlass gibt. Viel­leicht ist unse­re Trau­er auch abge­schlos­sen und wir den­ken in Freu­de und Dank­bar­keit zurück an einen Men­schen und sein Leben, mit dem wir ver­bun­den waren.

Woher kommt die Trau­er? Es sind haupt­säch­lich zwei wich­ti­ge Grün­de für die Trau­er nach dem Tod eines gelieb­ten Men­schen.

Der eine Grund gilt dem ver­stor­be­nen Men­schen selbst. Wenn wir an ein Leben nach dem Tod glau­ben, könn­ten wir befürch­ten, dass der oder die Ver­stor­be­ne es viel­leicht nicht gut ange­trof­fen hat, im Jen­seits, viel­leicht nicht ins Para­dies gelangt ist, wie Chris­ten und Mus­li­me es erseh­nen, oder viel­leicht nicht ins Nir­wa­na der Hin­du­is­ten? Haben Ver­feh­lun­gen zu Leb­zei­ten dazu geführt, dass das Ziel nicht erreicht wur­de? Kön­nen wir nach­hel­fen? Kön­nen wir Gaben für den Weg bereit­stel­len, kön­nen wir Für­bit­te hal­ten bei Kräf­ten, die über den Zugang zum Para­dies oder dem Nir­wa­na ent­schei­den?

Eine Mes­se lesen? Kai­ser Hein­rich der IV. und sei­ne Gemah­lin Kuni­gun­de, die vor Tau­send Jah­ren leb­ten, waren kin­der­los. Sie hat­ten also kei­ne eige­nen Nach­kom­men, die nach ihrem Tod für ihr See­len­heil hät­ten sor­gen kön­nen. Da traf es sich gut, dass sie genü­gend Mit­tel hat­ten, durch Stif­tung von Klös­tern und die Ein­rich­tung des Bis­tums Bam­berg für aus­rei­chend Für­bit­te im Him­mel zu sor­gen. Und die armen Bau­ern auf dem Land? Sie waren nach weni­gen Gene­ra­tio­nen ver­ges­sen und konn­ten nur hof­fen, durch got­tes­fürch­ti­ges Leben und aus­rei­chend Gebe­te ihrer Nach­kom­men recht­zei­tig den Sprung ins Para­dies zu schaf­fen. Ja, natür­lich muss­te man sich die Göt­ter mensch­lich vor­stel­len, also auch bestech­lich: „Der Taler in dem Beu­tel klingt, die See­le in den Him­mel springt”. Die­ser Reim aus den Zei­ten des Ablass­han­dels galt nicht nur für die Toten­für­sor­ge, son­dern auch für das eige­ne Leben, als Ster­bens- bzw. Todes­ver­si­che­rung.

Seit sie sich über den Tod als Ende des Lebens bewusst gewor­den waren, haben sich die Men­schen Gedan­ken dar­über gemacht, wie es danach wei­ter­ge­hen wür­de und wie man das Danach güns­tig beein­flus­sen könn­te. Im Hin­du­is­mus etwa ist es das höchs­te Ziel, im Nir­wa­na wie­der­ge­bo­ren und eins mit der Ewig­keit und dem Abso­lu­ten zu wer­den. Es gibt wich­ti­ge Rei­ni­gungs­ri­tua­le, die dem Glau­ben nach gleich­zei­tig die See­le rei­ni­gen und sie auf die anschlie­ßen­de Rei­se vor­be­rei­ten, bevor der nun über­flüs­si­ge Kör­per ver­brannt wird. Damit sich die unsterb­li­che See­le bei die­sem Trau­er­ri­tu­al ent­fal­ten kann, zer­schlägt ein Pries­ter den Schä­del des Leich­nams.

Nicht immer ging es dar­um, eine „schö­ne“ Ewig­keit sicher­zu­stel­len. Oft­mals waren die Men­schen auch dar­auf bedacht, ein­fach den Geist der Toten aus der mate­ri­el­len Bin­dung zu befrei­en oder Ver­bin­dung mit den Toten, also den Vor­fah­ren, zu hal­ten. Ver­wur­zelt in afri­ka­ni­schen Tra­di­tio­nen fin­det in Jamai­ka eine neun­tä­gi­ge Toten­wa­che statt, nach­dem ein Mensch gestor­ben ist. Dem Glau­ben nach sind die­se neun Tage nötig, damit der Geist der ver­stor­be­nen Per­son den Kör­per ver­las­sen kann. Bei einer zu frü­hen Bei­set­zung kön­ne es vor­kom­men, dass der Geist rach­süch­tig und unheil­brin­gend auf der Erde her­um­spukt. In der neun­ten Nacht, nach Mit­ter­nacht ehren die Anwe­sen­den das frü­he­re Leben des gelieb­ten Men­schen, indem sie aus­gie­big fei­ern. Die­ses fröh­li­che Fest­ge­la­ge ist für die Ange­hö­ri­gen sehr wich­tig, um sich gebüh­rend zu ver­ab­schie­den.

