Suche
Kampf gegen die Einschränkung von Menschenrechten

Kroatische Aktivistinnen: „Es ist Zeit für den Widerstand”

Die kroatische Aktivistin Nada Peratovic beim Zagreb Pride, 2015.
Aktivistin Nada Peratovic beim Zagreb Pride, 2015.

Beitragsbild: Zentrum für Zivilcourage

In Kroatien wird die Einschränkung von Menschenrechten durch neokonservative, nationalistische Kräfte und die katholische Kirche vorangetrieben. Nada Peratovic,, selbst feministische Aktivistin, schildert den Kampf gegen die Vereinnahmung des Staates von kirchlicher Seite und gegen die Beschneidung von Frauenrechten.

Ein katho­li­scher Pries­ter, ein mus­li­mi­scher Imam und ein jüdi­scher Rab­bi tref­fen sich einen Tag vor dem Welt­frau­en­tag, um über die Stel­lung der Frau in ihren Reli­gio­nen zu dis­ku­tie­ren …

Nein, dies ist nicht der Beginn eines Wit­zes, son­dern die wenig lus­ti­ge Beschrei­bung eines Podi­ums, das am Vor­abend des Welt­frau­en­ta­ges, dem 7. März 2019, an der Phi­lo­so­phi­schen Fakul­tät in Zagreb statt­fand. Bei die­ser Ver­an­stal­tung ver­such­ten also drei männ­li­che Reli­gi­ons­ver­tre­ter den Stu­den­tin­nen zu erklä­ren, wie sich Frau­en als Got­tes Geschöp­fe zu beneh­men haben. Um die Hege­mo­nie der kon­ser­va­ti­ven und kirch­li­chen Ideo­lo­gie zu ver­wirk­li­chen, ver­sucht die katho­li­sche Kir­che seit der Unab­hän­gig­keit Kroa­ti­ens die Repa­tri­ar­cha­li­sie­rung der Gesell­schaft durch­zu­füh­ren und bemüht sich ins­be­son­de­re Frau­en­rech­te zu unter­gra­ben.

Jedoch konn­ten femi­nis­ti­sche Orga­ni­sa­tio­nen und Frau­en aus der Zivil­ge­sell­schaft maß­geb­lich dazu bei­tra­gen, die Ein­füh­rung reli­giö­ser Moral­vor­stel­lun­gen in die Gesetz­ge­bung des Staa­tes zu ver­hin­dern. So sam­mel­te die Frau­en­rechts­grup­pe B.a.B.e. im Jahr 1995 zusam­men mit ande­ren Frau­en­or­ga­ni­sa­tio­nen 20.000 Unter­schrif­ten gegen ein gesetz­li­ches Abtrei­bungs­ver­bot. Obwohl sich Anfang der Neun­zi­ger Jah­re vie­le Men­schen in Kroa­ti­en (oft auch aus oppor­tu­nen Grün­den), zum Katho­li­zis­mus bekann­ten, war das sozia­lis­ti­sche (athe­is­ti­sche) Bild der eman­zi­pier­ten und selb­stän­di­gen Frau noch immer prä­sent und vie­le neu­be­ken­nen­de Katholik*innen hat­ten zur dama­li­gen Zeit noch Hem­mun­gen, einem Abtrei­bungs­ver­bot vor­be­halt­los zuzu­stim­men. Auch dies wirk­te sich sicher­lich auch auf den Ent­scheid des dama­li­gen Gesund­heits­mi­nis­ters aus, der die Aus­ar­bei­tung eines neu­en Geset­zes, wel­ches auch den Schwan­ger­schafts­ab­bruch neu regeln soll­te, stopp­te.

In den ver­gan­ge­nen 25 Jah­ren brach­te der katho­li­sche Reli­gi­ons­un­ter­richt kroa­ti­schen Kin­dern und Jugend­li­chen bei, wel­che die „gott­ge­woll­ten“ Geschlech­ter­rol­len sei­en und dass Mas­tur­ba­ti­on, vor­ehe­li­cher Sex, künst­li­che Befruch­tung, Homo­se­xua­li­tät und Schwan­ger­schafts­ab­bruch in die Höl­le füh­ren wür­den. Da scheint es nicht ver­wun­der­lich, dass laut neu­es­ten Umfra­gen die Nach­kriegs­ge­nera­ti­on Kroa­ti­ens kon­ser­va­ti­ver, miso­gy­ner, homo- und xeno­pho­ber ist, als die Gene­ra­ti­on ihrer Eltern oder Groß­el­tern.