Ja, wir soll­ten dafür sor­gen, dass es unse­ren Toten, also bald auch uns, gut geht.

Ganz all­ge­mein haben die Men­schen vie­le Ritua­le ent­wi­ckelt, um ihrer Toten zu geden­ken. Dazu gehö­ren in unse­rer Kul­tur das Besu­chen von Grab­stät­ten, das Anzün­den von Ker­zen, das Auf­stel­len von Gedenk­ta­feln oder das Durch­füh­ren von spe­zi­el­len Got­tes­diens­ten. In vie­len Tei­len der Welt gibt es wie bei uns regel­mä­ßig statt­fin­den­de Ritua­le – unab­hän­gig von ein­zel­nen Todes­fäl­len. So fei­ern die Men­schen in Chi­na jedes Jahr im April ihr Toten­ge­denk­fest. Zum Ritu­al gehört, dass die Men­schen die Grä­ber säu­bern, Toten­geld ver­bren­nen und Weih­rauch­stäb­chen ent­zün­den.

Das Geden­ken an Ver­stor­be­ne ist ein tief ver­wur­zel­ter mensch­li­cher Brauch in vie­len Kul­tu­ren und Reli­gio­nen. Auch wenn wir uns nicht um ihr ewi­ges Leben sor­gen, gibt es eine Rei­he von Grün­den, war­um Men­schen der Toten geden­ken: Es ermög­licht uns, die Erin­ne­rung an sie leben­dig zu hal­ten:

  • Wir ehren ihre Bei­trä­ge zu unse­rem gemein­sa­men Leben, ihr Erbe, das sie uns geis­tig und mate­ri­ell hin­ter­las­sen haben, die Zeit, die wir mit ihnen ver­brin­gen durf­ten.
  • Das Nach­den­ken über die Toten hilft uns, unse­re Trau­er zu ver­ar­bei­ten und Trost zu fin­den.
  • Das gemein­sa­me Geden­ken der Ver­stor­be­nen bringt uns Leben­de zusam­men. Die Toten ver­bin­den die Leben­den.

Wir hat­ten gesagt, es gäbe zwei wesent­li­che Grün­de für unse­re Trau­er. Auf der einen Sei­te trau­ern wir um die Toten, küm­mern uns um ihr See­len­heil, ihre Erlö­sung. Für die unter uns, denen der Gedan­ke an ein ewi­ges Leben fremd ist, spielt die­ser Grund der Trau­er kei­ne Rol­le. Selbst unser Bedau­ern, dass die ver­stor­be­ne Per­son kein schö­nes Leben hat­te, zu früh gestor­ben ist oder zu sehr lei­den muss­te, hilft ihr nicht mehr.

Aber es gibt eben auch den zwei­ten Grund für unse­re Trau­er, die Trau­er um uns selbst, um unse­ren Ver­lust. War­um muss­te ich das erle­ben? Was soll wer­den aus mir, was fan­ge ich an ohne die gelieb­te Per­son?  Jesus soll auf dem Weg zur Kreu­zi­gung gesagt haben: „Ihr Töch­ter von Jeru­sa­lem, wei­net nicht über mich, son­dern wei­net über euch selbst und über eure Kin­der.“ (Lukas-Evan­ge­li­um) Ins­be­son­de­re der Tod von gelieb­ten Men­schen, von nahen Ange­hö­ri­gen kann ein rie­si­ger Ver­lust für uns sein oder als sol­cher von uns emp­fun­den wer­den. Selbst von höhe­ren Tie­ren wis­sen wir, wie sehr sie trau­ern kön­nen.