Gegenwehr von säkularer Seite

Die Wel­le neo­kon­ser­va­ti­ver, reli­giö­ser Initia­ti­ven, Orga­ni­sa­tio­nen und Aktio­nen, die seit 2012 Kroa­ti­en regel­recht über­schwemmt, stieß von Anfang an auf Gegen­wehr aus der säku­la­ren Zivil­ge­sell­schaft. Bei der ers­ten Akti­on von Katholik*innen, die seit 2014 vor den Spi­tä­lern gegen Abtrei­bun­gen „beten“, ver­klei­de­ten sich zum Bei­spiel in der Küs­ten­stadt Rije­ka zwei jun­ge Män­ner als Comic­fi­gu­ren und konn­ten mit Trans­pa­ren­ten wie „Das Leben beginnt mit einer Erek­ti­on“ oder „Durch Beten ver­geu­den wir unser Leben“ der Akti­on etwas ent­ge­gen­set­zen und sie sogar ins Lächer­li­che zie­hen.

Auch mar­schie­ren katho­li­sche Aktivist*innen in ihren Mär­schen für das (unge­bo­re­ne) Leben nicht ohne den Wider­stand der Femi­nis­tin­nen. Beim ers­ten „Marsch für das Leben“ im Jahr 2016 stell­ten sich spon­tan zwei jun­ge Frau­en dem Men­schen­zug ent­ge­gen, aller­dings wur­den sie sofort von der Poli­zei abge­führt.

2019 zeig­ten sich die Gegen­pro­tes­te unter dem Mot­to „Roter Wider­stand“ und mit der Erklä­rung, Rot sei die Far­be des mit Blut erkämpf­ten Rech­tes auf Abtrei­bung, gleich in meh­re­ren Städ­ten: Am Vor­abend des soge­nann­ten Mar­sches für das Leben wur­de ein Brun­nen in Rije­ka blut­rot gefärbt. In der glei­chen Stadt orga­ni­sie­ren Bürger*innen schon zum zwei­ten Mal den Marsch für die Frei­heit, ins­be­son­de­re für die Frei­heit und das Recht der Frau­en auf ver­füg­ba­ren und siche­ren Schwan­ger­schafts­ab­bruch. Wäh­rend des „Mar­sches für das Leben“ in Zagreb konn­ten zehn Frau­en in wei­ßen Nacht­hem­den, befleckt mit roter Far­be, den Men­schen­zug für kur­ze Zeit stop­pen. Auch die­se Frau­en wur­den ver­haf­tet, abge­führt und spä­ter zu Geld­stra­fen ver­ur­teilt.

Kroa­ti­sche Femi­nis­tin­nen sind sich bewusst, dass sie nie das Äqui­va­lent an Geld, Infra­struk­tur und poli­ti­scher Macht besit­zen wer­den, wel­ches es der katho­li­schen Kir­che und deren Part­nern ermög­licht, die Gesell­schaft mas­siv zu beein­flus­sen. Und doch sind sie oft die Ein­zi­gen, die sich öffent­lich gegen die schlei­chen­de natio­na­lis­ti­sche, neo­kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on stel­len und auch für die Rech­te ande­rer ein­ste­hen.

Der Kampf der Femi­nis­tin­nen kennt in Kroa­ti­en kei­ne Gren­zen. Femi­nis­tin­nen des Cent­re for Women War Vic­tims (Zen­trum für weib­li­che Kriegs­op­fer) haben es geschafft, für eine aus dem Irak geflüch­te­te Frau das Recht auf Asyl zu erkämp­fen, das von den unte­ren Gerichts­in­stan­zen nicht aner­kannt wor­den war. Dank femi­nis­ti­scher Juris­tin­nen hat das kroa­ti­sche Ver­fas­sungs­ge­richt eine his­to­ri­sche Ent­schei­dung gefällt und häus­li­che Gewalt als Asyl­grund in Kroa­ti­en aner­kannt. 

Die kroa­ti­schen Femi­nis­tin­nen mar­schie­ren, geklei­det wie die Die­ne­rin­nen in Mar­ga­ret Atwoods Buch „The Handmaid’s Tale“, auf den Stra­ßen, um die Rati­fi­zie­rung der Istan­bu­ler Kon­ven­ti­on zu unter­stüt­zen oder über die wach­sen­de Män­ner­ge­walt gegen ihre Part­ne­rin­nen in Kroa­ti­en zu infor­mie­ren. Femi­nis­tin­nen – zu denen auch Akti­vis­tin­nen unse­res huma­nis­ti­schen Ver­eins „Zen­trum für Zivil­cou­ra­ge“ zäh­len – sind bis­her die ein­zi­gen, die sich trau­en, am soge­nann­ten kroa­ti­schen „Tag des Sie­ges“ an die kroa­ti­schen Kriegs­ver­bre­chen zu erin­nern. Unter Poli­zei­schutz hal­ten wir jedes Jahr im August eine 30-minü­ti­ge Mahn­wa­che im Zen­trum der Haupt­stadt ab.

Seit 2016 bewe­gen jun­ge Femi­nis­tin­nen der Grup­pe Fak­tiv tau­sen­de Men­schen dazu, den Welt­frau­en­tag mit einem Abend­marsch zu wür­di­gen. Hin­ter einem Trans­pa­rent mit der Auf­schrift „Es ist Zeit für den Wider­stand“ gaben 2017 die Mar­schie­ren­den ihrem Unmut über die wach­sen­de reli­giö­se Ver­ein­nah­mung und zuneh­men­de Gewalt gegen Frau­en Aus­druck.

Gera­de die Tat­sa­che, dass die gro­ßen Welt­re­li­gio­nen nicht geschlech­ter­ge­recht kon­zi­piert sind, bewegt Femi­nis­tin­nen, den reli­giö­sen Frau­en­be­griff in ihre Gesell­schafts­kri­tik mit­ein­zu­be­zie­hen. Der Kör­per der Frau – nicht der des Man­nes – ist das Schlacht­feld, wel­ches von den Reli­gio­nen ver­ein­nahmt wird – ob es nun um deren Ver­stüm­me­lung, Ver­ge­wal­ti­gung, Ver­schleie­rung, Besitz­ergrei­fung, Bewah­rung der Jung­fräu­lich­keit, Sexua­li­tät oder Repro­duk­ti­on han­delt. Des­halb soll­te ander­seits auch in der huma­nis­ti­schen Reli­gi­ons­kri­tik die spe­zi­fi­sche Posi­ti­on des weib­li­chen Sub­jekts (oder, bes­ser gesagt, Objekts) inner­halb der mythi­schen und reli­giö­sen Welt­an­schau­ung und das dadurch bewirk­te Leid von Mil­lio­nen von Frau­en welt­weit beson­ders her­vor­ge­ho­ben wer­den.

Huma­nis­mus ist ohne Femi­nis­mus unvoll­stän­dig – nur zusam­men bie­ten sie ein rea­les Bild unse­rer Gesell­schaft. Nur wenn wir kon­kret die Miss­stän­de und die Macht­struk­tu­ren benen­nen, kön­nen wir uns ihrer Auf­he­bung wid­men und den Frau­en die Befrei­ung von reli­giö­sen und kul­tu­rel­len Zwän­gen als auch eine ech­te, huma­nis­tisch-femi­nis­ti­sche, men­schen­wür­di­ge Alter­na­ti­ve anbie­ten.

Der "Rote Widerstand" gegen den sogenannten "Marsch fürs Leben", 2019.Bild: Nada Pera­to­vic

Dies ist der zwei­te von zwei Arti­keln von Nada Pera­to­vic zum The­ma. Der ers­te Teil, erschie­nen in der dies­seits-Aus­ga­be 125, beschreibt, wie in Kroa­ti­en öffent­li­che Ein­rich­tun­gen Schritt für Schritt instru­men­ta­li­siert und huma­nis­ti­sche Prin­zi­pi­en beschnit­ten wer­den. Hier lesen.

Inhalt teilen

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Meistgelesen

Ähnliche Beiträge

Ein persönlicher Nachruf

Die ehemalige Vorstandsvorsitzende der Humanisten Baden-Württemberg, ...

Nach oben scrollen