Wir Men­schen müs­sen mit dem Ver­lust umge­hen, uns an unse­rer Trau­er abar­bei­ten. Es ist für man­chen leicht dahin­ge­sagt, dass wir uns von unse­rer Trau­er nicht über­wäl­ti­gen las­sen dür­fen. Aber bes­ser ist es, die über­mä­ßi­ge Trau­er wür­de uns nichts nut­zen, im Gegen­teil, sie wür­de das neue Leben ohne die zuvor so wich­ti­ge oder gelieb­te Per­son erschwe­ren. Trau­ern­de kön­nen sich Hil­fe holen, unter Ange­hö­ri­gen, im Freun­des­kreis, in Trau­er­run­den mit ande­ren Betrof­fe­nen, aber am Ende soll­ten sie die Trau­er besie­gen, das neue Leben anneh­men. Fried­rich Schil­ler wird der Spruch zuge­ord­net „Wohl dem Men­schen, wenn er gelernt hat zu ertra­gen, was er nicht ändern kann und preis­zu­ge­ben in Wür­de, was er nicht ret­ten kann.“
Die­se Wor­te beto­nen die Tugend der Gelas­sen­heit, die Fähig­keit, sich an die Gege­ben­hei­ten anzu­pas­sen und das Unver­meid­li­che zu akzep­tie­ren. Es gibt Momen­te im Leben, in denen wir nicht umhin­kom­men, Din­ge los­zu­las­sen und sich von dem zu ver­ab­schie­den, was nicht mehr geret­tet wer­den kann.

Das Toten­ge­den­ken hat noch eine wei­te­re Bedeu­tung für uns. Es ist der Hin­weis, dass auch wir selbst sterb­lich sind. Die­ser Gedan­ke an unse­ren eige­nen Tod, der unver­meid­lich auf uns zukommt, mag uns erschre­cken. Dabei kann der Schre­cken in zwei Rich­tun­gen gehen.

Wenn wir got­tes­fürch­tig sind oder Angst vor einem Jen­seits haben, stellt sich die Fra­ge, ob wir auf den Tod vor­be­rei­tet sind. Haben wir genü­gend gute Wer­ke getan, haben wir genü­gend in die nöti­gen Für­bit­ten nach unse­rem Tod inves­tiert? Die­je­ni­gen, die nicht an ein Leben nach dem Tod glau­ben, haben mit die­sem Schre­cken kein Pro­blem. Doch auch wenn sie nicht gläu­big sind, hof­fen vie­le Men­schen dar­auf, dass es nach dem Tod irgend­wie wei­ter gehen könn­te. Wir kön­nen ihnen hier nicht hel­fen, kön­nen den Gedan­ken hier nicht wei­ter­ver­fol­gen.

Aber damit ist der Schreck in der ande­ren Rich­tung nicht aus der Welt, die Erkennt­nis, unser Leben ist end­lich. Was bleibt uns? Man­che wün­schen sich, dass das mensch­li­che Leben künf­tig nahe­zu unbe­grenzt andau­ert. Tech­nisch gese­hen ist dies der­zeit unmög­lich. Unse­re Kör­per sind nicht dafür aus­ge­legt und die Medi­zin ist längst nicht in der Lage zu einer per­ma­nen­ten Repa­ra­tur. Die Lis­te der bis­lang unbe­sieg­ba­ren Krank­hei­ten ist lang. Alte­rungs­pro­zes­se kön­nen vor­über­ge­hend über­tüncht, aber nicht auf­ge­hal­ten wer­den. Des­we­gen den­ken Trans­hu­ma­nis­ten dar­über nach, das Leben mit mehr und mehr künst­li­chen Ersatz­tei­len und künst­li­cher Intel­li­genz zu ver­län­gern.

Aber wäre es denn wirk­lich wün­schens­wert, ein „ewi­ges Leben“ zu haben? Ein ewi­ges Leben wäre die Höl­le. Wenn nicht gleich­zei­tig die Erobe­rung neu­er Wel­ten gelän­ge, wür­den die end­li­chen Res­sour­cen unse­res Pla­ne­ten zum Bei­spiel kei­nen Platz mehr für Kin­der bie­ten. Und Lan­ge­wei­le wür­de die Herr­schaft über­neh­men, war­nen uns Phi­lo­so­phen. Unse­re Leben wer­den oft durch den Wech­sel von Höhen und Tie­fen, Freu­den und Her­aus­for­de­run­gen geprägt. Die begrenz­te Dau­er unse­res Lebens ver­leiht unse­ren Erfah­run­gen einen ein­zig­ar­ti­gen Wert und eine beson­de­re Inten­si­tät. Ein Leben ohne Ende könn­te zu einer end­lo­sen Mono­to­nie füh­ren, in der die Freu­de des Erfah­rens durch die Aus­sicht auf eine end­lo­se Wie­der­ho­lung ver­lo­ren geht. In einem end­lo­sen Leben wür­den Erin­ne­run­gen unauf­hör­lich anwach­sen, und die Fähig­keit des Geis­tes, mit die­ser Flut von Infor­ma­tio­nen umzu­ge­hen, könn­te über­for­dert wer­den. Die Schön­heit und Bedeu­tung bestimm­ter Erleb­nis­se wür­den in der Mas­se zuneh­men­der Erin­ne­run­gen ver­blas­sen und bedeu­tungs­los wer­den. Und da der Mensch mit der Ver­län­ge­rung des Lebens nicht sei­ne evo­lu­tio­när beding­ten ego­is­ti­schen Gene able­gen könn­te, wäre noch die Fra­ge, wer denn am Ende vom ewi­gen Leben pro­fi­tie­ren wür­de.

Ver­las­sen wir das Reich der Uto­pie. Es bleibt der Schreck, dass unser heu­ti­ges bestehen­des Leben end­lich ist, viel­leicht von kur­zer Dau­er. Man­che ant­wor­ten auf die­sen Schreck mit Ver­drän­gung: „Was soll’s, ich kann ohne­hin nichts dar­an ändern. Haupt­sa­che, ich muss nicht lei­den, bevor ich ster­be.“ Das ist eine abso­lut legi­ti­me Hal­tung. Doch solan­ge wir nicht danach bestrebt sind, das Leben schnellst­mög­lich zu ver­las­sen, ist das Leben für uns offen­sicht­lich über­wie­gend lebens­wert. Dazu braucht das Leben kei­nen Sinn. Es kommt und es geht ohne Auf­ga­be für uns. Wir müs­sen unse­rem Leben auch kei­nen Sinn geben, aber wir kön­nen es: ihm einen Sinn geben, einen Sinn für uns selbst.  Was machen wir mit unse­rer end­li­chen Zeit auf die­ser Erde? Wie möch­ten wir leben, was möch­ten wir noch erle­ben, bevor der Tod uns begeg­net? Was ist uns wich­tig, wer ist uns wich­tig? Was möch­ten wir ändern, was noch ler­nen?

Ins­ge­samt kann die Vor­be­rei­tung auf den Tod im Leben dazu bei­tra­gen, dass wir uns bewuss­ter mit unse­rer eige­nen End­lich­keit aus­ein­an­der­set­zen und uns auf ein wür­de­vol­les Ende vor­be­rei­ten. Dies ist ein per­sön­li­cher und oft emo­tio­na­ler Pro­zess. Die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem eige­nen Ster­ben zu Leb­zei­ten kann dazu füh­ren, dass wir unser Leben bewuss­ter anneh­men und schät­zen. Die Beja­hung der eigent­li­chen End­lich­keit kann zu inne­rem Frie­den füh­ren und Ängs­te min­dern. Offe­ne Gesprä­che mit Ange­hö­ri­gen oder lie­ben Men­schen über Wün­sche, Vor­stel­lun­gen und Ängs­te kön­nen für alle Betei­lig­ten hilf­reich sein.

Und wir kön­nen auch Trost fin­den, wenn wir an unse­ren eige­nen Tod den­ken. Wir kön­nen in den Erin­ne­run­gen und Ein­flüs­sen, die wir im Leben hin­ter­las­sen, eine Art Fort­le­ben sehen. Die Art und Wei­se, wie wir auf ande­re Men­schen wir­ken, wie wir in ihren Erin­ne­run­gen wei­ter­le­ben, die Idee, dass die eige­nen Hand­lun­gen einen posi­ti­ven Ein­fluss auf ande­re haben kön­nen, kann Trost spen­den. Auch der Kreis­lauf des Lebens, der Gedan­ke, dass die Ele­men­te unse­res Kör­pers nach dem Tod wie­der in den natür­li­chen Kreis­lauf ein­ge­hen, kann eine tröst­li­che Per­spek­ti­ve bie­ten.

Die Bri­tin Hes­ter Braun for­mu­liert in einer Gedan­ken­samm­lung zur Sterb­lich­keit: „Wir alle beein­flus­sen und ver­än­dern das Leben des ande­ren in einer end­lo­sen Ent­wick­lung. Unser Augen­blick ver­geht, aber zukünf­ti­ge Gene­ra­tio­nen ste­hen auf unse­ren Schul­tern.“

Und ein letz­ter Gedan­ke, dies­mal von Euge­nio Mon­ta­le, einem ita­lie­ni­schen Schrift­stel­ler und Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­ger: „Wenn wir ster­ben, sind wir Zeit­ge­nos­sen aller ande­ren, außer den Leben­den”.

Ich wün­sche Ihnen allen ein schö­nes Leben, einst ein­mal einen schö­nen Tod und heu­te noch einen schö­nen Tag.

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